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63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;Norm
BDG 1979 §43 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Graf und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des A in I, vertreten durch Dr. Hermann Rieder, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Stiftgasse 23, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundesministerium für öffentliche Leistung und Sport vom 6. Oktober 2000, Zl. 40/7-DOK/00, betreffend Schuldspruch und Ausspruch gemäß § 115 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der im Jahr 1946 geborene Beschwerdeführer steht als Abteilungsinspektor (Kriminalbeamter) in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Er ist im Kriminaldienst im Bereich der Bundespolizeidirektion Innsbruck tätig.
Mit Disziplinarerkenntnis vom 24. März 2000 hat die Disziplinarkommission beim Bundesministerium für Inneres den Beschwerdeführer wie folgt schuldig erkannt und disziplinär bestraft:
"AI d. KrD A ist schuldig, am 1.2.1999 vormittags als Angehöriger der Journaldienstgruppe der bei ihm im Journaldienst der BPD Innsbruck vorsprechenden P, die sich wegen eines an sie gerichteten anonymen Briefes an die Polizei gewandt hatte, dessentwegen sie verängstigt war und weshalb sie Anzeige erstatten wollte sowie Information und Unterstützung erwartete, lediglich den Rat gegeben zu haben, dann wenn sie wirklich gefährlich gedroht werde solle sie zur Polizei gehen oder den Polizeinotruf wählen, wobei er weder eine Anzeige der P aufgenommen hat noch sonst über diesen Vorgang einen Bericht bzw. eine Meldung verfasste und auch das von Frau P mitgebrachte Beweismaterial nicht sicherstellte, es sohin unterlassen zu haben, obwohl es mit den Interessen des Dienstes und dem Gebot der Unparteilichkeit der Amtshandlung vereinbar war, die hilfesuchende Partei im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben zu unterstützen und zu informieren.
AI A hat dadurch eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 3 BDG begangen.
Gemäß §§ 91 und 92 Abs. 1 Z. 1 BDG wird über AI A die Disziplinarstrafe des Verweises
verhängt.
Gemäß § 117 Abs. 2 BDG wird von der Verpflichtung des Beschuldigten zum Ersatz der Verfahrenskosten abgesehen"
Die Disziplinarkommission hat ihrer Entscheidung folgenden Sachverhalt zugrunde gelegt:
"Die österreichische Staatsangehörige P hat am 30.1.99 an ihre Wohnadresse einen anonymen Brief postalisch zugesendet erhalten, in dem sie mit Schimpfwörtern bedacht wurde. In dem Brief befanden sich Ausschnitte aus Sexzeitschriften sowie ein Präservativ. Auf dem Kuvert stand "Komme vorbei, bis bald". Die alleinstehende Frau P war aufgrund dieses Briefes verängstigt und hat sich noch am 30.1.99 an die Polizei gewendet. Ihr wurde an diesem Tag erklärt, dass sie am 1.2.99 beim Kriminalbeamten B vorsprechen möge. Dies hat P dann getan. Der Kriminalbeamte B, der an diesem Tag nicht Journaldienst versah, ging mit Frau P zum Journaldienst, der für die Aufnahme von strafrechtlichen Sachverhalten bei der BPD Innsbruck zuständig ist und hat den im Journaldienst anwesenden Beschuldigten ersucht, die Angelegenheit weiter zu bearbeiten. AI A der an diesem Journaldienst anwesende Sachbearbeiter des Referates der Kriminalpolizeilichen Abteilung war, führte daraufhin das Gespräch mit Frau P, die über diesen Vorgang Anzeige erstatten wollte und ihre Verunsicherung und Verängstigung auch entsprechend kund tat. Nach Darstellung des Sachverhaltes wurde Frau P von AI A jedoch damit beschieden, dass er in dem gegenständlichen Vorgang keinen strafrechtlichen Tatbestand ersehe und daher auch keine Anzeige aufnehme. Er erklärte ihr, dass es sich dabei um keine gefährliche Drohung handle. Er gab ihr dann lediglich den Rat, für den Fall, dass sie "wirklich" bedroht würde, solle sie zur Polizei gehen oder den Polizeinotruf wählen. AI A gab der P den anonymen Brief samt Inhalt retour. Er nahm über den Vorfall nicht nur keine Anzeige auf sondern verfasste auch keinen Bericht bzw. keine Meldung. Die aufgrund dieser Information nach wie vor verunsicherte und verängstigte P begab sich daraufhin wieder zum Kriminalbeamten B im zweiten Stock der Bundespolizeidirektion und schilderte ihm, dass AI A die Aufnahme einer Anzeige abgelehnt hatte. Daraufhin hat der Krb. B am 1.2.2000 um 10.43 Uhr von sich aus mit Frau P eine Strafanzeige aufgenommen, in der der Sachverhalt niedergeschrieben wurde. Der anonyme Brief samt Inhalt wurde zwecks Durchführung weiterer Erhebungen zum Akt gegeben.
...
Aufgrund der Strafanzeige von Frau P wurden weitere kriminalpolizeiliche Erhebungen, einschließlich kriminaltechnischer Untersuchungen durchgeführt, die jedoch zu keiner Ausforschung des unbekannten Briefschreibers führten. Am 7.4.99 wurde daher vom Sachbearbeiter der gegenständliche Vorgang der Staatsanwaltschaft Innsbruck zur Anzeige gebracht."
Mit dem im Instanzenzug ergangenen, vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Disziplinarerkenntnis vom 6. Oktober 2000 hat die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer gegen das erstinstanzliche Disziplinarerkenntnis erhobenen Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 105 BDG 1979 in der Weise Folge gegeben, dass von der Verhängung einer Disziplinarstrafe gemäß § 115 BDG 1979 abgesehen wird".
Zur Begründung ihrer Entscheidung führte die belangte Behörde - nach Darlegung des Verfahrensverlaufes und der maßgebenden Rechtslage - im Wesentlichen aus, den von der Disziplinarkommission erster Instanz festgestellten Sachverhalt bestreite der Beschwerdeführer nicht. "Ermessen" im rechtstechnischen Sinn sei ihm nicht eingeräumt gewesen. Die Unterstützungspflicht des Beamten gemäß § 43 Abs. 3 BDG 1979 umfasse die Verpflichtung, das Geschehen (eines von einer Partei herangetragenen Sachverhaltes) bei der Behörde schriftlich zu dokumentieren bzw. aktenkundig zu machen, ohne dass unbedingt Strafanzeige erstattet werden müsste; als "tolerabel" könne es angesehen werden, wenn der Beamte von einer Anzeigeerstattung an das Gericht vorerst absehe und das Beweismittel (anonymer Brief samt Inhalt) zu den Akten nehme, weil es in der Folge relevant sein könnte. Der Beschwerdeführer hätte mit Frau P eine Niederschrift aufnehmen müssen. Da er jegliche niederschriftliche Darstellung oder Meldung unterlassen habe und seiner Unterstützungspflicht gegenüber der Frau P im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben nicht nachgekommen sei, habe er mit seiner Vorgangsweise den Tatbestand des § 43 Abs. 3 BDG 1979 erfüllt und eine schuldhafte Dienstpflichtverletzung im Sinne des § 91 leg. cit. begangen. Zur Strafe führte die belangte Behörde aus, die Voraussetzungen des § 115 BDG 1979 seien fallbezogen deshalb gegeben, weil der Beschwerdeführer eingesehen habe, dass er mit der bloßen Rückgabe des inkriminierten Briefes samt Inhalt an Frau P falsch gehandelt habe. Er sei das erste Mal disziplinär auffällig geworden und Erschwerungsgründe seien nicht zu erkennen. Von der Verhängung einer Strafe habe daher ohne Verletzung dienstlicher Interessen abgesehen werden können und der Schuldspruch allein genüge, um den Beschwerdeführer von weiteren Verfehlungen abzuhalten.
Über die - mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Februar 2001, B 2378/00-3, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG zur Entscheidung abgetretene - Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die maßgebliche Bestimmung des § 43 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) lautet:
"Allgemeine Dienstpflichten
§ 43. (1) Der Beamte ist verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.
(2) Der Beamte hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.
(3) Der Beamte hat die Parteien, soweit es mit den Interessen des Dienstes und dem Gebot der Unparteilichkeit der Amtsführung vereinbar ist, im Rahmen seiner dienstlichen Aufgaben zu unterstützen und zu informieren."
Insoweit in der Beschwerde vorgebracht wird, der Beschwerdeführer sei im Einleitungsbeschluss (gemeint: nach dem Inhalt seiner Begründung) "vorverurteilt" worden, ist diesem Vorbringen zu erwidern, dass der Beschwerdeführer gegen diesen Einleitungs- und Verhandlungsbeschluss vom 1. September 1999 Berufung erhoben hat. Über diese Berufung hat die Berufungskommission beim Bundeskanzleramt mit Bescheid vom 18. Jänner 2000 entschieden. Dieser gemäß § 66 Abs. 4 AVG im Instanzenzug ergangen Berufungsentscheidung zufolge wurde dem Beschwerdeführer im Verdachtsbereich wegen des näher umschriebenen (im nachfolgenden Disziplinarverfahren festgestellten und bereits oben dargestellten) Sachverhaltes eine Verletzung seiner Dienstpflichten im Sinne der Absätze 1, 2 und 3 des § 43 BDG 1979 vorgeworfen. Die in der Beschwerde gerügte Begründung des erstinstanzlichen Einleitungs- und Verhandlungsbeschlusses ist bzw. war nicht maßgeblich.
Die im § 43 BDG 1979 normierten Dienstpflichten des Beamten umfassen in den Absätzen 1 und 2 allgemeine Tatbestände (Pflichten), die - soweit nicht besondere Tatbestände (Dienstpflichten) in Betracht zu ziehen sind - nur subsidiär heranzuziehen sind. Der im Abs. 3 leg. cit. geregelte Tatbestand betrifft hingegen keine allgemeine Dienstpflicht, sondern eine spezifische Situation der Amtsführung und ist von daher - auch wenn das Verhalten des Beamten in Idealkonkurrenz zusätzlich Dienstpflichten nach den Absätzen 1 und 2 des § 43 BDG 1979 verletzt - vorrangig (vor den allgemeinen Tatbeständen) und ausschließlich als verletzte Dienstpflicht heranzuziehen (vgl. hiezu auch Kucsko-Stadlmayer, Das Disziplinarrecht der Beamten, 3. Auflage 2003, Seiten 100f und 454, sowie die dort zu den Fußnoten 14ff bzw. 325 und 326 angegebene Judikatur).
Mit seinem Beschwerdevorbringen, er habe "im Rahmen des ihm eingeräumten Ermessens den geschilderten Sachverhalt bewertet und keine Notwendigkeit gesehen, darüber einen Aktenvermerk anzufertigen" - und von daher noch viel weniger die Strafanzeige aufzunehmen und an den Staatsanwalt zu übermitteln - gibt der Beschwerdeführer unumwunden und deutlich zu erkennen, dass er seine Dienstpflichten im Journaldienst als für die Aufnahme von Anzeigen zuständiger Sachbearbeiter der (Kriminalpolizeilichen Abteilung der) zuständigen Sicherheitsbehörde nicht erfüllte. Die Amtsführung des Beschwerdeführers hätte es im Rahmen seiner Zuständigkeit aber erfordert, entsprechend der aus § 43 Abs. 3 BDG 1979 sich für ihn ergebenden Verpflichtung, eine Partei bei der Anzeigeerstattung zu unterstützen, die von P (mündlich) erstattete Strafanzeige schriftlich zu dokumentieren bzw. anzunehmen und einer ordnungsgemäßen Behandlung zu unterziehen, zumal nicht auszuschließen war, dass dies den Verdacht einer von Amts wegen zu verfolgenden strafbaren Handlung erhärten hätte können.
Neben dieser Unterlassung verletzte der Beschwerdeführer auch dadurch seine Unterstützungspflicht, dass er dieser Anzeigerin den "Rat" gab, sie möge - nachdem sie schon zum zweiten Mal zur Polizei gekommen war - "wieder zur Polizei gehen oder den Polizeinotruf wählen", wenn sie "wirklich" bedroht werde. Damit hat der Beschwerdeführer die Anzeigerin die ihm auferlegte Verpflichtung zur Unterstützung der Anzeigerin geradezu abgelehnt bzw. vereitelt.
Die belangte Behörde ist daher ohne das Gesetz zu verletzen zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer durch seine Handlungsweise den Tatbestand einer Dienstpflichtverletzung im Sinne der §§ 43 Abs. 3 und 91 BDG 1979 begangen hat.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 30. Juni 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001090106.X00Im RIS seit
05.08.2004