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L0 Verfassungs- und OrganisationsrechtNorm
B-VG Art141 Abs1 litaLeitsatz
Aufhebung der Wahl zur Gemeindevertretung der Stadt Bludenz vom 02.04.2000 wegen Verletzung von Vorschriften des Vlbg GWG betreffend die Ermittlung des WahlergebnissesSpruch
In Stattgebung der Wahlanfechtung wird das Verfahren zur Wahl zur Gemeindevertretung der Stadt Bludenz - vom Beginn des Abstimmungsverfahrens an - aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Am 2. April 2000 fanden in allen Gemeinden des Landes Vorarlberg die - von der Vorarlberger Landesregierung mit Verordnung vom 11. Jänner 2000, LGBl. 1, ausgeschriebenen - Wahlen in die Gemeindevertretung statt.
2. In der Stadt Bludenz lagen dieser Wahl die von den folgenden Wählergruppen (Parteien) eingebrachten, gemäß §20 des (Vorarlberger) Gemeindewahlgesetzes, LGBl. 1999/30, (im Folgenden: GWG) kundgemachten Wahlvorschläge zu Grunde:
"Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer Volkspartei",
"SPÖ - Bludenz und Parteifreie",
"FPÖ und parteifreie Bürger" und
"offene Liste Bludenz".
3. Die Wahl in die Gemeindevertretung der Stadt Bludenz führte zu Folge der Kundmachung der Gemeindewahlbehörde der Stadt Bludenz vom 6. April 2000 (§49 Abs5 GWG) zu folgendem Ergebnis:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft
und Bludenzer Volkspartei ............ 15 Mandate,
SPÖ - Bludenz und Parteifreie ........ 10 Mandate,
FPÖ und parteifreie Bürger ............ 4 Mandate,
offene Liste Bludenz .................. 4 Mandate.
4. Am 13. April 2000 erhob der zustellungsbevollmächtigte Vertreter der Wählergruppe "SPÖ - Bludenz und Parteifreie" gemäß §50 GWG Einspruch gegen die Ermittlung der Wahlergebnisse bei der Wahl in die Gemeindevertretung der Stadt Bludenz. Dieser Einspruch wurde mit Bescheid der Landeswahlbehörde vom 21. April 2000 zurückgewiesen.
5.1. Mit der vorliegenden, auf Art141 B-VG gestützten Wahlanfechtung wird Folgendes beantragt:
"Der Verfassungsgerichtshof wolle das Verfahren zur Wahl in die Gemeindevertretung der Stadt Bludenz vom 2.4.2000 ab dem Beginn der Wahlhandlung; in eventu ab dem Beginn des Ermittlungsverfahrens der Gemeindewahlbehörde; in eventu ab dem Beginn des Ermittlungsverfahrens der Sprengelwahlbehörden für nichtig erklären und aufheben."
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"...
IV. Behauptete Rechtswidriqkeiten:
A) Übergabe und Verwahrung der Wahlakten - Verstöße gegen §43
GWG:
1) Die Sprengelwahlbehörden haben gemäß §43 GWG den Wahlvorgang in einer Niederschrift zu beurkunden. Die Niederschrift samt ihren Anlagen bildet den Wahlakt der Sprengelwahlbehörde. Er ist, nachdem die Mitglieder der Wahlbehörden zuletzt die Niederschrift unterschrieben haben, zu verpacken und zu versiegeln (§43 Abs4 GWG). Mit diesem Vorgang ist die Wahlhandlung beendet.
Die Sprengelwahlbehörden haben den verschlossenen Wahlakt der Gemeindewahlbehörde vorzulegen (§43 Abs5 GWG).
2) Am Wahltag haben die 19 Sprengelwahlbehörden in der Stadt Bludenz - und zwar entweder alle oder fast alle - die von ihnen ausgezählten Stimmen samt den zugehörigen Niederschriften und Anlagen - also die Wahlakten - im Meldeamt der Stadt Bludenz unverpackt und unversiegelt zur weiteren Amtshandlung durch die Gemeindewahlbehörde abgeliefert. Die für die Wahlakten üblicherweise verwendeten Behältnisse (versperrbare Holzkoffer) konnten die umfangreichen Wahlakten nicht mehr aufnehmen, sodaß sie zum Teil in Papier- und Plastiksäcken transportiert und deponiert wurden.
In der Folge lagerten die Wahlakten in diesem (offenen) Zustand bis zum Zusammentritt der Gemeindewahlbehörde am 4.4.2000 im Rathaus der Stadt Bludenz.
Während dieser Zeit hatten mehrere Personen theoretisch und praktisch Zugriff auf diese Wahlakten, sodaß Verfälschungen des Wahlergebnisses im Sinne von Manipulationen möglich waren und jedenfalls nicht ausgeschlossen werden können.
3) Der aufgezeigte Verstoß gegen §43 Abs4 GWG läßt eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung und damit eine objektive und verläßliche Rekonstruktion des Wahlaktes und Wahlergebnisses nicht mehr zu, zumal mehrere Niederschriften der Sprengelwahlbehörden handschriftliche Korrekturen und - im Vergleich mit ihren Zweitausfertigungen - zahlenmäßige Nichtübereinstimmungen aufweisen.
Der Verfassungsgerichtshof hat in vergleichbaren Fällen derartige Vorgänge als Aufhebungsgrund anerkannt (VfSlg. 14847).
B)'Öffnung' des Wahlaktes des Wahlsprengels 15 und Nachzählung der Stimmzettel durch Unbefugte - Verstöße gegen §§41, 42 und 43 GWG:
1) In der Nacht vom 2. auf den 3.4.2000 haben Beamte der Stadt Bludenz ohne Weisung und in Abwesenheit der Mitglieder der Gemeindewahlbehörde den Wahlakt des Wahlsprengels 15 'geöffnet' und die Stimmen nachgezählt.
Bis zu diesem Zeitpunkt der gesetzwidrigen
Nachzählung waren in der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde für den Wahlsprengel 15 (Seite 3) 374 abgegebene Wahlkuverts ausgewiesen und auch die Zahl der im Abstimmungsverzeichnis eingetragenen Wähler
lautete auf 374
Auf Seite 4 derselben Niederschrift war das Stimmenergebnis der Wahl in die Gemeindevertretung (Abschnitt III Ziffer 2) wie folgt ausgewiesen:
a)
Zahl der abgegebenen gültigen und ungültigen Stimmen374
b)
Zahl der abgegebenen ungültigen Stimmen 55
c)
Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen 324
Die gültigen Stimmen dieses Wahlsprengels (Parteisummen) waren unter litd auf Seite 5 der Niederschrift wie folgt aufgeschlüsselt:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer Volkspartei
69
SPÖ - Bludenz und Parteifreie 168
FPÖ und parteifreie Bürger 54
Offene Liste Bludenz 33
Die Sprengelwahlbehörde für den Wahlsprengel 15 hat in der Zweitschrift der Niederschrift (litd Seite 5) die Parteisummen wie folgt aufgeschlüsselt:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer Volkspartei
81
SPÖ - Bludenz und Parteifreie 163
FPÖ und parteifreie Bürger 44
Offene Liste Bludenz 33
Eine Aufschlüsselung der gültigen Stimmen in solche mit gültigen Vorzugsstimmen und solche ohne Vorzugsstimmen war in keiner der beiden Niederschriften ausgewiesen.
2) Nach der nächtlichen Nachzählung haben die genannten Beamten die Seite 5 der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde 15 in der Rubrik 'Stimmen insgesamt' durchgekreuzt und durch die von ihnen 'ermittelten' Parteisummen ersetzt. Demnach erhielten:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer
Volkspartei 66 Stimmen
SPÖ - Bludenz und Parteifreie 164 Stimmen
FPÖ und parteifreie Bürger 56 Stimmen
Offene Liste Bludenz 33 Stimmen
Darüber hinaus haben diese Beamten die Rubriken für Stimmzettel mit Vorzugsstimmen und solche ohne Vorzugsstimmen ausgefüllt (und die Niederschrift insoweit 'ergänzt').
3) Die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen im
Wahlsprengel 15 war zunächst in Abschnitt III. Zahl 2
litc der Niederschrift (Seite 4) mit 324
ausgewiesen und wurde von den erwähnten Beamten nach
der Nachzählung um - 5
auf (rechnerisch richtig) 319
korrigiert.
Diese Differenz von 5 Stimmen teilt sich wie folgt auf:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer
Volkspartei -3
SPÖ - Bludenz und Parteifreie -4
FPÖ und parteifreie Bürger +2
somit -5
Das auf diese Art'korrigierte' Wahlergebnis des Wahlsprengels 15 ist in die Ermittlung dieses Wahlergebnisses eingeflossen.
C) Ermittlungsverfahren der Sprengelwahlbehörden und der Gemeindewahlbehörde - Verstöße gegen §§42, 43, 45, 46, 47 und 49 GWG:
1) Die Sprengelwahlbehörden haben gemäß §42 Abs5 GWG die ungültigen Stimmzettel mit fortlaufenden Nummern zu versehen, weil andernfalls eine verläßliche Nachprüfung des Wahlergebnisses nur noch schwer möglich ist.
Gegen diese Bestimmung haben sämtliche Sprengelwahlbehörden verstoßen, soweit die Anfechtungswerber bzw. die von ihnen entsandten Mitglieder der Sprengelwahlbehörden Einsicht in die ungültigen Stimmzettel nehmen konnten.
Die fortlaufende Numerierung der ungültigen Stimmzettel des Wahlsprengels 15 erfolgte erst durch die Gemeindewahlbehörde.
2) Die Gemeindewahlbehörde hat die Wahlergebnisse der Sprengelwahlbehörden zu überprüfen und 'Irrtümer in den zahlenmäßigen Ergebnissen' zu berichtigen (§45 Abs2 GWG).
Darüber hinausgehende Korrekturen an den von den Sprengelwahlbehörden ermittelten Wahlergebnissen fallen nicht in die Kompetenz der Gemeindewahlbehörde.
Selbst die Landeswahlbehörde hat unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes eine derartige Kompetenz für sich verneint.
Die Gemeindewahlbehörde hat jedoch die Wahlergebnisse der Wahlsprengel 15 und 16 unzulässigerweise neu ausgezählt und nach einer Berichtigung der Bewertung der Gültigkeit einzelner Stimmzettel die Sprengelwahlergebnisse korrigiert. Dies stellt einen Verstoß gegen die Bestimmungen des 7. Abschnittes des GWG dar.
Ob die Korrektur der Niederschrift über den Wahlvorgang im Wahlsprengel 12 durch die Sprengelwahlbehörde oder die Gemeindewahlbehörde erfolgte, ist der Niederschrift der Gemeindewahlbehörde nicht klar zu entnehmen.
3) Zum Wahlsprengel 12:
In der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde ist in Abschnitt III. Ziffer 2 das Stimmenergebnis wie folgt protokolliert:
Zahl der abgegebenen gültigen und ungültigen Stimmen 385
Zahl der abgegebenen ungültigen Stimmen 36
Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen 349
Unter Zahl 2 litd (Seite 5 der Niederschrift) wurden die gültigen Stimmen zunächst wie folgt festgehalten:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer
Volkspartei 180
SPÖ - Bludenz und Parteifreie 97
FPÖ und parteifreie Bürger 38
Offene Liste Bludenz 34
Die Zahl der gültigen Stimmen für die
Anfechtungswerber wurde von ursprünglich 97
auf 94
berichtigt, weil drei ungültige Stimmen zunächst der Anfechtungswerberin als gültige Stimmen zugezählt worden seien.
Mangels fortlaufender Numerierung der ungültigen Stimmzettel (§42 Abs5 GWG) kann diese Korrektur nicht nachvollzogen werden.
4) Zum Wahlsprengel 15:
Zur Vermeidung von Wiederholungen wird diesbezüglich zunächst auf die Ausführungen in Punkt B) verwiesen.
Die Gemeindewahlbehörde hat auch dieses Wahlergebnis der Sprengelwahlbehörde ohne Vorliegen eines Irrtums in den zahlenmäßigen Ergebnissen desselben 'berichtigt'.
Die Zahl der abgegebenen gültigen und ungültigen Stimmen war in Abschnitt III. Zahl 2 lita der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde des Wahlsprengels 15 mit 374 ausgewiesen.
In den EDV-Ausdrucken des Endergebnisses der
Gemeindevertretungswahl ist für den Wahlsprengel 15 die Zahl der
abgegebenen gültigen und ungültigen Stimmen nur noch
mit 373
ausgewiesen;
es 'fehlt' somit 1
Stimme.
5) Zum Wahlsprengel 16:
Die beiden Exemplare der Niederschriften der Sprengelwahlbehörde weisen (Seite 5) bei den gültigen Parteisummen für die Anfechtungswerberin einmal 138 und einmal 139 Stimmen aus.
Die Gemeindewahlbehörde hat auch das Wahlergebnis
dieses Sprengels 'neu ausgewertet' und dabei in Abweichung vom
Ermittlungsergebnis der Sprengelwahlbehörde die Anzahl der ungültigen
Stimmen von 48 auf 53
Stimmen erhöht und die Anzahl der gültigen Stimmen
damit von 418 auf 413
Stimmen korrigiert.
Gleichzeitig hat sie die Parteisummen korrigiert wie folgt:
Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer
Volkspartei statt 180
179
SPÖ - Bludenz und Parteifreie unverändert 138
FPÖ und parteifreie Bürger statt 39 37
Offene Liste Bludenz statt 61 59,
womit sich eine Korrektur der abgegebenen gültigen Stimmen von 418 auf 413 ergeben hat.
Auch dieses Wahlergebnis ist mangels fortlaufender Numerierung der ungültigen Stimmzettel durch die Sprengelwahlbehörde im nachhinein nicht mehr verläßlich rekonstruierbar.
Außerdem haben die beiden Wahlbehörden unterschiedliche Kriterien bei der Überprüfung der Gültigkeit von Stimmzetteln angewendet (VfGH 16.10.1999, WI-5/99).
V. Einfluß der behaupteten Rechtswidrigkeiten auf das Wahlergebnis:
Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgeführt, daß bei Verletzung von Wahlordnungsvorschriften, die eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung gewährleisten sollen, der Nachweis einer tatsächlichen Manipulation des Wahlergebnisses nicht erforderlich sei, sondern bereits die Möglichkeit einer derartigen Manipulation, die das Gesetz unbedingt ausschließen wolle, genüge (VfSlg. 11732/1988; 14847; 15285).
Ob das Mandatsverhältnis zwischen den Wählergruppen Bürgermeister Dr. Othmar Kraft und Bludenzer Volkspartei einerseits und SPÖ - Bludenz und Parteifreie andererseits 15 : 10 oder 14 : 11 lautet, hängt von zwei bzw. drei Stimmen ab.
Bei gesetzeskonformer Durchführung des Ermittlungsverfahrens durch die Sprengelwahlbehörden (vor allem in den Wahlsprengeln 12, 15 und 16) und die Gemeindewahlbehörde hätte sich der Mandatsstand für die Anfechtungswerber von 10 auf 11 erhöht.
Die behaupteten Rechtswidrigkeiten hatten daher Einfluß auf das Wahlergebnis."
5.2. Die Landeswahlbehörde legte die Wahlakten vor; eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.
5.3. Im Hinblick darauf wurde im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Gemeindewahlbehörde der Stadt Bludenz ersucht, zu den in der Anfechtungsschrift aufgestellten Behauptungen Stellung zu nehmen und eine Befragung der in der Anfechtung angeführten Personen darüber zu bewerkstelligen, welche Handlungen sie anlässlich der Überprüfung der Wahlakten am 2. und 3. April setzten.
Daraufhin langte ein Schreiben des Gemeindewahlleiters der Stadt Bludenz beim Verfassungsgerichtshof ein, dem eine Niederschrift über die am 17. November 2000 stattgefundene Sitzung der Gemeindewahlbehörde, in deren Rahmen die betreffenden Personen (niederschriftlich) befragt worden waren, angeschlossen ist.
II. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:
1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB. VfSlg. 14.847/1997). Nach Art141 Abs1 zweiter Satz B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.
Die Prüfungsbefugnis des Verfassungsgerichtshofes ist dabei nur in den Grenzen der in der Anfechtungsschrift behaupteten Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens wahrzunehmen (VfSlg. 14.080/1995).
2.1. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muss die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides eingebracht werden.
Nun sieht zwar §50 GWG administrative Einsprüche - im Sinne eines Instanzenzuges nach §68 Abs1 VerfGG 1953 - vor, doch nur gegen "die Ermittlung der Wahlergebnisse", worunter allein die ziffernmäßige Ermittlung des Wahlergebnisses zu verstehen ist (s. VfSlg. 14.282/1995).
Zur Geltendmachung aller anderen (d.sd. alle nicht ziffernmäßige Ermittlungen betreffenden) Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens steht - weil insoweit ein zunächst zu durchlaufender Instanzenzug im Sinne des §68 Abs1 VerfGG 1953 nicht eingerichtet ist - die unmittelbare Anfechtung der Wahl beim Verfassungsgerichtshof binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens offen (§68 Abs1 erster Teilsatz VerfGG 1953; vgl. zB. VfSlg. 11.020/1986, 11.167/1986).
2.2. Im vorliegenden Fall strebt die anfechtungswerbende Wählergruppe in ihrer Anfechtungsschrift nicht die - nach dem Gesagten dem Einspruchsverfahren nach §50 GWG vorbehaltene - Nachprüfung ziffernmäßiger Ermittlungen einer Wahlbehörde an; sie rügt vielmehr in den Bereich sonstiger Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens fallende Umstände, wofür die sofortige Wahlanfechtung nach Art141 Abs1 lita B-VG eingeräumt ist.
Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufes der vierwöchigen Frist zur Anfechtung ist in diesem Fall die Beendigung des Wahlverfahrens (s. VfSlg. 9085/1981, 10.610/1985), das ist bei Gemeindevertretungswahlen in Vorarlberg die der jeweiligen Gemeindewahlbehörde obliegende Kundmachung des Wahlergebnisses in Form der Veröffentlichung gemäß §49 GWG (vgl. VfSlg. 14.282/1995).
Diese Verlautbarung fand hier am 6. April 2000 statt. Der letzte Tag der Anfechtungsfrist war demgemäß der 4. Mai 2000. Die am 4. Mai zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde somit rechtzeitig eingebracht.
2.3. Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.
3. Bei der Entscheidung über die vorliegende Wahlanfechtung ist von folgender Rechtslage auszugehen:
3.1. Gemäß §43 Abs1 GWG hat die (Sprengel)Wahlbehörde den Wahlvorgang in einer Niederschrift zu beurkunden. Die Niederschrift hat insbesondere die Zahl der abgegebenen gültigen und ungültigen Stimmen sowie die Zahl der auf die einzelnen Parteien entfallenden gültigen Stimmen (Parteisummen) zu enthalten (§43 Abs1 liti iVm §42 Abs5 GWG).
Die Niederschrift samt ihren Anlagen (so insbesondere die gültigen, ungültigen und nicht benötigten Stimmzettel; vgl. §43 Abs2 litd und f GWG) bildet den Wahlakt der Sprengelwahlbehörde; dieser ist, nachdem die Mitglieder der Wahlbehörde zuletzt die Niederschrift unterschrieben haben, zu verpacken und zu versiegeln; damit ist die Wahlhandlung beendet (§43 Abs4 GWG). Sodann haben die Sprengelwahlbehörden den verschlossenen Wahlakt der Gemeindewahlbehörde vorzulegen (§43 Abs5 GWG).
3.2. Die Ermittlung des Wahlergebnisses der Gemeinde obliegt der Gemeindewahlbehörde (§45 Abs1 GWG).
Diese hat zunächst die Wahlergebnisse der Sprengelwahlbehörden zu überprüfen und Irrtümer in den zahlenmäßigen Ergebnissen zu berichtigen; sodann hat sie die Gesamtzahl der in der Gemeinde abgegebenen gültigen Stimmen (Gesamtsumme), die Summe der auf jede Partei entfallenden Stimmen (Parteisumme) und die von jedem Wahlwerber erreichte Zahl an Wahlpunkten festzustellen (§45 Abs2 lita GWG). In der Folge sind von der Gemeindewahlbehörde die Gemeindevertretungsmandate (nach dem D'Hondt'schen Verfahren) auf die Parteien zu verteilen (§46 GWG).
Die Gemeindewahlbehörde hat die Ergebnisse der Wahl in einer Niederschrift zu beurkunden (§49 Abs1 GWG). Die Niederschrift hat insbesondere die Anzahl der auf die einzelnen Parteien entfallenden Gemeindevertretungsmandate und die Namen der gewählten Mitglieder der Gemeindevertretung sowie der Ersatzmitglieder, jeweils unter Anführung der von ihnen erreichten Zahl von Wahlpunkten und Vorzugsstimmen, zu enthalten (§49 Abs2 litd bis f GWG). Die Niederschrift ist von den Mitgliedern der Gemeindewahlbehörde zu unterfertigen (§49 Abs4 erster Satz GWG). Die Gemeindewahlbehörde hat die Feststellungen gemäß §49 Abs2 litd bis f durch Anschlag an der Amtstafel zu veröffentlichen; in der Kundmachung ist besonders auf die Möglichkeit des Einspruches gegen die Ermittlung der Wahlergebnisse hinzuweisen (§49 Abs5 GWG).
3.3. Binnen einer Woche nach Verlautbarung der Wahlergebnisse kann jede Partei, deren Wahlvorschlag für die Wahlen in die Gemeindevertretung veröffentlicht wurde, gegen die Ermittlung der Wahlergebnisse Einspruch erheben (§50 Abs1 GWG).
Die Landeswahlbehörde hat auf Grund des Einspruches die Ermittlung der Wahlergebnisse zu überprüfen; ergibt die Überprüfung die Unrichtigkeit der Ermittlung, so hat sie die betreffenden Ergebnisse unverzüglich richtig zu stellen, die Kundmachung der Gemeindewahlbehörde zu widerrufen und die richtigen Ergebnisse in der gleichen Weise wie die widerrufenen zu verlautbaren (§50 Abs2 GWG).
4. Die einschreitende Wählergruppe begründet ihre Anfechtung ua. wie folgt:
Am Wahltag, also am 2. April 2000, hätten die 19 Sprengelwahlbehörden in der Stadt Bludenz - und zwar entweder alle oder fast alle - die von ihnen ausgezählten Stimmen samt den zugehörigen Niederschriften und Anlagen - also die Wahlakten - im Meldeamt der Stadt Bludenz unverpackt und unversiegelt zur weiteren Amtshandlung an die Gemeindewahlbehörde abgeliefert. Die für die Wahlakten üblicher Weise verwendeten Behältnisse (versperrbare Holzkoffer) hätten die umfangreichen Wahlakten nicht mehr aufnehmen können, sodass sie zum Teil in Papier- und Plastiksäcken transportiert und deponiert worden seien.
In der Folge seien die Wahlakten in diesem (offenen) Zustand bis zum Zusammentritt der Gemeindewahlbehörde am 4. April 2000 im Rathaus der Stadt Bludenz gelagert worden. Während dieser Zeit hätten mehrere Personen theoretisch und praktisch Zugriff auf diese Wahlakten gehabt, sodass Verfälschungen des Wahlergebnisses im Sinne von Manipulationen möglich gewesen seien und jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könnten.
Der aufgezeigte Verstoss gegen §43 Abs4 GWG lasse eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung und damit eine objektive und verlässliche Rekonstruktion des Wahlaktes und des Wahlergebnisses nicht mehr zu, zumal mehrere Niederschriften der Sprengelwahlbehörden handschriftliche Korrekturen und - im Vergleich mit ihren Zweitausfertigungen - zahlenmäßige Nichtübereinstimmungen aufwiesen. Der Verfassungsgerichtshof habe in vergleichbaren Fällen derartige Vorgänge als Aufhebungsgrund anerkannt (dazu verweist die anfechtende Wählergruppe auf VfSlg. 14.847/1997).
Weiters wird ua. vorgebracht, dass Beamte der Stadt Bludenz in der Nacht vom 2. auf den 3. April 2000 - in Abwesenheit der Mitglieder der Gemeindewahlbehörde - den Wahlakt des Wahlsprengels 15 "geöffnet" und die Stimmen nachgezählt hätten. Daraufhin hätten diese Beamten die Seite 5 der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde 15 in der Rubrik "Stimmen insgesamt" durchgekreuzt und durch die von ihnen "ermittelten" - von den von der Sprengelwahlbehörde festgestellten abweichenden - Parteisummen ersetzt; darüber hinaus hätten die Beamten "die Rubrik für Stimmzettel mit Vorzugsstimmen und solche ohne Vorzugsstimmen ausgefüllt (und die Niederschrift insoweit 'ergänzt')." Schließlich sei von den Beamten auch die Zahl der abgegebenen gültigen Stimmen im Wahlsprengel 15 in Abschn. III Z2 litc auf Seite 4 der Niederschrift der Sprengelwahlbehörde (von 324 auf 319) "korrigiert" worden - das solcherart "korrigierte" Wahlergebnis des Wahlsprengels 15 sei in die Ermittlung des (Gemeinde)Wahlergebnisses eingeflossen.
5. In der Niederschrift über die am 4. April 2000 stattgefundene Sitzung der Gemeindewahlbehörde der Stadt Bludenz (diese Behörde war an diesem Tag - nachdem sie ihre Sitzung vom 2.4.2000, dem Wahltag, ohne dass das Gemeindewahlergebnis festgestellt und die Niederschrift der Gemeindewahlbehörde unterfertigt worden wäre, unterbrochen hatte - neuerlich zusammen getreten) wurde ua. das Folgende wörtlich festgehalten:
"Der Vorsitzende gibt bekannt, daß ... (A. B.) bei der
Überprüfung der Protokolle (feststellte, dass) die Parteisummen der
beiden Protokollausfertigungen des Sprengels 15 - Volksschule Obdorf,
zahlenmäßig nicht ident waren. Daraufhin haben ... (A. B.) und ...
(X. Y.) am Abend, den 02.04.2000, den Sprengel 15 ohne Weisung einmal durchgezählt und dabei folgende Differenzen festgestellt:
Anzahl der gültigen Stimmen von 324 auf 319. Da(von) entfallen auf die ÖVP 66, anstatt 69, bzw 81 (Protokoll 1 und 2). Auf die SPÖ 164 statt 168, bzw. 163. Auf die FPÖ 56 statt 54, bzw. 44. Auf die offene Liste Bludenz 33 ist 33 bzw. 33.
Am Montag, den 03.04.2000, um 8.00 Uhr, wurde ich von ... (A. B.) telefonisch verständigt. (A. B.) wurde vom Vorsitzenden vor den Anwesenden der Gemeindewahlbehörde sowie vor den Anwesenden (der Sprengelwahlbehörde) des Wahlsprengel(s) 15 (W. W., B. E., G. J. sowie der bestellte Wahlzeuge L. D.) einmal gefragt, ob er eine Weisung erhalten hätte, den Wahlsprengel 15 auszuzählen. Die Antwort war: Ich habe keine Weisung erhalten. Eine weitere Frage war: Warum wurde der Wahlsprengel 15 nachgezählt? Die Antwort war: Auf Grund der zwei verschiedenen Ergebnisse in den beiden Protokollausfertigungen haben ... (X. Y.) und ich den Sprengel 15 durchgezählt und dabei Differenzen festgestellt."
Erst in der Sitzung der Gemeindewahlbehörde am 5. April 2000 wurde schließlich das von der genannten Behörde durchzuführende Ermittlungsverfahren nach dem GWG abgeschlossen.
6. Auf Grund der Ausführungen in der Anfechtungsschrift, des vorgelegten Wahlaktes (insbesondere der Niederschrift über die Sitzung der Gemeindewahlbehörde vom 4.4.2000) und auf Grund des Protokolles über die nachträgliche Befragung zweier Beamter der Stadt Bludenz (im Rahmen der Sitzung der Gemeindewahlbehörde) am 17. November 2000 ist für den Verfassungsgerichtshof als erwiesen anzunehmen, dass die Wahlakten der Sprengelwahlbehörden unversiegelt der Gemeindewahlbehörde vorgelegt wurden und sich in diesem Zustand bis in die Vormittagsstunden des 3. April 2000 in Räumlichkeiten des Rathauses von Bludenz befanden sowie dass zwei Beamte des Meldeamtes - ohne von der Gemeindewahlbehörde dazu beauftragt worden zu sein und auch nicht im Beisein der Gemeindewahlbehörde - die Wahlakten der Sprengelwahlbehörden einer Überprüfung und - im Fall des Wahlsprengels 15 - einer Korrektur unterzogen haben.
7.1. Gemäß §43 Abs4 GWG ist der Wahlakt einer Sprengelwahlbehörde, der aus einer Niederschrift und den im Gesetz vorgesehenen Anlagen besteht, - nachdem die Mitglieder der Wahlbehörde zuletzt die Niederschrift unterschrieben haben - "zu verpacken und zu versiegeln". Die Sprengelwahlbehörden haben zufolge §43 Abs5 GWG den verschlossenen Wahlakt der Gemeindewahlbehörde vorzulegen. Weiters dürfen die Wahlakten nur den (als Kollegium amtierenden) Mitgliedern der Wahlbehörden (unter ständiger gegenseitiger Kontrolle) und auch ihnen nur so weit zur Verfügung stehen, als es zur Erfüllung der diesen Organwaltern wahlgesetzlich übertragenen Aufgaben notwendig ist; selbst allenfalls von der Wahlbehörde beigezogene Hilfsorgane dürfen nur unter den Augen des Kollegiums arbeiten (vgl. VfSlg. 4882/1964, 11.020/1986, 14.847/1997). Von der Einhaltung dieser gesetzlichen Vorschriften sowie von einer Erfüllung der in ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes entwickelten Vorgaben kann nach den unter Punkt 6. dieser Entscheidung getroffenen Feststellungen indes nicht die Rede sein. Die dargestellten Rechtswidrigkeiten belasten das Verfahren zur Wahl der Gemeindevertretung der Stadt Bludenz vom Beginn des Abstimmungsverfahrens an; dies vor dem Hintergrund, dass eine verlässliche Ermittlung des (Gesamt)Wahlergebnisses durch die hiezu (allein) zuständigen Organe, insbesondere auch durch den Verfassungsgerichtshof, - objektiv - nicht mehr gewährleistet ist, wenn während des Wahlverfahrens (das Ermittlungsverfahren vor der Gemeindewahlbehörde wurde erst am 5.4.2000 abgeschlossen) - in dieser Beziehung - unbefugte Personen in einer von der Wahlbehörde nicht mehr kontrollierten Weise Zugang zu den Wahlakten haben.
Wie der Verfassungsgerichtshof mit VfSlg. 4882/1964 aussprach, ist bei Verletzung jener Vorschriften der Wahlordnung, die eine einwandfreie Prüfung der Stimmenzählung sichern sollen, die Möglichkeit von Missbräuchen, die das Gesetz unbedingt ausschließen will, jedenfalls gegeben, ohne dass es eines Nachweises einer konkreten - das Wahlergebnis tatsächlich verändernden - Manipulation bedürfte.
7.2. Es ist also festzuhalten, dass hier die verfassungsgerichtliche Nachprüfung des Wahlverfahrens - im Hinblick auf den Umstand, dass die Wahlakten der Sprengelwahlbehörden unversiegelt der Gemeindewahlbehörde vorgelegt und in diesem Zustand einige Zeit gelagert wurden sowie dass Unbefugte Zugang zu den Wahlakten hatten - an Hand von (Wahl)Unterlagen vor sich gehen müsste, deren Beweiswert - objektiv gesehen - zweifelhaft wurde.
Daraus folgt, dass der Wahlanfechtung stattzugeben ist, weil die angeführten Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens erwiesen wurden u n d auf das Wahlergebnis von Einfluss waren (Art141 Abs1 dritter Satz B-VG, §70 Abs1 VerfGG 1953). Denn diese Voraussetzung ist nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes schon dann erfüllt, wenn die Rechtswidrigkeit auf das Wahlergebnis von Einfluss sein k o n n t e , was sich hier nach dem Gesagten - s. Pkt. 7.1. letzter Abs- nicht ausschließen lässt (vgl. VfSlg. 11.020/1986, 220).
7.3. Demgemäß war die angefochtene Wahl - u.zw. vom Beginn des Abstimmungsverfahrens an - schon aus dieser Überlegung aufzuheben; eines näheren Eingehens auf das restliche Anfechtungsvorbringen bedurfte es nicht mehr.
8. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Wahlen, Ermittlungsverfahren, VfGH / WahlanfechtungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:WI6.2000Dokumentnummer
JFT_09998798_00W00I06_00