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58 Berg- und EnergierechtNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Zurückweisung der Individualanträge auf Aufhebung von Teilen der SystemnutzungstarifgrundsatzV mangels Darlegung eines unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre der Antragsteller; Zurückweisung der Individualanträge auf Feststellung der Gesetzwidrigkeit von Teilen einer außer Kraft getretenen und nach einem Erkenntnis des VfGH nicht mehr anzuwendenden Verordnung über Systemnutzungstarife mangels Betroffenheit der Antragsteller zum Zeitpunkt der Entscheidung; Zulässigkeit der Individualanträge auf Aufhebung von Teilen einer weiteren Verordnung über Systemnutzungstarife infolge Eingriffs in die Vertragsfreiheit der antragstellenden Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen; Aufhebung dieser Verordnung im Quasianlaßfall nach Aufhebung von Bestimmungen des ElWOG durch den VfGH mangels gesetzlicher GrundlageSpruch
I. Die Anträge,
1. Teile der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999, aufzuheben sowie
2. Teile der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/96-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 18. Februar 1999, als gesetz- und verfassungswidrig festzustellen,
werden zurückgewiesen.
II. Die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 22. September 1999, wird als gesetzwidrig aufgehoben.
Die Verordnung ist nicht mehr anzuwenden.
Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt II verpflichtet.
III. Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) ist schuldig, den Antragstellern zu Handen ihres Rechtsvertreters zu V42-44/00 die mit S 43.000,- und zu V49/00, 52-53/00 die mit
S 38.950,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Antragsteller sind Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen. Die A GmbH (APG), eine Tochtergesellschaft der Verbundgesellschaft, ist Netzbetreiber im Sinne des §7 Abs1 Z16 des Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes (ElWOG), BGBl. I Nr. 143/1988. Als Betreiber dieser Netze stellt die APG den Antragstellern unter Berufung auf §§6 Abs1 und 2, 25 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999 iVm §3 lita der Verordnungen, Z551.352/140-VIII/1/99 und Z551.352/96-VIII/1/99 das so genannte Systemdienstleistungsentgelt von ATS 0,0086 bzw. 0,0088/kWh zur Abdeckung ihrer Sekundärregelkosten seit 19. Februar 1999 mit der Begründung in Rechnung, dass die Antragsteller Elektrizitätserzeugungsanlagen mit einer Engpassleistung von mehr als einem MW betreiben.
2. Die Antragsteller stellen die auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Anträge:
"§3 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (vormals: für wirtschaftliche Angelegenheiten) über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl II 51/1999, im Hinblick auf die Wortfolge '3. Systemdienstleistungsentgelt'
§6 Abs1 dieser Verordnung zur Gänze,
§6 Abs2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge 'Die
Tarifgestaltung, gemäß Abs1 hat so zu erfolgen, daß die mit der Sekundärregelung verbundenen Kosten auf alle Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen (einschließlich Eigenanlagen) mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW umgelegt werden, wobei bei mehreren zusammengehörigen Kraftwerken (Kraftwerkspark) die Anschlußleistung des Kraftwerksparks maßgeblich ist.',
§6 Abs3 dieser Verordnung zur Gänze,
§22 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze,
§22 Abs3 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge 'und
2',
§25 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze,
§26 Abs2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge',
Systemdienstleistungen', sowie
§3 der Verordnung, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Zl. 551.352/140-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 22.9.1999, zur Gänze und
§4 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze als gesetz- und verfassungswidrig aufzuheben;
sowie
§3 der Verordnung, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Zl. 551.352/96-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 18.2.1999, zur Gänze und
§4 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze als gesetz- und verfassungswidrig festzustellen;
sowie
die Republik Österreich in den Kostenersatz zu verfällen.
(...) In eventu (...)
§3 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (vormals: für wirtschaftliche Angelegenheiten) über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl II 51/1999, im Hinblick auf die Wortfolge '3. Systemdienstleistungsentgelt',
§6 Abs1 dieser Verordnung zur Gänze,
§6 Abs2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge 'Die
Tarifgestaltung gemäß Abs1 hat so zu erfolgen, daß die mit der Sekundärregelung verbundenen Kosten auf alle Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen (einschließlich Eigenanlagen) mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW umgelegt werden, wobei bei mehreren zusammengehörigen Kraftwerken (Kraftwerkspark) die Anschlußleistung des Kraftwerksparks maßgeblich ist.',
§6 Abs3 dieser Verordnung zur Gänze,
§22 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze,
§22 Abs3 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge
'und 2',
§25 Abs2 dieser Verordnung zur Gänze,
§26 Abs2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge ',
Systemdienstleistungen', sowie
§3 lita der Verordnung, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Zl. 551.352/140-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 22.9.1999, als gesetz- und verfassungswidrig aufzuheben;
sowie
§3 lita der Verordnung, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Zl. 551.352/96-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 18.2.1999, als gesetz- und verfassungswidrig festzustellen
sowie
die Republik Österreich in den Kostenersatz zu verfällen.
(...) In eventu (...)
§6 Abs1 der Verordnung des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit (vormals: für wirtschaftliche Angelegenheiten) über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II 51/1999, im Hinblick auf die Wortfolge 'und eine Sekundärregelung (Minutenreserve,)' sowie
§6 Abs2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Wortfolge 'Die Tarifgestaltung gemäß Abs1 hat so zu erfolgen, daß die mit der Sekundärregelung verbundenen Kosten auf alle Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen (einschließlich Eigenanlagen) mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW umgelegt werden, wobei bei mehreren zusammengehörigen Kraftwerken (Kraftwerkspark) die Anschlußleistung des Kraftwerksparks maßgeblich ist.' als gesetz- und verfassungswidrig aufzuheben;
sowie
die Republik Österreich in den Kostenersatz zu verfällen."
3. Zur Begründung der Antragslegitimation führen die Antragsteller aus:
"§6 Abs1 und 2 iVm §§3 und 25 Abs2 SNTGV sieht vor, daß die mit der Sekundärregelung verbundenen Kosten auf alle Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW umgelegt werden und daß das solcherart berechnete - tarifmäßig bestimmte - Systemdienstleistungsentgelt von den Netzbetreibern regelmäßig zu verrechnen ist. Gemäß §3 lita SNTV I betrug dieses Entgelt bis 22.9.1999 ATS 0,0086/kWh, derzeit beträgt es gemäß §3 lita SNTV II ATS 0,0088/kWh. Nach den Erläuternden Bemerkungen zur SNTGV (zu deren §§13-16) sind die Kosten der Sekundärregelung von der Verbundgesellschaft - bzw von der TIWAG, VKW und VIW in den von der Verbundgesellschaft nicht abgedeckten Bereichen - getrennt auszuweisen und als Systemdienstleistungspreis auf alle Erzeuger mit mehr als einem MW umzulegen und von diesen regelmäßig zu entrichten. Daraus zeigt sich, daß nach dem historischen Willen des Verordnungsgebers §6 Abs1 und 2 iVm §§3 und 25 Abs2 SNTGV dahin zu verstehen ist, daß er jeden Betreiber von Erzeugungsanlagen mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW unmittelbar verpflichtet, dem Netzbetreiber der Netzebenen gemäß §20 Abs1 Z1, Z2 oder Z3 sowie Abs2 Z1, Z2 oder Z3 ein Systemdienstleistungsentgelt zu bezahlen. Der Netzbetreiber ist sohin unmittelbar aufgrund der SNTGV berechtigt - und gemäß §3 SNTGV auch verpflichtet - von jedem Erzeuger mit mehr als einem MW ein Systemdienstleistungsentgelt zu fordern.
Zum Nachweis unserer Antragslegitimation weisen wir zunächst darauf hin, daß wir - unstrittig - Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW (aber weniger als fünf MW) sind (ein entsprechender Nachweis kann im Bedarfsfall nachgereicht werden). Als solche verpflichtet uns die angefochtene Verordnung ab ihrem Inkrafttreten am 19.2.1999, dem Netzbetreiber der Netzebenen gemäß §20 Abs1 Z1, Z2 oder Z3 sowie Abs2 Z1, Z2 oder Z3 SNTGV das tarifmäßig bestimmte Systemdienstleistungsentgelt zur Abgeltung der dem Netzbetreiber entstandenen Sekundärregelkosten zu bezahlen. Mit der Verpflichtung zur Entrichtung des Systemdienstleistungsentgelts legt uns die angefochtene Verordnung sohin eine Rechtspflicht auf, die unmittelbar und aktuell in unsere Rechtssphäre eingreift, ohne daß es hierfür der Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder der Erlassung eines Bescheids bedurfte: Durch die unbedingte Verpflichtung zur Zahlung des Systemdienstleistungsentgelts wird unser Recht auf Nichtbezahlung eines gesetzwidrig vorgeschriebenen Systemdienstleistungsentgelts sowie unser Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz infolge unsachlicher Verpflichtung zur Zahlung eines Systemdienstleistungsentgelts verletzt.
Ein anderer zumutbarer Weg, um die durch die angefochtene Verordnung bewirkte Rechtswidrigkeit abzuwehren, besteht für uns nicht. Insbesondere ist es uns nicht zumutbar, den Gerichtsweg gemäß §21 Abs2 ElWOG zu beschreiten. Ein zivilgerichtliches Verfahren nach §21 Abs2 EIWOG könnte von uns selbst nämlich nicht eingeleitet, sondern nur dadurch bewirkt werden, daß wir die Bezahlung des uns in Rechnung gestellten Systemdienstleistungsentgelts verweigern und dadurch eine Klage provozieren; eine derartige 'Einleitung' eines Gerichtsverfahrens ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nicht zumutbar (vgl VfSlg 13.659).
Unsere Berechtigung zur Anfechtung der uns beschwerenden Bestimmungen des §6 Abs1 und Abs2 iVm §3, §6 Abs3, §22 Abs2 und Abs3, §25 Abs2 und 26 Abs2 SNTGV iVm §3 u §4 Abs2 SNTV I bzw SNTV II im Rahmen von Art139 B-VG ist daher gegeben; der vorliegende Antrag ist zulässig."
4. Der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit erstattete je eine Äußerung, in der er beantragt, die Anlassfallwirkung auf die gegenständlichen Verfahren nicht auszudehnen, da er annimmt, dass in den vorliegenden Verfahren die Beratungen des Verfassungsgerichtshofs (zu G45,46/00, V31,32/00) zum Zeitpunkt der Einbringung der Anträge bereits begonnen haben und die Anträge - unter Auferlegung des Aufwands für Schriftsatz und Aktenvorlage - zurückzuweisen.
5. Die Antragsteller erstatteten je eine Äußerung, in der sie beantragen, ihre Anträge Quasianlassfällen gleichzuhalten, da sie die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen der Verordnungen ua. damit begründet hätten, dass sich die betreffenden Verordnungen auf die verfassungswidrigen Gesetzesbestimmungen der §§25 und 34 ElWOG, welche mit verfassungsgerichtlichem Erkenntnis vom 29. Juni 2000, G45,46/00, V31,32/00 - unter Fristsetzung - als verfassungswidrig bzw. gesetzwidrig aufgehoben worden sind, stützen würden. Die Anträge seien seit 22. Mai bzw. 23. Juni 2000 - noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung - beim Verfassungsgerichtshof eingebracht worden.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zu den Anträgen auf Aufhebung von Teilen der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999:
Die angefochtenen Bestimmungen haben folgenden Wortlaut:
"2. Teil: Systemnutzungsentgelte
Entgelte für die Inanspruchnahme des österreichischen
Elektrizitätsnetzes
§3. Betreiber von Übertragungs- und Verteilernetzen haben für die Inanspruchnahme ihres in Österreich gelegenen Elektrizitätsnetzes sowie der damit im Zusammenhang stehenden Nebenleistungen von den an diesen Netzen angeschlossenen Netzbenutzern nach Maßgabe der Bestimmungen dieser Verordnung nachstehende Entgelte zu verlangen:
1.
Netznutzungsentgelt;
2.
Netzverlustentgelt;
3.
Systemdienstleistungsentgelt;
4.
Netzzutrittsentgelt;
5.
Netzbereitstellungsentgelt;
6.
Entgelt für Meßleistungen sowie
7.
Entgelt für die Ausgleichsversorgung.
...
Systemdienstleistungsentgelt
§6. (1) Durch das Systemdienstleistungsentgelt werden dem Netzbetreiber der Netzebene gemäß §20 Abs1 Z1, Z2 oder Z3 sowie Abs2 Z1, Z2 oder Z3 jene Kosten abgegolten, die sich aus dem Erfordernis ergeben, Lastschwankungen durch eine Primärregelung (Sekundenreserve) und eine Sekundärregelung (Minutenreserve) auszugleichen. Für die Bemessung des Systemdienstleistungsentgelts ist ein arbeitsbezogener Systemdienstleistungspreis tarifmäßig zu bestimmen.
(2) Die Tarifgestaltung gemäß Abs1 hat so zu erfolgen, daß die mit der Sekundärregelung verbundenen Kosten auf alle Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen (einschließlich Eigenanlagen) mit einer Engpaßleistung von mehr als einem MW umgelegt werden, wobei bei mehreren zusammengehörigen Kraftwerken (Kraftwerkspark) die Anschlußleistung des Kraftwerksparks maßgeblich ist. Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen (Kraftwerksparks) mit einer Engpaßleistung von mehr als fünf MW sind zur Primärregelung entsprechend den Anweisungen des Betreibers des jeweiligen Netzes der Netzebenen gemäß §20 Abs1 Z1, Z2 oder Z3 sowie Abs2 Z1, Z2 oder Z3 verpflichtet, welcher die Primärregelung durchführt.
Kann ein Betreiber einer Elektrizitätserzeugungsanlage mit mehr als fünf MW dieser Verpflichtung selbst nicht nachkommen, so hat dieser nachweislich für entsprechenden Ersatz zu sorgen.
(3) Die zur Verrechnung des Systemdienstleistungsentgelts notwendigen Daten von Erzeugungsanlagen, dies sind Art der Anlage, Nennleistung, Engpaßleistung und Jahreserzeugung, sind von allen Erzeugern, auch Eigenerzeugern, mit einer Nennleistung von mehr als einem MW dem Netzbetreiber jährlich bekanntzugeben, der die Systemdienstleistungen erbringt. Bei mehreren zusammengehörigen Kraftwerken (Kraftwerkspark) ist die Anschlußleistung des Kraftwerksparks maßgeblich. Die Daten sind vertraulich zu behandeln.
...
5. Teil: Bestimmung der Tarife und Entgelte
Systemnutzungstarife für Verbraucher und Erzeuger
§22. (1) ...
(2) Für die Bemessung des Systemdienstleistungsentgelts ist unter Beachtung der in den §§6 und 23 sowie dem 3. Teil enthaltenen Grundsätze ein Systemnutzungstarif für Erzeuger zu bestimmen.
(3) Die Bestimmung der gemäß Abs1 und 2 festzulegenden Tarifpreise hat für alle Netzebenen (§20) der unter §21 umschriebenen Netzbereiche zu erfolgen.
...
Verrechnung der Entgelte
§25. (1) ...
(2) Das Systemdienstleistungsentgelt ist entsprechend den nach den Grundsätzen des §6 vom Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten zu bestimmenden Systemnutzungstarifen für Erzeuger regelmäßig zu verrechnen.
...
Anknüpfungsmoment bei der Ermittlung der Systemnutzungsentgelte
§26. (1) ...
(2) Das Systemnutzungsentgelt für Erzeuger ist auf jenen Netzbereich sowie die Netzebene zu beziehen, an der die Erzeugungsanlage angeschlossen ist und berechnet sich aus den Entgelten für Messung, Systemdienstleistungen und Netzverlusten. Netzverluste dürfen Erzeugern jedoch nur dann in Rechnung gestellt werden, wenn sich die von ihnen belieferten Kunden außerhalb des Bundesgebietes befinden. Für die Lieferung von elektrischer Energie an Verteilerunternehmen außerhalb des Bundesgebietes sowie in deren Versorgungsgebiet befindlichen Kunden, die verbundene Unternehmen (Schwesterunternehmen) des im Bundesgebiet situierten Erzeugers sind, sind diesen Erzeugern für diese Lieferungen keine Netzverlustpreise zu verrechnen."
Die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999, ist nach dem Willen des Gesetzgebers die Rechtsgrundlage für die Bestimmung der Systemnutzungstarife durch Verordnung. Die Antragsteller bringen vor, mit der Verpflichtung zur Entrichtung des Systemdienstleistungsentgelts werde ihnen eine Rechtspflicht auferlegt. Sie legen aber nicht dar, inwieweit bereits die angefochtenen Bestimmungen unmittelbar und aktuell in ihre Rechtssphäre eingreifen.
Die Anträge waren daher zurückzuweisen.
2. Zu den Anträgen auf Feststellung der Gesetz- und Verfassungswidrigkeit des §3 in eventu §3 lita und des §4 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/96-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 18. Februar 1999:
Diese Bestimmungen lauten:
"Systemdienstleistungstarif für Erzeuger
§3. Als Preisansätze für den Systemdienstleistungstarif für Erzeuger werden bestimmt:
a) Österreichischer Bereich: ATS 0,0086/kWh
b) Bereich Tirol: ATS 0,0080/kWh
...
§4. (2) Das Entgelt für die Systemdienstleistung ist Erzeugern getrennt von allfälligen anderen Entgelten in Rechnung zu stellen oder auf Rechnungen getrennt auszuweisen."
Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die bekämpfte Verordnung für die Einschreiter auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes wirksam ist (vgl. VfSlg. 9096/1981, 12.870/1991, 14.756/1997).
Die bekämpfte Verordnung trat mit Inkrafttreten der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99 (§5), verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 22. September 1999, außer Kraft, sodass sie dem Rechtsbestand nicht mehr angehört. Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Oktober 2000, V45,46/99, wurde ausgesprochen, dass die Verordnung gesetzwidrig war und nicht mehr anzuwenden ist. Da nach Lage des Falles die geltend gemachte Betroffenheit zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht mehr gegeben ist und die in dieser Verordnung enthaltenen Preisregelungen durch den Ausspruch des Verfassungsgerichtshofes, dass sie nicht mehr anzuwenden ist, keine Wirkungen entfalten, fehlt aber den Antragstellern die erforderliche Legitimation zur Anfechtung, sodass ihre Anträge gegen diese Verordnung schon aus diesem Grund zurückzuweisen sind (vgl. VfSlg. 14.756/1997).
3. Die Beschlüsse unter Punkt II.1. und II.2. konnten in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §19 Abs3 Z2 lite erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefasst werden.
4. Zu den Anträgen auf Aufhebung von Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99, verlautbart im Amtsblatt der Wiener Zeitung vom 22. September 1999:
Der Antrag, §3 in eventu §3 lita und §4 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99, aufzuheben, ist aus folgenden Gründen zulässig:
Die Bestimmung lautet:
"Systemdienstleistungstarif für Erzeuger
§3. Als Preisansätze für den Systemdienstleistungstarif für Erzeuger werden bestimmt:
a) Österreichischer Bereich: ATS 0,0088/kWh
b) Bereich Tirol: ATS 0,0080/kWh
c) Bereich Vorarlberg: ATS 0,0088/kWh
...
§4. (2) Das Entgelt für die Systemdienstleistung ist Erzeugern getrennt von allfälligen anderen Entgelten in Rechnung zu stellen oder auf Rechnungen getrennt auszuweisen."
4.1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf deren Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle ihrer Gesetzwidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (vgl. VfSlg. 11.726/1988, 13.944/1994).
4.2. Die Antragsteller sind Betreiber von Elektrizitätserzeugungsanlagen im Sinne des §7 Z2 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetzes - ElWOG. Die A GmbH (APG), eine Tochtergesellschaft der Verbundgesellschaft, ist Netzbetreiber im Sinne von §7 Z16 ElWOG. Als Betreiber dieser Netze stellt die APG den Antragstellern unter Berufung auf §§6 Abs1 und 2, 25 Abs2 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999 iVm §3 lita der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99, das so genannte Systemdienstleistungsentgelt von ATS 0,0088/kWh zur Abdeckung ihrer Sekundärregelkosten mit der Begründung in Rechnung, dass die Antragsteller Elektrizitätserzeugungsanlagen mit einer Engpassleistung von mehr als einem MW betreiben.
Als Betreiber von Erzeugungsanlagen sind die Antragsteller mit einer Engpassleistung von mehr als einem MW unmittelbar aufgrund von §3 lita der Verordnung, des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99 - verpflichtet, dem Netzbetreiber der Netzebenen gemäß §20 Abs1 Z1, 2 oder 3 sowie Abs2 Z1, 2 oder 3 der Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten über die Festlegung der Grundsätze, die bei der Bestimmung des Systemnutzungstarifs angewendet werden, BGBl. II Nr. 51/1999, für die Nutzung dieser Anlagen den für den vom Verordnungsgeber gebildeten Netzbereich festgesetzten Preis, nämlich das Systemdienstleistungsentgelt, zu bezahlen. Der Netzbetreiber ist berechtigt, von jedem Erzeuger mit mehr als einem MW ein Systemdienstleistungsentgelt zu fordern. Das Entgelt für die Systemdienstleistung ist gemäß §4 Abs2 leg. cit. Erzeugern getrennt von allfälligen anderen Entgelten in Rechnung zu stellen oder auf Rechnungen getrennt auszuweisen. Durch die verbindliche Festsetzung des Preises greifen die angefochtenen Verordnungsbestimmungen in die Vertragsfreiheit der Antragsteller ein (vgl. Erkenntnis vom 29. Juni 2000, G45,46/00, V31,32/00). Der Eingriff erfolgt unmittelbar durch die bekämpften Verordnungsbestimmungen der konkreten Entgeltfestsetzung und der Rechnungstellung. Den Antragstellern steht auch kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der von ihnen behaupteten Gesetzwidrigkeit zur Verfügung.
Insbesondere ist es den Antragstellern nicht zumutbar, den Gerichtsweg gemäß §21 Abs2 ElWOG zu beschreiten. Ein zivilgerichtliches Verfahren nach §21 Abs2 EIWOG könnte nur dadurch bewirkt werden, dass die Antragsteller die Bezahlung des ihnen in Rechnung gestellten Systemdienstleistungsentgelts verweigern und dadurch eine Klage provozieren; es ist den Antragstellern aber nicht zumutbar, ein zivilgerichtliches Verfahren dadurch zu provozieren, dass sie sich rechtswidrig verhalten(vgl. VfSlg. 13.659/1993).
4.3. Die Verordnung des Bundesministers für wirtschaftliche Angelegenheiten, mit der die Systemnutzungstarife bestimmt werden, Z551.352/140-VIII/1/99, stützt sich auf §§25 und 34 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG), BGBl. I Nr. 143/1998.
Der Verfassungsgerichtshof leitete aus Anlass mehrerer bei ihm anhängiger Individualanträge von Amts wegen ua. gemäß Art140 Abs1 B-VG ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der §§25 und 34 des Bundesgesetzes, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz - ElWOG), BGBl. I Nr. 143/1998 ein und hob sodann ua. diese Gesetzesstellen mit Erkenntnis vom 29. Juni 2000, G45,46/00 V31,32/00. - unter Fristsetzung für das Außerkrafttreten - als verfassungswidrig auf.
Wie sich aus Art140 Abs7 B-VG ergibt, wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zur Zeit der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte. Gleiches gilt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Verordnung, die auf die aufgehobene Gesetzesbestimmung gegründet war.
Dem im Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall im engeren Sinn (anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist) sind all jene Fälle gleichzuhalten, die im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren, bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung, mit Beginn der nichtöffentlichen Beratung bereits anhängig geworden sind (VfSlg. 11.057/1986, 13.269/1992).
Die nichtöffentliche Beratung im Verfahren zur Prüfung der §§25, 34 ElWOG begann am 29. Juni 2000. Die vorliegenden Verordnungsprüfungsanträge sind beim Verfassungsgerichtshof schon vorher, nämlich bereits am 22. Mai und 23. Juni 2000 eingelangt. Nach dem Gesagten ist der Fall daher einem Anlassfall gleichzuhalten.
4.4. Die angefochtene Verordnung findet ihre gesetzliche Grundlage in den als verfassungswidrig erkannten Bestimmungen der §§25 und 34 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz (ElWOG), BGBl. I Nr. 143/1998. Sie ist nunmehr so zu beurteilen, als ob sie ohne gesetzliche Grundlage - also in Widerspruch zu Art18 B-VG - erlassen worden wäre (vgl. VfSlg. 11.057/1986). Da die Verordnung insgesamt der gesetzlichen Grundlage entbehrt, war sie gemäß Art139 Abs3 lita B-VG zur Gänze als gesetzwidrig aufzuheben.
4.5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer sinngemäßen Anwendung des §61a VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten sind zu V42-44/00 Streitgenossenzuschlag in Höhe von S 11.250,-, Umsatzsteuer in Höhe von S 6.750,- und Eingabegebühr in Höhe von S 2.500,- und zu V49/00, 52-53/00 Streitgenossenzuschlag in Höhe von S 7.875,-, Umsatzsteuer in Höhe von S 6.075,- und Eingabegebühr in Höhe von S 2.500,- enthalten.
4.6. Der Ausspruch, dass die Verordnung nicht mehr anzuwenden ist, stützt sich auf Art139 Abs6 B-VG.
4.7. Die Entscheidung über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5 B-VG.
4.8. Die zu II.4. getroffene Entscheidung konnte in nichtöffentlicher Sitzung gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefasst werden.
Schlagworte
Energierecht, Elektrizitätswesen, Preisrecht, Preisregelung, VfGH / Anlaßfall, VfGH / Aufhebung Wirkung, VfGH / Feststellung Wirkung, VfGH / Individualantrag, Geltungsbereich (zeitlicher) einer VerordnungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:V42.2000Dokumentnummer
JFT_09998795_00V00042_00