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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des J in W, geboren 1983, vertreten durch Dr. Ulrike Rein, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 16, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Dezember 2000, Zl. 220.283/0-XI/33/00, betreffend § 6 Z 2 und 3 sowie § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein damals 17- jähriger Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 3. August 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 14. September 2000 und am 9. November 2000 begründete er seine Ausreise aus Sierra Leone zunächst damit, dass er in Freetown, wo er aufgewachsen sei, niemanden mehr habe. Seine Mutter habe ihn verlassen und sei nach Bo gezogen, sein Vater habe sich den Rebellen angeschlossen. In weiterer Folge gab er an, in seiner Straße habe es "einen Moslem namens Mohammed" gegeben, der versuchte habe, ihn für die RUF-Rebellen zu rekrutieren. Dieser Mann habe ihn zwar in den letzten beiden Jahren nicht gefunden, würde ihn im Fall einer Rückkehr aber umbringen.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 1. Dezember 2000 gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone fest. Es ging davon aus, dass der Beschwerdeführer nicht aus Sierra Leone stamme.
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid machte der Beschwerdeführer geltend, er habe "sehr genaue Angaben über sein Heimatland" machen können und seine Behauptung, aus Freetown zu stammen, "durch ein fundiertes Wissen untermauert". Zu den Feststellungen über die allgemeine Lage in Sierra Leone brachte er vor, Freetown sei derzeit "eben nur relativ" sicher. Es würden laufend Abkommen unterzeichnet und wieder gebrochen.
Die belangte Behörde wies die Berufung - unter Abstandnahme von einer mündlichen Berufungsverhandlung - mit dem angefochtenen Bescheid gemäß § 6 Z 2 und 3 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone fest. Sie verwies zur Beweiswürdigung und zur Rechtsfrage in beiden Spruchpunkten vollinhaltlich auf die Ausführungen des Bundesasylamtes und begründete ergänzend, weshalb ihrer Ansicht nach auch die Voraussetzungen des § 6 Z 2 AsylG erfüllt seien. In diesem Zusammenhang nahm sie auch auf die Möglichkeit staatlichen Schutzes vor einer Verfolgung durch Private und auf das von ihr angenommene Fehlen eines zeitlichen Zusammenhanges zwischen der Bedrohung durch "Mohammed" und der Ausreise des Beschwerdeführers Bezug.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Verweisung der belangten Behörde auf die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides vermag die Abweisung der Berufung gemäß § 6 Z 3 AsylG nicht zu tragen, weil die Begründung des erstinstanzlichen Bescheides in diesem Punkt nicht nachvollziehbar ist. Der Beschwerdeführer hatte bei seinen erstinstanzlichen Einvernahmen eine Reihe von Fragen über örtliche Gegebenheiten in Freetown richtig beantwortet, was den vom Bundesasylamt beigezogenen Dolmetscher - von dem in der Niederschrift festgehalten wurde, er sei "in Freetown und in Sierra Leone geboren und aufgewachsen" - zu der Äußerung veranlasste, der Beschwerdeführer sei "sehr gut in Bezug auf die geographischen Kenntnisse von Freetown vorbereitet". Der Beschwerdeführer konnte sich mit dem Dolmetscher allerdings in den Sprachen Krio und Zemne (die nach Auskunft des Dolmetschers in "Eastern Freetown" übliche Sprache) nicht verständigen, worauf das Bundesasylamt das Schwergewicht seiner Beweiswürdigung legte.
Das Bundesasylamt behandelte dieses Thema aber nicht unter dem Gesichtspunkt der nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes maßgeblichen Kriterien einer über eine "schlichte Unglaubwürdigkeit" hinausgehenden besonderen Eindeutigkeit der Wahrheitswidrigkeit des Vorbringens, sondern in der Form einer Prüfung der Voraussetzungen für die Feststellbarkeit der behaupteten Tatsachen. So wurde ausgeführt, das Vorbringen müsse glaubhaft und zu diesem Zweck substantiiert und nachvollziehbar sein, und diese Anforderung sei nicht erfüllt ("Ihre Aussagen entsprechen aber diesen Anforderungen nicht"). Die "Glaubwürdigkeit" des Beschwerdeführers sei durch seine fehlenden Sprachkenntnisse "schwer erschüttert", es sei ihm "nicht möglich gewesen", seine Herkunft aus Sierra Leone auf andere Weise "glaubhaft zu machen", sein "gesamtes Vorbringen" sei "nicht glaubwürdig" und es könne "nicht davon ausgegangen werden, dass Ihr gesamtes Vorbringen den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht". Dem Beschwerdeführer müsse "die Glaubwürdigkeit versagt" bzw. "die Glaubwürdigkeit abgesprochen" werden, "weshalb nicht davon ausgegangen werden kann, dass Sie begründete Furcht vor Verfolgung glaubhaft gemacht haben".
An diese Ausführungen zur Beweiswürdigung schloss sich in der rechtlichen Beurteilung des Bundesasylamtes folgende Begründung der Subsumtion unter § 6 Z 3 AsylG:
"Die erkennende Behörde kommt zu dem Schluss, dass es sich bei Sierra Leone weder um Ihren Herkunftsstaat handelt, noch dass Sie sierraleonischer Staatsbürger sind oder Sie in Sierra Leone aufhältig waren.
Hieraus folgt, dass nicht erkannt werden konnte, dass Ihnen in dem von Ihnen bezeichneten Herkunftsstaat Sierra Leone im Sinne des Art. 1 Abschnitt A 2 der Genfer Flüchtlingskonvention Verfolgung droht, weshalb die Gewährung von Asyl nicht statthaft war. Es kann somit von der erkennenden Behörde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr ausgeschlossen werden, zumal die Betreibung Ihres Asylverfahrens offensichtlich auf einer vorsätzlichen Täuschung über Ihren wahren Herkunftsstaat bzw. Ihre wahre Staatsangehörigkeit beruht.
Ihre Unglaubwürdigkeit zu Ihrem angegebenen Herkunftsstaat führt aufgrund der offensichtlich falschen Darstellung einer Bedrohungssituation, im logischen Denkschluss, zur völligen Irrelevanz und Unglaubwürdigkeit der von Ihnen vorgebrachten Fluchtgründe, aus dem von Ihnen fälschlich als den Ihren bezeichneten Herkunftsstaat.
Das Bundesasylamt gelangt nach eingehender rechtlicher Würdigung zur Ansicht, dass Ihr Asylantrag eindeutig jeder Grundlage entbehrt und daher als offensichtlich unbegründet abzuweisen ist."
Diese Ausführungen, die sich die belangte Behörde zu eigen gemacht - und mit denen sie sich begnügt - hat, sind rechtlich zumindest in zweifacher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Zunächst käme dem Wortlaut nach (arg. "somit") die offensichtlich falsche Rechtsmeinung zum Ausdruck, aus dem Fehlen der Voraussetzungen für die Bejahung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne der Flüchtlingskonvention und für eine darauf gestützte Asylgewährung ergebe sich bereits das Vorliegen der Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG. Dies kann das Bundesasylamt in Wahrheit nicht angenommen haben, weshalb dieser Teil der Ausführungen - unter Einschluss der nicht erläuterten Bezugnahme auf die Offensichtlichkeit einer "vorsätzlichen Täuschung" - als Scheinbegründung ohne Inhalt einzustufen ist.
Das verbleibende Argument, aus der "Unglaubwürdigkeit" der Angaben zur Herkunft ergebe sich die "völlige Irrelevanz und Unglaubwürdigkeit" der behaupteten Fluchtgründe, stellt nicht darauf ab, dass die "Unglaubwürdigkeit" der Angaben zur Herkunft ihrerseits das gesetzliche Kriterium der "Offensichtlichkeit" erfülle, und beruht daher auf einer Verkennung der Rechtslage (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0447, und mehrere auf dieses Erkenntnis Bezug nehmende Folgeerkenntnisse). Bei Bedachtnahme auf die gesetzlichen Erfordernisse hätte die Rechtfertigung der Subsumtion unter § 6 Z 3 AsylG gerade dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - fehlenden Sprachkenntnissen nicht unerhebliche Detailkenntnisse in Bezug auf örtliche Gegebenheiten gegenüber standen, eine gezielt auf den Unterschied zwischen "schlichter" und "offensichtlicher" Unglaubwürdigkeit der Angaben zur Herkunft abstellende Begründung erfordert.
Die Zusatzüberlegung der belangten Behörde zu § 6 Z 2 AsylG trifft nicht zu, weil ausgehend davon, dass dem Beschwerdeführer tatsächlich die Ermordung durch "Mohammed" drohe, weil er sich dessen Versuchen, ihn für die RUF zu rekrutieren, widersetzt habe, nicht vom offensichtlichen Fehlen eines Konventionsgrundes für diese nichtstaatliche Verfolgung die Rede sein könnte (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0003).
Die weiteren Überlegungen der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe keinen staatlichen Schutz gesucht und es fehle ein ausreichender zeitlicher Zusammenhang zwischen Bedrohung und Flucht, sind von vornherein ungeeignet, das in § 6 Z 2 AsylG vorausgesetzte offensichtliche Fehlen eines Konventionsgrundes darzutun.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Juli 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200178.X00Im RIS seit
26.08.2004