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19/05 Menschenrechte;Norm
AsylG 1997 §5 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde der F (auch: F) in W, geboren 1967, vertreten durch Dr. Robert Igali-Igalffy, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptsraße 34 , gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 17. April 2001, Zl. 221.643/0-XI/38/01, betreffend § 5 Abs. 1 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine iranische Staatsangehörige, hatte sich - ihren Angaben vor dem Bundesasylamt zufolge - im Frühjahr 2000 zur Durchführung einer medizinischen Behandlung mit einem britischen Visum in London aufgehalten. Sie sei nach ihrer Rückkehr in den Iran am 14. November 2000 mit einem gültigen, von der britischen Botschaft in Teheran (zu dem selben Zweck) ausgestellten Visum für das Vereinigte Königreich (von Großbritannien und Nordirland) nach Österreich eingereist.
Den am Tag nach der Einreise von der Beschwerdeführerin gestellten Asylantrag wies das Bundesasylamt mit Bescheid vom 7. März 2001 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurück. Es sprach gleichzeitig aus, dass für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art. 5 Abs. 2 des Übereinkommens über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrages, BGBl. III Nr. 165/1997 (Dubliner Übereinkommen - DÜ), das Vereinigte Königreich zuständig sei. Unter einem wurde die Beschwerdeführerin aus dem Bundesgebiet in das Vereinigte Königreich ausgewiesen.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung vom 16. März 2001 brachte die Beschwerdeführerin näher begründet vor, im Vereinigten Königreich sei ihr Leben in Gefahr. Die Beschwerdeführerin stamme aus einer streng moslemischen Familie und sei gegen den Willen ihres Vaters, eines wegen seines "Eifers" für den Islam und seiner festen Treue zur islamischen Regierung in höchsten Kreisen sehr angesehenen und einflussreichen Armeeoffiziers, zum Christentum konvertiert und deshalb mit der Todesstrafe bedroht. Nach den islamischen Gesetzen dürfe ihr Vater, der den Übertritt der Beschwerdeführerin zum Christentum als eine Schande für sich und seine islamische Familie ansehe, diese Strafe selbst vollstrecken. Ihr Vater, der von ihrem Visum wisse, beabsichtige (nach Informationen einer Freundin) im kommenden April in das Vereinigte Königreich zu reisen, die Beschwerdeführerin dort (mit Hilfe von Verwandten und seiner Beziehungen zur iranischen Botschaft) ausfindig zu machen und den "islamischen Behörden" zu übergeben, wenn er sie "nicht gleich selbst umbringt". Abschließend brachte die Beschwerdeführerin auch ihre Erwartung zum Ausdruck, "meine Glaubwürdigkeit zu prüfen", und ersuchte "aufgrund der oben angeführten Tatsachen" um eine Behandlung ihres Antrages "auf einer anderen rechtlichen Basis, um mein Leben zu schützen."
Die belangte Behörde wies diese Berufung mit dem - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erlassenen - angefochtenen Bescheid ab. Sie traf dem eingangs wiedergegebenen Vorbringen der Beschwerdeführerin entsprechende Feststellungen zum Besitz eines im Zeitpunkt der Einreise am 14. November 2000 gültigen Visums für das Vereinigte Königreich. Das "UK Immigration Service" habe mit Telefax vom 5. März 2001 mitgeteilt, dass dem österreichischen Übernahmegesuch entsprochen werde, weil das Vereinigte Königreich gemäß Art. 5 Abs. 2 DÜ zur Durchführung des Asylverfahrens der Beschwerdeführerin zuständig sei. Nach beweiswürdigenden Überlegungen führte die belangte Behörde - soweit fallbezogen relevant - rechtlich aus, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG sei ein (nicht gemäß § 4 AsylG erledigter) Asylantrag als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich zur Prüfung des Asylantrages zuständig sei. Mit dem Zurückweisungsbescheid sei auch festzustellen, welcher Staat zuständig sei. Weiters sei damit die Ausweisung zu verbinden. Besitze der Asylwerber ein gültiges Visum, sei nach Art. 5 Abs. 2 DÜ - außer in den Fällen der hier nicht zutreffenden Ausnahmeregelungen der lit. a bis c - der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt habe, für die Prüfung des Asylantrages zuständig. Da die Beschwerdeführerin "entsprechend obigen Feststellungen" im Zeitpunkt der Asylantragstellung über ein gültiges Visum für das Vereinigte Königreich verfügt und das Vereinigte Königreich auf dieser Grundlage unter Berufung auf Art. 5 Abs. 2 DÜ eine aufrechte Verpflichtung zur Durchführung des Asylverfahrens anerkannt habe, erweise sich der in Österreich gestellte Asylantrag der Beschwerdeführerin "im Grunde des § 5 Abs. 1 AsylG" als unzulässig und sei von der Erstbehörde somit zu Recht zurückgewiesen worden. Sie habe auch zutreffend das Vereinigte Königreich als zuständigen Staat festgestellt und damit die Ausweisung verbunden.
Das Berufungsvorbringen, die Beschwerdeführerin erwarte von den Behörden in Österreich die Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit, erweise sich - so begründete die belangte Behörde weiter - als nicht zielführend, weil einerseits ihre Angaben zur Existenz eines gültigen Visums für das Vereinigten Königreich ohnedies als glaubwürdig erachtet worden seien und andererseits ein Eingehen auf die von der Beschwerdeführerin behaupteten "Asylgründe" im gegenständlichen Fall nicht zulässig sei. Im Hinblick auf den "formalen Verfahrensgegenstand (Vorliegen einer allgemeinen negativen Prozessvoraussetzung)" und darauf, dass der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt sei, habe gemäß Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG eine mündliche Verhandlung entfallen können.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Vorweg ist den diesbezüglichen Beschwerdeausführungen zu entgegnen, dass die belangte Behörde auf Basis der von ihr getroffenen Feststellungen im Hinblick auf Art. 5 Abs. 2 DÜ zu Recht von der Zuständigkeit des Vereinigten Königreiches zur Prüfung des Asylbegehrens der Beschwerdeführerin ausgegangen ist. Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass gegen diese - auf die Aussage der Beschwerdeführerin in Verbindung mit der ausdrücklich unter Bezugnahme auf Art. 5 Abs. 2 DÜ abgegebenen Erklärung des "UK Immigration Service" gestützten - Feststellungen in beweismäßiger Hinsicht im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof insoweit zukommenden (eingeschränkten) Prüfungsbefugnis keine Bedenken bestehen. Die in der Beschwerde diesbezüglich (erstmals) vorgetragenen, die Aussage der Beschwerdeführerin "relativierenden" Einwände vermögen diese Einschätzung nicht zu erschüttern. Entgegen der Beschwerdemeinung bedurfte es zur Frage der Existenz eines im Zeitraum der Einreise nach Österreich gültigen britischen Visums für die Beschwerdeführerin auch keiner ergänzenden Ermittlungen oder Feststellungen (anders als in einem Fall, in dem der Asylwerber schon im Verwaltungsverfahren die Erteilung eines solchen Visums bestreitet, wie er dem Erkenntnis vom 4. Mai 2000, Zl. 2000/20/0025, zugrunde lag).
Die Beschwerde hält der nach Art 5 Abs. 2 DÜ angenommenen Zuständigkeit des Vereinigten Königreiches Art. 6 DÜ entgegen und leitet daraus die Zuständigkeit Österreichs ab. Nach dieser Bestimmung ist zwar dann, wenn der Asylbewerber aus einem Drittstaat die Grenze eines Mitgliedstaates illegal auf dem Land-, See- oder Luftweg überschritten hat, der Mitgliedstaat, über den er nachweislich eingereist ist, für die Antragsprüfung zuständig. Bei dieser Argumentation übersieht die Beschwerdeführerin allerdings Art. 3 Abs. 2 zweiter Satz DÜ. Daraus ergibt sich nämlich, dass die Zuständigkeitstatbestände der Art. 4 bis 8 DÜ in dieser Reihenfolge zur Anwendung kommen, sodass eine nach Art. 5 DÜ gegebene Zuständigkeit einer (allfälligen) Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates nach dem Tatbestand des Art. 6 vorgeht. Gleiches gilt für den von der Beschwerde auch ins Treffen geführten Art. 8 DÜ.
Ohne Relevanz ist auch der von der Beschwerde unter dem Gesichtspunkt des Art. 10 Abs. 3 DÜ geltend gemachte Umstand, dass die Beschwerdeführerin nach ihrem ersten Aufenthalt in Großbritannien wieder in den Iran zurückgekehrt ist und sich dort mehr als drei Monate aufgehalten hat. Die erwähnte Bestimmung sieht zwar ein Erlöschen bestimmter sich aus der Zuständigkeit nach dem DÜ ergebender Pflichten für den Fall vor, dass "der betreffende Ausländer" das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für eine Dauer von mindestens drei Monaten verlassen hat. Das setzt allerdings schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmung die bereits davor erfolgte Verwirklichung eines Zuständigkeitstatbestandes nach dem DÜ voraus. Dieser Erlöschenstatbestand käme fallbezogen daher jedenfalls nur dann in Betracht, wenn die Beschwerdeführerin nach der für die (hier relevante) Zuständigkeitsbegründung maßgeblichen Einreise mit einem britischen Visum nach Österreich am 14. November 2000 das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen hätte, wofür nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte bestehen (vgl. zu Art. 10 Abs. 3 DÜ Schmid/Bartels, Handbuch zum Dubliner Übereinkommen, 123 u. 125f). Aber auch der Hinweis in der Beschwerde auf Art. 11 Abs. 5 DÜ, der eine Frist für die Überstellung vorsieht, ist aus den im hg. Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0424, angeführten Gründen, auf die insoweit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, nicht zielführend, und zwar schon deshalb, weil die Nichteinhaltung dieser Frist keine Zuständigkeitsverschiebung zur Folge hat (vgl. in diesem Sinn auch Schmid/Bartels, aaO, 128f u. 131; Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum AsylVfG, Ergänzungslieferung August 2003, Rz 45 u. 243 zu § 29). Gleiches gilt für Art. 13 Abs. 1 lit. b DÜ, der die Modalitäten einer - hier auch gar nicht gegebenen - "Wiederaufnahme" im Sinne der Art. 3 Abs. 7 DÜ und Art. 10 Abs. 1 lit. c, d und e DÜ betrifft (vgl. dazu Schmid/Bartels, aaO 110f, 118 u. 131).
Die Beschwerde bezieht sich schließlich auch auf das in der Berufung erstattete Vorbringen, kritisiert, dass die belangte Behörde diesbezüglich keine Erhebungen angestellt habe, und releviert in diesem Zusammenhang - mit dem Hinweis auf Art. 9 DÜ der Sache nach - das "Selbsteintrittsrecht" Österreichs gemäß Art. 3 Abs. 4 DÜ. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:
Im Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, hat der Verwaltungsgerichtshof in Anlehnung an die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8. März 2001, G 117/00 u.a., VfSlg. 16.122, vertretene Ansicht ausgeführt, er halte an seinen Rechtssätzen, wonach § 5 AsylG keiner verfassungskonformen Auslegung im Sinn einer Bedachtnahme auf Art. 3 und Art. 8 EMRK zugänglich sei und dem Asylwerber (Antragsteller) kein subjektiv-öffentliches Recht auf Eintritt eines nach dem Wortlaut des DÜ unzuständigen Mitgliedstaates (Österreich) in die Prüfung des Asylantrages zustehe, nicht fest, sondern schließe sich der (dort näher wiedergegebenen) Ansicht des Verfassungsgerichtshofes an. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die Begründung dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde - der bei Erlassung des angefochtenen Bescheides das zitierte Erkenntnis eines verstärkten Senates freilich noch nicht bekannt sein konnte und der das erwähnte Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes offenbar auch noch nicht vorlag - im angefochtenen Bescheid noch die gegenteilige, auf der früheren Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes beruhende Auffassung vertreten, im Rahmen einer Entscheidung nach § 5 Abs. 1 AsylG sei ein "Eingehen auf die von der Berufungswerberin behaupteten Asylgründe ... nicht zulässig". Angemerkt sei, dass mit "Asylgründe" - wegen der diesen Satz einleitenden Bezugnahme auf das Berufungsvorbringen und auf die dort angesprochene Glaubwürdigkeitsprüfung sowie mangels eines konkreten Vorbringens zu einer Verfolgung im Herkunftsstaat Iran - eindeutig erkennbar nur die eine Bedrohung im Vereinigten Königreich geltend machenden Behauptungen in der Berufung gemeint sein konnten. Am Maßstab der mittlerweile ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat die belangte Behörde mit der wiedergegebenen Auffassung die Rechtslage verkannt. Vielmehr hätte es einer Auseinandersetzung mit dem für den Fall einer Ausweisung der Beschwerdeführerin in das Vereinigte Königreich der Sache nach eine Verletzung des Art. 3 EMRK relevierenden Vorbringen in der Berufung bedurft (vgl. das ähnliche Verfolgungsbehauptungen behandelnde hg. Erkenntnis vom 3. Dezember 2003, Zl. 2003/01/0136).
Entgegen der Meinung der belangten Behörde kommt einem den Asylantrag gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurückweisenden Bescheid nicht nur ein rein verfahrensrechtlicher Charakter (im Sinne des § 67d Abs. 3 erster Satz AVG in der hier anzuwendenden Fassung vor der Verwaltungsverfahrens-Novelle 2001) zu (vgl. dazu näher die Ausführungen im hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Im Hinblick auf das ergänzende - wie dargelegt - entscheidungswesentliche Berufungsvorbringen hätte es daher auch der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung bedurft, was die belangte Behörde ausgehend von einer anderen Rechtsansicht verkannt hat.
Der angefochtene Bescheid war somit aus den dargestellten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Die in dieser Verordnung angeführten Pauschalbeträge umfassen auch die in der Beschwerde gesondert verzeichnete Umsatzsteuer, weshalb das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 22. Juli 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200440.X00Im RIS seit
26.08.2004