TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/22 2001/20/0690

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Veröffentlicht am 22.07.2004
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des T in L, geboren 1970, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 19. Oktober 2001, Zl. 221.284/0- VIII/22/01, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 13. August 2000 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Asyl. Nach dem aktenkundigen Ambulanzbrief des Krankenhauses der Barmherzigen Schwestern vom 18. August 2000 habe der Beschwerdeführer an Rückenschmerzen gelitten, sein Rücken habe "Striae" aufgewiesen. Im Verwaltungsakt (Seiten 10 und 11) befinden sich Lichtbilder vom Beschwerdeführer, auf seinem Rücken sind Striemen zu erkennen.

Am 20. September 2000 gab der Beschwerdeführer vor dem Bundesasylamt zu seinen Fluchtgründen an, er habe am Nachmittag des 8. Juli 2000 gemeinsam mit seinem Bruder an einer Studentendemonstration mit mehreren tausend Personen teilgenommen, die sich für die Pressefreiheit eingesetzt und gegen die Unterdrückung und Ermordung vieler Leute gerichtet habe. Der Beschwerdeführer habe nicht zu den Organisatoren gehört und habe etwa ein bis eineinhalb Stunden an der Demonstration teilgenommen. Als er zur Demonstration gekommen sei, habe er von den dort vorgebrachten Reden nichts mehr gehört. Er wisse auch nicht, wie lange die Demonstration vor seinem Hinzukommen schon gedauert habe. Plötzlich seien zivile und uniformierte Sicherheitsleute mit Holzstöcken gekommen, die die Demonstration hätten auflösen wollen. Der Beschwerdeführer und andere Personen, darunter sein Bruder, seien geschlagen und verhaftet worden. Man habe den Beschwerdeführer an einen ihm unbekannten Ort gebracht und ihn dort misshandelt. Seine Hände seien festgebunden und der Beschwerdeführer sei ausgepeitscht worden. Er habe deshalb einige lockere Zähne und am Rücken sichtbare Narben. (In der Niederschrift des Bundesasylamtes vom 20. September 2000 ist sodann festgehalten, dass der Beschwerdeführer seinen Rücken gezeigt habe und dass das protokollierende Organ vier bis fünf striemenartige Narben sowie eine größere ovale Narbe festgestellt habe. Der Beschwerdeführer erklärte sich gegenüber der Erstbehörde mit einer ärztlichen Untersuchung einverstanden.) Nach den geschilderten Misshandlungen sei er bewusstlos geworden und in einem Krankenhaus aufgewacht. Dort habe er nach einigen Tagen einen Krankenpfleger kennen gelernt, der ihm bei der Flucht aus dem Spital geholfen habe. Mit Hilfe von Leintüchern (nach späteren Angaben des Beschwerdeführers: vier Stück) habe er aus dem Fenster des zweiten Stockes des Krankenhauses flüchten können und habe danach bis zum Verlassen des Iran bei einem Cousin gewohnt. Dort habe er nach einigen Tagen "von der Gerichtsladung" erfahren, deren Beischaffung der Beschwerdeführer gegenüber dem Bundesasylamt ankündigte. Im Fall der Rückkehr in den Iran befürchte er eine Gefängnisstrafe von neun bis zehn Jahren wegen der genannten Teilnahme an der Demonstration und wegen seiner Flucht.

Im Verwaltungsakt befindet sich im Anschluss an diese Niederschrift das Gutachten der Polizeichefärztin der Bundespolizeidirektion Linz vom 29. September 2000. Laut ihrem Befund wies der Beschwerdeführer am Rücken u.a. mehrere "striemenförmige verstärkte Pigmentierungen in 12 bis 16 cm Länge, kreuz- und querverlaufend" auf, wobei "keine eigentlichen narbenförmigen Veränderungen" sichtbar gewesen seien. Auch ein Schneidezahn des Beschwerdeführers sei "minimal gelockert" gewesen. In ihrem Gutachten gelangte die Amtsärztin zu dem Ergebnis, dass es sich bei den striemenförmigen Hautarealen ohne narbenförmige Veränderungen "mit Sicherheit um keine offenen Verletzungen" gehandelt habe. Diese Hautveränderungen könnten aber "ihrer äußeren Form nach durch Auspeitschen entstanden sein".

Am 4. Dezember 2000 wurde der Beschwerdeführer beim Bundesasylamt neuerlich einvernommen und zu der von ihm mittlerweile vorgelegten Kopie der Gerichtsladung und den näheren Umständen seiner Flucht aus dem Krankenhaus befragt. Zu seinen Narben gab der Beschwerdeführer an, er vermute, man habe ihn mit Kabeln ausgepeitscht. Auf dem Rücken habe er schon geblutet, er sei dort aber nicht genäht oder operiert worden. Die Lockerung des Schneidezahnes stamme von Faustschlägen und Fußtritten, die man ihm im Gesicht zugefügt habe.

Mit Bescheid vom 15. Jänner 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran zulässig sei. Begründend versagte die Erstbehörde dem Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen die Glaubwürdigkeit. In ihrer Beweiswürdigung ging die Erstbehörde zunächst davon aus, dass die vom Beschwerdeführer vorgelegte Ladung des iranischen Gerichts eine Fälschung sei. "Nach Kenntnis der Behörde" entspreche die Vorladung nämlich (in einzelnen im Erstbescheid dargelegten Punkten) nicht den Formalerfordernissen, die für solche Ladungen im Iran "üblich" seien. Die Angaben des Beschwerdeführers zur genannten Demonstration erachtete die Erstbehörde als äußerst vage. Die vom Beschwerdeführer geschilderte Flucht aus dem 2. Stock des Krankenhauses mit Hilfe von (nur) vier Leintüchern erscheine unglaubwürdig, weil dabei von einer zu überwindenden Höhe von 8 bis 10 m ausgegangen werden müsse. Schließlich widersprächen die Angaben des Beschwerdeführers betreffend die Misshandlung mit einem Kabel und blutende Wunden am Rücken dem amtsärztlichen Gutachten, weil nach diesem die Verletzungen am Rücken des Beschwerdeführers nicht von "offenen" Wunden herrührten. Auch die minimale Lockerung des Schneidezahnes des Beschwerdeführers lasse sich nicht auf die von ihm angegebenen Fußtritte und Faustschläge ins Gesicht zurückführen, weil der Beschwerdeführer dabei "sicher schwerwiegendere Verletzungen bzw. schwere Schäden am Schneidezahn" davongetragen hätte.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung - gemäß den §§ 7 und 8 AsylG ab und verwies begründend hinsichtlich der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung auf die "völlig zutreffenden Darlegungen" im erstinstanzlichen Bescheid. Die Erstbehörde habe ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und mit dem durch ihre Tätigkeit im Asylverfahren gewonnenen "Erfahrungsschatz" die vom Beschwerdeführer vorgelegte Gerichtsladung nachvollziehbar beurteilt. Aber selbst bei Zutreffen der vom Beschwerdeführer genannten Fluchtgründe wäre für diesen nichts gewonnen, weil "nach ständiger Rechtsprechung des UBAS" nur Anführer von Studentenunruhen und Personen, die den Behörden schon bisher als Oppositionelle verdächtig gewesen seien, eine erhebliche Verfolgungsgefahr zu erwarten hätten. Wenn man berücksichtige, dass selbst prominenteste Anführer von Studentenunruhen im Iran "nicht exekutiert", sondern "nur ... länger inhaftiert wurden", so sei die Befürchtung des politisch nicht tätig gewesenen Beschwerdeführers nicht objektiv nachvollziehbar.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage des - bloß erstinstanzlichen - Verwaltungsaktes und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Zutreffend führt die Beschwerde ins Treffen, dass die belangte Behörde im vorliegenden Fall die Verhandlungspflicht verletzt hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. dazu etwa das schon im angefochtenen Bescheid zitierte Erkenntnis vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308) ist der Sachverhalt im Verfahren vor dem unabhängigen Bundesasylsenat im Sinn des Art. II Abs. 2 Z. 43a EGVG nur dann als aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt anzusehen, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz entgegen stehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt - erstmalig und mangels Bestehens eines Neuerungsverbotes zulässigerweise - neu und in konkreter Weise behauptet wird. Das Absehen von einer mündlichen Berufungsverhandlung setzt somit voraus, dass die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht nur im Ergebnis - nach der Überzeugung der Berufungsbehörde - richtig, sondern schon im erstinstanzlichen Bescheid auch schlüssig begründet ist (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 16. April 2002, Zl. 2002/20/0003, und die dort zitierten - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides bereits vorgelegenen - Erkenntnisse vom 8. Juni 2000, Zlen. 99/20/0111 bis 0113, und vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0296).

Die genannten Voraussetzungen für ein Absehen von der Berufungsverhandlung waren gegenständlich nicht gegeben, weil der Sachverhalt vom Bundesasylamt nicht nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens und nach schlüssiger Beweiswürdigung festgestellt wurde:

Die Erstbehörde hat in ihre Beweiswürdigung zwar Aussagen des polizeiärztlichen Gutachtens vom 29. September 2000 betreffend die Verletzungen des Beschwerdeführers einbezogen, sie verschweigt in diesem Zusammenhang jedoch (wie im Übrigen auch die belangte Behörde bei der Darstellung dieses Gutachtens im angefochtenen Bescheid), dass die Amtsärztin in ihrem Gutachten ausdrücklich die Ansicht vertreten hat, die striemenförmigen Hautveränderungen des Beschwerdeführers "können ihrer äußeren Form nach durch Auspeitschen entstanden sein". Schon vor dem Hintergrund dieses - deutlich für die Glaubwürdigkeit der (den Kern der Fluchtgeschichte bildenden) Misshandlungen des Beschwerdeführers sprechenden - Gutachtensergebnisses konnten die Asylbehörden beider Instanzen nicht ohne dessen Würdigung schlüssig zu dem Ergebnis gelangen, dass die Fluchtgründe des Beschwerdeführers tatsachenwidrig seien. Daran können auch die übrigen (von der belangten Behörde gleichfalls übernommenen) beweiswürdigenden Argumente im erstinstanzlichen Bescheid nichts ändern:

Soweit die vom Beschwerdeführer vorgelegte Ladung eines iranischen Gerichts vom Bundesasylamt - auf Grund seiner eigenen diesbezüglichen Kenntnisse - als Fälschung qualifiziert wurden, so ist diese Einschätzung schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil im Bescheid nicht dargelegt wird, auf welcher Grundlage diese Kenntnisse der Erstbehörde beruhen (vgl. in diesem Zusammenhang zur erforderlichen Offenlegung der Grundlagen auch eines Gutachtens die in Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, unter E. 150 f. zu § 52 AVG referierte hg. Judikatur).

Auch die Ansicht des Bundesasylamtes, die vom Beschwerdeführer geschilderte Flucht aus dem 2. Stock des Krankenhauses mit Hilfe von (bloß) vier Leintüchern erscheine angesichts der dabei zu überwindenden Höhe von 8 bis 10 m (diese Höhe wurde von der Erstbehörde im Übrigen bloß hypothetisch angenommen) nicht denkbar, ist nicht nachvollziebar.

Das Hilfsargument der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, selbst bei Zugrundelegung der Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers sei eine Verfolgungsgefahr desselben in Iran nicht objektivierbar, weil in diesem Land selbst prominenteste Anführer von Studentenunruhen "nicht exekutiert", sondern "nur ... länger inhaftiert" würden, vermag den angefochtenen Bescheid nicht vor seiner Aufhebung zu bewahren. Dieser Begründungsteil des angefochtenen Bescheides impliziert nämlich auch die - jedenfalls unzutreffende - Rechtsansicht der belangten Behörde, die Asylgewährung bzw. die Gewährung von Refoulementschutz komme bei unberechtigt drohender (nicht "länger" andauernder) Inhaftierung unter den Verhältnissen im Iran von vornherein nicht in Betracht.

Da die belangte Behörde dem angefochtenen Bescheid somit auch eine verfehlte Rechtsansicht zugrunde gelegt hat, war dieser vorrangig gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juli 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200690.X00

Im RIS seit

25.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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