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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des V in L, geboren 1981, vertreten durch Ing. Mag. Klaus Helm, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Schulstraße 12, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. September 2000, Zl. 203.291/1-XII/37/99, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Liberia, reiste am 18. Juli 1996 (seinem angegebenen Alter nach damals 14-jährig) in das Bundesgebiet ein und beantragte am 20. August 1996 schriftlich Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 29. August 1996 gab er an, im Zuge der Bürgerkriegskämpfe sei im April 1996 die "Rebellengruppe des Johnson" zum Haus der Familie des Beschwerdeführers gekommen. Seine Geschwister hätten weglaufen können, er sei jedoch festgenommen und ins Gefängnis gebracht worden. Dies deshalb, weil er sich geweigert habe, für Johnson zu kämpfen. Im Gefängnis sei er ständig mit Schlägen misshandelt worden, wovon er noch sichtbare Narben am Kopf und an der rechten Hand habe (Narben am Kopf und an einem Finger des Beschwerdeführers wurden in der Niederschrift festgehalten). Nach zwei Wochen sei er mit einem Lastwagen aus dem Gefängnis gebracht worden. Der Fahrer habe ihn u.a. nach seinem Alter gefragt und ihm die Gelegenheit gegeben, wegzulaufen.
In der Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. August 1996, mit dem sein Antrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 abgewiesen wurde, stellte der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe (in Anlehnung an seinen schriftlichen Asylantrag) nochmals dar. Er brachte vor, nach zweiwöchigen "Folterungen und Verhören" im Gefängnis habe er dann doch zugestimmt, der "Armee" des Miliz-Führers Johnson beizutreten. Auf dem Transport ins Kriegsgebiet sei ihm die Gelegenheit zur Flucht gegeben worden. Wenn er in Liberia geblieben wäre und sich weiterhin geweigert hätte, sich den Rebellen anzuschließen, so hätten ihn diese mit Sicherheit umgebracht. Also sei ihm nur die Flucht aus Liberia geblieben.
In rechtlicher Hinsicht führte der Beschwerdeführer in der Berufung u.a. aus, seine asylrelevanten Fluchtgründe seien darin zu sehen, dass er sich geweigert habe, sich den Rebellen anzuschließen und für sie zu kämpfen. Er könne der "Aufforderung zum Militärdienst" auf Grund seiner politischen Überzeugung und aus Gewissengründen nicht folgen. In seiner dadurch motivierten Verweigerung des Dienstes in der "Armee von Johnson" liege aber gerade der Auslöser für seine Verhaftung und Folterung. Er weigere sich entschieden, in die Dienste der Rebellen zu treten. Dafür müsste er mit großer Wahrscheinlichkeit mit seinem Leben bezahlen. Auf jeden Fall aber sei ihm "eine weitere Verfolgung, Verhaftung und Folterung" auf Grund seiner "andauernden Verweigerung des Militärdienstes gewiss".
Die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 16. Mai 1997, mit dem diese Berufung abgewiesen wurde, wurde mit hg. Beschluss vom 17. Juni 1999, Zl. 97/20/0610, gemäß § 44 Abs. 3 AsylG zurückgewiesen.
Mit dem angefochtenen, ohne ergänzendes Ermittlungsverfahren erlassenen Bescheid vom 7. September 2000 wies die belangte Behörde die Berufung gegen den Bescheid vom 29. August 1996 gemäß § 7 AsylG ab. Sie legte ihrer Entscheidung "auf Grundlage der Ersteinvernahme des Berufungswerbers sowie der Berufungsschrift" folgenden Sachverhalt zugrunde:
"Im Jahre 1996 hat der Asylwerber Liberia auf Grund der Bürgerkriegsgeschehnisse, im Zuge deren er - ebenso wie andere junge Männer in seinem Wohnbezirk - von Zwangsrekrutierungsmaßnahmen der Rebellen bedroht wurde, verlassen. Der Berufungswerber war keinen konkreten Verfolgungshandlungen aus einem in der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Grund ausgesetzt.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den glaubwürdigen Angaben des Asylwerbers im Rahmen der niederschriftlichen Ersteinvernahme sowie aus dem Inhalt der Berufungsschrift."
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus:
"Der Berufungswerber stützt seinen Antrag ausschließlich auf
die in Liberia zum Zeitpunkt seiner Ausreise bestanden habende
Bürgerkriegssituation und die damit im Zusammenhang gestandenen
Zwangsrekrutierungsversuche durch die Rebellen. In keinem Stadium
des Verfahrens nahm er auf einen in der Genfer
Flüchtlingskonvention angeführten Verfolgungsgrund Bezug. ... Der
Berufungswerber hat sich ... in keinem Stadium des Verfahrens auch
nur ansatzweise auf einen in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Verfolgungsgrund bezogen und hat er auch hinsichtlich des von ihm konkret als Verfolgungsgrund geltend gemachten Zwangsrekrutierungsversuches durch die Rebellen angegeben, diese hätte junge Männer zusammengetrieben und aufgefordert, sich ihnen anzuschließen ... und kann daher auch die dargelegte Vorgangsweise der Rebellen ganz offensichtlich nicht unter die in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe subsumiert werden."
Darauf, dass allfällige Gründe für eine Asylgewährung durch die weitere Entwicklung der Lage im Heimatland des Beschwerdeführers nicht mehr bestünden und daher ein Beendigungsgrund im Sinne des Art. 1 Abschnitt C Z 5 FlKonv gegeben wäre, stützte die belangte Behörde - die auch von der Durchführung einer Berufungsverhandlung absah - ihre Entscheidung nicht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde gegen diesen Bescheid erwogen:
Es fällt - wie auch die Beschwerde zutreffend darlegt - schwer, die Ausführungen der belangten Behörde über die behaupteten Fluchtgründe, die der Entscheidung zugrunde gelegt würden, mit dem Akteninhalt zur Deckung zu bringen. Weder auf den Gesichtspunkt der behaupteten Anhaltung in einem Gefängnis mit "Folterungen und Verhören", um den Beschwerdeführer von seiner Weigerung abzubringen, noch auf die Rechtsausführungen in der Berufung wird eingegangen. Das gesamte Geschehen wird als "Zwangsrekrutierungsversuch" bezeichnet. Rechtlich wird offenbar die Auffassung vertreten, derartige Vorgänge seien ohne Asylrelevanz, wenn am Anfang das nicht an Konventionsgründen orientierte Zusammentreiben von Jugendlichen zur Zwangsrekrutierung in einer Rebellenarmee stehe, und die gegenteiligen Ausführungen in der Berufung seien so falsch, dass sich der Beschwerdeführer auch mit ihnen nicht "auch nur ansatzweise auf einen in der Genfer Flüchtlingskonvention aufgezählten Verfolgungsgrund bezogen" habe.
Diese Betrachtungsweise widerspricht schon seit dem hg. Erkenntnis vom 19. September 1996, Zl. 95/19/0077, der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Im Einzelnen kann dazu gemäß § 43 Abs. 2 VwGG etwa auf die Judikaturdarstellung in dem hg. Erkenntnis vom 31. Jänner 2002, Zl. 99/20/0531, verwiesen werden.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Juli 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200003.X00Im RIS seit
26.08.2004