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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Strohmayer, Dr. Sulzbacher und Dr. Berger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des S, geboren 1979, vertreten durch Dr. Nikolaus Reininger, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Esteplatz 4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 28. November 2000, Zl. 207.016/1-XII/36/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer reiste seinen Angaben zufolge am 12. Oktober 1998 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 13. Oktober 1998 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26. November 1998 gab er an, Staatsangehöriger von Sierra Leone zu sein und in Freetown gelebt zu haben. Seine behaupteten Fluchtgründe - Schwierigkeiten wegen seines Vaters, der ein Unterstützer des Rebellenführers Koroma gewesen sei - kamen bei der Einvernahme nur am Rande zur Sprache. Die Befragung konzentrierte sich auf das Allgemeinwissen des Beschwerdeführers über Sierra Leone und Freetown. Der Beschwerdeführer beantwortete eine Reihe von Fragen und zeichnete die Flagge von Sierra Leone, weigerte sich aber auch über wiederholte Aufforderung, die Landeshymne zu singen oder auf andere geeignete Weise zu demonstrieren, dass sie ihm bekannt sei. Darauf hin wurde die Befragung abgebrochen.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 27. November 1998 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 4 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. Es begründete seine Entscheidung im Wesentlichen mit der "mangelnden Kooperation und Nichtmitwirkung" des Beschwerdeführers am Verfahren.
Diesen Bescheid hob die belangte Behörde auf Grund der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Berufung mit Bescheid vom 11. Jänner 1999 gemäß § 32 Abs. 2 AsylG auf.
Bei der ergänzenden Einvernahme im fortgesetzten erstinstanzlichen Verfahren am 23. Juli 1999 wurde der Beschwerdeführer neuerlich zu seinem Allgemeinwissen über Sierra Leone und Freetown, in weiterer Folge aber auch näher zu seinen Fluchtgründen befragt. Er gab an, er sei auf Grund des Verdachtes, von seinem Vater erhaltene Informationen an einen namentlich genannten Journalisten weitergegeben zu haben, inhaftiert gewesen und nur durch Bestechung freigekommen. Der erwähnte Journalist habe den Präsidenten Kabbah in einem Artikel wegen des Vorgehens bei der Vergabe von Verträgen über Goldminen angegriffen. Im Falle einer Rückkehr drohe dem Beschwerdeführer Verfolgung durch die jetzige Regierung.
Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 31. August 1999 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone sei zulässig. In der Begründung stellte das Bundesasylamt als Ergebnis des Ermittlungsverfahrens ausdrücklich fest, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger von Sierra Leone. Im Falle einer Rückkehr dorthin drohe ihm aber keine Verfolgung. Das Vorbringen des Beschwerdeführers enthalte keine Sachverhalte, welche "geeignet" seien, "aus objektiver Sicht betrachtet eine Verfolgung im Konventionssinn geltend zu machen". Allenfalls drohe dem Beschwerdeführer eine Befragung wegen des von ihm erwähnten regimekritischen Artikels, der nun schon Jahre zurückliege. Bloßen Verhören und Befragungen fehle aber "die für eine Asylgewährung erforderliche Intensität". Das Vorbringen des Beschwerdeführers zur bereits erlittenen Haft sei "vage und undetailliert", es entspreche "lediglich den Standardvorbringen anderer Asylwerber, jedoch fehlt es an der nötigen Substanz". Es sei auch nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer wegen friedlicher Demonstrationen, die sich ebenfalls schon vor Jahren ereignet hätten, Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten hätte: "Die Ereignisse in Sierra Leone haben sich in den letzten Jahren derart überschlagen, dass nicht davon auszugehen ist, dass derartig lange zurückliegende Ereignisse, die auch keinerlei Folgen nach sich zogen, Verfolgungsmotivation auslösen können".
Der Beschwerdeführer erhob gegen diesen Bescheid Berufung, blieb der Berufungsverhandlung aber fern. In der Verhandlung bestellte die Behörde eine als "Herr M." bezeichnete Person zum "nichtamtlichen Sachverständigen für die Landesnatur von Sierra Leone und die in Sierra Leone gesprochenen Sprachen Krio und Mende", wobei festgehalten wurde, dass "zu diesen Fachgebieten kein Amtssachverständiger zur Verfügung" stehe und "Herr M." am 16. Juni 1968 in Freetown zur Welt gekommen sei.
Nach Erörterung der erstinstanzlichen Protokolle über die Einvernahmen des Beschwerdeführers gab der Sachverständige Folgendes zu Protokoll:
"Wenn der BW angibt, in der Boston Road in Freetown in die Schule gegangen zu sein, so ist entgegen zu halten, dass es in Freetown keine Boston Road gibt, es gibt lediglich eine Lightfoot Boston Street. Was die in Krio angegebenen Ausdrücke betrifft, so ist anzumerken, dass man weder How morning noch How body sagen kann, sondern dass der Gruß richtig How dis morning oder How di body lautet. Dem SV ist weder eine Organisation namens Patriotic Youth Organisation for Democracy noch ein Journalist namens M bekannt."
Darüber hinaus wurden in der Berufungsverhandlung noch näher bezeichnete "Auskünfte des Österreichischen Honorarkonsuls in Freetown" und ein Bericht über die humanitäre Lage in Sierra Leone erörtert.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab. Gemäß § 8 AsylG stellte sie die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Sierra Leone fest. In der Begründung ihrer Entscheidung führte sie u.a. aus, es könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Sierra Leone stamme, und er könne die behaupteten Erlebnisse schon deshalb nicht gehabt haben, weil er offenbar gar nicht aus Sierra Leone stamme. Im Übrigen habe der Sachverständige dargelegt,
"dass ihm - obwohl er selbst als Journalist tätig ist - weder der angebliche Journalist namens M noch die vom Berufungswerber bezeichnete Jugendorganisation bekannt sind. Das Vorbringen zu den Fluchtgründen erweist sich sohin - wie bereits vom Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid dargelegt - als unbestimmt und aufklärungsbedürftig, eine weitere Aufklärung musste jedoch unterbleiben, da der Berufungswerber seiner Obliegenheit zur Mitwirkung am Verfahren nicht entsprochen hat und zur mündlichen Berufungsverhandlung nicht erschienen ist."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Das Bundesasylamt, dessen Entscheidungsorgan den Beschwerdeführer selbst vernommen hatte, gelangte als Ergebnis seiner wiederholten Befragung über den behaupteten Herkunftsstaat zu der ausdrücklichen Feststellung, er sei "Staatsangehöriger von Sierra Leone". Es legte seiner Entscheidung vom 31. August 1999 - mit Ausnahme der behaupteten Inhaftierung - auch in Bezug auf die Fluchtgründe das Vorbringen des Beschwerdeführers zugrunde und hielt ihm im Wesentlichen entgegen, er habe auf Grund des Zeitabstandes und der tiefgreifenden Lageänderungen in Sierra Leone keine Verfolgung mehr zu befürchten.
Dem gegenüber stützt die belangte Behörde ihre radikale Umwürdigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens in dem Sinn, dass dem Beschwerdeführer überhaupt nichts zu glauben sei und schon seine Herkunft aus Sierra Leone nicht festgestellt werden könne, auf eigene Betrachtungen in Bezug auf Einzelheiten der erstinstanzlichen Vernehmungen in Verbindung mit der Überlegung, das Fernbleiben von der Berufungsverhandlung sei "dahingehend zu werten, dass sich der Berufungswerber einer Überprüfung seiner Sprach- und Ortskenntnisse entziehen wollte", und auf die oben wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen. Auf den Umstand, dass die Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone in erster Instanz ausdrücklich festgestellt wurde, wird nicht eingegangen.
Der zuletzt erwähnte Umstand lässt die Annahme, der Beschwerdeführer sei der Berufungsverhandlung aus Furcht vor einer (dritten) "Überprüfung seiner Sprach- und Ortskenntnisse" ferngeblieben, aber als wenig überzeugungskräftig erscheinen. Eine nähere Auseinandersetzung damit sowie mit der Frage, ob im Zeitpunkt der Bescheiderlassung davon ausgegangen werden konnte, dass der Beschwerdeführer von der Ladung überhaupt persönlich Kenntnis erlangt hatte, erübrigt sich aber, weil die zur Herkunft des Beschwerdeführers außerdem herangezogenen Bemerkungen des Sachverständigen nur zwei isolierte Details der Angaben des Beschwerdeführers betreffen (und insoweit, wie in der Beschwerde geltend gemacht wird, nur eher geringfügige Abweichungen von den nach Ansicht des Sachverständigen "richtigen" Antworten aufzeigen) und auch die Ausführungen der belangten Behörde über Einzelheiten der erstinstanzlichen Einvernahmen keine ganzheitliche Würdigung der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem behaupteten Herkunftsstaat enthalten. Angesichts der Ausführlichkeit der wiederholten Befragungen zu diesem Thema, der zahlreichen - zum Teil offenbar auch in Bezug auf Details richtigen - Antworten des Beschwerdeführers und der auf Einzelheiten in Bezug auf die Auseinandersetzungen in Sierra Leone gegründeten Fluchtgeschichte kann eine Beweiswürdigung, die keine Abwägung der für und gegen eine Herkunft des Beschwerdeführers aus Sierra Leone sprechenden Gesichtspunkte unternimmt, nicht schlüssig sein. Zu den Ausführungen des Sachverständigen ist noch hinzuzufügen, dass der Beschwerdeführer selbst bei seiner Einvernahme am 23. Juli 1999 von der "Lightfoot Boston Street" gesprochen hatte, was in den Ausführungen der belangten Behörde - an der Stelle, an der sie sich auf die Bezeichnung "Boston Road" statt richtig "Lightfoot Boston Street" bezieht - nicht Erwähnung findet.
Unschlüssig ist damit aber auch das primäre Argument in der Behandlung der behaupteten Fluchtgründe des Beschwerdeführers, nämlich dass dieser die behaupteten (und zum Teil detailliert beschriebenen) Erlebnisse schon mangels Herkunft aus Sierra Leone nicht gehabt haben könne. Mit Recht wendet sich die Beschwerde darüber hinaus gegen die Ansicht der belangten Behörde, schon der Umstand, dass der (offenbar in Österreich) als Journalist tätige Sachverständige weder den vom Beschwerdeführer genannten Journalisten in Sierra Leone noch die vom Beschwerdeführer bezeichnete (und nach dessen Angaben "nicht registrierte") Jugendorganisation kenne, lasse das Vorbringen "als unbestimmt und aufklärungsbedürftig" erkennen. Was schließlich den in die zuletzt erwähnte Überlegung eingeflochtenen Verweis auf die erstinstanzliche Beweiswürdigung anlangt, so kann er angesichts der Bescheidbegründung des Bundesasylamtes im Bescheid vom 31. August 1999 nur auf die Ausführungen zur behaupteten Inhaftierung bezogen werden. Dass die diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers vage, undetailliert und substanzlos gewesen seien, wird im erstinstanzlichen Bescheid aber nicht nachvollziehbar dargestellt und kann als bloße Behauptung - angesichts der relativen Ausführlichkeit der Aussage des Beschwerdeführers - nicht genügen, um die Entscheidung in diesem Punkt ausreichend zu begründen. Der angefochtene Bescheid enthält aber auch keine der Argumentation des Bundesasylamtes entsprechenden Ausführungen dazu, dass der Beschwerdeführer ausgehend vom Rest seiner behaupteten Erlebnisse auf Grund des Zeitabstandes und der Lageänderungen im Falle einer Rückkehr nichts mehr zu befürchten habe. Zwischen den allgemein gehaltenen Feststellungen der belangten Behörde über die im Zeitpunkt ihrer Entscheidung aktuelle Lage in Sierra Leone und dem Vorbringen des Beschwerdeführers lässt sich keine derartige Beziehung herstellen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrenvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Juli 2004
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200143.X00Im RIS seit
19.08.2004