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L9 Sozial- und GesundheitsrechtNorm
B-VG Art118 Abs2Leitsatz
Abweisung einer Klage der Landeshauptstadt Linz gegen das Land Oberösterreich wegen S 3.959.653,59 für die Durchführung der vollen Erziehung für zwei Minderjährige; Zulässigkeit der Klage; keine Zuständigkeit einer Verwaltungsbehörde zur Entscheidung; keine Grundsatzgesetzverletzung durch Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen zur Durchführung der vollen Erziehung durch das beklagte LandSpruch
Die Klage wird als unbegründet abgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1. In der auf Art137 B-VG gestützten, gegen das Land Oberösterreich gerichteten Klage vom 23.1.1997 bringt die klagende Landeshauptstadt Linz vor, daß ihr Magistrat am 1.8.1995 beim Amt der O.ö. Landesregierung die Durchführung der vollen Erziehung für zwei namentlich genannte Minderjährige beantragt habe. Nach dem Gutachten der zuständigen Sozialarbeiterin habe von seiten der Familie der beiden Minderjährigen keine Möglichkeit mehr bestanden, die Erziehung in der Familie zu gewährleisten und eine negative Entwicklung der beiden Kinder zu verhindern. Mit "Erlaß vom 16.8.1995, JW - 660245/1 - Dr. Ma/Bl" habe die O.ö. Landesregierung mitgeteilt, daß die beiden Minderjährigen nicht zur Durchführung der vollen Erziehung gem. §40 Abs2 O.ö. JWG 1991 übernommen würden.
Daher habe die Stadt Linz "als Träger der Bezirksverwaltungsbehörde" daraufhin die Durchführung der vollen Erziehung der genannten Minderjährigen übernommen. Wie sich aus verschiedenen Berichten ergebe, sei in absehbarer Zeit mit keiner Beendigung der Erziehungsmaßnahmen zu rechnen. Die Minderjährigen bedürften vielmehr besonders intensiver sozialpädagogischer Betreuung, weshalb die klagende Stadt die Auffassung vertrete, daß die Landesregierung zur Durchführung der vollen Erziehung zuständig sei und das Land die Kosten zu übernehmen habe. Da die beklagte Partei aber die Durchführung der vollen Erziehung und damit auch die Kostenträgerschaft ablehne, sehe sich die Stadt zur Klagsführung veranlaßt. Der Verfassungsgerichtshof sei zuständig, da die ordentlichen Gerichte nicht zuständig seien, der Anspruch im öffentlichen Recht seine Grundlage habe und kein Verwaltungsweg vorgesehen sei. Die Passivlegitimation des Landes Oberösterreich wird sodann näher begründet.
Zudem stelle sich für die Stadt im Zusammenhang mit der Ablehnung der Kostenträgerschaft durch die Landesregierung die Frage, ob die die Bezirksverwaltungsbehörde als Jugendwohlfahrtsträger subsidiär verpflichtenden Bestimmungen des O.ö. JWG 1991 verfassungskonform seien: Gem. Art12 Abs1 B-VG sei in Angelegenheiten der Jugendfürsorge der Bund zur Erlassung von Grundsatzbestimmungen, das jeweilige Land hingegen zur Erlassung von Ausführungsgesetzen und zur Vollziehung berufen. Dementsprechend habe der Bund in §4 JWG 1989, BGBl. 1989/161, die Grundsätze über die Jugendfürsorge so bestimmt, daß Träger der öffentlichen Jugendwohlfahrt (Jugendwohlfahrtsträger) das Land sei (Abs1) und die Landesgesetzgebung bestimme, welche Organisationseinheiten die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt zu besorgen hätten (Abs2). Es sei daher zwischen der juristischen Person Land als Rechtsträger und den für den Rechtsträger Land handelnden Organen bzw. Organisationseinheiten zu unterscheiden. Das O.ö. JWG 1991 bezeichne in §4 "Aufgabenverteilung und Zuständigkeit" nicht nur das Land sowie die Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger". Ein Ausführungsgesetz sei verfassungswidrig, wenn es einem Grundsatzgesetz widerspreche. Der OGH habe bereits mehrmals ausgesprochen, daß §4 O.ö. JWG 1991 in der Terminologie von §4 JWG 1989 dadurch erheblich abweiche, daß dort nicht nur das Land sowie Städte mit eigenem Statut und Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörden als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet werden würden und damit nicht zwischen Rechtsträgern und Organen unterschieden würde. Gem. §4 Abs2 O.ö. JWG 1991 sei derzeit für die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt die Bezirksverwaltungsbehörde zuständig; sie werde neben der O.ö. Landesregierung als Jugendwohlfahrtsträger bezeichnet. Diese Bestimmung sei daher präjudiziell für die Klärung der Frage, ob die Bezirksverwaltungsbehörde der Stadt Linz verfassungskonform als Jugendwohlfahrtsträger zu Aufgaben der Jugendwohlfahrtspflege verpflichtet werden könne. §4 Abs2 O.ö. JWG 1991 sei verfassungswidrig, da dem Landesgesetzgeber keine Kompetenz zukomme, "neue Jugendwohlfahrtsträger" (gemeint: im Grundsatzgesetz des Bundes dafür nicht vorgesehene Organisationseinheiten als Jugendwohlfahrtsträger) zu bestimmen.
Die Stadt Linz beantrage daher, daß das Land Oberösterreich urteilsmäßig zur Zahlung von S 992.500,-- samt 4 % Zinsen seit Klagserhebung verhalten werde. In ihrem Schriftsatz vom 31.10.2000 dehnte die klagende Partei ihr Begehren auf S 3,959.653,59 aus.
2. Das beklagte Land Oberösterreich hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Sachverhaltsschilderung durch die klagende Partei außer Streit stellt, jedoch die Notwendigkeit der besonders intensiven sozialpädagogischen Betreuung der beiden Minderjährigen verneint. Die Höhe der Klagsforderung hätte mangels jeglicher Unterlagen nicht überprüft werden können. Das beklagte Land Oberösterreich tritt weiters den Klagsvorwürfen mit näherer Begründung entgegen.
Zur Anregung der Landeshauptstadt Linz, §4 Abs1 bis 3 O.ö. JWG 1991 von Amts wegen auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen führt die beklagte Partei folgendes aus:
"§4 Abs1 bis 3 O.ö. JWG 1991 stellen lediglich eine allgemeine Aufgaben- und Zuständigkeitsumschreibung dar. In der gegenständlichen Fallkonstellation bracht auf diese eher allgemeinen Bestimmungen nicht zurückgegriffen werden, finden sich doch die zugrunde liegenden Regelungen dezidiert im §38 Abs1, §40 und §45 O.ö. JWG 1991 in abschließender Form. Es braucht insbesondere nicht auf die im §4 Abs2 normierte subsidiäre Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde zurückgegriffen werden, auch wird der Begriff 'Jugendwohlfahrtsträger' in den für die Entscheidung allenfalls maßgeblichen Bestimmungen nicht einmal erwähnt. §4 Abs1 bis 3 sind nach Auffassung des Landes im Verfahren nach Art137 B-VG nicht anzuwenden."
Die Bestimmung sei daher nicht präjudiziell.
Das beklagte Land räumt ein, daß §4 O.ö. JWG 1991 in der Terminologie von §4 JWG 1989 zwar insoweit abweiche, als in ersterem nicht nur das Land und die Städte mit eigenem Statut und die Sozialhilfeverbände, sondern auch die Landesregierung und die Bezirksverwaltungsbehörde als "Jugendwohlfahrtsträger" bezeichnet würden, hält dies aber aus folgenden Gründen für verfassungsrechtlich unbedenklich:
"Wie aus den Erläuterungen zu §4 O.ö. JWG 1991 aber klar hervorgeht, wollte der Landesgesetzgeber hier keine den Grundsatzbestimmungen widersprüchlichen Regelungen schaffen, sondern wollte damit lediglich bestimmen, welche Organisationseinheiten (Organe) die Aufgaben der Jugendwohlfahrt zu besorgen haben und orientierte sich mit der Begriffsbildung auch an anderen Gesetzen, welche den Begriff des 'Jugendwohlfahrtsträgers' eher undifferenziert verwenden. Der Landesgesetzgeber ist aber - darf doch das Grundsatzgesetz keine Zuständigkeitsbestimmungen im Sinne einer Organisation der Verwaltung der Länder vornehmen - berufen, Organisationseinheiten bzw. Organe mit der Besorgung der jeweiligen Aufgaben zu betrauen. Er hatte dabei unmißverständlich vor Augen, daß Träger der öffentlichen Wohlfahrt als solcher und 'Endpunkt der juristisch-normativen Zuordnung' das Land ist (...). Im übrigen sieht sich auch der Oberste Gerichtshof nicht veranlaßt, die von ihm bereits mehrfach angewendete Bestimmung beim Verfassungsgerichtshof anzufechten, als '... aber nicht anzunehmen sei, daß der Landesgesetzgeber mit der Bezeichnung auch der zur Ausführung der Jugendwohlfahrtsmaßnahmen berufenen Organe als Jugendwohlfahrtsträger bewußt gegen die Grundsätze des JWG 1989 habe verstoßen wollen, sei i. S. einer verfassungskonformen Auslegung davon auszugehen, daß die Bezirksverwaltungsbehörden und die Landesregierung ungeachtet ihrer Bezeichnung als Jugendwohlfahrtsträger im O.ö. JWG nicht als 'Jugendwohlfahrtsträger' im Sinn des §4 Abs1 JWG anzusehen seien', sondern 'sich der oberösterreichische Landesgesetzgeber bloß in der Terminologie vergriffen hat, indem er Rechtsträger und Organe (Organisationseinheiten) nicht auseinanderhielt und §4 O.ö. JWG im Sinne der nunmehr einheitlichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes verfassungskonform verstanden werden kann'(siehe zuletzt 2 Ob 2369/69p).
Im übrigen scheint das Vorbringen der Stadt Linz für den klagsgegenständlichen Fall nur dann zielführend, wenn mit der Bestimmung des §4 O.ö. JWG 1991 auch die konkreten Aufgaben- und Kostentragungsregeln verknüpft werden. Die maßgeblichen Rechtsgrundlagen für die Fragen der Zuständigkeit zur Aufgabenbesorgung und Kostentragung finden sich in den unter II. genannten Bestimmungen des O.ö. JWG 1991. Es kommt dem nach den Kompetenzartikeln des B-VG materiell-rechtlich zuständigen Gesetzgeber nach Literatur und einhelliger Judikatur unbestritten sowohl zu, Aufgaben und Zuständigkeiten zu normieren als auch Regelungen über die Kostentragung zu treffen, welche vom §2 F-VG (Grundsatz der eigenen Kostentragung) abweichen (vgl etwa VfSlg 9507/1982). Die §§44ff. O.ö. JWG 1991 sind solche Kostentragungsregelungen im Sinne des §2 F-VG. Die Länder können eine abweichende Kostentragungsregelung jedenfalls zu Lasten der Gemeinden treffen ... . Darüber hinaus ermächtigt die bundesgrundsatzgesetzliche Bestimmung des §32 Abs2 JWG den Landesausführungsgesetzgeber ausdrücklich zur Bestimmung der Kostenträger."
Das beklagte Land beantragt, die Klage mangels Zulässigkeit zurückzuweisen, in eventu als unbegründet abzuweisen und die klagende Partei in den Prozeßkostenersatz zu verfällen, wobei letztere vor Abschluß des Verfahrens durch Überreichung einer Kostennote ziffernmäßig geltend gemacht würden.
3. Die §§4 und 6 des Landesgesetzes vom 3. Juli über die Jugendwohlfahrt (Oberösterreichisches Jugendwohlfahrtsgesetz - O.ö. JWG 1991), LGBl. Nr. 111/1991 idgF, lauten folgendermaßen:
"§4
Aufgabenverteilung und Zuständigkeit
(1) Die Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt sind von der Landesregierung und von den Bezirksverwaltungsbehörden nach Maßgabe dieses Landesgesetzes zu besorgen; sie sind öffentliche Jugendwohlfahrtsträger und können freie Jugendwohlfahrtsträger (§5) mit der Besorgung nichthoheitlicher Aufgaben betrauen.
(2) Sofern durch Landesgesetz nichts anderes bestimmt wird, sind Aufgaben, deren Erfüllung auf Grund anderer Gesetze und völkerrechtlicher Verträge ausdrücklich dem Jugendwohlfahrtsträger obliegt, von der Bezirksverwaltungsbehörde zu besorgen.
(3) Jugendwohlfahrtsträger im Sinne des §176 und des §176a ABGB ist die Landesregierung, sofern sie gemäß §40 Abs2 zur Durchführung einer Maßnahme der vollen Erziehung (§37) zuständig ist, und zwar insoweit, als es sich um die Übertragung der Pflege und Erziehung (= teilweise Übertragung der Obsorge) handelt sowie um die gesetzliche Vertretung des(r) Minderjährigen bei Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen, die ein Dienst-, Lehr,- oder Ausbildungsverhältnis betreffen.
...
§6
Fachliche Ausrichtung der Jugendwohlfahrt
(1) Öffentliche Jugendwohlfahrt ist unter Beachtung allgemein anerkannter wissenschaftlicher Erkenntnisse in den einschlägigen Bereichen und der daraus entwickelten Methoden zu gewähren.
(2) Bei der Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt ist auf die Entwicklung des(r) Minderjährigen unter Bedachtnahme auf seine (ihre) Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Wenn es zielführend ist, ist auch das gesellschaftliche Umfeld des(r) Minderjährigen einzubeziehen, wobei wichtige soziale Bindungen zu erhalten, zu stärken oder neu zu schaffen sind. Die Zusammenarbeit mit den Erziehungsberechtigten ist anzustreben; nach Möglichkeit sind ihre Wünsche zu berücksichtigen.
(3) Soweit den Bezirksverwaltungsbehörden die Erfüllung der Aufgaben der öffentlichen Jugendwohlfahrt obliegt (§4 Abs1 und 2) unterliegen sie der Fachaufsicht der Landesregierung; sie hat die fachlich richtige Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichenfalls durch Weisung sicherzustellen."
Das V. Hauptstück des O.ö. JWG handelt von den Erziehungshilfen, wobei hinsichtlich des Zustandekommens §35 Abs3 zwischen freiwilliger Erziehungshilfe (um die es sich im vorliegenden Falle nach der Aktenlage handelt) und gerichtlich angeordneter Erziehungshilfe unterscheidet.
Die weiteren hier maßgebenden Bestimmungen dieses Hauptstückes lauten:
"§37
Volle Erziehung
(1) Erscheint eine Unterstützung der Erziehung gemäß §36 im Einzelfall nicht zielführend oder hat sie sich als nicht zielführend erwiesen, so ist dem(r) Minderjährigen volle Erziehung in Form einer Unterbringung in Einrichtungen gem. §19 Abs1 Z. 1 (in einer Pflegefamilie, in einem Heim oder in einer sonstigen Einrichtung, wie z. B. einer sozialpädagogischen Wohngemeinschaft, einem Kinderdorf und dgl.) zu gewähren.
...
§38
Freiwillige Erziehungshilfen
(1) Sind zum Wohl des(r) Minderjährigen Maßnahmen der Erziehungshilfe notwendig und die Erziehungsberechtigten mit der Maßnahme einverstanden, so ist über die Durchführung der Maßnahme eine schriftliche Vereinbarung zwischen den Erziehungsberechtigten und der Bezirksverwaltungsbehörde abzuschließen. Handelt es sich um eine Maßnahme der vollen Erziehung gemäß §37, für deren Durchführung die Landesregierung nach §40 Abs2 zuständig ist, so ist die schriftliche Vereinbarung zwischen den Erziehungsberechtigten und der Landesregierung abzuschließen.
...
§40
Durchführung
(1) Die Durchführung der Erziehungshilfen obliegt nach Maßgabe des Abs2 der Bezirksverwaltungsbehörde, in deren Sprengel der (die ) Minderjährige seinen (ihren) gewöhnlichen, in Ermangelung eines solchen, seinen (ihren/tatsächlichen) Aufenthalt hat.
(2) Die Durchführung der vollen Erziehung in Form einer Unterbringung in einem Heim, einer Wohngemeinschaft oder einer sonstigen Einrichtung im Sinne des §30 obliegt der Landesregierung, wenn es sich um eine(n) Minderjährige(n) handelt, der (die)
1. auf Grund seines (ihres) Sozialverhaltens einer besonders intensiven sozialpädagogischen Betreuung bedarf und
2. das elfte Lebensjahr vollendet hat; in begründeten Einzelfällen ist aber das Alter des(r) betreuungsbedürftigen Minderjährigen nicht zu berücksichtigen.
...
§45
Kosten der vollen Erziehung mit Einverständnis der
Erziehungsberechtigten
(1) Der Sozialhilfeverband bzw. die Stadt mit eigenem Statut, dessen (deren) Wirkungsbereich sich mit dem Sprengel jener Bezirksverwaltungsbehörde deckt, die die Maßnahme der vollen Erziehung eingeleitet hat, hat die Kosten vorläufig zu tragen, die zwischen Einleitung dieser Maßnahme und dem Abschluß einer schriftlichen Vereinbarung zwischen der Bezirksverwaltungsbehörde und den Erziehungsberechtigten gemäß §38 entstehen. Nach Abschluß dieser Vereinbarung verbleibt die vorläufige Kostentragung bei diesem Sozialhilfeverband bzw. dieser Stadt mit eigenem Statut. Die endgültige Kostentragung der Sozialhilfeverbände bzw. der Städte mit eigenem Statut richtet sich nach §46 Abs3.
(2) Wird eine Vereinbarung gemäß §38 zwischen der Landesregierung und den Erziehungsberechtigten abgeschlossen, so hat das Land die Kosten zu tragen. Soweit bereits vor Abschluß dieser Vereinbarung ein vorläufiger Kostenträger gemäß Abs1 erster Satz entstanden ist, hat das Land diesem die bis dahin entstandenen vorläufigen Kosten zu ersetzen.
§46
Kosten der vollen Erziehung gegen den Willen der
Erziehungsberechtigten
(1) Ist im Antrag bei Gericht (§39) die Übertragung der Obsorge an eine Bezirksverwaltungsbehörde begehrt worden oder beabsichtigt das Gericht, von Amts wegen einer Bezirksverwaltungsbehörde die Obsorge zu übertragen, so hat der Sozialhilfeverband bzw. die Stadt mit eigenem Statut, dessen (deren) Wirkungsbereich sich mit dem Sprengel dieser Bezirksverwaltungsbehörde deckt, die Kosten vorläufig zu tragen bzw. zu ersetzen; soll jedoch der Landesregierung die Obsorge übertragen werden, so hat das Land die Kosten vorläufig zu tragen und die allenfalls bisher entstandenen Kosten dem Sozialhilfeverband bzw. der Stadt mit eigenem Statut zu ersetzen.
(2) Wird die gemäß Abs1 ergangene gerichtliche Verfügung rechtskräftig, bleibt die Kostentragung beim vorläufigen Kostenträger gemäß Abs1. Wird jedoch vom Gericht ein anderer als der beantragte Obsorgeberechtigte bestimmt und diese Entscheidung rechtskräftig, so hat
1. wenn anstelle der Bezirksverwaltu
ngsbehörde der Landesregierung die Obsorge übertragen wird, das Land bzw.
2. wenn anstelle der Landesregierung einer Bezirksverwaltungsbehörde die Obsorge übertragen wird, der Sozialhilfeverband bzw. die Stadt mit eigenem Statut, dessen (deren) Wirkungsbereich sich mit dem Sprengel dieser Bezirksverwaltungsbehörde deckt, dem vorläufigen Kostenträger die Kosten zu ersetzen und die Kosten zu tragen.
(3) Für die Ermittlung der endgültigen Pflicht zur Tragung der Kosten durch die Sozialhilfeverbände und Städte mit eigenem Statut gelten die Bestimmungen der §§40 Abs2 und 3, 41 Abs2 und 3, 42 Abs1 und 2 sowie 44 und 48 des O.ö. Sozialhilfegesetzes mit der Maßgabe, daß dem Aufenthalt in einem Heim gemäß §40 Abs3 lita des O.ö. Sozialhilfegesetzes der Aufenthalt in einer Wohngemeinschaft oder sonstigen Einrichtung (§30) gleichzusetzen ist.
§47
Kostenersatz
(1) Die Kosten der vollen Erziehung sind vom (von der) Minderjährigen oder von seinen (ihren) unterhaltsverpflichteten Eltern nach bürgerlichem Recht zu ersetzen.
...
§51
Eigener Wirkungsbereich
Die nach diesem Landesgesetz den Sozialhilfeverbänden und den Städten mit eigenem Statut zukommenden Aufgaben sind Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der Klage erwogen:
1. Die klagende Landeshauptstadt Linz hat für zwei Minderjährige die Durchführung der vollen Erziehung in einem sozialpädagogischen Zentrum übernommen, nachdem das Land Oberösterreich die Übernahme der vollen Erziehung in - nach Ansicht des Landes Oberösterreich - Ermangelung des Vorliegens der Voraussetzungen für diese Übernahme abgelehnt hatte. Die Ablehnung erfolgte nicht in Bescheidform. Die klagende Partei vertritt den Standpunkt, daß die Voraussetzungen zur Übernahme der vollen Erziehung durch das Land gegeben seien, weshalb die beklagte Partei ihr die bislang angelaufenen Kosten ersetzen müsse.
2.1. Nach Art137 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über vermögensrechtliche Ansprüche an den Bund, die Länder, die Bezirke, die Gemeinden und Gemeindeverbände, die weder im ordentlichen Rechtsweg auszutragen noch durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen sind.
2.1.1. Die klagende Partei stützt ihren Anspruch der Sache nach auf den Umstand, daß - ihren Behauptungen zufolge - die O.ö. Landesregierung (bei Fehlen einer Vereinbarung mit den Eltern über freiwillige Erziehungshilfe) zu Unrecht keine Verfügung im Sinne des §40 Abs2 O.ö. JWG getroffen hat. Sie leitet den Anspruch somit daraus ab, daß Behörden des Landes Oberösterreich das O.ö. JWG im gegenständlichen Fall nicht gesetzesgemäß vollzogen haben, woraus der klagenden Stadtgemeinde ein Aufwand in der Höhe der geltend gemachten Klagssumme entstanden sei, welchen sie vom beklagten Land refundiert haben möchte.
2.1.2. Die klagende Stadtgemeinde macht somit einen vermögensrechtlichen Anspruch gegen das Land Oberösterreich geltend, dessen Wurzel im öffentlichen Recht, nämlich im O.ö. Jugendwohlfahrtsgesetz liegt. Der Anspruch ist nicht im ordentlichen Rechtsweg auszutragen, weil weder ein Gesetz die ordentlichen Gerichte ausdrücklich zur Entscheidung darüber beruft noch sich deren Zuständigkeit aus §1 JN herleiten läßt.
2.1.3. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2000 forderte der Verfassungsgerichtshof sowohl die klagende als auch die beklagte Partei auf, dazu Stellung zu nehmen, daß §46 Abs3 O.ö. JWG "für die Ermittlung der endgültigen Pflicht zur Tragung der Kosten durch die Sozialhilfeverbände und Städte mit eigenem Statut" auf die §§40 Abs2 und 3, 41 Abs2 und 3, 42 Abs1 und 2, 44 und 48 des O.ö. Sozialhilfegesetzes verweise, dessen §48 anordne, daß auf Antrag eines Sozialhilfeträgers (in sinngemäßer Anwendung hier: Jugendwohlfahrtsträgers) die Landesregierung über die endgültige Kostentragungspflicht sowie über sonstige Streitigkeiten aus Ersatzansprüchen entscheide, sodaß es den Anschein habe, daß über die klagsgegenständliche Frage der Kostenerstattung die Landesregierung in Bescheidform abzusprechen habe.
2.1.3.1. Die Landeshauptstadt Linz hat eine Äußerung erstattet, in der sie unter nochmaliger Darstellung des Sachverhaltes unter Bekräftigung ihres Rechtsstandpunktes in der Sache zur Anfrage des Verfassungsgerichtshofes die Auffassung vertritt, daß §45 Abs1 O.ö. JWG auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei: es handle sich bei der Bestimmung dieses Paragraphen um ein Kostentragungsreglement zwischen Sozialhilfeverbänden und Städten mit eigenem Statut; diese Norm beziehe sich auf "regionale Kompetenzkonflikte", nicht aber auf inhaltliche Streitigkeiten zwischen der Landesregierung als Jugendwohlfahrtsträger und einem regionalen Jugendwohlfahrtsträger. Die diesbezügliche Kostentragung sei vielmehr in §45 Abs2 leg. cit. geregelt, wonach das Land die Kosten zu tragen habe, wenn eine Vereinbarung gem. §38 O.ö. JWG zwischen der Landesregierung und den Erziehungsberechtigten abgeschlossen werde; dies sei nicht erfolgt, weshalb die klagende Partei eine solche Vereinbarung abgeschlossen habe. Streitfälle "um die inhaltliche Zuständigkeit gem. §40 Abs2 zwischen der O.ö. Landesregierung als Jugendwohlfahrtsträger einerseits und den Sozialhilfeverbänden und Städten mit eigenem Statut andererseits (seien) keinem ordentlichen Rechtsmittel zugänglich (ge)macht". Wenn der Verfassungsgerichtshof dieser "Argumentation nicht näher treten" könne, werde vorgebracht, daß andernfalls die Landesregierung über finanzielle und inhaltliche Streitigkeiten abzusprechen habe, bei denen sie selbst Entscheidungsträger und gleichzeitig Partei sei, weshalb dann Befangenheit vorläge.
Mit demselben Schriftsatz dehnt die klagende Landeshauptstadt Linz die Klage um weitere, bis zum 30.9.2000 angefallene Kosten auf einen Gesamtbetrag von S 3.959.653,59 aus.
2.1.3.2. Das beklagte Land hat zu der vom Verfassungsgerichtshof aufgeworfenen Rechtsfrage im gleichen Sinne wie die klagende Partei Stellung genommen: §48 Abs1 O.ö. Sozialhilfegesetz betreffe nicht Streitigkeiten zwischen dem Land und einer Stadt mit eigenem Statut.
2.2. Der Anspruch ist aus folgenden - im Ergebnis mit der Argumentation der Parteien des Verfahrens übereinstimmenden - Gründen nicht durch Bescheid einer Verwaltungsbehörde zu erledigen:
2.2.1. Das O.ö. Jugendwohlfahrtsgesetz unterscheidet in §45, welcher die hier strittigen Kosten der vollen Erziehung mit Einverständnis der Erziehungsberechtigten regelt, zwischen vorläufiger Kostentragung (die sich gem. §45 Abs1 leg. cit. nach der örtlichen Zuständigkeit der Bezirksverwaltungsbehörde richtet) und der endgültigen Kostentragung, die sich nach dem Wortlaut des §45 Abs1 letzter Satz O.ö. JWG "nach §46 Abs3" richtet. In beiden Fällen wird die Kostentragung nicht den Gebietskörperschaften als Jugendwohlfahrtsträger (somit aber auch nicht dem Land), sondern nur den Sozialhilfeträgern (ds die Sozialhilfeverbände und die Städte mit eigenem Statut) auferlegt. Nur auf deren Kostentragung bezieht sich daher die Verweisung auf §46 Abs3 O.ö. JWG und in weiterer Folge daher die dort angeordnete sinngemäße Anwendung von Bestimmungen des O.ö. Sozialhilfegesetzes.
2.2.2. Eine ausdrückliche (vorläufige oder endgültige) Verpflichtung des Landes (welches nicht Sozialhilfeträger ist) enthält erst §45 Abs2 O.ö. JWG, und dies nur für den Fall, daß das Land eine Vereinbarung nach §38 leg. cit. (das wäre eine Vereinbarung über die Erziehungshilfe, zu deren Durchführung das Land gem. §40 Abs2 leg. cit. zuständig ist) mit den Erziehungsberechtigten abgeschlossen hat.
2.2.3. Da es im vorliegenden Fall um die strittige Frage der Kostentragung entweder durch einen der Sozialhilfeträger oder durch das Land geht, sich die sinngemäße Anwendung des §48 des O.ö. Sozialhilfegesetzes auf eine solche Konstellation aber nicht bezieht und auch nach keiner anderen gesetzlichen Bestimmung ein solcher Streit durch Entscheidung einer Verwaltungsbehörde zu erledigen ist, erweist sich die Klage nach Art137 B-VG somit als zulässig.
3. Die Klage ist aber nicht begründet:
3.1. Die klagende Partei stützt ihren Anspruch denn auch darauf, daß sie einen Aufwand gemacht habe, den nach dem Gesetz die beklagte Partei hätte machen müssen; sie macht der Sache nach also einen Verwendungsanspruch iS des §1042 ABGB, dessen Anwendbarkeit auch auf im öffentlichen Recht wurzelnde Sachverhalte der Verfassungsgerichtshof bereits im Erkenntnis VfSlg. 8178/1977 bejaht hat, geltend.
3.2. Dem steht zunächst §45 Abs2 O.ö. JWG entgegen: danach hat das Land die Kosten dann zu tragen, wenn es mit den Erziehungsberechtigten gem. §38 O.ö. JWG eine Vereinbarung abgeschlossen hat. Unter dieser Voraussetzung hat das Land auch dem vorläufigen Kostenträger nach §45 Abs1 die bis dahin entstandenen Kosten zu ersetzen. Die Verlagerung der Kostentragung auf das Land hängt somit nach dem Wortlaut der genannten Bestimmung nicht davon ab, wie sich das Land (nach Auffassung der klagenden Partei: richtigerweise) hätte verhalten sollen, sondern davon, ob das Land die Maßnahme iSd. §40 Abs2 leg. cit. für notwendig hält.
Das O.ö. JWG überantwortet die Letztentscheidung in strittigen Betreuungsfragen der Landesregierung. Diese hat gem. §6 Abs3 O.ö. JWG nicht nur die Fachaufsicht über die Bezirksverwaltungsbehörden auszuüben, sondern nach dem letzten Halbsatz dieser Gesetzesstelle auch "die fachlich richtige Erfüllung dieser Aufgaben erforderlichenfalls durch Weisung sicherzustellen". Auch nach §40 Abs4 O.ö. JWG haben Organe der Landesregierung die für den Betreuungsbedarf iS des §40 Abs2 leg. cit. "maßgeblichen Verhältnisse festzustellen".
3.3. Es kann auf sich beruhen, ob die klagende Stadtgemeinde (die das O.ö. JWG im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben gem. §51 leg. cit. im eigenen Wirkungsbereich zu vollziehen hat) durch ein gesetzwidriges Verhalten der beklagten Partei im hier maßgebenden Zusammenhang der Kostentragung für Maßnahmen der Erziehungshilfe in ihrem gem. Art118 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Selbstverwaltung oder in ihrem Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz verletzt sein könnte und ihr für diesen Fall - in gegebenenfalls verfassungskonformer Interpretation des O.ö. JWG (insbesondere ungeachtet dessen §45 Abs2) - ein Verwendungsanspruch iS des §1042 ABGB zuerkannt werden müßte, weil eine solche Grundrechtsverletzung nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nur im Falle einer groben, Willkür gleichzusetzenden Rechtsverletzung durch Organe des beklagten Landes vorläge (vgl. die dem Erkenntnis VfSlg. 7459/1974 folgende ständige Rechtsprechung, zuletzt zB VfSlg. 15.230/1998), eine derartige Rechtsverletzung nach der Aktenlage hier jedoch auszuschließen ist:
Der vom Magistrat der klagenden Stadt der zuständigen Fachabteilung des Amtes der Landesregierung übermittelte "Situationsbericht-Begründung" betreffend die in Rede stehenden Minderjährigen vom 1. August 1995 legt das familiäre Umfeld und das sozial unangepaßte Verhalten der Minderjährigen dar, aufgrund dessen sich die Eltern entschlossen hätten, "eine längerfristige sozialtherapeutische Behandlung" zu beantragen. Ziel der Unterbringung sei eine Unterbrechung der Entwicklung in Richtung Delinquenz; es werde die Unterbringung "in einer Einrichtung mit sehr klaren Regeln und Konsequenzen und der Möglichkeit intensiver individueller Betreuung für sinnvoll erachtet", sowie, eine "interne Beschulung" anzustreben. Vom Erfordernis einer "besonders intensiven sozialpädagogischen Betreuung" der Kinder ist in diesem Bericht nicht die Rede. Es könnte daher den Organen des beklagten Landes nach dem in Betracht gezogenen Prüfungsmaßstab nicht entgegengetreten werden, wenn sie - bei gleichzeitiger Zustimmung zu der vom Magistrat vorgeschlagenen Maßnahme der vollen Erziehung - in ihrem Schreiben vom 16. August 1995 mit eingehender Begründung den Bedarf nach einer (zusätzlichen) besonders intensiven sozialpädagogischen Betreuung verneinten. Einen solchen Bedarf formulieren im übrigen auch weder die aktenkundigen (freilich offenbar nicht der beklagten Partei übermittelten) "Entwicklungsberichte" des sozialpädagogischen Zentrums Gleink vom 23. Oktober 1996 und vom 2. Dezember 1996, noch das in der Klage als "Gutachten" bezeichnete Schreiben dieser Einrichtung vom 29. Jänner 1997, in dem - ohne Darstellung eines Befundes über die Entwicklungssituation und sonstiger Beurteilungsgrundlagen - lediglich behauptet wird, daß bei beiden Jugendlichen "aufgrund der derzeitigen Entwicklungssituation weiterhin eine besonders intensive sozialpädagogische Betreuung notwendig" sei. Von einer willkürlichen Verneinung des Vorliegens der Voraussetzungen des §40 Abs2 O.ö. JWG durch das beklagte Land kann somit nicht die Rede sein.
4. Das Klagebegehren war daher abzuweisen. Dabei war der (nach Auffassung der klagenden Partei verfassungswidrige) §4 des O.ö. JWG nicht anzuwenden.
5. Der Kostenausspruch gründet sich auf §41 VerfGG 1953. Die den Kostenersatz ansprechende beklagte Partei hat ihre Kosten nicht ziffernmäßig verzeichnet. Allein schon deshalb hat sie gemäß §54 Abs1 ZPO, der gemäß §35 VerfGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof sinngemäß anzuwenden ist, keinen Ersatzanspruch (VfSlg. 9280/1981, 10.889/1986, 11.939/1988).
Kosten waren daher nicht zuzusprechen.
6. Diese Entscheidung konnte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden (§19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953).
Schlagworte
Gemeinderecht, Selbstverwaltungsrecht, Jugendfürsorge, VfGH / Klagen, VfGH / PrüfungsmaßstabEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:A2.1997Dokumentnummer
JFT_09998788_97A00002_00