TE Vwgh Erkenntnis 2004/7/22 2001/20/0496

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Veröffentlicht am 22.07.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §45 Abs2;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des I (geboren 1971) in W, vertreten durch Dr. Georg Hahmann, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 25, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 20. April 2001, Zl. 220.682/0-XIV/08/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei kurdischer Abstammung, gelangte am 17. Oktober 2000 in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 14. Dezember 2000 führte er im Wesentlichen aus, er sei Kurde und werde diskriminiert, weil er die HADEP gewählt habe. Um wegen dieses Umstandes nicht von Gendarmen festgenommen zu werden, sei er aus seinem Dorf nach Istanbul gezogen. Dort habe er als Maurer gearbeitet und auf Baustellen geschlafen; er habe in Istanbul keinen "festen Wohnsitz" gehabt und sei deshalb nicht gefunden worden. Gendarmen hätten in seinem Heimatdorf mehrmals nach ihm gesucht, sodass er dorthin nicht mehr zurück könne. Er sei "nie aktiv politisch tätig" gewesen, sei aber Mitglied der HADEP. In Istanbul habe er sich "ständig verstecken" müssen. Im März 2000 hätten seine Eltern für ihn einen Personalausweis ausstellen lassen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 22. Dezember 2000 gemäß § 7 AsylG ab und stellte fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei sei zulässig. Das Vorbringen des Beschwerdeführers qualifizierte das Bundesasylamt insofern als unglaubwürdig, als der Beschwerdeführer behauptet hatte, dass er in der Türkei von den Behörden gesucht werde. Dass der Beschwerdeführer Mitglied der HADEP sei, wurde vom Bundesasylamt nicht ausdrücklich als unglaubwürdig gewertet; die (Negativ-)Feststellung, es könne "nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in der Türkei von den Behörden gesucht" werde, bezieht sich nicht auf die behauptete Parteimitgliedschaft, auch die beweiswürdigenden Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid beziehen sich nur auf die angebliche Suche nach dem Beschwerdeführer während der Zeit seines Aufenthaltes in Istanbul. Demzufolge führte das Bundesasylamt im Rahmen der rechtlichen Beurteilung auch aus, "die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei allein" rechtfertige eine Asylgewährung nicht.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er ausführte, er sei "Anhänger und engagierter Aktivist der HADEP" und sei auch in Istanbul von Benachteiligungen und Repressalien durch die türkischen Behörden bedroht gewesen. Seine Abschiebung in die Türkei sei unzulässig, weil er im Falle seiner Abschiebung "sicherlich festgenommen" würde und als Kurde im Falle seiner Rückkehr "massivsten Menschenrechtsverletzungen, wie etwa Folterungen, Beschimpfungen, aber auch dem sogenannten 'Verschwindenlassen' ausgesetzt" sei, Dies ergebe sich aus einer näher bezeichneten, der belangten Behörde bereits in mehreren Verfahren vorgelegten Dokumentation des "Fördervereines Niedersächsischer Flüchtlingsrat" über die Rückkehrgefährdung von Kurden; diese Dokumentation sei in Zusammenarbeit mit dem "türkischen Menschenrechtsverein IHD" erstellt worden.

Die belangte Behörde beraumte für den 17. April 2001 eine mündliche Berufungsverhandlung an, zu der der Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters geladen wurde. Weder der Beschwerdeführer noch sein Vertreter erschienen zur Verhandlung. Die belangte Behörde führte die Verhandlung in deren Abwesenheit durch. In der Verhandlungsschrift ist vermerkt, dass Länderberichte des deutschen Auswärtigen Amtes, der Österreichischen Botschaft in Ankara und des (deutschen) Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge erörtert worden seien.

Mit dem in der Folge ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Türkei gemäß § 8 AsylG für zulässig. Begründend führte sie zunächst aus, sie schließe sich "in sachverhaltsmäßiger Hinsicht und hinsichtlich der Beweiswürdigung" den Ausführungen des Bundesasylamtes zur Gänze an und erhebe diese zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Darüber hinaus traf die belangte Behörde aufgrund der oben genannten Länderberichte Feststellungen "zur allgemeinen Situation der Kurden in der Türkei" und zur Behandlung von in die Türkei abgeschobenen bzw. abgelehnten Asylwerbern. Schwierigkeiten für Abgeschobene könnten eintreten, wenn sich bei der im Zuge der Einreise jedenfalls erfolgenden "Routinekontrolle" der Verdacht der Mitgliedschaft oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen ergebe. Die Betreffenden würden dann den Sicherheitsbehörden übergeben. Eine in die Türkei zurückkehrende Person werde aber "im Zuge der Routinekontrolle nicht etwa nur wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe misshandelt und gefoltert". Im vorliegenden Fall sei "nicht hervorgekommen, dass gegen (den) Berufungswerber Verdachtsmomente hinsichtlich einer Verbindung zur PKK jemals vorlagen". Er sei "weder Mitglied der HADEP noch hat er sich aktiv politisch betätigt". Die HADEP habe er zuletzt im Dezember 1995 gewählt. Zudem sei er im Besitz eines gültigen, im März 2000 ausgestellten Personalausweises. Vor diesem Hintergrund sei "in der Gesamtschau keine konkrete, aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers ersichtlich".

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Der angefochtene Bescheid leidet an Begründungsmängeln. Diese betreffen zunächst die Feststellungen der belangten Behörde in Bezug auf die (fehlende) Mitgliedschaft des Beschwerdeführers in der HADEP. Der Beschwerdeführer hat sowohl bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt als auch in seiner Berufung behauptet, Mitglied bzw. (in der Berufung) "Anhänger und engagierter Aktivist" der HADEP zu sein, und das Bundesasylamt hat die Mitgliedschaft des Beschwerdeführers auch nicht ausdrücklich als unglaubwürdig angesehen. Vielmehr hat das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, dass eine bloße Parteimitgliedschaft eine Asylgewährung nicht rechtfertigen könne. Die belangte Behörde hat hingegen im angefochtenen Bescheid festgestellt, dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der HADEP sei. Aus diesem Grund können dem angefochtenen Bescheid auch keine Feststellungen über eine allenfalls bestehende Verfolgungsgefahr für Mitglieder der HADEP entnommen werden. Da sich auch der erstinstanzliche Bescheid damit nicht auseinandersetzt, erweist sich die ohne Bedachtnahme auf entsprechende Berichte angenommene Unglaubwürdigkeit der vom Beschwerdeführer behaupteten individuellen Verfolgung als nicht schlüssig. Ebenso wenig ist es nachvollziehbar und für den Verwaltungsgerichtshof überprüfbar, warum die belangte Behörde - insoweit offenbar von den Annahmen der Behörde erster Instanz abweichend - davon ausgegangen ist, dass der Beschwerdeführer kein Mitglied der HADEP sei.

Ein weiterer Verfahrensmangel liegt insoweit vor, als sich die belangte Behörde bei ihren in Bezug auf die politische und allgemeine Lage in der Türkei getroffenen Feststellungen ausschließlich auf die in der Berufungsverhandlung herangezogenen Länderberichte gestützt hat, ohne sich mit dem vom Beschwerdeführer in seiner Berufung zur Gefährdung von Kurden im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei erstatteten Vorbringen auseinander zu setzen. Dieses Vorbringen, das sich auf eine den Asylbehörden bereits früher vorgelegte Dokumentation stützte, kann jedenfalls nicht von vornherein als irrelevant erkannt werden, sodass die belangte Behörde sich mit diesem Vorbringen auseinander setzen und im angefochtenen Bescheid darlegen hätte müssen, warum sie ausschließlich den erwähnten Länderberichten folgte.

Nach dem Gesagten mangelt es dem angefochtenen Bescheid in Bezug auf die angeführten Feststellungen an einer nachvollziehbaren Begründung. Der Beschwerdeführer hat die Relevanz dieser Verfahrensmängel insofern aufgezeigt, als er weiterhin behauptet, er sei Mitglied der HADEP, und der belangten Behörde vorwirft, auf die deshalb drohende Verfolgungsgefahr nicht ausreichend Rücksicht genommen zu haben. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde, wäre sie von einer Parteimitgliedschaft des Beschwerdeführers in der HADEP ausgegangen und hätte sie sich mit den vom Beschwerdeführer in seiner Berufung zitierten Unterlagen auseinander gesetzt, zu einem anderen Bescheid gelangt wäre.

Der angefochtene Bescheid ist schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben, sodass sich ein Eingehen auf das übrige Beschwerdevorbringen - das in Bezug auf die Behauptung, der Beschwerdeführer habe die hinterlegte Ladung zur Berufungsverhandlung nicht beheben können, weil er über keinen Lichtbildausweis verfüge, im Widerspruch zur Aktenlage steht - erübrigt.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juli 2004

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere Rechtsgebiete freie Beweiswürdigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200496.X00

Im RIS seit

25.08.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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