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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Holeschofsky und Dr. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schlegel-Lanz, in der Beschwerdesache des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 27. Jänner 2004, Zl. VwSen-280714/3/Ga/He, betreffend Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens in Angelegenheit Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Bestimmungen (mitbeteiligte Partei:
ID in W, vertreten durch Dr. Peter Posch und Dr. Ingrid Posch, Rechtsanwälte in 4600 Wels, Eisenhowerstraße 40), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Beschwerde wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung des Aufwandersatzes wird abgewiesen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Wels vom 3. Dezember 2003 wurde die mitbeteiligte Partei für schuldig erkannt, sie habe es als handelsrechtliche Geschäftsführerin und somit als iSd § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung nach außen Berufene der Firma M GmbH (Arbeitgeberin) in W zu verantworten, dass Arbeitnehmer dieser "Firma" auf der Baustelle der E-Heiztechnik (Neubau eines Büro- und Produktionsgebäudes) in H Arbeiten am Flachdach des Gebäudes in einer Höhe von 10 m sowie bei Lichtkuppelöffnungen durchgeführt hätten, obwohl keine Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen angebracht gewesen seien.
Auf Grund der dagegen von der mitbeteiligten Partei erhobenen Berufung wurde dieses Straferkenntnis mit dem vorliegend angefochtenen Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 27. Jänner 2004 gemäß § 66 Abs. 4 AVG sowie den §§ 24, 45 Abs. 1 Z. 3, 51 Abs. 1, 51c und 66 Abs. 1 VStG aufgehoben und das Verfahren eingestellt. Dies begründete die belangte Behörde folgendermaßen:
"Dem spruchgemäß angelasteten Verstoß gegen die Sicherungspflicht bei Baustellenarbeiten unter Absturzgefahr fehlt der Vorwurf einer Tatzeit. Auch der Begründung des (noch innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist erlassenen) Straferkenntnisses kann die Tatzeit nicht entnommen werden. Dort ist nur das Datum der Anzeige des Arbeitsinspektorates (9.10.2003) angeführt. Die Anzeige, die als hier maßgebenden Tattag den 25. September 2003 angibt, war jedoch der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 20. Oktober 2003 (als erste Verfolgungshandlung in diesem Fall) nicht angeschlossen und sie ist der Beschuldigten auch durch keinen anderen strafbehördlichen Akt zur Kenntnis gebracht worden.
Ausgehend davon aber blieb das angefochtene Straferkenntnis, ebenso wie die erste Verfolgungshandlung, in einem aus dem Blickwinkel der Tatkonkretisierung iS des § 44a Z. 1 VStG wesentlichen Sachverhaltselement unbestimmt. Dieser Mangel des Vorwurfs ist einer Richtigstellung durch Präzisierung nicht zugänglich (vgl. z.B. VwGH 11.9.1997, 97/06/0102). Die Einfügung der Tatzeit in den Schuldspruch durch das - an den Abspruch gebundene - Tribunal wäre bereits eine Änderung der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde, weshalb die fehlerhafte Anlastung zu kassieren und die Einstellung des darauf bezogenen Verfahrens zu verfügen war."
In der dagegen erhobenen Beschwerde des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit, beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht am 11. März 2004, wird die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit beantragt. Zutreffend sei, dass im Spruch des Straferkenntnisses der Vorwurf der Tatzeit und somit ein wesentliches Sachverhaltselement fehle. Dies verwirkliche aber nicht den Einstellungsgrund des § 45 Abs. 1 Z. 3 VStG. Aus der Strafanzeige des Arbeitsinspektorates vom 9. Oktober 2003 sei aktenkundig, dass tatsächlicher Tatzeitpunkt der 25. September 2003 gewesen sei. Die Verjährungsfrist gemäß § 31 Abs. 2 VStG ende erst am 25. März 2004. Innerhalb dieser Frist hätte noch eine wirksame Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG gesetzt werden können. Die belangte Behörde wäre berechtigt und gemäß § 66 Abs. 4 AVG auch verpflichtet gewesen, den Tatvorwurf entsprechend zu ergänzen.
Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei erstatteten Gegenschriften. Daraus wird klar, dass die belangte Behörde nicht gewillt war (und ist), eine Verfolgungshandlung an Stelle der Behörde erster Instanz zu setzen und letztere keine gesetzt hat.
Die (Amts-)Beschwerde wurde noch innerhalb offener Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Da die Fristhemmung des § 31 Abs. 3 dritter Satz VStG aber nicht auf die Verfolgungsverjährung anzuwenden ist (vgl. die diesbezüglich eindeutigen Ausführungen im AB BlgNR 16. GP, S. 1, zu BGBl. Nr. 299/1984, sowie in der RV BlgNR 17. GP, S. 9, zu BGBl. Nr.516/1987), ist die Verfolgungsverjährungsfrist am 25. März 2004 abgelaufen, ohne dass eine rechtsgültige (vollständige) Verfolgungshandlung gesetzt worden wäre. Deshalb darf die mitbeteiligte Partei auch im Fall der Aufhebung des vorliegend angefochtenen Bescheides nicht mehr wegen der verfahrensgegenständlichen Übertretung bestraft werden. Das rechtliche Interesse an einer meritorischen Erledigung der vorliegenden Beschwerde ist damit nach ihrer Erhebung weggefallen, womit ein Fall gegeben ist, in dem im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG wegen Gegenstandslosigkeit einzustellen ist (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 22. Februar 2002, Zl. 2001/02/0140, gleichfalls eine "Amtsbeschwerde" betreffend):
Dem Verwaltungsgerichtshof steht bei einer Bescheidbeschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG nämlich nur die Kompetenz zu, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen oder den angefochtenen Bescheid aus den Gründen des § 42 Abs. 2 leg. cit. aufzuheben, nicht aber auch, die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides festzustellen; dies gilt auch im Fall von Beschwerden gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG. Auch im Falle der Aufhebung eines Bescheides auf Grund einer solchen Beschwerde wäre die belangte Behörde gemäß § 63 Abs. 1 VwGG lediglich verpflichtet, "in dem betreffenden Falle" den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (vgl. den genannten Beschluss vom 17. Mai 2000), der belangten Behörde wäre es aber nunmehr - nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist - verwehrt, eine Bestrafung der mitbeteiligten Partei auszusprechen oder eine sonst darauf gerichtete Handlung zu setzen.
Die Beschwerde war daher gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
Gemäß § 58 Abs. 2 VwGG ist der nachträgliche Wegfall des Rechtsschutzinteresses bei der Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde mit ihrer Auffassung die Rechtslage verkannt:
Gemäß § 66 Abs. 4 AVG (diese Vorschrift ist nach § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden) hat die Berufungsbehörde (außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall), sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und dem gemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.
Die belangte Behörde und die mitbeteiligte Partei verkennen, dass "Sache" des gegenständlichen Berufungsverfahrens im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG eine der mitbeteiligten Partei zwar inhaltlich umschriebene, jedoch mangels Anführung eines Tatzeitpunktes oder - raumes zeitlich unlimitiert vorgeworfene Übertretung arbeitnehmerschutzrechtlicher Vorschriften war. Zwar genügt eine derartig weit umschriebene Übertretung nicht den Anforderungen, die an die Konkretisierung einer Verfolgungshandlung bzw. den Spruch eines Strafbescheides zu stellen sind, doch war die belangte Behörde verpflichtet, den aktenkundigen tatsächlichen Tatzeitpunkt, der lediglich ein "minus" zu der von der Behörde erster Instanz vorgeworfenen "Sache" darstellt, innerhalb offener Verfolgungsverjährungsfrist entweder im Rahmen allfälliger durch § 51g Abs. 1 VStG gebotener Beweisaufnahmen zu verfolgen oder durch eine entsprechende Spruchänderung (auch der Berufungsbescheid ist eine Verfolgungshandlung) richtig zu stellen (vgl. zur erstmaligen Verhängung einer Strafe in einem Verfahren, in dem nicht nur dem Beschuldigten ein Berufungsrecht zusteht, das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, Zl. 95/02/0225, im Übrigen neuerlich dieselbe belangte Behörde betreffend).
Soweit die belangte Behörde in der Gegenschrift ausführt, "dieses" ihr vom Beschwerdeführer "wie einer Anklagebehörde zugesonnene erstmalige Setzen einer bisher nicht stattgefundenen Verfolgungshandlung reduziert das Gericht iSd. Artikel 6 Abs. 1 MRK (das Organ iSd. Art. 129 B-VG) auf eine erstinstanzliche Strafverfolgungsbehörde bzw. missdeutet den UVS als Flickschuster eben dieser Strafverfolgungsbehörden", so ist dies - abgesehen von der grob unsachlichen Wortwahl - schon deshalb verfehlt, weil im Verwaltungsstrafverfahren das "Anklageprinzip" (Teilung in ein "anklagendes" und "richtendes" bzw. "urteilendes" Organ) nicht vorgesehen ist (vgl. auch dazu das zitierte hg. Erkenntnis vom 9. Juni 1995, Zl. 95/02/0081). Mit dem Hinweis in ihrer Gegenschrift auf das hg. Erkenntnis vom 26. April 1999, Zl. 97/17/0334, verkennt die belangte Behörde, dass dieses Erkenntnis lediglich eine Aussage zur Tribunalqualität eines Unabhängigen Verwaltungssenates im Hinblick auf eine von diesem erstattete Gegenschrift im verwaltungsgerichtlichen Verfahren enthält. Diese Aussage kann, abgesehen davon, dass sie auf den hier vorliegenden, nicht vergleichbaren Sachverhalt nicht anwendbar ist, auch rein abstrakt nicht so verstanden werden, dass es einem unabhängigen Verwaltungssenat als unparteilichem Tribunal verwehrt sein sollte, eine (erstmalige) Verfolgungshandlung (gleichgültig, in welcher Form) zu setzen.
Sollte die belangte Behörde mit ihren Ausführungen einen Widerspruch zu Art. 6 Abs. 1 MRK aufzeigen wollen, so ist ein solcher nicht zu erkennen (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1995, Zl. 95/02/0225).
Die weiteren Ausführungen der mitbeteiligten Partei in ihrer Gegenschrift, es läge keine strafbare Handlung vor, weil die mitbeteiligte Partei kein Verschulden träfe, sind nicht Inhalt des angefochtenen Bescheides.
Daher wäre der Beschwerde Erfolg beschieden gewesen und war der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz abzuweisen.
Wien, am 23. Juli 2004
Schlagworte
Allgemein Berufungsverfahren Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Besondere Rechtsprobleme Verwaltungsstrafrecht Mangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004020106.X00Im RIS seit
19.10.2004