TE Vwgh Erkenntnis 2004/8/4 2004/08/0018

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Veröffentlicht am 04.08.2004
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
18 Kundmachungswesen;
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ASVG §225 Abs3;
B-VG Art130 Abs2;
GSVG 1978 §115 Abs1 Z1;
GSVG 1978 §115 Abs3;
KundmachungsreformG 2004 Art7 Abs1 Z7;
VwGG §41 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der I in G, vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Radetzkystraße 8/1, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 18. Dezember 2003, Zl. 224.392/2-3/2003, betreffend Anerkennung verspätet entrichteter Beiträge gemäß § 115 Abs. 3 GSVG (mitbeteiligte Parteien: 1. Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1;

2. Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin auf Anerkennung der Wirksamkeit verspätet entrichteter Pensionsversicherungsbeiträge gemäß § 115 Abs. 3 GSVG keine Folge gegeben. In der Bescheidbegründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe am 22. April 2003 diesen Antrag für den Zeitraum von August 1987 bis Oktober 1989 gestellt. Begründet habe sie ihn damit, dass sie wegen des Konkurses vom 16. Dezember 1988 zahlungsunfähig gewesen wäre. Sie wäre unverschuldet in den Konkurs geraten, da die Auftraggeber die Verpflichtungen ihr gegenüber nicht eingehalten hätten; ein besonderer Härtefall läge vor, da ohne die Anerkennung die Wartezeit für eine Invaliditätspension nicht erfüllt wäre. Bezüglich ihrer Einkommens- und Familienverhältnisse habe die Beschwerdeführerin angegeben, dass sie derzeit Notstandshilfe in Höhe von EUR 714,-- bezöge. Ihr Ehemann wäre selbständig, jedoch "ohne Gewinn bzw. Verlust". Die Beschwerdeführerin habe am 12. März 2003 einen Antrag auf Invaliditätspension gestellt. Die Pensionsversicherungsanstalt habe dazu mit Schreiben vom 27. November 2003 mitgeteilt, dass Invalidität der Beschwerdeführerin nicht vorliege. Laut Bekanntgabe der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft habe für die Beschwerdeführerin vom 1. Februar 1986 bis 31. Oktober 1989 Versicherungspflicht in der Pensionsversicherung nach dem GSVG bestanden. Obwohl die Beitragsvorschreibungen rechtzeitig erfolgt seien, seien die Beiträge von 1. August 1987 bis 31. Oktober 1989 (27 Monate) erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist und daher gemäß § 115 Abs. 1 Z 1 GSVG rechtsunwirksam entrichtet worden. Die Wartezeit wäre gemäß § 120 Abs. 6 GSVG zum Stichtag 1. April 2003 erfüllt, wenn 300 Versicherungsmonate vorlägen. Die Beschwerdeführerin habe bisher jedoch lediglich 277 Versicherungsmonate in der Pensionsversicherung aufzuweisen (259 nach dem ASVG und 18 nach dem GSVG). Bei Anerkennung der rechtsunwirksamen Beitragsentrichtung für 23 Monate im Zeitraum vom 1. Dezember 1987 bis 31. Oktober 1989 wäre die Wartezeit für die beantragte Invaliditätspension erfüllt. Die belangte Behörde fährt in der Bescheidbegründung sodann fort, dass § 115 Abs. 3 GSVG nicht dazu herangezogen werden könne, die Voraussetzung für eine Verbesserung der Höhe der Leistung aus der Pensionsversicherung zu schaffen. Der Sinn der Bestimmung sei nur darin zu sehen, Lücken im Versicherungsverlauf zu schließen, um Versicherten die Erfüllung der Wartezeit für eine Leistung aus der Pensionsversicherung zu ermöglichen, soweit es sich nicht um eine vorzeitige Alterspension handle. Die belangte Behörde sehe sich folglich nicht in der Lage, von dem gemäß § 115 Abs. 3 GSVG eingeräumten Ermessen im Sinne des gestellten Begehrens Gebrauch zu machen. Bei Änderung der Sachlage (Vorliegen von Invalidität bzw. Erreichen des Anfallsalters für eine Alterspension) bestünde jedoch die Möglichkeit, einen neuerlichen Antrag auf Wirksamerklärung zu stellen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen. Die mitbeteiligte Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft nahm von einer Stellungnahme ausdrücklich Abstand. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat sich am verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 115 Abs. 3 GSVG in der hier maßgebenden Fassung BGBl. Nr. 586/1980 lautet:

"(3) In Fällen besonderer Härte kann der Bundesminister ... auch Beiträge als wirksam entrichtet anerkennen, die für Zeiten gemäß Abs. 1 Z 1 nach Ablauf des dort bezeichneten Zeitraumes entrichtet werden. Ein Fall besonderer Härte ist insbesondere dann anzunehmen, wenn dem Versicherten ansonst ein Nachteil in seinen versicherungsrechtlichen Verhältnissen erwächst, der unter Berücksichtigung seiner Familien- und Einkommensverhältnisse von wesentlicher Bedeutung ist, und der Versicherte seine Anmeldung zur Versicherung nicht vorsätzlich unterlassen hat, oder wenn die rechtzeitige Beitragsentrichtung infolge unverschuldet eingetretener ungünstiger wirtschaftlicher Verhältnisse des Versicherten unterblieben ist."

Die Bestimmung des § 115 Abs. 3 GSVG räumt dem zur Entscheidung zuständigen Bundesminister Ermessen ein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 1964, Slg. Nr. 6529/A, zur im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 226 Abs. 3 ASVG idF der 9. Novelle).

Art. 130 Abs. 2 B-VG normiert für die Überprüfung von Ermessensentscheidungen einen besonderen Prüfungsmaßstab. Die Ermessensübung kann vom Verwaltungsgerichtshof nur dann als rechtswidrig erkannt werden, wenn die Behörde nicht "im Sinne des Gesetzes", also im Sinne der im Gesetz festgelegten Kriterien der Ermessensübung entschieden hat. Im Hinblick auf diese Einschränkung seiner Befugnis hat der Verwaltungsgerichtshof nur zu prüfen, ob die Behörde unter Einbeziehung der im Gesetz festgelegten Kriterien (noch) eine vertretbare Lösung gefunden hat oder ob ihr ein Ermessensfehler zum Vorwurf gemacht werden muss, das heißt, ob sie bei der Ermessensübung zu berücksichtigende Umstände unbeachtet gelassen, unsachliche Ermessenskriterien herangezogen, die gebotene Abwägung überhaupt unterlassen oder dabei das Gewicht der abzuwägenden Sachverhaltselemente grob verkannt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2003, Zl. 99/08/0111, mwN).

Der Prüfungsmaßstab des Verwaltungsgerichtshofes in Ermessensfragen hat sich seit der Kundmachung des (nur der Rechtsbereinigung dienenden) Bundesverfassungsgesetzes BGBl. I Nr. 100/2003 nicht erweitert: Durch Art. 7 Abs. 1 Z 7 dieses Bundesverfassungsgesetzes wurden, "soweit sie noch in Geltung stehen", die Bestimmungen des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 211/1946 rückwirkend mit 31. Dezember 1999 aufgehoben. Art. 130 Abs. 2 B-VG beruht (ausschließlich) auf dem aufgehobenen Bundesverfassungsgesetz. Art. 130 Abs. 2 B-VG könnte seither als nicht mehr dem Rechtsbestand angehörig angesehen werden. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass der Bundesverfassungsgesetzgeber eine so weitreichende Änderung der Konzeption der Verwaltungsgerichtsbarkeit unter dem Titel einer bloßen "Rechtsbereinigung" hätte bewirken wollen, insbesondere enthalten auch die Gesetzesmaterialien keinen solchen Hinweis. Es ist daher lediglich der Wortlaut des Gesetzes angesichts dessen Zweckbestimmung als völlig verfehlt - weil überschießend - zu erachten und dementsprechend teleologisch zu reduzieren (so zutreffend schon das Erkenntnis des VfGH vom 12. Dezember 2003, A 2/01 ua; vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 18. Dezember 2003, in dem diese Frage noch offen gelassen werden konnte).

Durch § 115 Abs. 3 GSVG sollen in Fällen besonderer Härte nur Lücken im Versicherungsverlauf geschlossen werden. Es muss ein nahezu bis an den Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles heranreichender Versicherungsverlauf vorliegen und dürfen nur ganz geringfügige Versicherungszeiten fehlen. Die Maßnahme des § 115 Abs. 3 GSVG ist hingegen zur Ermöglichung einer solchen Versicherung oder zur bloßen Erhöhung einer Leistung aus der Pensionsversicherung nicht zulässig, sie darf auch nicht der Erlangung einer vorzeitigen Alterspension bei langer Versicherungsdauer dienen (vgl. zur im Wesentlichen gleichlautenden Bestimmung des § 106 Abs. 3 BSVG das hg. Erkenntnis vom 20. September 2000, Zl. 97/08/0497, mwN).

Die Regelung dient also dazu, in den Fällen einer besonderen Härte bei Erreichung des Anfallsalters bzw. bei Invalidität in den Genuss einer Leistung aus der Pensionsversicherung zu gelangen, die sonst deshalb nicht erlangt werden könnte, weil (z.B.) trotz des Vorliegens eines nahezu bis an den Zeitpunkt des Eintrittes des Versicherungsfalles heranreichenden Versicherungsverlaufes voraussichtlich bei Eintritt des Versicherungsfalles eine im Verhältnis zur Gesamtzahl der für die Erfüllung der allgemeinen Voraussetzungen eines Leistungsanspruches erforderlichen Versicherungsmonate nur ganz geringfügige Zeit fehlen würde. Voraussetzung für eine nachträgliche Anerkennung der Wirksamkeit ist auch, dass die Beiträge bereits entrichtet wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000, Zl. 2000/08/0008).

Ausgehend davon, hat die belangte Behörde das Ermessen nicht im Sinne des Gesetzes geübt: Voraussetzung für eine Anerkennung im Sinne des § 115 Abs. 3 GSVG ist zunächst nämlich nicht, dass Invalidität schon vorliegt oder das Anfallsalter für eine Alterspension bereits erreicht ist. Im Lichte der genannten Rechtsprechung kann nicht bloß die Herbeiführung des Eintritts des Versicherungsfalles der vorzeitigen Alterspension für sich allein ein Kriterium für eine positive Ermessensübung darstellen; im Übrigen aber schließt der Umstand, dass ein Pensionsanspruch (etwa beim gegenwärtigen oder eventuell künftigen Vorliegen von Invalidität) erst durch die Anerkennung hergestellt wird, eine solche gerade nicht aus (vgl. das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 23. Februar 2000).

Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. August 2004

Schlagworte

Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen Ermessen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004080018.X00

Im RIS seit

03.09.2004

Zuletzt aktualisiert am

07.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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