TE Vwgh Erkenntnis 2004/8/4 2002/08/0219

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Veröffentlicht am 04.08.2004
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Index

66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz;

Norm

ASVG §67 Abs10;
ASVG §83;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in S vertreten durch Brüggl & Harasser OEG, Rechtsanwälte in 6370 Kitzbühel, Rathausplatz 2/II, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 17. Juli 2002, Zl. Vd-SV-1001-2- 66/3/Ho, betreffend Haftung für Beitragsschuldigkeiten gemäß § 67 Abs. 10 ASVG (mitbeteiligte Partei: Tiroler Gebietskrankenkasse, 6020 Innsbruck, Klara - Pölt - Weg 2), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Schreiben vom 20. April 2001 teilte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse dem Beschwerdeführer mit, dass eine näher bezeichnete GesmbH auf Grund der Beitragsprüfung vom 29. Oktober 1998 Sozialversicherungsbeiträge in der Höhe von S 104.747,68 samt Nebengebühren schulde. Die Einbringlichmachung dieser Forderungen sei nicht möglich gewesen, weil über das Vermögen der Gesellschaft am 6. Oktober 1999 der Konkurs eröffnet worden sei. Das Insolvenzverfahren sei am 21. April 2000 gemäß § 166 KO aufgehoben worden. Im Rahmen der Vertretungsmacht als Geschäftsführer dieser Gesellschaft sei der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen, die Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den Bestimmungen des ASVG abzurechnen und bei Fälligkeit zu entrichten. Nachdem die Beiträge nicht ordnungsgemäß abgerechnet, sondern erst im Rahmen der Beitragsprüfung nachverrechnet worden seien, liege nach Ansicht der Gebietskrankenkasse eine fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht vor. Der Beschwerdeführer werde andernfalls ersucht, entsprechende "Schuldausschließungsgründe darzulegen".

Darauf replizierte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 4. Mai 2001, worin er insbesondere jede fahrlässige Verletzung einer Sorgfaltspflicht bestritten hat. Ein näher bezeichneter zweiter Geschäftsführer sei selbständig zeichnungsberechtigt gewesen und es sei jahrelange ständige Übung gewesen, dass sich ausschließlich dieser unter Zuhilfenahme eines Steuerberaters um die Erfüllung der Sozialversicherungsbeiträge kümmere.

Einer Aufstellung der Entgelts- und Beitragsdifferenzen vom 7. Oktober 1998 für den Zeitraum vom 1. Juni 1995 bis 31. Dezember 1997 ist zu entnehmen, dass für insgesamt drei Dienstnehmer Beiträge nachverrechnet wurden, nämlich für den Beschwerdeführer, für den zweiten Geschäftsführer und für eine "Aushilfe". Während dies im Falle der beiden Geschäftsführer auf Grund von Beitragsdifferenzen, die sich aus höheren Beitragsgrundlagen "neu" im Verhältnis zu den Beitragsgrundlagen "alt" ergeben haben, geschehen ist, erfolgte die Beitragsnachverrechnung im Falle des weiteren Dienstnehmers (Aushilfe) "neu" (das heißt offenbar: erstmals).

Mit Bescheid vom 27. Juni 2001 sprach die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, dass der Beschwerdeführer verpflichtet sei, einen Betrag von S 104.767,68 zuzüglich Verzugszinsen seit 22. April 2000, in der sich nach § 59 Abs. 1 ASVG jeweils ergebenden Höhe, das seien 8,4 % berechnet von S 104.767,68, unverzüglich nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen zu bezahlen, wobei als Rechtsgrundlage auf § 67 Abs. 10 ASVG verwiesen wurde. Nach der Begründung dieses Bescheides sei der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Gesellschaft verpflichtet gewesen, die Sozialversicherungsbeiträge entsprechend den Bestimmungen des ASVG abzurechnen und bei Fälligkeit zu entrichten. Nachdem die Beiträge nicht ordnungsgemäß abgerechnet wurden und diese im Rahmen der Beitragsprüfung hätten nachverrechnet werden müssen, liege eine fahrlässige Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beschwerdeführers vor. Die vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers vorgebrachten Einwendungen seien jedenfalls nicht geeignet, "die Haftung abzuwenden".

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Einspruch.

Mit dem nun in Beschwerde gezogenen Bescheid vom 17. Juli 2002 hat der Landeshauptmann von Tirol den Einspruch des Beschwerdeführers als unbegründet abgewiesen. Nach einer Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und der von der belangten Behörde angewendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie einem Hinweis auf das Erkenntnis eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofs vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, hielt die belangte Behörde fest, dass das ASVG den Dienstgeber zur Beitragsabfuhr verpflichte und ihn zum Abzug der Dienstnehmeranteile von den ausbezahlten Löhnen ermächtige. Führe der Geschäftsführer die abgezogenen Dienstnehmerbeiträge nicht ab, so verletze er damit die maßgebenden sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften. "Daraus" ergebe sich unzweifelhaft, dass der Beschwerdeführer für die ausständigen Dienstnehmeranteile gemäß § 67 Abs. 10 ASVG die Haftung zu tragen habe. Eine interne Vereinbarung mit dem zweiten Geschäftsführer, wonach dieser mit Unterstützung des Steuerberaters die Leistung der Sozialversicherungsbeiträge übernommen habe, sei nicht geeignet, den Beschwerdeführer von seiner Haftung zu befreien, weil er diesfalls den zweiten Geschäftsführer unzureichend kontrolliert habe. Die belangte Behörde trat in der Begründung weiters dem Vorwurf des Beschwerdeführers entgegen, eine näher bezeichnete Zahlung unrichtig verbucht zu haben.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 67 Abs. 10 ASVG haften (unter anderem) die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht neben den durch sie vertretenen Beitragsschuldnern für die von diesen zu entrichtenden Beiträge insoweit, als die Beiträge infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Vermögensverwalter haften, soweit ihre Verwaltung reicht, entsprechend.

Seit dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/0191, 0192, vertritt der Verwaltungsgerichtshof in nunmehr ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass unter den "den Vertretern auferlegten Pflichten" im Sinne des § 67 Abs. 10 ASVG in Ermangelung weiterer, in den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich normierter Pflichten des Geschäftsführers, im Wesentlichen die Melde- und Auskunftspflichten, soweit diese in § 111 ASVG in Verbindung mit § 9 VStG auch gesetzlichen Vertretern gegenüber sanktioniert sind, sowie die in § 114 Abs. 2 ASVG umschriebene Verpflichtung zur Abfuhr einbehaltener Dienstnehmerbeiträge zu verstehen sind. Ein Verstoß gegen diese Pflichten durch einen gesetzlichen Vertreter kann daher, sofern dieser Verstoß verschuldet und für die gänzliche oder teilweise Uneinbringlichkeit einer Beitragsforderung kausal ist, zu einer Haftung gemäß § 67 Abs. 10 ASVG führen (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 12. Dezember 2000, Zlen. 98/08/00191, 0192).

Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde zunächst das Vorliegen der nach dem erwähnten Erkenntnis eines verstärkten Senates maßgeblichen Haftungsvoraussetzungen einer Meldepflichtverletzung oder der Nichtabfuhr von Dienstnehmerbeiträgen.

Die Beschwerde ist im Ergebnis schon insoweit begründet:

Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse hat bei Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zwischen Dienstgeber- und Dienstnehmerbeiträgen nicht weiter differenziert; den Verwaltungsakten ist nicht zu entnehmen, dass die Gesellschaft in den Beitragsnachverrechnungszeiträumen den betroffenen Dienstnehmern zwar jene Arbeitsentgelte, auf die sie Anspruch gehabt haben, ausbezahlt, die Beiträge aber nicht abgeführt hätte:

Die aktenkundige Aufstellung der Entgelt- und Beitragsdifferenzen für den Zeitraum vom 1. Juni 1995 bis 31. Dezember 1997 lässt nur erkennen, dass die Gebietskrankenkasse teils eine Nachverrechnung für höhere Entgelte vorgenommen hat als jene, die der ursprünglichen Beitragsabrechnung zu Grunde lagen, teils überhaupt erstmals (Dienstgeber- und Dienstnehmer)Beiträge vorgeschrieben hat. Hinsichtlich der Differenzvorschreibungen lassen weder die Verwaltungsakten noch die Begründung des angefochtenen Bescheides erkennen, ob es sich um Nachverrechnungen auf der Grundlage eines (nicht bezahlten) Anspruchslohns oder auf jener eines bezahlten, aber nicht gemeldeten höheren Lohns gehandelt hat. Eine Pflichtverletzung im Sinne des § 114 ASVG käme nur hinsichtlich der Dienstnehmerbeiträge (deren Höhe nicht festgestellt wurde) und nur im zweitgenannten Fall in Betracht.

Wenn Beitragsdifferenzen erstmals oder nachträglich vorgeschrieben werden mussten, so mag dies zwar ein Indiz dafür sein, dass die gesetzlichen Vertreter der Beitragsschuldnerin nach dem Gesetz gebotene Meldungen unterlassen haben. Es bedarf aber zumindest einer Begründung des Bescheides, worin diese Differenz der Beitragsgrundlagen ihre Ursache hat, um beurteilen zu können, ob eine Meldung auch schuldhaft unterblieben ist.

Da der angefochtene Bescheid eine diesbezügliche Begründung nicht enthält, und auch den Verwaltungsakten dazu nichts zu entnehmen ist, blieb der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig; der Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde zu beachten haben, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Haftung für die vom Sozialversicherungsträger geltend gemachten Zinsen den Geschäftsführer nur im Rahmen des § 67 Abs. 10 ASVG träfe, es aber an einer spezifischen sozialversicherungsrechtlichen Verpflichtung des Geschäftsführers im Sinne des erwähnten Erkenntnisses eines verstärkten Senates fehlt, für die Entrichtung der von der insolventen Gesellschaft geschuldeten Nebengebühren zu sorgen (vgl. aus jüngerer Zeit das Erkenntnis vom 13. August 2003, Zl. 2002/08/0088).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf Ersatz der Beschwerdegebühr gerichtete Begehren war im Hinblick auf die auch vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende sachliche Gebührenbefreiung gemäß § 110 ASVG abzuweisen.

Wien, am 4. August 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002080219.X00

Im RIS seit

13.09.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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