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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §45;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Sulyok, Dr. Strohmayer und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Mag. Norbert Mooseder, Rechtsanwalt in 4400 Steyr, Stelzhamerstraße 1, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 8. Februar 2001, Zl. GS8-9722-2001, betreffend Rückerstattung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen (mitbeteiligte Partei: 1. Niederösterreichische Gebietskrankenkasse, 3100 St. Pölten, Dr. Karl Renner Promenade 14- 16, 2. Arbeitsmarktservice Niederösterreich, Landesgeschäftsstelle, 1013 Wien, Hohenstaufengasse 2), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 30. März 2000 und vom 14. April 2000 hat der in Strafhaft befindliche Beschwerdeführer bei der erstmitbeteiligten Partei den Antrag auf Rückerstattung der auf Grund seiner in der Justizanstalt Garsten im Rahmen des Strafvollzuges ausgeübten Tätigkeit geleisteten Arbeitslosenversicherungsbeiträge gestellt. Für den Fall, dass ihm dies versagt werde, hat der Beschwerdeführer den Antrag auf "Überweisung des Arbeitslosenversicherungsanspruches" in seine Heimat Rumänien, in die er unmittelbar nach Verbüßung seiner Strafhaft abgeschoben werde, gestellt.
Mit Bescheid vom 15. November 2000 hat die erstmitbeteiligte Partei diese Anträge zurückgewiesen und hat nach Zitierung der §§ 66a AlVG, 4 und 5 AMPFG ausgeführt, dass die Beitragsentrichtung im Falle des Beschwerdeführers zu Recht erfolgt und deshalb eine Rückforderung gemäß § 69 Abs. 1 ASVG nicht möglich sei. Eine andere Möglichkeit der Rückerstattung sei im Gesetz nicht vorgesehen.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer den als Beschwerde bezeichneten Einspruch vom 28. November 2000 erhoben; darin hat er ausgeführt, dass er nach Verbüßung seiner Haft in seine Heimat nach Rumänien abgeschoben werde und daher schon vom ersten Tage seiner Haft feststehe, dass er niemals die Gelegenheit haben werde, einen allfälligen Anspruch auf Auszahlung des Arbeitslosengeldes in Österreich geltend zu machen. Auf Grund des Fehlens von Vereinbarungen zwischen Rumänien und Österreich könne eine Auszahlung des Arbeitslosengeldes in Rumänien nicht erfolgen, weshalb in der dennoch vorgenommenen Einhebung von Arbeitslosenversicherungsbeiträgen eine "betrügerische Handlung" zu sehen sei, alle eingehobenen Beiträge als zu Ungebühr entrichtet betrachtet werden müssten und aus diesem Grund gemäß § 69 Abs. 1 ASVG rückforderbar seien.
Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch keine Folge gegeben; sie hat den Spruch des angefochtenen Bescheides jedoch dahingehend abgeändert, dass die Anträge des Beschwerdeführers auf Rückerstattung der Arbeitslosenversicherungsbeiträge nicht zurückgewiesen, sondern abgewiesen werden. Begründend hat die belangte Behörde ausgeführt, aus § 66a AlVG ergebe sich eindeutig, dass der Beschwerdeführer in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert sei, weshalb die vom Bund abgeführten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung schon aus diesem Grund nicht als zu Ungebühr entrichtet angesehen und daher nicht gemäß § 69 Abs. 1 ASVG zurückgefordert werden könnten. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes sei es für die Pflichtversicherung in der Sozialversicherung ohne Belang, ob der einzelne Versicherte der Versicherung überhaupt bedürfe. Die "gemeinsamen Interessen" der in der Pflichtversicherung zusammengeschlossenen Personen stünden über den "individuellen Sonderinteressen". Weiters seien privatrechtliche Grundsätze, wie etwa eine Rückforderbarkeit von eingezahlten Beiträgen wegen Wegfalles der Gegenleistung nicht auf die Sozialversicherung anwendbar; im ASVG sei eine Rückzahlung von Beiträgen, für den Fall, dass kein Leistungsanspruch bestehe, nicht vorgesehen (Hinweis auf die Entscheidungen SV-Slg. Nr. 37082 und 37084).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben. Der Beschwerdeführer erachtet sich im Recht auf Rückerstattung von zu Ungebühr entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung verletzt. Dazu führte er im Wesentlichen aus, die belangte Behörde wäre verpflichtet gewesen, § 66a AlVG einschränkend zu interpretieren. Personen, für die bereits feststehe, dass sie dem österreichischen Arbeitsmarkt niemals zur Verfügung stehen würden, könnten nicht der Versicherungspflicht unterliegen. Werde von solchen Personen dennoch ein Arbeitslosenversicherungsbeitrag abgeführt, werde dieser zu Ungebühr entrichtet. Aus dem Gleichheitsgebot ergebe sich die Verpflichtung, nur sachlich gerechtfertigte Differenzierungen vorzunehmen. Eine "solche einschränkende Auslegung" sei auch auf Grund des Art. 1 1. ZP EMRK i.V.m. Art. 14 EMRK vorzunehmen. Eine Abgabenverpflichtung, die "als Versicherungsverhältnis getarnt" sei, greife auf Grund der Inkongruenz der Leistung unverhältnismäßig und ungerechtfertigt in das Eigentumsrecht ein und wirke sich daher im Vergleich zu den übrigen Versicherten zum Nachteil des Beschwerdeführers diskriminierend aus.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und ebenso wie die mitbeteiligte Niederösterreichische Gebietskrankenkasse eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice hat von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 66a Abs. 1 AlVG sind Personen, die sich auf Grund eines gerichtlichen Urteils in Strafhaft oder in einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme nach den §§ 21 Abs. 2, 22 und 23 des Strafgesetzbuches befinden und ihrer Arbeitspflicht gemäß § 44 des Strafvollzugsgesetzes nachkommen, für den Fall der Arbeitslosigkeit versichert.
Für Strafgefangene sind die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gemäß § 66a Abs. 6 leg. cit. an die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse zu entrichten. Hiebei ist der Bund (Bundesministerium für Justiz) einem Dienstgeber gleichzuhalten.
Aus § 66a Abs. 6 AlVG, in der Fassung des Art. VII der Strafvollzugsnovelle 1993, BGBl. Nr. 799, ergibt sich somit die Zuständigkeit der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse für Beitragszahlungen zur Arbeitslosenversicherung für Strafgefangene aus ganz Österreich. In den Gesetzesmaterialien zu § 66a Abs. 6 AlVG, RV 946 BlgNR 18. GP, S. 42, finden sich folgende Ausführungen:
"Abs. 6 und 7 enthalten die für die Fragen Beitragsabfuhr, Meldewesen, Rechtshilfe und Auskunftspflichten erforderlichen Sonderregelungen für die Belange der Strafgefangenen und der Vollzugsanstalten. Zur Vermeidung entbehrlicher Verwaltungsarbeit soll der Bundesminister für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz eine Verordnung über die diesbezüglichen näheren Modalitäten zu erlassen haben. Da rund ein Drittel aller Strafgefangenen in Niederösterreich angehalten wird und auch Zuständigkeitskonflikte bei der Verlegung von Strafgefangenen vermieden werden sollen, soll für diese Belange die Niederösterreichische Gebietskrankenkasse der allein zuständige Krankenversicherungsträger sein."
Gemäß § 45 AlVG sind Streitigkeiten über die Arbeitslosenversicherungspflicht oder über Beiträge zur Arbeitslosenversicherung in dem für die gesetzliche Krankenversicherung geltenden Verfahren zu entscheiden. In diesem Verfahren kommt den Landesgeschäftsstellen des Arbeitsmarktservice Parteistellung zu.
Gemäß § 410 Abs. 1 Z. 7 ASVG hat der Versicherungsträger in Verwaltungssachen einen Bescheid zu erlassen, wenn der Versicherte oder der Dienstgeber die Bescheiderteilung zur Feststellung der sich für ihn aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten verlangt.
Bescheide der Versicherungsträger in Verwaltungssachen können binnen einem Monat nach der Zustellung durch Einspruch an den zuständigen Landeshauptmann angefochten werden (§ 412 Abs. 1 ASVG).
§ 414 ASVG, der die örtliche Zuständigkeit des Landeshauptmannes regelt, lautet:
"Die örtliche Zuständigkeit des Landeshauptmannes richtet sich nach dem für die Versicherung maßgebenden Beschäftigungsort, bei selbständig Erwerbstätigen nach dem Standort des Betriebes, bei dem Fehlen eines solchen nach dem im Inland gelegenen Wohnsitz (Sitz) der einschreitenden Partei, wenn auch dieser mangelt, nach dem Sitz der belangten Partei; ist belangte Partei ein Versicherungsträger, bei dem Landesstellen (Landesgeschäftsstellen) eingerichtet sind, so ist der Standort der Landesstelle (Landesgeschäftsstelle) maßgebend."
Der Einspruch des in Oberösterreich in Strafhaft befindlichen Beschwerdeführers ist zulässig und rechtzeitig. Die Entscheidung über diesen Einspruch oblag dem nach § 414 ASVG zuständigen Landeshauptmann, weil § 66a AlVG zwar für die Behörde erster Rechtsstufe, nicht aber für den Instanzenzug eine Sonderregelung trifft. Für die örtliche Zuständigkeit des Landeshauptmannes erklärt die oben zitierte Bestimmung des § 414 ASVG den "Beschäftigungsort" für maßgebend. Wenn die Arbeit eines Strafgefangenen an sich zur Pflichtversicherung in der Arbeitslosenversicherung führen kann, dann ist der Haftort der "für die Versicherung maßgebende Beschäftigungsort" im Sinne des § 414 ASVG. Dieser liegt im Beschwerdefall in Oberösterreich. Der Landeshauptmann von Niederösterreich war daher zur Entscheidung über den Einspruch örtlich nicht zuständig.
Die aufgezeigte Unzuständigkeit der belangten Behörde wurde zwar vom Beschwerdeführer nicht eingewendet, doch hat die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde auch ohne entsprechende Rüge in der Beschwerde zu erfolgen, weil der Verwaltungsgerichtshof den Mangel der Zuständigkeit der belangten Behörde im verwaltungsgerichtlichen Verfahren von Amts wegen wahrzunehmen hat (vgl. Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, S. 581 und die dort zitierte Judikatur). Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte daher gemäß § 39 Abs. 2 Z. 2 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. August 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001080099.X00Im RIS seit
25.10.2004Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008