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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Strohmayer, Dr. Köller und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, vertreten durch Ullmann-Geiler und Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 6, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 2. Mai 2001, Zl. Vd-SV-1001-1-199/5/Br, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: L in L), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der beschwerdeführenden Gebietskrankenkasse (in der Folge: Beschwerdeführerin) vom 22. September 2000 wurde die mitbeteiligte Partei als Dienstgeberin verpflichtet, an nachverrechneten Beiträgen S 73.774,73 zu bezahlen. Eine Beitragsprüfung bei der mitbeteiligten Partei habe (u.a.) ergeben, dass Sonderzahlungen zu niedrig bemessen und abgerechnet worden seien. Nach dem Kollektivvertrag (für die Angestellten der Sparkassen) würden in jedem Kalenderjahr vier Sonderzahlungen gebühren. Jede dieser Sonderzahlungen bestehe aus der Hälfte des letzten Monatsgehaltes, einer allfälligen Haushaltszulage, einer allfälligen Kinderzulage und allfälliger anderer Zulagen. Bei jenen Angestellten, denen laut Kollektivvertrag eine "Funktionszulage" gebühre, sei diese bei der Berechnung der Sonderzahlungen außer Ansatz geblieben, weshalb die Differenz im Prüfungswege nachzubelasten sei. (Die aus den Sonderzahlungen resultierende Beitragsdifferenz wurde mit S 36.047,73 beziffert. Der wegen Differenzen zu den Jahresbeitragsgrundlagen und Beitragsnachweisungen für 1998 von der Beschwerdeführerin zusätzlich vorgeschriebene Nachrechnungsbetrag von S 37.727,-- ist nicht mehr entscheidungsgegenständlich).
In ihrem gegen diesen Bescheid erhobenen Einspruch wendete die mitbeteiligte Partei - soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung - ein, dass sie ihren Mitarbeitern eine freiwillige monatliche Zulage in Höhe von 5 % der kollektivvertraglichen Einstufung gewährt habe. Neu eintretende Dienstnehmer würden nicht mehr in den Genuss dieser Zulage kommen. Diese Leistungszulage werde zwölfmal jährlich abgerechnet und ausbezahlt. Der Hauptverband der österreichischen Sparkassen habe die Meinung der mitbeteiligten Partei bestätigt, dass es sich dabei um eine überkollektivvertragliche Leistung handle. Es bleibe
somit ihr überlassen, ob sie eine freiwillige Zulage überhaupt gewähre und wenn, ob diese zwölf- oder vierzehnmal ausbezahlt werde.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Einspruch Folge gegeben und den Bescheid der Beschwerdeführerin ersatzlos aufgehoben. Strittig sei nur mehr, ob die freiwillige monatliche Leistungszulage in Höhe von 5 % als "allfällige andere Zulage" im Sinne des § 58 Abs. 2 lit. d des im Nachrechnungszeitraum 1. Jänner 1997 bis 31. Dezember 1999 unstreitig anzuwendenden Kollektivvertrages für die Angestellten der Sparkassen zu werten und damit in die Sonderzahlungen einzubeziehen sei. § 58 Abs. 2 lit. d des Kollektivvertrages spreche von "allfälligen anderen Zulagen", § 60 des genannten Kollektivvertrages hingegen von "sonstigen Zulagen". Diese beiden Begriffe seien nicht deckungsgleich. Es liege im alleinigen Ermessen der mitbeteiligten Partei, wann, an wen und in welcher Höhe sie freiwillig "sonstige Zulagen" im Sinne des § 60 des Kollektivvertrages gewähre. Hingegen würde sich aus dem verpflichtenden Charakter des § 58 des Kollektivvertrages ergeben, dass in die Berechnung der Sonderzahlungen nur jene Entgeltbestandteile einzubeziehen seien, zu deren Leistung die Dienstgeberin verpflichtet sei. Das sei etwa bei der in § 59 des Kollektivvertrages geregelten "Funktionszulage", nicht aber bei den in § 60 des Kollektivvertrages geregelten "sonstige Zulagen" der Fall, die "in völliger Autonomie" gewährt würden. Damit fielen solche Zulagen nicht unter die zwingende Einrechnung bei der Bemessung der Sonderzahlungen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat keine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten vorgelegt. Die mitbeteiligte Partei beantragt in ihrer Gegenschrift, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im vorliegenden Fall maßgebenden Bestimmungen des Kollektivvertrages für die Angestellten der Sparkassen lauten:
"§ 58 Sonderzahlungen
(1) Den Angestellten gebühren in jedem Kalenderjahr folgende Sonderzahlungen:
a)
mit dem Märzgehalt ein Anschaffungsbeitrag,
b)
mit dem Junigehalt ein Urlaubsgeld,
c)
mit dem Septembergehalt ein Bekleidungsbeitrag,
d)
mit dem Novembergehalt ein Weihnachtsgeld.
(2) Jede Sonderzahlung besteht aus der Hälfte
a)
des letzten Monatsgehaltes,
b)
einer allfälligen Haushaltszulage,
c)
allfälliger Kinderzulagen,
d)
allfälliger anderer Zulagen.
(3) ... "
"§ 60 Sonstige Zulagen
Die Sparkasse kann, wenn besondere Umstände vorliegen, ausnahmsweise an einzelne Angestellte oder auch an alle Angestellten sonstige Zulagen für eine bestimmte Zeit oder gegen jederzeitigen Widerruf gewähren."
Für die Bemessung der allgemeinen Beiträge im Sinne des § 49 Abs. 1 ASVG ist nicht lediglich das im Beitragszeitraum an den pflichtversicherten Dienstnehmer tatsächlich gezahlte Entgelt maßgeblich, sondern, wenn es das tatsächlich gezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch des pflichtversicherten Dienstnehmers bestand. Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen. In jenen Fällen, in denen kollektivvertragliche Vereinbarungen in Betracht kommen, hat - entsprechend § 3 ArbVG - zumindest das nach diesen Vereinbarungen den Dienstnehmern zustehende Entgelt die Bemessungsgrundlage für die Sozialversicherungsbeiträge zu bilden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Jänner 2002, Zl. 2001/08/0225). Auch bei der Bemessung von Sonderbeiträgen (§ 54 Abs. 1 ASVG) auf der Grundlage von Sonderzahlungen im Sinne des § 49 Abs. 2 ASVG kommt es auf den Anspruchslohn oder auf das (höhere) tatsächlich geleistete Entgelt an.
Strittig ist, ob die den Dienstnehmern der mitbeteiligten Partei gewährten "sonstigen Zulagen" im Sinne des § 60 des hier anzuwendenden Kollektivvertrages für die Angestellten der Sparkassen in die nach § 58 des Kollektivvertrages zustehenden Sonderzahlungen einzurechnen seien.
Der normative Teil von Kollektivverträgen ist nach ständiger Judikatur nach den für Gesetze geltenden Auslegungsregeln (§§ 6 bis 8 ABGB) auszulegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 5. Juni 2002, Zl. 99/08/0048). Nach § 6 ABGB darf einem Gesetz in der Anwendung kein anderer Verstand beigelegt werden, als welcher aus der eigentümlichen Bedeutung der Worte in ihrem Zusammenhange und aus der klaren Absicht des Gesetzgebers hervorleuchtet. Demgemäß hat jede Interpretation zunächst mit der wörtlichen Auslegung der strittigen Norm "in ihrem Zusammenhang", d.h. unter Beachtung der sachlich zusammengehörigen Normen und der darin zum Ausdruck kommenden "Absicht des Gesetzgebers" (der Kollektivvertragsparteien) zu beginnen. Auf die Absichten der Kollektivvertragsparteien (historische Interpretation) kommt es daher nur insoweit an, als diese im Wortlaut des Kollektivvertrages ihren Niederschlag gefunden haben und die Regelung selbst zulässig ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juni 1990, Zl. 90/08/0028).
Der hier maßgebende Kollektivvertrag regelt im Rahmen der Besoldungsordnung in Punkt I. unter der Überschrift "Ordentliche Dienstbezüge" in § 55 das Monatsgehalt, in § 56 die "Haushaltszulage", in § 57 die "Kinderzulage", in § 59 die "Funktionszulage" und in § 60 "Sonstige Zulagen". Gemäß § 58 Abs. 2 des Kollektivvertrages besteht jede Sonderzahlung aus der Hälfte des letzten Monatsgehaltes, einer allfälligen Haushaltszulage, allfälliger Kinderzulagen und allfälliger anderer Zulagen. Es kann daher kein Zweifel daran bestehen, dass unter den in lit. d genannten "anderen Zulagen" jedenfalls die (zuvor nicht ausdrücklich nochmals erwähnte) Funktionszulage (§ 59) und die sonstigen Zulagen (§ 60) zu verstehen sind, ganz gleich, ob diese Zulagen von der mitbeteiligten Partei (ursprünglich) "freiwillig" (gemeint i.S. von "über den Kollektivvertrag hinausgehend") oder "verpflichtend" gezahlt werden (vgl. in diesem Zusammenhang das die "freiwillige Zahlung" von Treueprämien betreffende hg. Erkenntnis vom 20. Juni 2001, Zl. 96/08/0291).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. August 2004
Schlagworte
Entgelt Begriff Anspruchslohn KollektivvertragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001080087.X00Im RIS seit
03.09.2004