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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art133 Z4Leitsatz
Verstoß gegen Art6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im VergabeamtSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor einem unabhängigen und unparteiischen Tribunal verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist verpflichtet, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit S 29.500,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. a) Die Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH (im folgenden: Auftraggeberin) hat mit Bekanntmachung vom 8. März 1999 "Instandhaltungsarbeiten im Bereich der Heizung, der Sanitäre und der Lüftung für die Landeskrankenhäuser Innsbruck, Hochzierl, Natters und Hall" im offenen Verfahren ausgeschrieben. Zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung am 19. April 1999 lagen fünf Angebote vor, unter ihnen eines der beschwerdeführenden Gesellschaft. Nach Anbotseröffnung trat die vergebende Stelle in die Angebotsprüfung ein. Aufgrund von Zweifeln an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der beschwerdeführenden Gesellschaft sowie aufgrund von Bedenken hinsichtlich der verlangten firmenmäßigen Fertigung ihres Angebotes wurde die beschwerdeführende Gesellschaft aufgefordert "entsprechende Unterlagen" betreffend ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit beizubringen. Diesem Ansuchen meinte die beschwerdeführende Gesellschaft in verschiedener Form Rechnung getragen zu haben. Da sie dennoch befürchtete, daß ihr Angebot ausgeschieden werden würde, stellte sie am 31. Mai 1999 einen Antrag auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens samt Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung im Sinne der §§17 und 18 Tiroler Vergabegesetz (im folgenden: TirVergG) beim Tiroler Landesvergabeamt (TVA). Dieses erließ am 2. Juni 1999 eine einstweilige Verfügung, mit der der Auftraggeberin für die Dauer von zwei Monaten untersagt wurde, im Vergabeverfahren den Zuschlag zu erteilen. Dabei wurde auch eine Hemmung der Zuschlagsfrist für die Dauer von zwei Monaten verfügt. Im durchgeführten Nachprüfungsverfahren stellte sich heraus, daß bis zu diesem Zeitpunkt seitens der Auftraggeberin noch keine Entscheidung getroffen war, das Angebot der beschwerdeführenden Gesellschaft auszuscheiden, weshalb der Nachprüfungsantrag zurückgezogen wurde.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1999 teilte die Auftraggeberin der beschwerdeführenden Gesellschaft jedoch mit, daß ihr Angebot gemäß §52 Abs2 BVergG iVm §5 TirVergG ausgeschieden werden müßte, weil es keine firmenmäßige Fertigung aufweise und deshalb der Ausscheidungstatbestand des §52 Abs1 Z8 BVergG vorliege. Aufgrund eines Artikels in einer Tageszeitung habe zudem der Verdacht auf mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit gemäß §52 Abs1 Z1 BVergG bestanden, ein Aufklärungsversuch sei mit Schreiben vom 19. Mai 1999 unzureichend beantwortet worden. Die beschwerdeführende Gesellschaft beantragte daraufhin beim TVA neuerlich die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens und die Erlassung einer einstweiligen Verfügung. Mit Bescheid vom 20. Juli 1999, ZVG75/10, hob das TVA eine in diesem Verfahren zuvor ergangene einstweilige Verfügung vom 8. Juli 1999, wonach der Auftraggeberin für die Dauer von zwei Monaten untersagt wurde, den Zuschlag zu erteilen, mit Wirkung vom 14. Juli 1999 bzw. die mit dieser einstweiligen Verfügung ausgesprochene Hemmung der Zuschlagsfrist auf. Der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft, die Entscheidung der Auftraggeberin, ihr Angebot wegen Fehlens einer firmenmäßigen Fertigung oder wegen wirtschaftlicher Unzuverlässigkeit auszuscheiden, für nichtig zu erklären, wurde abgewiesen.
b) Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die Abweisung der Beschwerde begehrte.
Auch die als mitbeteiligte Partei dem Verfahren beigezogene Auftraggeberin Tiroler Landeskrankenanstalten GmbH erstattete eine Äußerung, in der sie beantragte, der Beschwerde keine Folge zu geben.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige (vgl. zB VfSlg. 14.499/1996) Beschwerde erwogen:
1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.565/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:
Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörden im Sinne des Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.
Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Tribunals widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall war, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig wurden:
Zum maßgeblichen Zeitpunkt waren Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fielen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, war es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt wurden, die zu einer Befassung des TVA führen konnten und wurde andererseits der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt wurde. So trägt auch die in diesem Verfahren erstattete Gegenschrift der belangten Behörde eine Aktenzahl der Präsidialabteilung IV.
Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art6 EMRK. Da die Fragen, über die das TVA abzusprechen hatte, civil rights jener als Bieterin auftretenden Gesellschaft, deren Angebot ausgeschieden wurde, betreffen, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant.
Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 4.500,-- auf die Umsatzsteuer.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Vergabewesen, Kollegialbehörde, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1473.1999Dokumentnummer
JFT_09998787_99B01473_00