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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des S in W, geboren 1952, vertreten durch Dr. Hans Pritz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Herrengasse 5, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Mai 2003, Zl. 235.968/0-IV/44/03, betreffend § 6 Z 1, § 8 und § 15 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren des Beschwerdeführers wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro (ehemals Bundesrepublik Jugoslawien), stammt aus dem Kosovo und gehört der serbischen Volksgruppe an. Der Beschwerdeführer verließ im Jahre 1990 auf Grund der nationalistischen Spannungen zwischen Kosovo-Albanern und Serben mit seiner Familie den Kosovo und zog nach Obrenovac (Serbien). In den Jahren 1991 bis 1997 arbeitete der Beschwerdeführer als Gastarbeiter in Österreich. 1997 kehrte er zu seiner Familie nach Obrenovac zurück, wo ihm ein Reisepass der Bundesrepublik Jugoslawien ausgestellt wurde. Im Juli 2002 reiste der Beschwerdeführer nach Österreich ein und stellte am 30. Juli 2002 einen Antrag auf Gewährung von Asyl, den er damit begründete, in der Bundesrepublik Jugoslawien unter asylrelevanter Bedrohung zu stehen und in keinem anderen Land Schutz vor Verfolgung gefunden zu haben. Bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 18. März 2003 gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass er gehört habe, dass man seinen Aufenthalt in Österreich durch die Stellung eines Asylantrages legalisieren könne und er deshalb einen Asylantrag stelle.
Mit Bescheid vom 20. März 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab (Spruchteil I) und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Serbien und Montenegro zulässig sei (Spruchpunkt II). Das Bundesasylamt begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass dem Vorbringen des Beschwerdeführers keinerlei Umstände zu entnehmen seien, dass er in Serbien und Montenegro Verfolgungen ausgesetzt gewesen sei und nicht davon ausgegangen werden könne, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in Serbien und Montenegro der Gefahr einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen wäre.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er darauf hinwies, dass er durch die Ereignisse der letzten 15 Jahre im Kosovo entwurzelt sei, da gegen ihn und seine Familie gerichtete Drohungen der albanischen Volksgruppe im Kosovo ihn dazu bewogen hätten, den Kosovo zu verlassen und sich in Obrenovac (Serbien) niederzulassen. Da er dort keine Arbeit habe finden können und somit die Existenz seiner Familie auf dem Spiel gestanden sei, habe er seine Heimat im Fluchtwege verlassen müssen. Zusätzlich stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 AsylG.
In der von der belangten Behörde durchgeführten mündlichen Verhandlung brachte der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen vor:
"VL: Sagen Sie mir zunächst, wo Sie zuletzt in Jugoslawien aufhältig waren und was Sie dort gemacht haben!
BW: Ich bin aus dem Kosovo, ich habe im Kosovo gelebt und dann, als man im Kosovo nicht mehr bleiben konnte, bin ich dann nach Serbien gegangen. Es war keine Möglichkeit, dass ich dort noch wohnen hätte dürfen. Ich habe 3 Kinder und eine Mutter, die Invalidin ist und der das linke Bein amputiert wurde. Der Vater ist dann mit mir nach Obrenovac, das ist in Serbien, gegangen. Das war 1990.
...
VL: Warum stellen Sie diesen Asylantrag? Was sind Ihre Gründe?
BW: Im Kosovo hatte ich keinerlei Lebensgrundlage und musste alles zurücklassen, mein Haus, mein Grundstück, mein ganzes Hab und Gut. Die Situation im Kosovo ist auch jetzt so, dass ich dort nicht arbeiten könnte. Ich habe für 3 Kinder aufzukommen und es wäre mir sehr geholfen, wenn man mir neuerlich Arbeitspapiere für Österreich geben könnte. Ich bin Facharbeiter und habe hier als Schweißer 6 oder 7 Jahre lang gearbeitet. Man hat mir ein super Zeugnis ausgestellt. Nachdem eine Rückkehr in den Kosovo für mich unmöglich ist, ersuche ich um Verlängerung bzw. Neuausstellung von Arbeitspapieren für Österreich. Ich habe hier auch einen Fachbrief, der bescheinigt, dass ich als Schweißer gearbeitet habe.
VL: Sie haben ja den Kosovo schon vor mehr als 12 Jahren verlassen. Sie und Ihre Familie hat ja mittlerweile in Serbien gelebt.
BW: Dort lebt man als Flüchtling in Baracken, das sind befristete Unterkünfte, so wie sie eben allen Flüchtlingen gegeben werden.
VL: Ich habe Ihrem Reisepass entnommen, dass dieser in Serbien ausgestellt wurde.
BW: Das Problem war, ich musste mich in der Gemeinde melden, wo ich mich aufhielt.
VL: Dort haben Sie sich offensichtlich im Jahr 2000 aufgehalten, bis es zur Passausstellung gekommen ist. Die Passausstellung zeigt auch, dass Sie als Staatsangehöriger der BR Jugoslawien akzeptiert sind!
BW: Ja, sicherlich als Serbe musste ich aus dem Kosovo so wie die anderen Serben nach Serbien. Unsere Dokumente waren lange Zeit im Kosovo verwahrt. Unlängst wurden aber die Dokumente aller serbischen Flüchtlinge aus dem Kosovo nach Nis geschickt. Dies bedeutet, dass wir nach Nis gehen müssen, wenn wir irgendwelche standesamtlichen oder sonstige Dokumente brauchen.
...
VL: Was würden Sie befürchten, wenn Sie zurückkehren müssten nach Serbien und Montenegro? Ich spreche nicht über Kosovo!
BW: Man behandelt uns wie nicht erwünschte Personen. Wir sind ständig Erniedrigungen ausgesetzt. Wenn man Arbeit bekommt, dann reicht das gerade ein Mal, um etwas für den Magen zu bekommen und zu überleben.
VL: Wenn Sie hier von Erniedrigungen sprechen. Von wem geht diese Erniedrigung aus und worin besteht diese Erniedrigung?
BW: Wir sind dort viele Flüchtlinge. Wenn jemand einen Arbeiter privat braucht, holt er sich einen von uns, lässt ihn arbeiten, zahlt ihm den Lohn dann aber nicht aus.
VL: Hätten Sie noch andere Probleme dort zu erwarten, wenn
Sie zurückkehren müssten?
BW: Natürlich hätte ich allerhand Probleme.
VL: Wenn Sie hier sagen, allerhand Probleme. Können Sie etwas
nennen?
BW: Die Situation ist unerträglich. Wenn ich erkranken würde bzw. wenn ich nicht mehr in der Lage wäre, etwas zum Essen zu bekommen oder zu arbeiten, wäre es gleich besser, aus der Welt zu scheiden. Schauen Sie mich an, wie abgemagert ich bin, auf Grund all dieser Mängel. Ich bin jetzt 60 Jahre und habe nichts.
..."
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 6 Z 1 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 Fremdengesetz festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Serbien und Montenegro" zulässig sei. Der Antrag auf Gewährung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 15 AsylG abgewiesen. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens und des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung führte die belangte Behörde allgemein zur wirtschaftlichen Lage und medizinischen Versorgung in Serbien und Montenegro aus. Zur Wohnraumsituation stellte die belangte Behörde fest:
"In Serbien und Montenegro bestehen noch zahlreiche Lager/Zentren, in denen Flüchtlinge aus Bosnien, Kroatien und Mazedonien, sowie Vertriebene aus dem Kosovo untergebracht sind. Diese Lager sollen nach und nach geschlossen werden."
Sodann wird begründend im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer auch auf ausdrückliche Befragung nicht dargelegt habe, für den Fall seiner Rückkehr nach Serbien und Montenegro, abgesehen von der dargestellten schlechten wirtschaftlichen Situation, Probleme zu haben und insbesondere keine spezifischen Gründe dafür angegeben habe, warum er selbst von diesen Schwierigkeiten betroffen sei. Der Beschwerdeführer habe nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, da er aus dem Kosovo stamme, zwei Herkunftsstaaten im Sinne des § 1 Z 4 AsylG, nämlich sowohl den Kosovo als auch Serbien und Montenegro (ehemals Bundesrepublik Jugoslawien) ohne den Kosovo. Auf den Umstand, dass der Beschwerdeführer den Kosovo aus Sicherheitsgründen bereits 1990 verlassen habe, brauche nicht näher eingegangen werden, da der Beschwerdeführer in Serbien und Montenegro keinerlei Verfolgung ausgesetzt worden sei und im Falle seiner Rückkehr zwar eine schwierige wirtschaftliche Situation, aber keine asylrelevanten Probleme zu erwarten habe. Daher sei der Asylantrag gemäß § 6 Z 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzuweisen gewesen. Im Hinblick auf § 8 AsylG führt der angefochtene Bescheid aus, dass im vorliegenden Fall zu prüfen bleibe, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Berufungswerbers unzulässig sei. Der Beschwerdeführer sei nach eigenen Angaben, abgesehen von der schlechten wirtschaftlichen Lage, keinerlei Problemen oder Gefahren im Fall seiner Rückkehr nach Serbien und Montenegro ausgesetzt und auch nach den allgemeinen Feststellungen des angefochtenen Bescheides über die bestehende existenzielle Grundsicherung und medizinische Versorgung bestehe keinerlei Gefährdung der Lebensgrundlagen des Beschwerdeführers im Falle seiner Rückkehr.
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Asylantrages im Spruch des angefochtenen Bescheides ausdrücklich nur auf § 6 Z 1 AsylG.
Bei der Prüfung, ob ein Fall des § 6 Z 1 AsylG vorliegt, ist von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptung im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lässt. Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter § 6 Z 1 AsylG führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. Juli 2002, Zl. 2000/01/0436 mwN).
Die Annahme einer inländischen Fluchtalternative oder ausreichenden staatlichen Schutzes vor einer von Privatpersonen ausgehenden Verfolgungsgefahr sind Begründungsteile, die "nur unter dem Gesichtspunkt einer Prüfung gemäß § 7 AsylG Bedeutung" haben. Ein Fall, dessen Prüfung die Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge erfordert, ist nicht unter § 6 AsylG subsumierbar (vgl. zum Ganzen ausführlich das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496).
Im vorliegenden Fall lebte der Beschwerdeführer - seinem Vorbringen zufolge - als serbischer Binnenvertriebener aus dem Kosovo in Serbien, wobei in seinem Vorbringen von einem Leben in Flüchtlingsbaracken und einer mit "ständigen Erniedrigungen" verbundenen Behandlung als "nicht erwünschte Person" die Rede ist. Nach dem zuletzt erwähnten Vorbringensteil ist schon zweifelhaft, dass es im Sinne der dargestellten Judikatur zu § 6 Z 1 AsylG keiner Auseinandersetzung mit Abgrenzungsfragen bedarf, um das Vorliegen der Behauptung einer Verfolgungsgefahr in Serbien und Montenegro (ohne Kosovo) mit der erforderlichen Eindeutigkeit zu verneinen.
Geht man von der hg. Judikatur in Bezug auf die mit dem 20. Juni 1999 eingetretene Verselbständigung des Kosovo als Gegenstand der asylrechtlichen Betrachtung als "Herkunftsstaat" aus (vgl. in dieser Hinsicht das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2000, Zl. 99/01/0359, und die Folgejudikatur dazu), so stellt sich überdies das Problem, dass die auf das Fehlen einer Verfolgungsbehauptung abstellende Bestimmung des § 6 Z 1 AsylG für den Fall der behaupteten Verfolgungsgefahr in einem von mehreren Herkunftsstaaten - im vorliegenden Fall im Kosovo - keine ausdrückliche Anordnung trifft. Diese sich aus § 1 Z 4 AsylG auch in Bezug auf § 7 AyslG ergebende Lücke lässt sich für § 6 AsylG, anders als im Zusammenhang mit § 7 AsylG (vgl. insoweit die hg. Erkenntnisse vom 21. Dezember 2000, Zl. 2000/01/0126, und vom 6. März 2001, Zl. 2000/01/0402), nicht durch Rückgriff auf die FlKonv schließen, weil mit der Regelung über "offensichtlich" unbegründete Asylanträge nicht an vergleichbare Inhalte der FlKonv angeknüpft wird. Nach dem Zweck des § 6 AsylG, offenkundigen Missbräuchen entgegenzusteuern, erscheint die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG auf Fälle, in denen eine Verfolgungsgefahr - wenngleich nur in einem von mehreren Herkunftsstaaten - geltend gemacht wird und der Asylwerber in einer auf § 7 AsylG gestützten Entscheidung auf seinen zweiten Herkunftsstaat zu verweisen wäre, ohne ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers nicht als geboten.
Berücksichtigte man hingegen, dass der Beschwerdeführer aus einem Gebiet stammt, das völkerrechtlich nach wie vor zu Serbien und Montenegro gehört, und dass er seinem Vorbringen zufolge bis zu seiner Ausreise das Leben eines "nicht erwünschten" Binnenflüchtlings führte, so käme die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG auf seinen Fall nach der dargestellten Judikatur - betreffend die mangelnde Subsumierbarkeit der "inländischen Fluchtalternative" unter einen der Fälle des § 6 AsylG - umso weniger in Betracht.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf die Zuerkennung der Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG gerichtete Mehrbegehren des Beschwerdeführers war im Hinblick auf die mit hg. Beschluss vom 19. September 2003, Zl. VH 2003/01/0271, bewilligte Verfahrenshilfe abzuweisen.
Wien, am 24. August 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003010632.X00Im RIS seit
21.09.2004Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008