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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juli 2003, Zl. 232.190/2-V/14/03, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG (mitbeteiligte Partei: N, geboren 1973, in A, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 9), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Serbien und Montenegro albanischer Volksgruppenzugehörigkeit aus dem Kosovo, reiste am 31. August 2002 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf die Gewährung von Asyl, in dem er als Fluchtgrund wirtschaftliche Gründe für das Verlassen seines Heimatlandes geltend machte.
Dieser (erste) Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 23. September 2002 gemäß §§ 7, 8 AsylG abgewiesen. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 11. November 2002 wurde die gegen den erstinstanzlichen Bescheid gerichtete Berufung gemäß § 7 AsylG abgewiesen und gemäß § 8 AsylG festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die (damalige) Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo, zulässig sei.
Am 3. März 2003 brachte der Mitbeteiligte einen (zweiten) Asylantrag ein, zu dem er bei seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 30. Mai 2003 unter anderem Folgendes vorbrachte:
"Ich bin Moslem. Am 1.5.2002 begab ich mich zu einem katholischen Priester in Kline. Ich informierte den Priester von meiner Absicht, von der moslemischen Religion zum katholischen Glauben überzutreten. Der Priester sagte mir, dass die Möglichkeit zum erwähnten Übertritt besteht.
Am 15.6.2002 kamen zwei unbekannte Männer, die Albanisch sprachen, zum Haus meiner Familie im Heimatdorf, und sagten zu mir, weil ich zum katholischen Glauben übertrete, keinen 'Platz mehr in unserem' Dorf habe. Die Männer sagten, dass sie einer Gruppe angehörten, die gegen den Katholizismus kämpft und die gegen die katholische Religion eingestellt ist, und dass es für mich am 'besten' wäre, wenn ich mich dieser Gruppe anschließen würde. Ich lehnte ab. Ich ersuchte die Männer, Dokumente zu zeigen, um eine allfällige Behördenzugehörigkeit zu bestätigen. Die Männer lehnten ab. Die Männer sagten in drohendem Tonfall, dass sie wieder erscheinen würden.
Am 15.8.2002 kamen die Männer wieder zu meinem Haus und forderten mich auf, sich den Männern anzuschließen. Ich lehnte ab.
Einer der Männer schlug mich und drohte: 'Für den Fall, dass du eine Anzeige bei der KFOR erstattest, wird das für dich noch schlimmer.' Die Männer drohten: 'Falls du beim nächsten Mal nicht mitkommst, werden wir dich und deine Familie vernichten.' Die Männer entfernten sich.
Ich erstattete keine Anzeige, weil ich befürchtete, dass die erwähnten Männer von einer Anzeigeerstattung erfahren hätten, und dass meine Angehörigen oder ich, von den Männern umgebracht hätten werden können.
Ich habe von den erwähnten Sachverhalten, bei der Befragung zu meinem ersten Asylantrag, vom 2.9.2002, keine Angaben gemacht, weil sich damals viele Kosovoalbaner als Asylwerber in Österreich aufhielten, und weil ich befürchtete, dass solche Kosovoalbaner von diesen Angaben hätten erfahren und meine Angehörigen, im Kosovo, umbringen hätten können.
Im Falle einer Rückkehr in den Kosovo befürchte ich, von den Männern erwähnten Personenkreises, misshandelt oder umgebracht zu werden."
Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Juni 2003 wurde dieser (zweite) Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Begründend führte das Bundesasylamt im Wesentlichen aus, dem Vorbringen bei der niederschriftlichen Einvernahme vom 30. Mai 2003 werde die Glaubwürdigkeit abgesprochen, weil der Mitbeteiligte bei seiner ersten niederschriftlichen Befragung diesbezüglich keinerlei Aussage gemacht habe und eine solche Vorgangsweise "jeder Logik entbehre" und daher nicht schlüssig nachempfunden werden könne. Das nunmehrige Vorhaben müsse vielmehr als "gesteigertes Vorbringen" gewertet werden. In dem (zweiten) Asylantrag habe der Mitbeteiligte keine neuen Tatsachen oder Beweise vorgebracht, die von dem bereits mit rechtskräftigem Bescheid der belangten Behörde vom 11. November 2002 festgestellten Sachverhalt abwichen.
Mit dem angefochtenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 14. Juli 2003 wurde der Berufung des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 4. Juni 2003 stattgegeben und dieser Bescheid ersatzlos behoben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Mitbeteiligte seinen (zweiten) Asylantrag insofern auf geänderte Umstände gestützt habe, als er unter anderem nunmehr vorgebracht habe, wegen seines Übertrittes vom moslemischen zum katholischen Glauben bedroht worden zu sein. Er habe dieses Vorbringen bei seiner niederschriftlichen Befragung nicht erstattet, weil er befürchtet habe, dass andere Kosovo-Albaner - bei Bekanntwerden dieser Tatsache - seine Familie umbringen hätten können. Dieses Vorbringen wäre - sollte es den Tatsachen entsprechen - aber geeignet, einen selbstständigen Verfolgungsgrund darzutun und daher hätte das Bundesasylamt über den (zweiten) Asylantrag in der Sache zu entscheiden gehabt. Ob das Vorbringen den Tatsachen entspreche, könne nur in einem meritorischen, mit Sachentscheidung zu erfolgendem Asylverfahren abschließend geklärt werden. Eine inhaltliche Entscheidung über den Asylantrag sei der belangten Behörde verwehrt, da sie als Berufungsbehörde an die Grenzen der von der Erstbehörde entschiedenen Verwaltungssache gebunden sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG rechtfertigen neu hervorgekommene Tatsachen (also solche, die bereits zur Zeit des früheren Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden) - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - eine Wiederaufnahme des Verfahrens, wenn sie die Richtigkeit des angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt als zweifelhaft erscheinen lassen. Hingegen ist bei Sachverhaltsänderungen, die nach der Entscheidung eingetreten sind, kein Antrag auf Wiederaufnahme, sondern ein neuer Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrag die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. September 2000, Zl. 98/20/0564, mwN und idS auch die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren I2 (1998), E 98 und E 83 zu § 68 AVG referierte hg. Rechtsprechung).
Im vorliegenden Fall hat der Mitbeteiligte seinen (zweiten) Asylantrag auf behauptete Tatsachen gestützt, die (seinem Vorbringen zufolge) bereits zur Zeit des (ersten) Asylverfahrens (vor dem 31. August 2002) bestanden haben, die er jedoch aus den von ihm angeführten Gründen nicht bereits im (ersten) Asylverfahren vorgebracht hatte. Aus diesem Grund lag schon nach dem Vorbringen des Mitbeteiligten keine Sachverhaltsänderung vor und hat das Bundesasylamt im Ergebnis den (zweiten) Asylantrag des Mitbeteiligten zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, hat sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb dieser gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am 24. August 2004
Schlagworte
Rechtskraft Verfahrensbestimmungen Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003010431.X00Im RIS seit
21.09.2004