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27 RechtspflegeNorm
DSt 1990 §28 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Zurückweisung einer Beschwerde gegen die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen Rechtsanwalt wegen standeswidriger Äußerungen über die österreichische Nationalbank in Beschwerden und Schriftsätzen an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof; keine Bedenken gegen §28 Abs2 DSt 1990; kein Abgehen von der ständigen Judikatur zur Qualifikation eines Einleitungsbeschlusses als nicht gesondert bekämpfbare, bloße VerfahrensanordnungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien hat aufgrund des Verdachtes, daß der Beschwerdeführer gegen Berufspflichten verstoßen und Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt habe, weil er sich in Beschwerden und Schriftsätzen an den Verfassungs- und den Verwaltungsgerichtshof in bezug auf die Oesterreichische Nationalbank in standeswidriger Weise geäußert habe, den Beschluß auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gefaßt. Gegen diesen Einleitungsbeschluß erhob der Beschwerdeführer (Administrativ-)Beschwerde an die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK). Mit Bescheid vom 20. März 2000 wurde diese Beschwerde zurückgewiesen.
2. Dagegen wendet sich die, auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
2.1. Begründend wird folgendes ausgeführt: Gemäß §28 Abs2 Disziplinarstatut 1990 (DSt 1990) unterliege der Beschluß, daß Grund zu einer Disziplinarbehandlung des Beschuldigten in mündlicher Verhandlung vorliege (Einleitungsbeschluß), keinem Rechtsmittel. Der Beschluß, daß ein solcher Grund nicht vorliege (Einstellungsbeschluß), sei hingegen vom Kammeranwalt, der Oberstaatsanwaltschaft sowie dem Beschuldigten anfechtbar (§47 iVm §28 Abs3 DSt 1990). Die Unterscheidung zwischen anfechtbarem Einstellungsbeschluß und nichtanfechtbarem Einleitungsbeschluß widerspreche dem Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art6 EMRK.
2.2. Weiters wird vorgebracht, der angefochtene Bescheid verletze das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG). Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes werde dieses Recht durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehne und damit eine Sachentscheidung verweigere. Dem komme die Ablehnung der Zuständigkeit aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes - wie hier §28 Abs2 DSt 1990 - gleich.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Die Beschwerde behauptet die Verfassungswidrigkeit des §28 Abs2 DSt 1990. Dieser lautet wie folgt:
"Der Beschluß, daß Grund zur Disziplinarbehandlung in mündlicher Verhandlung vorliegt (Einleitungsbeschluß), hat unter Angabe der näheren Umstände die Tathandlungen, deren der Beschuldigte verdächtigt wird, anzuführen. Der Beschluß ist dem Beschuldigten und dem Kammeranwalt zuzustellen. Gegen diesen Beschluß ist ein Rechtsmittel nicht zulässig."
1.2. Wie der Verfassungsgerichtshof im Beschluß VfSlg. 9425/1982 eingehend dargelegt und begründet hat, bildet ein Einleitungsbeschluß eine bloße Verfahrensanordnung, die weder mit einem ordentlichen Rechtsmittel noch mit einem außerordentlichen Rechtsbehelf selbständig bekämpft werden kann. Denn der Einleitungsbeschluß des Inhaltes, daß Grund zur Disziplinarbehandlung vorhanden ist, übt - anders als etwa ein die dienstrechtliche Stellung des Beschuldigten verändernder Beschluß auf Einstellung (Durchführung) des Disziplinarverfahrens gegen einen öffentlichen Bediensteten (siehe VfSlg. 4327/1962, 5761/1968 und 7907/1976 zu §113 Dienstpragmatik; VfSlg. 8686/1979 zu §83 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1977) - auf die Berufsrechte des Betroffenen keine wie immer geartete einschränkende Wirkung aus. Er enthält insbesondere auch keine der Rechtskraft fähige Entscheidung über die Qualifikation der dem Beschuldigten zur Last gelegten Handlungsweise als Disziplinarvergehen (VfSlg. 5076/1965). Vielmehr kann darüber mit Rechtskraftwirkung nur im Disziplinarerkenntnis abgesprochen werden.
1.3. Der Verfassungsgerichtshof hat an dieser Auffassung auch in seiner weiteren Rechtsprechung (zur Rechtslage (§29 Abs3) des Disziplinarstatutes 1872 vgl. VfSlg. 10944/1986, 11448/1987, 11608/1988, 12585/1990, 12881/1991; zur Rechtslage (§28 Abs2) des Disziplinarstatutes 1990 vgl. VfSlg. 13419/1993, 13762/1994; VfGH 4.10.1999, B2347/97; zur Frage der "Waffengleichheit" vgl. VfSlg. 12462/1990) festgehalten. Er sieht sich auch aufgrund der vorliegenden Beschwerde nicht veranlaßt, von dieser ständigen Judikatur abzugehen.
1.4. Eine Verletzung des Beschwerdeführers in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen hat sohin nicht stattgefunden.
2.1. Der Beschwerdeführer stützt seine Behauptung, durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt zu sein, darauf, daß die Ablehnung der Zuständigkeit durch die OBDK aufgrund der verfassungswidrigen Bestimmung des §28 Abs2 DSt 1990 erfolgt sei.
2.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes wird das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter unter anderem dann verletzt, wenn die Behörde eine Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Sache in Anspruch nimmt, die ihr nicht zusteht (vgl. VfSlg. 8176/1977), oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 13280/1992). Dem kommt die Ablehnung der Zuständigkeit aufgrund eines verfassungswidrigen Gesetzes gleich (VfSlg. 13029/1992, 13816/1994). Da der Verfassungsgerichtshof keine Bedenken gegen §28 Abs2 DSt 1990 hegt (siehe 1.3.), gehen die Beschwerdebehauptungen ins Leere.
2.3. Der Beschwerdeführer ist sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt worden.
3. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in anderen, von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.
4. Ob der Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996; VfGH 8.6.1999, B788/99).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Bescheidbegriff, Verfahrensanordnung, Rechtsanwälte, DisziplinarrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B956.2000Dokumentnummer
JFT_09998787_00B00956_00