Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FinStrG;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der M, geboren 1972, vertreten durch Mag. Christian Schönhuber, Rechtsanwalt in 4690 Schwanenstadt, Stadtplatz 28, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 8. Jänner 2001, Zl. St 129/00, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 8. Jänner 2001 wurde gegen die Beschwerdeführerin, eine rumänische Staatsangehörige, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 iVm §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Die Beschwerdeführerin sei am 14. Oktober 1997 mit einem bis zum 10. November 1997 gültigen Touristenvisum in das Bundesgebiet eingereist. Am 26. November 1997 habe sie den österreichischen Staatsangehörigen Ing. D. geheiratet. Am 16. Dezember 1998 habe sie von Ungarn aus per Post einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit einem Österreicher gestellt. Am 22. Februar 1999 habe die Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag eine bis zum 21. Februar 2000 gültige Erstniederlassungsbewilligung erteilt. Am 17. Juni 1999 sei die Ehe der Beschwerdeführerin mit dem genannten österreichischen Staatsangehörigen einvernehmlich geschieden worden. Im Scheidungsantrag vom 13. April 1999 habe sie angegeben, die eheliche Lebensgemeinschaft sei seit mehr als sechs Monaten aufgelöst. Am 25. Jänner 2000 habe sie bei der Bezirkshauptmannschaft Judenburg die Erteilung einer weiteren Niederlassungsbewilligung beantragt, weil sie mittlerweile mit dem rumänischen Staatsangehörigen K. verheiratet sei. Der Ehemann der Beschwerdeführerin lebe seit 1980 in Österreich und gehe einer geregelten Arbeit nach. Am 3. Februar 2000 habe die Bezirkshauptmannschaft Judenburg der Beschwerdeführerin eine weitere, bis zum 2. Februar 2001 gültige Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck Familiengemeinschaft mit Fremden, ausgenommen unselbständige Erwerbstätigkeit, erteilt.
Mit Strafverfügung des Hauptzollamtes Wien vom 26. Mai 1999 sei die Beschwerdeführerin wegen des Vergehens des Schmuggels in Tateinheit mit dem vorsätzlichen Eingriff in die Rechte des Tabakmonopols nach § 35 Abs. 1 lit. a und 44 Abs. 1 1it. b FinStrG mit einer Geldstrafe von S 40.000,-- belegt worden, weil sie vorschriftswidrig und vorsätzlich 24.000 Stück Zigaretten in das Zollgebiet verbracht und vorsätzlich zu ihrem Vorteil einem monopolrechtlichen Einfuhrverbot zuwider eingeführt habe. Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15. Februar 2000 sei die Beschwerdeführerin wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls gemäß §§ 127, 130 erster Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, bedingt auf eine Probezeit von drei Jahren, verurteilt worden. (Dem im Verwaltungsakt erliegenden Urteil ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin gemeinsam mit ihrer Schwägerin am 3. November 1999 in Wolfsberg in drei verschiedenen Drogeriemärkten Kosmetikartikel im Gesamtwert von ca. S 19.000,-- mit dem Vorsatz weggenommen hat, sich unrechtmäßig zu bereichern und sich durch die wiederkehrende Begehung solcher Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen.)
In Anbetracht dieser gerichtlichen Verurteilung sei der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt. Durch das Aufenthaltsverbot werde in das Familienleben der Beschwerdeführerin eingegriffen. Von einer vollständigen Integration der Beschwerdeführerin könne nicht ausgegangen werden, weil sie sich erst seit ca. 3 1/2 Jahren im Bundesgebiet aufhalte. Sie gehe keiner legalen Erwerbstätigkeit nach. Der Kinderwunsch der Beschwerdeführerin könne an ihrer Integration nichts ändern. Ihrer "fragmenthaft vorhandenen Integration" sei gegenüberzustellen, dass sie sich nicht nur nach dem Finanzstrafgesetz, sondern auch nach dem Strafgesetzbuch strafbar gemacht habe. Ihr Gesamtfehlverhalten sei vor dem Hintergrund ihres verhältnismäßig kurzen Aufenthaltes im Bundesgebiet sehr schwer zu gewichten. Daher sei nicht nur die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gegeben, sondern das Aufenthaltsverbot auch im Licht des § 37 Abs. 1 FrG gerechtfertigt. Die Beschwerdeführerin habe sich innerhalb des kurzen Aufenthaltszeitraumes qualifizierte Delikte zu Schulden kommen lassen, weshalb von der Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG habe Gebrauch gemacht werden müssen. Im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt der Beschwerdeführerin im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose würden die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbots wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf ihre Lebenssituation. Das Aufenthaltsverbot sei daher im Sinn des § 37 Abs. 2 FrG zulässig. Daran könne der Hinweis der Beschwerdeführerin auf das "psychologische Druckmittel des Urteiles" nichts zu ändern, weil dieses nicht ausschließen könne, dass sie neuerliche strafbare Handlungen begehen würde.
Die Beschwerdeführerin habe sich während des kurzen Aufenthaltszeitraumes bereits mehrere strafbare Handlungen zu Schulden kommen lassen. Es könne nicht abgesehen werden, wann die Gründe, die zur Erlassung des Aufenthaltsverbots geführt hätten, weggefallen sein würden. Das Aufenthaltsverbot habe daher nur auf unbefristete Dauer erlassen werden können.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift "wegen Arbeitsüberlastung durch Berufungs- und Beschwerdefälle" Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. In der Beschwerde bleibt die Auffassung der belangten Behörde, dass vorliegend der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei, unbekämpft. Im Hinblick auf die unbestrittene rechtskräftige Verurteilung der Beschwerdeführerin begegnet diese Beurteilung keinen Bedenken.
2. Die Beschwerde hebt mehrfach hervor, die Beschwerdeführerin habe am 20. Februar 2001 ein Kind zur Welt gebracht. Unter diesem Aspekt sei "natürlich der Schutz des Privat- und Familienlebens anders zu gewichten" als dies die belangte Behörde vorgenommen habe. Wie die Beschwerde aber selbst einräumt, handelt es sich dabei um eine Neuerung, auf die im Hinblick auf § 41 Abs. 1 VwGG vom Gerichtshof nicht Bedacht genommen werden kann.
3.1. Die Beschwerde legt dar, die Verhängung einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten sei für die Beschwerdeführerin ein großes Druckmittel, sich in Hinkunft wohlzuverhalten. Sie würde sich "nie und nimmer von der Verlockung hinreißen lassen, weitere Diebstähle oder andere Vergehen und Verbrechen zu begehen". Sie habe ihr bisheriges Umfeld verlassen und wolle mit ihrem Gatten ein neues Leben beginnen. Ihr Ehemann erfülle alle Voraussetzungen für die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft. Sie lebe in geordneten Verhältnissen, habe eine intakte Familie und zahlreiche Freunde in Österreich. Ihr Lebensunterhalt sei durch das Einkommen ihres Ehemannes gesichert. Die belangte Behörde habe nur unzulängliche Ermittlungen im Hinblick auf ihre Lebenssituation und die ihres Ehemannes angestellt. Im Fall der Durchsetzung des Aufenthaltsverbots würde ihre Familie zerschlagen werden. Wegen ihrer (früheren) Schwangerschaft habe sie von ihrem Vorhaben, einer geregelten Arbeit nachzugehen, vorerst Abstand genommen. Sie sei bestrebt, eine Beschäftigung anzunehmen, wenn ihr Kind das Kindergartenalter erreicht haben würde.
3.2. Dieses mit Blick auf § 36 Abs. 1 (und § 37 FrG) erstattete Vorbringen ist nicht zielführend.
Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen der belangten Behörde liegt der Verurteilung der Beschwerdeführerin vom 15. Februar 2000 zu Grunde, dass sie am 3. November 1999 zahlreiche Kosmetikartikel in einem Gesamtwert von ca. S 19.000,-- mit Bereicherungsvorsatz in der Absicht weggenommen hat, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Darüber hinaus hat die Beschwerdeführerin zuvor am 23. Mai 1999 eingangsabgabepflichtige Waren, die zugleich Gegenstände des Tabakmonopols sind, nämlich 24.000 Stück Zigaretten, vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht und vorsätzlich zu ihrem Vorteil einem monopolrechtlichen Einfuhrverbot zuwider eingeführt. Von daher begegnet die Auffassung der belangten Behörde, dass im vorliegenden Fall die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken, besteht doch ein großes öffentliches Interesse an der Verhinderung der Eigentumskriminalität.
4.1. Bei der Beurteilung gemäß § 37 Abs. 1 FrG hat die belangte Behörde im Hinblick auf die Dauer des inländischen Aufenthalts der Beschwerdeführerin seit Oktober 1997 und ihre Bindungen zu ihrem Ehemann zutreffend einen mit dem Aufenthaltsverbot verbundenen relevanten Eingriff im Sinn der genannten Bestimmung angenommen. Wenn sie angesichts des besagten Fehlverhaltens der Beschwerdeführerin die Erlassung dieser Maßnahme für dringend geboten erachtet hat, so ist dies - in Ansehung des von ihr herangezogenen, in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten maßgeblichen öffentlichen Interesses an der Verhinderung strafbarer Handlungen - nicht als rechtswidrig zu erkennen.
4.2. Auch steht die von der belangten Behörde nach § 37 Abs. 2 FrG vorgenommene Interessenabwägung mit dem Gesetz in Einklang. Den zwar beachtlichen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin, die bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides erst drei Jahre und drei Monate im Bundesgebiet aufhältig war, an einem Verbleib in Österreich kommt angesichts der Minderung, die die für eine Integration wesentliche soziale Komponente durch ihr Fehlverhalten erfahren hat, kein größeres Gewicht zu als dem maßgeblichen öffentlichen Interesse an der Erlassung des vorliegenden Aufenthaltsverbots.
4.3. Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen ist der in der Beschwerde nicht näher konkretisierten Verfahrensrüge, die belangte Behörde hätte "keine Ermittlungen im Hinblick auf die Auswirkungen einer Ausweisung auf meine Lebenssituation und die meines Gatten angestellt bzw. sind keine Ermittlungen zur Durchführung der im § 37 Abs. 2 des Fremdengesetzes vorgesehenen Interessenabwägungen angestellt worden" der Boden entzogen.
5. Die Beschwerde erweist sich im Ergebnis dennoch als begründet.
Gemäß § 39 Abs. 1 FrG kann ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 1 und 5 leg. cit. unbefristet, in den Fällen des § 36 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. für die Dauer von höchstens fünf Jahren und in allen anderen Fällen nur für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach § 39 Abs. 2 erster Satz leg. cit. ist bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen.
Nach ständiger hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 leg. cit. - für jenen Zeitraum, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird, und auf unbestimmte Zeit (unbefristet) zu erlassen, wenn ein Wegfall des Grundes für seine Verhängung nicht vorhergesehen werden kann. Die Verhängung eines unbefristeten Aufenthaltsverbots, das auch über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren aufrecht erhalten werden kann, stellt gegenüber der Verhängung eines - auf höchstens zehn Jahre - befristeten Aufenthaltsverbots die schwerer wiegende Beeinträchtigung der persönlichen Interessen des Fremden dar (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 4. April 2001, Zl. 2000/18/0134, mwN).
Wiewohl die für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Straftaten der Beschwerdeführerin, wie dargestellt, eine erhebliche Beeinträchtigung des maßgeblichen öffentlichen Interesses darstellen, handelt es sich bei diesen Straftaten in Ansehung der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltesverbots nicht um ein derart gravierendes Fehlverhalten, dass - angesichts der beachtlichen persönlichen Interessen der Beschwerdeführerin an einem Verbleib im Bundesgebiet - die unbefristete Verhängung des Aufenthaltsverbots gerechtfertigt wäre.
Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
6. Da es sich bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots um einen vom übrigen Inhalt des angefochtenen Bescheides nicht trennbaren Abspruch handelt (vgl. nochmals das vorgenannte Erkenntnis Zl. 2000/18/0134, mwN), war der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen - von Amts wegen aufzugreifender (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Zl. 82/03/0112, Slg. Nr. 11.525/A/1984) - inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
7. Der Spruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm § 3 Abs. 2 Z. 2 Eurogesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, und der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 7. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001180045.X00Im RIS seit
20.10.2004