Index
L82000 Bauordnung;Norm
AVG §42;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident DDr. Jakusch und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Waldstätten und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. König, über die Beschwerde der Helga Marek in Wien, vertreten durch Kosch & Partner, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Bäckerstraße 1/3/13, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 29. September 2003, Zl. BOB-32/03, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Partei: Roswitha Haidenbauer in Wien, vertreten durch Dr. Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schmerlingplatz 3), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Zur Vorgeschichte wird auf das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2002, Zl. 2002/05/1014, verwiesen, welches Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen das gegenständliche Bauvorhaben betroffen hat. Dieses Bauvorhaben umfasst neben baulichen Änderungen am vorhandenen Baubestand auf der Liegenschaft der mitbeteiligten Partei auch die Errichtung eines Zubaues sowie eines an diesen unmittelbar anschließenden Nebengebäudes an der der Liegenschaft der Beschwerdeführerin zugewandten Gebäudefront. In dem zitierten Vorerkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass der Zubau deshalb nicht rechtens sei, weil durch seine Errichtung die gemäß § 79 Abs. 3 der Bauordnung für Wien (BO) zulässige Fläche von 45 m2, mit welcher in die Abstandsfläche zum Grundstück der Beschwerdeführerin herangerückt werden darf, überschritten würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu festgehalten, dass bei der Berechnung auch der Altbestand zu berücksichtigen ist, und zwar auch dann, wenn er sich in einem Bereich befindet, der gerade nicht mehr an die Liegenschaft des betroffenen Nachbarn angrenzt. Es wäre daher jedenfalls zu berücksichtigen gewesen, dass nach der Aktenlage der Altbestand auf einer Länge von 5,4 m mit 15 bis 20 cm (auf Grund eines Mauervorsprunges des Altbestandes) weiter in die Abstandsfläche rage, als die belangte Behörde angenommen habe.
In der Folge des genannten Vorerkenntnisses räumte die belangte Behörde der mitbeteiligten Bauwerberin die Möglichkeit ein, am Projekt Änderungen vorzunehmen. Die Mitbeteiligte legte daraufhin den Plan 01/A vor, nach dem die in die Abstandsfläche zum Grundstück der Beschwerdeführerin hineinragende Fläche des Zubaues verringert wird, jene des daran angrenzenden Nebengebäudes hingegen vergrößert (von 11 m2 auf 14,07 m2). Dieser Plan wurde der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht. Anlässlich einer persönlichen Vorsprache am 2. Juni 2003 und mit Schreiben vom 3. Juni 2003 äußerte sich die Beschwerdeführerin im Wesentlichen dahingehend, dass der Plan von der Wirklichkeit abweiche und die Abstandsflächen überschritten würden. Es sei nicht nachvollziehbar, warum der im Plan als Nebengebäude eingezeichnete Gebäudeteil nicht in die Abstandsflächenberechnung einbezogen worden sei. Bei diesem Gebäude könne es sich nicht um ein Nebengebäude handeln, weil die Gebäudehöhe von 2,5 m überschritten werde. Überdies stelle der Abstellraum in der nordwestlichen Ecke des Grundstückes (Raum mit eingezeichnetem Pumpenschacht), wo sich vormals ein Holzschuppen befunden habe, keinen konsentierten Altbestand dar und müsse daher, soweit er in die Abstandsfläche hineinrage, jedenfalls in die Abstandsflächenberechnung einbezogen werden. Im Übrigen entspreche die Flachdachkonstruktion nicht der BO und ergebe sich in diesem Zusammenhang eine Gebäudehöhe von 2,8 m statt 2,5 m.
Da im fortgesetzten Berufungsverfahren festgestellt wurde, dass der im Bereich des nordwestlichen Abstellraumes über 5,4 m bestehende, obgenannte Mauervorsprung (welcher auch laut dem Plan 01/A im Ausmaß von 15 bis 20 cm in den 3 m-Abstand hineinragt) keinen wie ursprünglich angegeben "konsentierten Altbestand" darstellt, legte die Mitbeteiligte schließlich den Plan 01/B vor, in dem nunmehr der konsentierte Bestand des nordwestlichen Abstellraumes ohne diesen Mauervorsprung ausgewiesen wurde.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2003 nahm die Beschwerdeführerin zum Plan 01/B Stellung. Dabei wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass die planliche Zurücksetzung der Mauer gemäß dem Austauschplan 01/B und die dadurch geringfügige Reduzierung der bebauten Fläche um 1,08 m2 nichts an ihren Einwendungen änderten. Überdies werde im Austauschplan der konsentierte Altbestand nicht korrekt ausgewiesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin (erneut) als unbegründet ab. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe mit ihrem Einwand der Verletzung des Seitenabstandes in der Bauverhandlung vom 7. Juni 2001 Parteistellung gemäß § 134a Abs. 1 lit. a BO erlangt. Sie sei jedoch hinsichtlich jener Einwendungen, die erstmals im fortgesetzten Ermittlungsverfahren nach Aufhebung des Berufungsbescheides vom 27. Juni 2002 erhoben worden seien, präkludiert. Das bestehende Gebäude rage mit einem Flächenausmaß von 40,8 m2, der projektierte Zubau mit einem Flächenausmaß von 2,548 m2 in den zur Liegenschaft der Beschwerdeführerin gerichteten hinteren Seitenabstand. Die Summe dieser Flächen betrage 43,348 m2 und liege damit deutlich unter den zulässigen 45 m2. Der Vorsprung entlang der Außenlänge im Bereich des nordwestlichen Abstellraumes im Ausmaß von 5,4 m x 15 bis 20 cm sei in den Plänen nicht mehr ausgewiesen. Der zulässige Seitenabstand werde somit eingehalten. Das daran anschließende Gebäude mit dem Abstellraum sei als Nebengebäude anzusehen. Beim Baubewilligungsverfahren nach der BO handle es sich um ein Projektgenehmigungsverfahren. Demnach habe die Baubehörde das vorgelegte Projekt und nicht eine tatsächliche Ausführung zu beurteilen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete ebenso wie die Mitbeteiligte eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde wird im Wesentlichen ausgeführt, es hätten keine Bauverhandlungen über die Einreichpläne 03, 01/A und 01/B stattgefunden, wodurch der Beschwerdeführerin die Möglichkeit genommen worden sei, rechtzeitig Einwendungen gegen das geplante Projekt vor allem in Form der Änderungen 01/A und 01/B zu erheben. Präklusion sei nicht eingetreten, da sich die Beschwerdeführerin jeweils umgehend nach Vorliegen diverser Planänderungen geäußert habe. Die Berechnung des in den Seitenabstand hineinragenden Flächenausmaßes sei nicht nachvollziehbar. Darüber hinaus hätten auch der sich in der nordwestlichen Ecke befindliche Arbeitsraum (Raum mit Pumpenschacht), die - baubehördlich nicht bewilligte - Swimmingpoolüberdachung sowie die Terrasse an der Vorderfront des Bauvorhabens miteinbezogen werden müssen. Die belangte Behörde sei überdies verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt selbst zu ermitteln. Dabei hätte sie zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass das bestehende Gebäude mit einer weitaus größeren Fläche in die Abstandsfläche hineinrage.
Nach § 134 Abs. 3 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF Nr. 91/2001 (in der Folge: BO) sind im Baubewilligungsverfahren die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektiv- öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben.
Gemäß § 134a Abs. 1 lit. a BO werden subjektiv-öffentliche Nachbarrechte, deren Verletzung die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften im Baubewilligungsverfahren geltend machen können, u.a. durch Bestimmungen über den Abstand eines Gebäudes oder einer baulichen Anlage zu den Nachbargrundgrenzen, jedoch nicht bei Bauführungen unterhalb der Erdoberfläche, begründet.
Wie bereits im Vorerkenntnis vom 20. Dezember 2002 ausgeführt wurde, hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig zulässige Einwendungen in Bezug auf die Nichteinhaltung der Abstandsbestimmungen erhoben. Zur Frage, inwieweit die Beschwerdeführerin mit ihren Einwendungen im Berufungsverfahren der Präklusion unterliegt, ist zu bemerken, dass dem Nachbarn im Rahmen einer Projektänderung während eines Baubewilligungsverfahrens, sofern dadurch Nachbarrechte berührt werden, neuerlich die Möglichkeit offen steht, diese Änderung betreffende Einwendungen zu erheben. Hingegen ermöglicht eine Projektänderung neue Einwendungen nicht in Bereichen, in denen das bisherige Projekt nicht geändert worden ist (vgl. die bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, S 455 unter 35f und 35g zitierte hg. Rechtsprechung). Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass die Beschwerdeführerin hinsichtlich jener Einwendungen, die im Berufungsverfahren nach Aufhebung des Bescheides vom 27. Juni 2002 erhoben wurden und sich nicht auf die danach vorgenommenen Planänderungen (betreffend das Ausmaß der bebaute Fläche in der Abstandsfläche und die oben beschriebene Darstellung des konsentierten Altbestandes) bezogen, präkludiert ist.
Nach § 79 Abs. 3 BO muss in der offenen Bauweise der Abstand der Gebäude von Nachbargrenzen in den Bauklassen I und II mindestens 6 m betragen. Die Fläche, die zwischen den Nachbargrenzen und den gedachten Abstandslinien liegt, wird als Abstandsfläche bezeichnet. In die Abstandsflächen darf mit Gebäuden auf höchstens die Hälfte des Abstandes an die Nachbargrenzen herangerückt werden, wobei die über die gedachte Abstandslinie hinausragende bebaute Fläche je Front in den Bauklassen I und II 45 m2 nicht überschreiten darf; insgesamt darf diese über die gedachte Abstandslinie hinausragende bebaute Fläche auf demselben Bauplatz in den Bauklassen I und II 90 m2 nicht überschreiten. Nach Abs. 4 dieser Bestimmung gelten in der gekuppelten, in der offenen oder der gekuppelten und in der Gruppenbauweise die Vorschriften des Abs. 3 für alle jene Gebäudefronten, die nicht an die Grundgrenze angebaut werden.
Da die genannte Regelung somit nur das Heranrücken an die Nachbargrenzen mit Gebäuden betrifft, geht das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass auch die Swimmingpoolüberdachung - von der die Beschwerdeführerin nicht behauptet, dass sie raumbildend wäre - und die Terrasse in die diesbezügliche Berechnung hätten einbezogen werden müssen, ins Leere.
Gemäß § 82 Abs. 1 BO sind Nebengebäude Gebäude oder gesondert in Erscheinung tretende Teile eines Gebäudes, wenn sie nicht mehr als ein über dem anschließenden Gelände liegendes Geschoss aufweisen, keine Aufenthaltsräume enthalten und eine bebaute Grundfläche von nicht mehr als 100 m2, in Gartensiedlungsgebieten von nicht mehr als 5 m2, haben. Die Errichtung eines Nebengebäudes setzt gemäß § 82 Abs. 2 BO das Vorhandensein oder das gleichzeitige Errichten eines Hauptgebäudes voraus. Die Fläche aller Nebengebäude auf demselben Bauplatz darf nicht mehr als ein Zehntel seiner Fläche betragen.
In Vorgärten und auf Abstandsflächen sind Nebengebäude gemäß § 82 Abs. 3 BO unbeschadet des § 82 Abs. 4 BO und der Bestimmungen über die Errichtung von Garagen unzulässig. Beträgt die Gebäudehöhe von Nebengebäuden nicht mehr als 2,50 m und die Firsthöhe nicht mehr als 3,50 m und werden sie in einer Tiefe von mindestens 10 m ab der Vorgartentiefe errichtet, dürfen sie auch auf den kraft Gesetzes oder des Bebauungsplanes ansonsten unbebaut zu belassenden Flächen des Bauplatzes errichtet werden (§ 82 Abs. 4 BO).
Die belangte Behörde ist im ersten Rechtsgang nach ihrer Bescheidbegründung davon ausgegangen, dass jener Bauteil, der in Richtung der Liegenschaft der Beschwerdeführerin an den Zubau anschließt, die Voraussetzungen für ein Nebengebäude, das in der Abstandsfläche errichtet werden darf, erfüllt. Auf der Grundlage der bewilligten Pläne und des damaligen Beschwerdevorbringens hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Vorerkenntnis keine Veranlassung dafür gesehen, die Auffassung der belangten Behörde in Zweifel zu ziehen. Auch auf Grund des jetzt in Beschwerde gezogenen Bescheides und des nunmehrigen Beschwerdevorbringens ist nicht ersichtlich, dass die Auffassung der belangten Behörde unzutreffend wäre. Bemerkt wird, dass die Bezeichnung "AR" in den bewilligten Plänen nicht "Arbeitsraum" bedeutet, wie dies die Beschwerdeführerin vermeint. Arbeitsräume zählen gemäß § 87 Abs. 3 BO zu den Aufenthaltsräumen und sind in Nebengebäuden folglich nicht zulässig. Nach dem Spruch des angefochtenen Bescheides handelt es sich vielmehr um einen "Abstellraum".
Zielführend erweisen sich hingegen die Ausführungen der Beschwerdeführerin betreffend den in der nordwestlichen Ecke befindlichen Abstellraum (Raum mit Pumpenschacht). Laut dem im Akt befindlichen Aktenvermerk der belangten Behörde vom 23. Juli 2003 ist dieser Raum im Ausmaß von 26,25 m2 mit Bescheid vom 4. April 2001 gemäß § 71 BO bewilligt worden, was auch in der Gegenschrift der belangten Behörde bestätigt wird. Er ragt auf einer Breite von 3 m bis zur Grundgrenze in die gegenständliche Abstandsfläche. Nach den vorliegenden Plänen besteht eine Verbindung zwischen diesem Raum und dem sonstigen Gebäude der mitbeteiligte Bauwerberin. Mit dem nunmehrigen Bauvorhaben sollen die Öffnungen dieses Raumes verändert und ein Pumpenschacht eingebaut werden.
Anlässlich des Vorerkenntnisses bestand aufgrund des damaligen Beschwerdevorbringens für den Verwaltungsgerichtshof keine Veranlassung, auf diesen Raum besonders einzugehen. Dies entband die belangte Behörde jedoch nicht von ihrer Verpflichtung zu prüfen, ob und allenfalls in welchem Ausmaß auch dieser Raum bei der Abstandsflächenberechnung zu berücksichtigen ist. Denn nach der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach bei der Berechnung der Fläche, mit der in die Abstandsfläche mit Gebäuden hineingerückt werden darf, ist auch der Altbestand auch dann zu berücksichtigen, wenn er sich in einem Bereich befindet, der gerade nicht mehr an die Liegenschaft des betroffenen Nachbarn angrenzt. Aus den Plänen ergibt sich, dass die belangte Behörde diesen Raum bei der Ermittlung der in den Seitenabstand hineinragenden Fläche nicht berücksichtigt hat. Eine Begründung dafür enthält der angefochtene Bescheid nicht. Die Beantwortung der genannten Frage ist insofern von Relevanz, als die belangte Behörde gegebenenfalls zu einer gänzlichen Unzulässigkeit des Hineinreichens des projektierten Zubaues in den Seitenabstand hätte kommen müssen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da die Eingabengebühr lediglich EUR 180,-- beträgt.
Wien, am 7. September 2004
Schlagworte
Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv öffentliche Rechte BauRallg5/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003050229.X00Im RIS seit
12.10.2004