Index
10 VerfassungsrechtNorm
StGG Art12 / VersammlungsrechtLeitsatz
Keine Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Untersagung einer Kundgebung zum Gedenken an die von der SS ermordeten Juden am Allerheiligentag vor dem Kriegerdenkmal des Salzburger Kommunalfriedhofes; rechtmäßige Interessenabwägung im Hinblick auf zu befürchtende gezielte Störungen der traditionellen Versammlung des Kameradschaftsbundes trotz der Verpflichtung der Behörde zur Beachtung der Bestimmungen des Verbotsgesetzes sowie zur Beurteilung eines allfällig veränderten Charakters dieses traditionellen Zusammentreffens; Verpflichtung zur Unterbindung von Störungen der Religionsausübung von dritter Seite im Hinblick auf die ReligionsfreiheitSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Telefaxeingabe vom 30. Oktober 1998 zeigte der Beschwerdeführer für den 1. November 1998 in der Zeit von 09.00 bis 13.00 Uhr am Platz vor dem Kriegerdenkmal des Salzburger Kommunalfriedhofes eine Versammlung zum Zweck der "Trauer um die von der SS ermordeten Salzburger Juden" an. Die Bundespolizeidirektion Salzburg untersagte diese Versammlung mit Bescheid vom 31. Oktober 1998, Zl. Vr 399/98, gemäß §6 VersammlungsG iVm. Art11 EMRK.
2. Der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung gab die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg mit ihrem Bescheid vom 17. August 1999, Zl. AP-2190, keine Folge. Die Sicherheitsdirektion begründete ihren Bescheid folgendermaßen:
"Eine Delegation des Vereines Soldatenvereinigung 'Kameradschaft-IV' mit dem Sitz in Salzburg legt entsprechend dem Punkt f) des §2 seiner Statuten (Zweck und Ziel des Vereines) alljährlich am Allerheiligentag seit über 40 Jahren vor dem Kriegerdenkmal im Areal des Kommunalfriedhofes in Salzburg einen Kranz mit einer Schleife 'Zum Gedenken an die gefallenen Kameraden der Waffen-SS' nieder. Der wesentliche Teil der Mitglieder des obzit. Vereines hat der Waffen-SS angehört. Diese Kranzniederlegung ist seinerzeit weder von den amerikanischen Besatzungsbehörden noch späterhin von antifaschistischen Organisationen in Salzburg oder von der israelitischen Kultusgemeinde in Salzburg wegen Verdachtes einer nationalsozialistischen Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes kritisiert worden. Seit einigen Jahren ist es allerdings zum Zeitpunkt dieser Kranzniederlegung vor dem Kriegerdenkmal zu Aktivitäten von Mitgliedern des Gemeinderatsclubs der Bürgerliste in Salzburg und von Anhängern des Aktionskünstlers W. K. unter dem Motto des Gedenkens der Deserteure, ermordet von der SS, gekommen.
Vorrangiges Ziel des Auftretens dieser Leute ist aber die Störung der Kranzniederlegung gewesen, durch lautstarke und heftige Diskussionen mit Angehörigen der 'Kameradschaft-IV' und anderen Friedhofsbesuchern kam es zu empfindlichen Beeinträchtigungen der übrigen Friedhofsbesucher, ein polizeiliches Einschreiten war jedes Mal erforderlich. Im Falle des W. K. ist die mit Bescheid der BPD Salzburg vom 14.10.1997 untersagte Versammlung dessen ungeachtet durchgeführt worden.
Mit Note vom 30.10.1998 haben Sie wie eingangs ausgeführt eine allgemein zugängliche Versammlung am Salzburger Kommunalfriedhof am Platz vor dem Kriegerdenkmal angezeigt, nach den Ausführungen zum vorgesehenen Versammlungsablauf wäre auch die Ansicht vertretbar gewesen, dass ihr Vorhaben überhaupt nicht als Versammlung zu bewerten war. Das bloße Halten von Trauerzettel ermordeter Salzburger Juden in den Händen bzw. an der Kleidung hätte einen solchen Schluss zugelassen. Erst die Fax-Mitteilung des Herrn Mag. F. E. vom 31.10.1998 hat erkennen lassen, dass wie in den vergangenen Jahren bei den Aktivitäten Gleichgesinnter nicht so sehr die Trauer um von der SS ermordeten Salzburger Juden die Essenz dieser Versammlung sein sollte, sondern die Konfrontation mit den Mitgliedern der 'Kameradschaft-IV'. Darauf hat auch hingewiesen, dass sich Herr Mag. F. E. in diesem Schriftsatz bereits mit der Frage der Versammlungsuntersagung unter Hinweis auf ein Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes auseinander gesetzt hat.
Die BPD Salzburg konnte daher mit Grund annehmen, dass durch die Teilnehmer der angezeigten Versammlung am Kommunalfriedhof vor dem Kriegerdenkmal Verhaltensweisen gesetzt würden, die als Ordnungsstörung im Sinne des SPG oder als Anstandsverletzung im Sinne des Salzburger Landes-Polizeistrafgesetzes zu beurteilen sind. Gemäß §6 VersG sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft, oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet von der Behörde mit Bescheid zu untersagen. Die Behörde ist hiezu nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der im Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung der Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung gegen die im Art11 Abs2 EMRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Gemäß diesen Ausführungen hat die BPD Salzburg richtig entschieden. Im Sinne des §6 VersG sind die zu befürchtenden Ordnungsstörungen und Anstandsverletzungen maßgeblich, die Untersagung war auch zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zum Schutz der Kranzniederlegung im Sinne des Art11 Abs2 EMRK notwendig. Auch die Interessenabwägung wurde richtig gelöst, weil das Publikum das den Kommunalfriedhof am Allerheiligentag zum traditionellen Totengedenken aufsucht zu schützen ist, auch der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung war bei der Sachlage der Vorzug zu geben. Da ein jahrzehntelang geübter Brauch der Kranzniederlegung ohne Besonderheit in den letzten Jahren die Notwendigkeit einer polemischen Auseinandersetzung am Friedhof nicht zu rechtfertigen vermag.
Die Prognose der BPD Salzburg hinsichtlich des Versammlungsverlaufes wurde jedenfalls durch die Tatsache bestätigt, dass der von Ihnen benannte Versammlungsleiter Herr A. W. in Kenntnis der bescheidmäßigen Untersagung der Versammlung am 01.11.1998 die angezeigte Versammlung trotzdem durchzuführen versuchte.
Ihre Berufungsausführungen waren nicht geeignet, eine für sie günstigere Entscheidung herbeizuführen. Das Argument, bei der Kranzniederlegung durch die Mitglieder 'Kameradschaft-IV' handle sich um eine gesetzwidrige NS-Wiederbetätigung kann nicht geteilt werden. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Wenn auch in der Berufung vom 13.11.1998 Herr A. W. als Berufungswerber aufscheint, so verpflichtet dies die Berufungsbehörde nicht, Herrn A. W. eine Ausfertigung des Berufungsbescheides zuzustellen, weil ihm als namhaft gemachten Verhandlungsleiter eine Parteienstellung im gegenständlichen Verfahren nicht zukommt. Eine solche wurde auch nicht durch die Ausfolgung eines Untersagungsbescheides am 01.11.1998 am Kommunalfriedhof begründet, da dies nur zu seiner vorsorglichen Information und um ihn von der Durchführung einer rechtswidrigen Versammlung abzuhalten geschehen ist. Diesem Akt kommt lediglich ein Informationscharakter zu."
3. Gegen diesen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Salzburg als belangte Behörde wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, mit der eine Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Versammlungsfreiheit (Art12 StGG, Art11 EMRK), auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art7 B-VG, Art2 StGG, Art14 EMRK), auf Meinungsäußerungsfreiheit (Art10 EMRK) und auf Glaubensfreiheit (Art14 StGG, Art9 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, sah von der Erstattung einer Gegenschrift "unter Bedachtnahme auf die Ausführungen der Begründung des bekämpften Bescheides" jedoch ab.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer rügt in erster Linie eine Verletzung in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art12 StGG und Art11 EMRK und begründet dies im einzelnen wie folgt:
"Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft, und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.
Die belangte Behörde hat den Bescheid, mit dem sie die vom Beschwerdeführer angezeigte Versammlung untersagte, auf §6 VersG gestützt. Diese Bestimmung ist aufgrund des materiellen Gesetzesvorbehaltes gemäß Art11 Abs2 EMRK im Einklang mit dieser Verfassungsbestimmung zu interpretieren. Eine Untersagung ist daher nur dann zulässig, wenn dies aus einem der in Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist.
Die Behörde hat bei ihrer Entscheidung die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form, gegen die im Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen. Diese Entscheidung ist eine Prognoseentscheidung, die die Behörde auf Grundlage der von ihr festzustellenden, objektiv erfassbaren Umstände in sorgfältiger Abwägung zwischen dem Schutz der Versammlungsfreiheit und den von der Behörde wahrzunehmenden öffentlichen Interessen zu treffen hat. (VfSlg. 12257/1990, u.a.).
Im gegenständlichen Fall ging die Erstbehörde bestätigt von der Berufungsbehörde - nachdem sie vorher die Ansicht für vertretbar hält, daß diese Versammlung nicht anzeigepflichtig ist - davon aus, daß es durch die Teilnehmer der Versammlung am Kommunalfriedhof zu Ordnungsstörungen im Sinne des Sicherheitspolizeigesetzes oder zu Anstandsverletzungen im Sinne des Salzburger-Polizeistrafgesetzes kommen könnte. Die Behörde führt aus, daß sie mit Grund annehme, daß es zu solchen Gesetzesverletzungen käme. Gründe für die Prognoseentscheidung der Behörde werden jedoch nicht ausgeführt. Im Bescheid der belangten Behörde wird auf die im Erstbescheid angeführte Störung der Feierlichkeiten der Kameradschaft IV, welche geeignet sei, das religiöse Empfinden der Friedhofsbesucher zu beeinträchtigen, und darüber hinaus sicherlich von vielen Friedhofsbesuchern die angezeigte Versammlung als eine Verhöhnung der Gefallenen der beiden (?!) Weltkriege und somit als eine unerträgliche Provokation empfunden werden. Diese Argumentation der Erstbehörde kann keinesfalls zu einer Versammlungsuntersagung führen, denn dann wäre jede Versammlung, die bei anderen Personen ein Mißfallen bewirkt, zu untersagen.
Die Interessensabwägung der belangten Behörde besteht darin, daß sie die Trauer für ermordete Juden als polemische Auseinandersetzung und als Ordnungsstörung, der Kranzniederlegung der Kameradschaft IV für gefallene SS Soldaten gegenüberstellt. Diese Kranzniederlegung möge unbehelligt von Personen, die für ermordete Juden trauern, abgehalten werden können.
Diese von der belangten Behörde vorgenommene Interessensabwägung basiert auf einer unrichtigen Anwendung des Versammlungsgesetzes. Die Republik Österreich ist durch Art9 Staatsvertrag verfassungsrechtlich und völkerrechtlich verpflichtet, 'die Bemühungen fortzusetzen, aus dem österreichischen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen'. Die kompromisslose Ablehnung des Nationalsozialismus ist ein grundlegendes Merkmal der wiedererstandenen Republik (VSlg. 10705). Es darf kein behördlicher Akt gesetzt werden, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialistischer Wiederbetätigung bedeuten würde.
Die Kameradschaft IV hält seit den 50iger Jahren am Salzburger Kommunalfriedhof Kranzniederlegungen ab, wobei die Kranzschleife mit der Aufschrift 'unseren gefallenen Kameraden der Waffen-SS' versehen ist. In der von der Kameradschaft IV herausgegebenen Zeitschrift werden die Verbrechen des SS Regimes verharmlost und die SS glorifiziert. In diese generelle Vereinspolitik ist auch die Organisation der Kranzniederlegung auf dem Salzburger Kommunalfriedhof einzuordnen. Bei der Kranzniederlegung handelt es sich nicht nur um einen volkstümlichen Aufmarsch, sondern um eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes, die nicht angezeigt wurde.
Wenn die Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt, daß diese Kranzniederlegung seinerzeit weder von den amerikanischen Besatzungsbehörden noch späterhin von antifaschistischen Organisationen in Salzburg oder der israelischen Kultusgemeinde in Salzburg wegen Verdachtes einer nationalsozialistischen Wiederbetätigung kritisiert worden ist, so erscheint dies für den Beschwerdeführer lediglich von historischem Interesse und ist dies für die Klärung der hier in Rede stehenden Rechtsfrage bedeutungslos. Auch die Praxis der oben erwähnten Organisationen bzw. Behörden enthebt die belangte Behörde nicht von der verfassungskonformen Interpretation des Versammlungsgesetzes.
Für den Fall, daß es sich bei der Kranzniederlegung der Kameradschaft IV um volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge handelt, hätte dies, wohl auch für die Trauer der Versammlungsteilnehmer der angezeigten Versammlung zu gelten. Die belangte Behörde hätte daher zur Auffassung gelangen müssen, daß die vom Beschwerdeführer angezeigte Versammlung nicht anzeigepflichtig ist. Der Untersagungsbescheid war auch aus diesem Grund verfehlt.
Im Fall, daß eine angezeigte Versammlung örtlich und zeitlich mit einer bereits stattfindenden anderen Versammlung oder sonstigem Ereignis kollidiert, hätte die Behörde eine Güterabwägung vornehmen müssen bzw. die Durchführung beider Veranstaltungen ermöglichen. Die Behörde hat weder eine Güterabwägung vorgenommen, noch hat sie Anstrengungen unternommen, um ein gemeinsames Stattfinden zu gewährleisten. Eine Kompromißlösung, welche von der Behörde anzustreben gewesen wäre, wurde nicht versucht, da mit der Kameradschaft IV keinerlei Kontakt aufgenommen wurde. Schon darin liegt eine Verletzung des Versammlungsgesetzes, welche die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Versammlungsfreiheit des Beschwerdeführers verletzte. Bei dieser Güterabwägung wäre insbesondere zu erwägen gewesen, daß Österreich aus seinem kulturellen Leben alle Spuren des Nazismus zu entfernen hat. (Art9 Staatsvertrag von Wien). Wenn daher am gleichen Ort und zur gleichen Zeit Veranstaltungen stattfinden sollen, wobei eine die Trauer um von der SS ermordeten Salzburger Juden bezweckt, die andere aber eine Huldigung der Waffen SS zum Inhalt hat, so rechtfertigt diese Kollision bei verfassungskonformer Interpretation des Versammlungsgesetzes keinesfalls eine Untersagung der Erstgenannten und angezeigten Versammlung.
Feststellungen der belangten Behörde zur Örtlichkeit des Versammlungsortes, insbesondere ob aufgrund der örtlichen Gegebenheit überhaupt ein Be- oder Verhindern der Kranzniederlegung der Kameradschaft IV stattfinden kann, hat die Behörde nicht getroffen. Die Entscheidung der belangten Behörde ist offensichtlich von dem Bestreben getragen, den Friedhofsbesuchern bzw. den Teilnehmern der Kranzniederlegung der Kameradschaft IV den Anblick um von der SS ermordeten Juden trauernden Personen zu ersparen, und daher jede Art einer Kundgebung in einer räumlichen Nähe des Aufmarsches der Kameradschaft IV zu untersagen, was einer Aushöhlung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Versammlungsrechtes gleichkommt.
Völlig unverständlich und nicht nachvollziehbar ist die im Zuge der Interessensabwägung angeführte Argumentation, daß durch die Trauer um von der SS ermordeten Juden eine Verhöhnung der Gefallenen der beiden (?!) Weltkriege, und somit eine unerträgliche Provokation darstellen würde. Offensichtlich und verfassungskonform ist, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Österreicher den Nationalsozialismus und die verbrecherische Organisation der Waffen SS entschieden ablehnt. Vor diesem Hintergrund wäre nur die Argumentation zulässig, daß die Versammlung der Kameradschaft IV als unerträgliche Provokation für die auf dem Boden der österreichischen Verfassung stehenden Staatsbürger zu empfinden ist.
Im übrigen rechtfertigt der Umstand, daß sich Friedhofsbesucher durch die Trauer um von der SS ermordeten Juden gestört fühlen, keine Untersagung der Versammlung. Letztlich ist die Prognose, es würde zu Ordnungsstörungen oder Anstandsverletzungen von den Teilnehmern der angezeigten Versammlung kommen, allgemein gehalten und nicht begründet. Angesichts der stillen Trauer von höchstens 6 Personen, welche ausdrücklich auf Aktivitäten irgendwelcher Art verzichten, erlaubt mangels Indiz und Anhaltspunkt keinen Schluß auf die von der Behörde in ihrer Prognoseentscheidung zu befürchtenden Anstandsverletzungen bzw. Ordnungsstörungen.
In diesem Zusammenhang ist unverständlich, warum das Fax des Herrn Mag. F. E. vom 31.10.1998, in welcher auf eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes hingewiesen wird, die Behörde ableitet, eine Konfrontation mit den Mitgliedern der Kameradschaft IV Essenz dieser Versammlung sein soll.
Sohin liegt auch darin eine Verletzung des Versammlungsgesetzes, weil zum Einen die Interessensabwägung durch die belangte Behörde völlig unzureichend ist, und andererseits dort wo sie vorgenommen wurde, unrichtig und nicht verfassungskonform ist."
2.1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 12.257/1990, 15.109/1998, 15.170/1998) ist jede Verletzung des VersammlungsG, die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten. So verletzt etwa jeder Bescheid, mit dem österreichischen Staatsbürgern gegenüber die Abhaltung einer Versammlung untersagt wird, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit schon dann, wenn das Gesetz unrichtig angewendet wurde.
Gemäß §6 VersammlungsG sind Versammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwiderläuft oder deren Abhaltung die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet, von der Behörde (§16 VersammlungsG) - bescheidmäßig - zu untersagen. Die Behörde ist hiezu jedoch nur dann ermächtigt, wenn dies aus einem der im Art11 Abs2 EMRK genannten Gründe notwendig ist. Die Behörde hat, wenn sie eine Untersagung der Versammlung in Betracht zieht, die Interessen des Veranstalters an der Abhaltung der Versammlung in der geplanten Form gegen die im Art11 Abs2 EMRK aufgezählten öffentlichen Interessen am Unterbleiben der Versammlung abzuwägen (vgl. VfSlg. 10.443/1985, 12.257/1990). Die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Untersagung der Versammlung vorliegen, ist in einer sogenannten "Prognoseentscheidung" zu lösen. Die Behörde hat nämlich aufgrund konkret festgestellter, objektiv erfaßbarer Umstände zu prognostizieren, ob und weshalb bei Abhaltung der Versammlung etwa die öffentliche Sicherheit oder das öffentliche Wohl gefährdet werden (vgl. z.B. VfSlg. 5087/1965, 6530/1971, 6850/1972, 8610/1979, 11.832/1988, 12.155/1989, 12.257/1990).
§5 VersammlungsG normiert, daß "öffentliche Belustigungen, Hochzeitszüge, volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge, Leichenbegängnisse, Prozessionen, Wallfahrten und sonstige Versammlungen oder Aufzüge zur Ausübung eines gesetzlich gestatteten Kultus, wenn sie in der hergebrachten Art stattfinden," von den Bestimmungen des Gesetzes ausgenommen sind.
2.2. Die belangte Behörde hat an die Spitze der Begründung des angefochtenen Bescheides den Hinweis gestellt, daß "eine Delegation des Vereins Soldatenvereinigung 'Kameradschaft IV' ... alljährlich am Allerheiligentag seit über 40 Jahren vor dem Kriegerdenkmal im Areal des Kommunalfriedhofes in Salzburg einen Kranz mit einer Schleife 'Zum Gedenken an die gefallenen Kameraden der Waffen-SS'" niederlegt. Weiters hebt die belangte Behörde in der Begründung hervor, daß diese Kranzniederlegung weder seitens der amerikanischen Besatzungsbehörden noch von antifaschistischen Organisationen in Salzburg oder von der israelitischen Kultusgemeinde Salzburg wegen Verdachts einer nationalsozialistischen Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes kritisiert worden sei.
Soweit die belangte Behörde daraus bereits in jeder Hinsicht die Rechtmäßigkeit dieses Zusammentreffens abzuleiten scheint, obwohl es nach der Aktenlage im Jahr 1998 sogar zu Anzeigen gegen Teilnehmer dieser Veranstaltung wegen Übertretung des Abzeichengesetzes gekommen ist, ist vorweg darauf hinzuweisen, daß sich die rechtliche Beurteilung auch eines traditionellen Zusammentreffens dann entsprechend zu verändern hat, wenn sich der Charakter des Zusammentreffens selbst verändert.
Es scheint daher zweckmäßig, einerseits darauf aufmerksam zu machen, daß §3 Verbotsgesetz ein unmittelbar wirksames, von jedem Staatsorgan im Rahmen seines Wirkungsbereiches zu beachtendes Verbot enthält (vgl. dazu näher VfSlg. 10.705/1985 und VfSlg. 12.646/1991), und daß andererseits die belangte Behörde ebenso zu überprüfen hat, ob das Zusammentreffen vom Ausnahmetatbestand des §5 VersammlungsG überhaupt erfaßt ist (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 4. Dezember 1999, B1518/98).
Wenngleich die Untersagung der Versammlung allein zum Schutz der Kranzniederlegung durch die Kameradschaft IV nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so wurde die vom Beschwerdeführer angemeldete Versammlung gesamthaft betrachtet letztlich dennoch zu Recht untersagt:
Die belangte Behörde hat die Untersagung der vom Beschwerdeführer angezeigten Versammlung auch damit tragend begründet, die bereits traditionellen Kranzniederlegungen beim Kriegerdenkmal vor dem Salzburger Kommunalfriedhof zu Allerheiligen seien seit einigen Jahren Gegenstand von Aktionen seitens einer bestimmten politischen Richtung geworden, deren vorrangiges Ziel die Störung der Kranzniederlegung gewesen sei, und die "empfindliche Beeinträchtigungen der übrigen Friedhofsbesucher" und polizeiliches Einschreiten nach sich gezogen hätten. Nach den Umständen sei anzunehmen gewesen, daß die angezeigte Versammlung in vergleichbarer Weise das traditionelle Totengedenken am Allerheiligentag stören werde (§81 SPG, Verletzung des öffentlichen Anstandes). Im Interesse des Schutzes des "Publikums" sei die Versammlungsuntersagung im Grunde des Art11 Abs2 EMRK erforderlich.
2.3. Der Verfassungsgerichtshof vermag der belangten Behörde in ihrer Einschätzung der potentiellen Störung der übrigen Friedhofsbesucher und der daraus folgenden rechtlichen Beurteilung des Sachverhaltes im Ergebnis nicht entgegenzutreten:
2.3.1.1. Unbestritten ist, daß der Beschwerdeführer eine Versammlung für den 1. November 1998, den "Allerheiligentag", und zwar auf einem Friedhof als geplanten Versammlungsort angezeigt hat. Unbestritten ist weiters, daß der Beschwerdeführer im Friedhofsgelände des Salzburger Kommunalfriedhofes den Platz vor dem "Kriegerdenkmal" ausgewählt hat, um eine Versammlung mit dem angegebenen Zweck der "Trauer um die von der SS ermordeten Salzburger Juden" abzuhalten. Fest steht weiters, daß der 1. November in der Tradition der österreichischen Bevölkerung erhebliche Bedeutung hat und herkömmlich dem Totengedenken, im besonderen auch auf den Friedhöfen, dient.
2.3.1.2. Das traditionelle christliche Totengedenken zu Allerheiligen auf Friedhöfen ist insgesamt als religiöser Gebrauch durch Art9 EMRK grundrechtlich geschützt. Nun untersagt Art9 EMRK nicht bloß dem Staat, selbst in die Religionsfreiheit ohne Rechtfertigung iSd. Art9 Abs2 EMRK einzugreifen, sondern verpflichtet ihn auch zum Schutze rechtmäßiger Religionsausübung gegen gezielte Störungen von dritter Seite (vgl. die zu Art11 EMRK ergangene Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 12.501/1990 sinngemäß).
2.3.2. Art11 Abs2 EMRK läßt staatliche Eingriffe in die grundrechtlich gewährleistete Versammlungsfreiheit auf gesetzlicher Grundlage zu, wenn dies in einer demokratischen Gesellschaft u.a. zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Zu den Rechten und Freiheiten anderer iSd. Art11 Abs2 EMRK zählt zweifellos auch das Recht auf ungestörte Religionsausübung, wie es Art9 EMRK grundrechtlich absichert und die einfachgesetzliche Rechtsordnung vielfach anerkennt.
2.3.3. §27 Abs1 SPG verpflichtet die Sicherheitsbehörden, zu welchen auch die Bundespolizeidirektionen und die Sicherheitsdirektionen als Versammlungspolizeibehörden zählen (§2 iVm §4 SPG), zur Aufrechterhaltung der Ordnung an öffentlichen Orten. Dabei haben sie - dies schärft §27 Abs1, zweiter Satz, SPG ausdrücklich ein - "auf das Interesse des Einzelnen, seine Grund- und Freiheitsrechte ungehindert auszuüben, besonders Bedacht zu nehmen". Daraus folgt auch, daß gezielte Störungen einer gesetzmäßigen Ausübung von Grundrechten an öffentlichen Orten (etwa auch der Religionsausübung auf Friedhöfen) im Rahmen der Gesetze zu unterbinden sind.
Da die Besucher von Friedhöfen dort an Fest- oder Gedenktagen regelmäßig Gebräuchen nachgehen, sind an diesen Orten Versammlungen im Sinne des VersammlungsG - sofern sie geeignet sind, Störungen der vorerwähnten Art hervorzurufen - insbesondere an solchen Tagen zu untersagen.
Die belangte Behörde hat daher ihre Entscheidung im Ergebnis zu Recht und in gehöriger Interessenabwägung iSd. Art11 Abs2 EMRK auf die Untersagungsgründe des §6 VersammlungsG - nämlich eine einem Strafgesetz zuwiderlaufende Zwecksetzung (§81 Abs1 SPG) und eine Beeinträchtigung des öffentlichen Wohles (des Interesses an ungestörter Religionsausübung iSd. Art9 EMRK) - gestützt.
Der angefochtene Bescheid hat also den Beschwerdeführer nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.
3. Im Hinblick darauf, daß die Behörde rechtsrichtig entschieden hat und daß gegen die bei Erlassung des angefochtenen Bescheides angewendeteten Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen, ist es ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer durch den bekämpften Bescheid in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder in seinen Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt wurde.
Die Beschwerde war deshalb abzuweisen.
III. Dies konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz und Z1, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Religionsfreiheit, Nationalsozialistengesetzgebung, Polizei, Sicherheitspolizei allgemeine, VersammlungsrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1613.1999Dokumentnummer
JFT_09998787_99B01613_00