TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/8 2002/03/0331

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Veröffentlicht am 08.09.2004
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Index

24/01 Strafgesetzbuch;
40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

AVG §58 Abs2;
AVG §60;
StGB §88 Abs1;
StGB §88 Abs2 Z4;
StVO 1960 §20 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs6 litc;
VStG §24;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Gall und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der CM in S, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 29. Oktober 2002, Zl. UVS-3/13087/5-2002, betreffend Übertretungen der StVO 1960, beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Die Behandlung der Beschwerde wird, insoweit mit ihr der angefochtene Bescheid in seinem Spruchpunkt 1 bekämpft wird, abgelehnt. Ein Kostenersatz findet diesbezüglich nicht statt.

Im Übrigen, also hinsichtlich des Spruchpunktes 2 des angefochtenen Bescheides, wird der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Salzburg ist schuldig, der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 22. Mai 2002 wurde die Beschwerdeführerin wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Angaben zu den Taten:

 

Zeit der Begehung:

05.12.2001, 12:10 Uhr

Ort der Begehung:

Straßwalchen, Köstendorfer Landesstraße L 206 bei km 0.150, Richtung Steindorf fahrend

Fahrzeug:

KFZ, S (A)

1. Sie haben nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, an dem Sie durch Ihr Verhalten am Unfallort in ursächlichem Zusammenhang standen, die nächste Gendarmeriedienststelle nicht sofort verständigt.

2. Sie haben als Fahrzeuglenkerin die Fahrgeschwindigkeit nicht den gegebenen Umständen angepasst, da Sie dem bereits stehenden Kraftfahrzeug V hinten aufgefahren sind und nicht mehr rechtzeitig anhalten konnten.

Sie haben dadurch folgende Verwaltungsübertretungen begangen:

1. Übertretung gemäß § 4(2) 2. Satz Straßenverkehrsordnung

2. Übertretung gemäß § 20(1) Straßenverkehrsordnung

Deshalb werden gegen Sie folgende Verwaltungsstrafen verhängt:

1.

Strafe gemäß:

§ 99(2)a Straßenverkehrsordnung

Euro

218,00

 

Ersatzfreiheitsstrafe: 72 Stunden

 

 

 

 

 

 

2.

Strafe gemäß:

§ 99(3)a Straßenverkehrsordnung

Euro

72,00

 

Ersatzfreiheitsstrafe 48 Stunden"

 

 

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 29. August 2002 wurde die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen, jedoch der Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses wie folgt modifiziert:

"Bei der Tatumschreibung im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses wird nach dem Wort 'Personenschaden' der Klammerausdruck '(Verletzung der Frau KN)' und bei Punkt 2. nach dem Wort 'Umständen' die Wortfolge ', nämlich den Verkehrsverhältnissen' ergänzt.

Bei der übertretenen Norm zu Ziffer 2. wird '1. Satz' ergänzt."

Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen davon aus, die Beschwerdeführerin habe den gegenständlichen PKW zum Tatzeitpunkt auf der Köstendorfer Landesstraße (L 206) in Richtung Steindorf mit einer Geschwindigkeit von etwa 40 bis 50 km/h gelenkt. Die Straße sei asphaltiert und habe einen Fahrstreifen in jede Fahrtrichtung; zum Tatzeitpunkt hätten keine Sichtbehinderungen, etwa durch Nebel oder Schneefall oder dergleichen bestanden. An der Kreuzung zwischen der L 206 und der B 1 sei eine Fahrzeugkolonne, "deren Fahrzeuge in die B 1 einzubiegen gedachten", gestanden, wobei Lenkerin des letzten Fahrzeuges dieser Kolonne KN gewesen sei. Als dieses Fahrzeug bereits gestanden sei, sei die Beschwerdeführerin auf den von N gelenkten PKW aufgefahren, weil sie kurz zuvor einen Bekannten am Straßenrand gesehen hätte und in Folge eines Blickes zu diesem unaufmerksam gewesen sei. Die Beschwerdeführerin habe trotz sofort eingeleiteter Vollbremsung ihr Fahrzeug nicht mehr ohne auf das von N gelenkte Fahrzeug aufzufahren anhalten können. Die Unfallbeteiligten seien ausgestiegen und hätten gemeinsam den Unfallbericht ausgefüllt. Auf die Frage der Beschwerdeführerin, ob N verletzt sei, habe diese geäußert, "ihr sei schwindlig, sie habe etwas Kopfschmerzen und einen Schock, benötige aber keinen Arzt und wolle auch nicht zum Arzt gebracht werden". Die Verständigung der Gendarmerie sei zwischen den Unfallbeteiligten nach Austausch der Daten kein Thema gewesen. Die belangte Behörde führte weiter aus, die Angaben von KN, sie habe Kopfschmerzen und Schwindel, seien geeignet gewesen, auf nicht sichtbare Verletzungen bzw. eine Gesundheitsschädigung im medizinischen Sinn hinzudeuten. Schon daraus habe die Möglichkeit einer Verletzung durch die Beschwerdeführerin erkannt werden müssen, auch wenn das Ansinnen, zum Arzt gebracht zu werden, bzw. zur Verständigung der Rettung abgelehnt worden sei. Die Beschwerdeführerin habe daher die Meldeverpflichtung des § 4 Abs. 2 StVO 1960 getroffen, die sie nicht erfüllt habe. Die Beschwerdeführerin habe weiters die Geschwindigkeit ihres Fahrzeuges nicht den gegebenen Verhältnissen angepasst und sei in Folge einer Unaufmerksamkeit auf die vor ihr stehende Kolonne aufgefahren. Die Fahrgeschwindigkeit hätte so gewählt werden müssen, dass ein rechtzeitiges Anhalten hinter dem letzten Fahrzeug dieser Kolonne, ohne auf dieses aufzufahren, möglich gewesen wäre. Da kein bloßer Sachschadenunfall vorliege, allerdings nur eine unter der Grenze des § 88 Abs. 2 Z. 4 StGB liegende Körperverletzung, liege eine Übertretung gegen § 20 Abs. 1 zweiter Satz StVO 1960 vor.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragt in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Zur Ablehnung:

Gemäß § 33a VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof die Behandlung einer Beschwerde (unter anderem) gegen einen Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates durch Beschluss ablehnen, wenn die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil sie von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird, und in Verwaltungsstrafsachen die verhängte Geldstrafe nicht EUR 750 übersteigt.

Diese Voraussetzungen treffen in Ansehung der mit Spruchpunkt 1 des angefochtenen Straferkenntnisses bestraften Übertretung nach § 4 Abs. 2 zweiter Satz StVO 1960 zu. Es ergibt sich aus dem Beschwerdevorbringen keine Grundlage dafür, dass die Entscheidung über die Beschwerde in Ansehung dieser Übertretung von der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 33a VwGG abhängig wäre. Die Behandlung der Beschwerde war daher diesbezüglich abzulehnen, wobei ein Kostenersatz gemäß § 58 Abs. 1 VwGG nicht stattfindet.

Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde legte der mit Spruchpunkt 2 des angefochtenen Straferkenntnisses geahndeten Übertretung zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin in Folge eines (von ihr im Übrigen selbst zugestandenen) Aufmerksamkeitsfehlers die Fahrgeschwindigkeit ihres Fahrzeuges nicht in einer Weise den herrschenden Verhältnissen angepasst habe, dass sie ihr Fahrzeug noch vor den vor ihr stehenden Fahrzeugen anhalten könne. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es sei nicht das Tatbild des § 20 Abs. 1 StVO 1960, sondern allenfalls jenes des § 18 Abs. 1 leg.cit. erfüllt, ist schon deshalb verfehlt, weil es im vorliegenden Fall nicht um das Hintereinanderfahren in einem ausreichenden Abstand zum nächsten vor der Beschwerdeführerin fahrenden Fahrzeug geht.

Gemäß § 20 Abs. 1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges die Fahrgeschwindigkeit den gegebenen oder durch Straßenverkehrszeichen angekündigten Umständen, insbesondere auch den Verkehrs- und Sichtverhältnissen, anzupassen. Die vom Lenker aufzubietende Aufmerksamkeit, die Geschwindigkeit und die Sichtverhältnisse stehen dabei in einem derart untrennbaren Zusammenhang, dass nur das richtige Verhältnis dieser Komponenten zueinander der Vorschrift des § 20 StVO 1960 gerecht wird (vgl. die in Pürstl/Somereder, Straßenverkehrsordnung, 11. Aufl., in E. 13 zu § 20 StVO zitierte Judikatur). Die Beschwerdeführerin hätte somit die Geschwindigkeit ihres Fahrzeuges - worauf die belangte Behörde zu Recht hinweist - derart wählen müssen, dass sie noch rechtzeitig vor dem vor ihr stehenden Fahrzeug anhalten hätte können. Indem sie in Folge eines Aufmerksamkeitsfehlers die Fahrgeschwindigkeit zu spät herabsetzte und deshalb ihr Fahrzeug nicht mehr rechtzeitig zum Stillstand bringen konnte, hat sie die Bestimmung des § 20 Abs. 1 (erster Satz) StVO 1960 verletzt.

Ob sie deshalb auch tatsächlich bestraft werden kann, hängt jedoch davon ab, ob ein Fall der Straffreiheit gemäß § 99 Abs. 6 StVO 1960 - die Beschwerdeführerin bezieht sich auf dessen lit. c -

vorliegt oder nicht. Nach dieser Bestimmung liegt keine Verwaltungsübertretung vor, wenn eine Tat nach der StVO 1960 oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden Handlung verwirklicht.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid im Rahmen der rechtlichen Beurteilung ausgeführt, es liege "kein bloßer Sachschadensunfall" vor, "allerdings eine unter der Grenze des § 88 Abs. 2 Z 4 StGB liegende Körperverletzung".

Gemäß § 88 Abs. 1 StGB ist mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen zu bestrafen, wer fahrlässig einen anderen am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Nach § 88 Abs. 2 Z. 4 leg. cit. ist der Täter nach Abs. 1 nicht zu bestrafen, wenn den Täter kein schweres Verschulden trifft und aus der Tat keine Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit einer anderen Person von mehr als dreitägiger Dauer erfolgt. Hinreichende Feststellungen, aus denen nachvollziehbar überprüft werden könnte, es liege nicht der Fall einer Straffreiheit gemäß § 99 Abs. 6 lit. c StVO 1960 vor, fehlen dem angefochtenen Bescheid jedoch, sodass er mit einem relevanten Begründungsmangel belastet ist. Eine im Verwaltungsstrafakt festgehaltene Gedächtnisnotiz, einer Mitteilung des BG Neumarkt zufolge sei das Gerichtsverfahren wegen nicht mehr als dreitägiger Gesundheitsschädigung eingestellt worden, vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern.

Der angefochtene Bescheid war daher in Bezug auf den Spruchpunkt 2 gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 8. September 2004

Schlagworte

Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Berufungsverfahren Geschwindigkeit Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002030331.X00

Im RIS seit

12.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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