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L10014 Gemeindeordnung Gemeindeaufsicht GemeindehaushaltNorm
AVG §69 Abs1 litb;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck sowie die Hofräte Dr. Holeschofsky, Dr. Köhler, Dr. Zens und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schiffkorn, über die Beschwerde 1.) der GE und
2.) des FE, beide in M, beide vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 10. Jänner 2000, Zl. Gem-524013/4-1999-Wa/Gdl, betreffend
1.) Wiederaufnahme des Verfahrens und 2.) Vorschreibung von Wasserleitungsanschlussgebühren (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Mattighofen, Stadtplatz 3, 5230 Mattighofen), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 26. Jänner 1999 wurde den Beschwerdeführern für eine näher bezeichnete, im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde gelegene Liegenschaft unter Zugrundelegung einer Bemessungsgrundlage von 322 m2 eine Wasserleitungsanschlussgebühr in der Höhe von brutto S 14.168,-- (netto S 12.880,-- + 10 % Mehrwertsteuer) gemäß § 2 Abs. 4 und Abs. 4 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 2 der Wassergebührenordnung der mitbeteiligten Gemeinde vom 15. April 1980 vorgeschrieben.
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung der Beschwerdeführer, in der im Wesentlichen die Verjährung der vorgeschriebenen Gebühr eingewendet wurde, gab die belangte Behörde mit Bescheid vom 21. Juli 1999, Zl. Gem-524013/2-1999- Wa/Kr, mit der Begründung statt, die Wassergebührenordnung der mitbeteiligten Gemeinde vom 15. April 1980 sehe vor, dass zu den jeweiligen Gebühren Mehrwertsteuer in der Höhe von 8 % vorzuschreiben sei. Auch wenn die gesetzliche Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Baufertigstellung im Jahre 1990 nicht mehr 8 % betragen habe, sondern bereits 10 %, könnten im Beschwerdefall dennoch nicht 10 % Mehrwertsteuer vorgeschrieben werden, da die Gebührenordnung den geringeren Satz von 8 % vorsehe.
Aus diesem Grund hob die belangte Behörde den Bescheid des Gemeinderates vom 26. Jänner 1999 auf.
Mit Schreiben vom 26. Juli 1999 stellte der Bürgermeister der mitbeteiligten Gemeinde gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG den Antrag auf Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens, da mit Gemeinderatsbeschluss vom 12. Dezember 1983 eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes hinsichtlich der "Kanalanschlussgebühren" auf 10 % beschlossen worden sei und die Anschlussgebühr künftig in den Verordnungen inklusive Mehrwertsteuer auszuweisen sei. Eine Erhöhung der Gebühren sei nicht vorgenommen worden. Die Anwendung des Mehrwertsteuersatzes von 10 % im Bescheid des Gemeinderates vom 26. Jänner 1999 sei daher zu Recht erfolgt. Da die Berechnung der Mehrwertsteuer weder Gegenstand des bisherigen Berufungsverfahrens noch des späteren Vorstellungsverfahrens gewesen sei, seien nur jene Beilagen zum Vorstellungsakt gegeben beziehungsweise berichtsmäßig nur jene Punkte erfasst worden, die das Verfahren selbst betroffen hätten. Die Nichterbringung des Beweises für die richtige Berechnung der Mehrwertsteuer im Vorstellungsverfahren sei daher nicht "im Verschulden der Stadtgemeinde gelegen". Bei Beachtung dieser Beweise hätte jedoch ein anders lautender Vorstellungsbescheid ergehen müssen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde unter Spruchpunkt I. dem Wiederaufnahmeantrag der mitbeteiligten Gemeinde statt und wies unter Spruchpunkt II. die Vorstellung der Beschwerdeführer als unbegründet ab.
Dadurch, dass der Gemeinderat mit Beschluss vom 12. Dezember 1983 eine Anpassung des Mehrwertsteuersatzes auf 10 v.H. vorgenommen und beschlossen habe, dass künftig in den Verordnungen die Anschlussgebühr inklusive Mehrwertsteuer auszuweisen sei, "hätte der Bescheid der Oö. Landesregierung vom 21. Juli 1999, Gem-524016/3-1999-Wa (richtig wohl: Gem-524013/2- 1999-Wa/Kr), einen anderslautenden Spruch gehabt". Dem Antrag auf Wiederaufnahme sei daher stattzugeben gewesen.
Hinsichtlich Spruchpunkt II. führte die belangte Behörde aus, dass bei nachträglichen Änderungen eines angeschlossenen Grundstückes eine ergänzende Wasserleitungsanschlussgebühr gemäß § 2 Abs. 4 lit. a der Wassergebührenordnung der mitbeteiligten Stadtgemeinde zu entrichten sei. Die Verpflichtung zur Entrichtung einer ergänzenden Wasserleitungsanschlussgebühr entstehe mit dem Einlangen der Anzeige über die Vollendung der Bauarbeiten bei der Gemeinde.
Dies sei anlässlich des Ansuchens um Benützungsbewilligung im Jahr 1990 erfolgt. Gemäß § 153 LAO werde die Verjährung durch jede Geltendmachung des Anspruches oder jede zur Feststellung des Abgabenpflichtigen von der Abgabenbehörde unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen und beginne mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Unterbrechung eingetreten sei, neu zu laufen. Das im Jahr 1995 zur Erhebung der Wasseranschlussgebühr an die Beschwerdeführer gerichtete Schreiben der mitbeteiligten Gemeinde, in welchem als Berechnungsgrundlage eine Fläche von 322 m2 angegeben worden sei, sei eine nach außen erkennbare Amtshandlung, die die Verjährung unterbrochen habe.
Da somit im Beschwerdefall Verjährung noch nicht eingetreten sei, sei eine ergänzende Wasserleitungsanschlussgebühr in der vom Gemeinderat festgesetzten Höhe vorzuschreiben gewesen.
Die vorliegende Beschwerde richtet sich sowohl gegen Spruchpunkt I. als auch gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
Im Vorstellungsverfahren über die gegenständliche Wasserleitungsanschlussgebühr war das AVG anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. November 2002, Zl. 2000/17/0013).
Gemäß § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten.
Bei den in dieser Bestimmung bezeichneten "Tatsachen und Beweismitteln" muss es sich um neu hervorgekommene, d.h. um solche handeln, die bereits zur Zeit des Verfahrens bestanden haben, aber erst später bekannt wurden. Mit "Tatsachen" sind Geschehnisse im Seinsbereich, nicht etwa Rechtsänderungen oder spätere Gutachten über Tatsachen, mit "Beweismittel" Mittel zur Herbeiführung eines Urteils über Tatsachen gemeint (Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, Rz 588).
Ein Wiederaufnahmsgrund nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG kann von vornherein nur ein Umstand sein, der den Sachverhalt betrifft, der dem das wiederaufzunehmende Verfahren abschließenden Bescheid zugrundegelegt wurde. Eine in einem anderen Verfahren geäußerte Rechtsansicht kann niemals einen Wiederaufnahmsgrund nach dieser Bestimmung darstellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. April 1951, Slg. Nr. 2.054/A).
Nachträglich sich ergebende rechtliche Bedenken gegen die Richtigkeit eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheides bilden keinen Wiederaufnahmsgrund (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. September 1978, Zl. 2300/77).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass das nachträgliche Erkennen, dass im abgeschlossenen Verfahren Verfahrensmängel oder gar eine unrichtige rechtliche Beurteilung seitens der Behörde vorgelegen seien, ebenso wenig einen Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 69 Abs. 1 Z 2 AVG bildet wie etwa das nachträgliche Bekanntwerden von Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes, aus denen sich ergibt, dass die von der Behörde im abgeschlossenen Verfahren vertretene Rechtsauffassung verfassungs- oder gesetzwidrig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. September 1997, Zl. 97/17/0257, sowie das hg. Erkenntnis vom 16. März 1987, Zl. 84/10/0072).
Die mitbeteiligte Gemeinde stützte ihren Antrag auf Wiederaufnahme des Vorstellungsverfahrens auf eine durch den Beschluss des Gemeinderates vom 12. Dezember 1983 erfolgte Novellierung der maßgeblichen Rechtslage, welche offenkundig von der belangten Behörde nicht berücksichtigt worden war. Dieser Argumentation folgte die belangte Behörde, indem sie dem gegenständlichen Wiederaufnahmeantrag stattgab.
Hiebei übersieht die belangte Behörde jedoch - wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in den Erkenntnissen vom 20. November 2002 und vom 4. September 2003 in den sachverhaltsmäßig im Wesentlichen mit dem vorliegenden Beschwerdefall übereinstimmenden hg. Verfahren zu den Zlen. 2000/17/0012 und 2000/17/0024 dargelegt hat -, dass der Beschluss des Gemeinderates vom 12. Dezember 1983 nicht ein auf der Tatsachenebene eingetretenes Ereignis ist, sondern Teil der von der Behörde anzuwendenden Rechtslage. Als ein der rechtlichen Ebene zuzuordnendes Element scheidet der genannte Beschluss jedoch - entsprechend der zitierten ständigen Rechtsprechung - von vornherein als Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 2 AVG aus.
Die Bewilligung der Wiederaufnahme infolge der Nichtbeachtung des Gemeinderatsbeschlusses vom 12. Dezember 1983 war daher auch im vorliegenden Fall rechtswidrig, weshalb Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.
2. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Durch die Aufhebung eines angefochtenen Bescheides durch den Verwaltungsgerichtshof tritt das Verfahren in jene Lage zurück, in der es sich vor Erlassung des angefochtenen Bescheides befunden hatte (§ 42 Abs. 3 VwGG).
Dies führt im Beschwerdefall dazu, dass zufolge der Aufhebung des die Wiederaufnahme bewilligenden Spruchpunktes I. des angefochtenen Bescheides vom Weiterbestehen des rechtskräftigen Vorstellungsbescheides vom 26. Jänner 1999 auszugehen ist.
Die Rechtskraft dieses der Vorstellung der Beschwerdeführer stattgebendenden Bescheides der belangten Behörde vom 26. Jänner 1999 stand daher einem neuerlichen Abspruch über die Vorstellung entgegen.
Da die Abweisung der Vorstellung der Beschwerdeführer somit unter Missachtung der Rechtskraftwirkung des Bescheides vom 26. Jänner 1999 erfolgte, erweist sich auch Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig und war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 53 Abs. 1 VwGG, in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. II. Nr. 333/2003, insbesondere auf deren § 3 Abs. 2. Die von den Beschwerdeführern entrichtete Pauschalgebühr in der Höhe von S 2.500,-- war dabei gemäß § 3 Abs. 2 Z 3 Euro-Gesetz, BGBl. I Nr. 72/2000, mit EUR 181,68 in Ansatz zu bringen. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft den geltend gemachten Schriftsatzaufwand für eine zweite Beschwerde, da sich die Beschwerde nicht gegen zwei Bescheide richtet, sondern gegen einen in zwei Spruchpunkte gegliederten Bescheid.
Wien, am 13. September 2004
Schlagworte
Neu hervorgekommene entstandene Beweise und Tatsachen nova reperta nova productaAndere rechtliche BeurteilungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2000170018.X00Im RIS seit
02.11.2004Zuletzt aktualisiert am
08.07.2009