TE Vfgh Erkenntnis 2000/12/14 B163/00

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Veröffentlicht am 14.12.2000
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art144 Abs1 / Anlaßfall

Leitsatz

Anlassfallwirkung der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des §70a bzw der Aufhebung des §75 Abs9 der Wr BauO 1930 idF LGBl 40/1997 mit E v 12.12.00, G97/00.

Spruch

Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit S 29.500,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Magistrat der Stadt Wien erteilte mit Bescheid vom 12. Juli 1999 gemäß §70 iVm §8 Abs1 der Bauordnung für Wien und in Anwendung des Wiener Garagengesetzes auf der Liegenschaft Wien 19, Sieveringer Straße 23, die Bewilligung für die Errichtung einer voll unterkellerten Wohnhausanlage mit 3 Hauptgeschossen und 2 ausgebauten Dachgeschossen, beinhaltend insgesamt 12 Wohnungen, sowie ein Nebengebäude im Ausmaß von 30 m². Der Magistrat sprach in der Begründung aus, dass die Einwendungen der Anrainerin "unbeachtlich" seien bzw. "im Gesetz nicht begründet".

Die Anrainerin erhob gegen den Bescheid ua. mit der Begründung einer unzulässigen Gebäudehöhe Berufung. Die belangte Behörde wies mit bekämpftem Bescheid vom 13. Dezember 1999 die Berufung ua. mit der Begründung ab, dass unter Anwendung der Ausnahmebestimmung des §75 Abs9 der Bauordnung für Wien im vorliegenden Fall die zulässige Gebäudehöhe nicht überschritten werde, da das örtliche Stadtbild nicht beeinträchtigt werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde der Anrainerin, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf Unverletzlichkeit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen (Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument Nr. 7116 und §75 Abs9 der Bauordnung für Wien) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.

3. Die Bauoberbehörde für Wien als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

4. Die Wiener Landesregierung erstattete über Ersuchen des Verfassungsgerichtshofs eine Äußerung zur Verfassungsmäßigkeit des §75 Abs9 der Bauordnung für Wien, in der sie die Bestimmung verteidigt.

5. Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.

6. Die Beschwerdeführerin erstattete eine Replik zur Äußerung der mitbeteiligten Partei.

7. Mit amtswegigem Beschluss vom 28. Juni 2000, B2284/98, leitete der Verfassungsgerichtshof das Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit des §70a und des §75 Abs9 der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930, idF LGBl. Nr. 40/1997, ein. Mit Erkenntnis vom 12. Dezember 2000, G97/00, hat der Verfassungsgerichtshof §75 Abs9 der Bauordnung für Wien als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass §70a der Bauordnung für Wien verfassungswidrig war.

II. 1. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).

Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren zu G97/00 begann am 2. Dezember 2000. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 24. Jänner 2000 eingelangt, war also zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Verfahren zu G97/00 schon anhängig; der Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung des §75 Abs9 der Bauordnung für Wien an. Es ist nach Lage des Falles nicht auszuschließen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Der Bescheid ist daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG 1953. In den zuerkannten Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von S 4.500,-

und eine Eingabegebühr in der Höhe von S 2.500,- enthalten. Der mitbeteiligten Partei war der Ersatz der Kosten für die Erstattung ihrer Äußerung nicht zuzusprechen, da sie zur Rechtsfindung keinen Beitrag leisten konnte (vgl. VfSlg. 10.228/1984).

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VerfGG 1953 abgesehen.

Schlagworte

VfGH / Anlaßfall

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:B163.2000

Dokumentnummer

JFT_09998786_00B00163_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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