TE Vfgh Erkenntnis 2001/2/26 B2165/97

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Veröffentlicht am 26.02.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art83 Abs2
BundesvergabeG §3 Abs1
BundesvergabeG §115, §116
Richtlinie des Rates vom 18.06.92. 92/50/EWG, über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentl Dienstleistungsaufträge
Richtlinie 93/38/EWG (Sektorenrichtlinie)

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch eine Entscheidung des Bundesvergabeamtes in einem Verfahren zur Überprüfung eines Auftrags zur Herstellung und Herausgabe von Telefonbüchern; keine Zuständigkeit des Bundesvergabeamtes zur Überprüfung der Übertragung öffentlicher Dienstleistungskonzessionen

Spruch

Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der beschwerdeführenden Gesellschaft die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Veröffentlichung im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom 15. Mai 1997 hat die Post und Telekom Austria AG (PTA) - im Hinblick auf die sie als Netzbetreiber zu diesem Zeitpunkt gemäß §31 FernmeldeG 1993 (ab 1. August 1997 gemäß §125 Abs8 TKG) treffende Verpflichtung, ein Teilnehmerverzeichnis mit Angaben über sämtliche Fernsprechteilnehmer in Österreich zu erstellen und herauszugeben, - die Einladung ausgesprochen, Angebote betreffend den Erwerb einer "öffentlichen Dienstleistungskonzession für die Herstellung und Herausgabe gedruckter und elektronisch nutzbarer Teilnehmerverzeichnisse (Telefonbücher), geltend ab der zu erscheinenden Ausgabe 1998/1999 und dann auf unbestimmte Zeit" zu legen. Diese Dienstleistungskonzession sollte ein Unternehmen erhalten, an dem sich die PTA selbst beteiligen würde.

Am 11. Juni 1997 beantragte ein Interessent bei der Bundes-Vergabekontrollkommission (B-VKK) die Einleitung eines Schlichtungsverfahrens mit dem Ziel, eine Vergabe nach den Regeln des Bundesvergabegesetzes (BVergG) zu erreichen. Die B-VKK sprach in diesem Verfahren die Empfehlung aus, die vergebende Gesellschaft möge ein Verfahren nach dem BVergG durchführen. Daraufhin stellte der genannte Interessent beim Bundesvergabeamt (BVA) Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gemäß §115 Abs2 BVergG und auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß §116 leg.cit. Dieses Verfahren wurde zu N-11/97 protokolliert. Das BVA gab beiden Anträgen mit Bescheid vom 27. Juni 1997 statt.

Mit Schriftsatz vom 4. Juli 1997 wandte sich ein weiterer Bewerber an das BVA, das dessen Antrag zu N-13/97 protokollierte.

Nach Durchführung einer gemeinsamen Verhandlung setzte das BVA die Verfahren gemäß §38a AVG aus, um beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ein Vorabentscheidungsersuchen unter anderem zur Frage zu stellen, ob der Abschluß eines Vertrags zur Herstellung und Herausgabe von Telefonbüchern durch das zur Herausgabe verpflichtete Telekommunikationsunternehmen, dessen Anteile zur Gänze von der öffentlichen Hand gehalten werden, von den Regeln der Dienstleistungsrichtlinie (RL 92/50/EWG) und der Sektorenrichtlinie (RL 93/38/EWG) dann erfaßt sind, wenn die Gegenleistung im Recht der Verwertung der übertragenen Leistung besteht.

2. Mit Bescheid vom 10. Juli 1997 wurde die mit Bescheid vom 27. Juni 1997 im Verfahren N-11/97 erlassene einstweilige Verfügung aufgehoben (Spruchpunkt I.) und in beiden Verfahren eine (neue) einstweilige Verfügung erlassen, der zufolge es der vergebenden Gesellschaft nur unter bestimmten Auflagen gestattet wurde, einen Vertrag zur Beauftragung eines Unternehmens mit der Herstellung und Herausgabe der Telefonbücher abzuschließen (Spruchpunkt II.); schließlich wurde verfügt, daß diese einstweilige Verfügung mit dem Zeitpunkt außer Kraft tritt, in dem die Entscheidung des BVA in der Hauptsache der vergebenden Gesellschaft zugestellt wird (Spruchpunkt III.).

3. a) Gegen die Spruchpunkte I. und II. dieses Bescheides hat die Post und Telekom Austria AG mit Eingabe vom 21. August 1997 Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben, in der die Verletzung in verschiedenen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und in Ansehung der bekämpften Spruchpunkte die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird.

b) Die belangte Behörde hat die Verwaltunsakten vorgelegt, von einer Äußerung in der Sache jedoch Abstand genommen. Die im Verfahren N-11/97 des BVA antragstellende Partei hat als Beteiligte des verfassungsgerichtlichen Verfahrens eine Äußerung erstattet, in der sie den Behauptungen der Beschwerde entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt. Darauf hat die beschwerdeführende Gesellschaft repliziert.

c) Mit Spaltungsvertrag aus dem Jahre 1998 wurde der Bereich Telekommunikation der Post und Telekom Austria AG aus dieser Gesellschaft in die Telekom Austria AG als übernehmende Gesellschaft abgespalten. Hinsichtlich des angefochtenen Bescheides trat die Telekom Austria AG somit im Wege der Gesamtrechtsnachfolge in die Parteistellung der Post und Telekom Austria AG als Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ein (vgl. Kalss, Verschmelzung - Spaltung - Umwandlung, 1997, §14 SpaltG, Rz 8, mwN).

4. Mit Beschluß vom 23. April 1998 stellte sodann das BVA das angekündigte Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Dieser beantwortete mit Urteil vom 7. Dezember 2000, Rs. C-324/98, die ihm gestellten Fragen folgendermaßen:

"1. Ein entgeltlicher schriftlicher Vertrag, mit dem ein Unternehmen, das durch die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats spezifisch mit dem Betrieb eines Telekommunikationsdienstes betraut ist und dessen sämtliche Anteile von der öffentlichen Hand in diesem Mitgliedstaat gehalten werden, die Herstellung gedruckter und elektronisch nutzbarer Teilnehmerverzeichnisse (Telefonbücher) und ihre Herausgabe zur allgemeinen Verbreitung einem privaten Unternehmen überträgt, wird von der Richtlinie 98/38/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor erfasst.

Obwohl ein solcher Vertrag von der Richtlinie 93/38 erfasst wird, ist er beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie insbesondere deshalb ausgenommen, weil die Gegenleistung, die das erstgenannte Unternehmen dem zweitgenannten erbringt, darin besteht, dass letzteres als Vergütung das Recht zur Verwertung seiner eigenen Leistung erhält.

2. Auch wenn solche Verträge beim derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts vom Anwendungsbereich der Richtlinie 93/38 ausgenommen sind, so haben die Auftraggeber, die sie schließen, doch die Grundregeln des Vertrages im Allgemeinen und das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Besonderen zu beachten, das insbesondere eine Verpflichtung zur Transparenz einschließt, damit festgestellt werden kann, ob es beachtet worden ist.

3. Kraft dieser Verpflichtung zur Transparenz muss der Auftraggeber zugunsten potenzieller Bieter einen angemessenen Grad von Öffentlichkeit sicherstellen, der den Dienstleistungsmarkt dem Wettbewerb öffnet und die Nachprüfung ermöglicht, ob die Vergabeverfahren unparteiisch durchgeführt wurden.

4. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, darüber zu befinden, ob dieser Verpflichtung im Ausgangsverfahren genügt wurde, und das zu diesem Zweck vorgelegte Beweismaterial zu würdigen."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Strittig war zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens unter anderem auch die Frage, ob es sich bei dem Vorgang, dessen Nachprüfung vom BVA begehrt wurde und auf den sich der bekämpfte Bescheid bezieht, um einen dem Regime des BVergG unterliegenden öffentlichen Auftrag oder - wie die beschwerdeführende Telekom Austria AG von Anfang an behauptete - um die Vergabe einer Dienstleistungskonzession handle. Denn nach der zum Zeitpunkt der Erlassung des bekämpften Bescheides geltenden Rechtslage (vor der Novelle BGBl. I 80/1999) fand das BVergG aufgrund seines §3 Abs1 Z8 auf "Verträge über öffentliche Dienstleistungskonzessionen" keine Anwendung.

(Die durch die Novelle BGBl. I 80/1999 vorgenommene Änderung - Aufhebung der Z8 des §3 Abs1 und Einfügung eines neuen Abs2, dem zufolge das BVergG "nicht für Vergaben von Verträgen über öffentliche Dienstleistungskonzessionen (gilt)" -sollte freilich - ausweislich der Erläuterungen zur RV, 1650 BlgNR 20. GP - insofern keine materielle Änderung bringen, als eine Einbeziehung der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen in den Anwendungsbereich des BVergG nicht bewirkt werden sollte.)

Im zweiten Absatz des Spruchpunktes 1 des oben unter Pkt. I.4. wiedergegebenen Urteils des EuGH hat dieser für Recht erkannt, daß der Vorgang der Übertragung der Herstellung und Herausgabe von Telefonbüchern als Dienstleistungskonzessionsauftrag zu qualifizieren ist, weil die Gegenleistung, die das vergebende Unternehmen erbringt, darin besteht, daß das die Leistung ausführende Unternehmen als Vergütung das Recht zur Verwertung seiner eigenen Leistung erhält. Der EuGH hat dies in den Rz 30 sowie 41 bis 57 seiner Entscheidung näher begründet. Der Verfassungsgerichtshof schließt sich im Ergebnis der vom EuGH vorgenommenen Qualifikation des in Rede stehenden Vorgangs an: Es handelt sich angesichts des Umstandes, daß die Herstellung und Herausgabe der Telefonbücher nicht gegen Entgelt, sondern derart übertragen wurde, daß die Gegenleistung in der Gestattung der Nutzung der vom Auftragnehmer erbrachten Leistung besteht, um die Übertragung einer öffentlichen Dienstleistungskonzession, die das BVergG zum maßgeblichen Zeitpunkt ausdrücklich aus seinem Geltungsbereich ausgenommen hatte. Die Wahrnehmung der Verpflichtung gemäß Punkt 4 des Spruches des EuGH kann daher nicht Sache des BVA sein.

Das BVA hat daher bei Erlassung des angefochtenen Bescheides eine Kompetenz in Anspruch genommen, die ihm von Gesetzes wegen nicht zukam, und deshalb die beschwerdeführende Gesellschaft in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. etwa VfSlg. 9696/1983, 11.405/1987 und VfGH 15.10.1999, B3104/97).

Der Bescheid war daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG. Im zugesprochenen Kostenbetrag ist Umsatzsteuer in der Höhe von

S 3.000,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, EU-Recht Vorabentscheidung, Rechtsschutz, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B2165.1997

Dokumentnummer

JFT_09989774_97B02165_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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