TE Vfgh Erkenntnis 2001/2/26 G43/00

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Veröffentlicht am 26.02.2001
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Index

97 Vergabewesen
97/01 Vergabewesen

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
BundesvergabeG §9 Abs1

Leitsatz

Präjudizialität einer Schwellenwertregelung des Bundesvergabegesetzes aufgrund denkmöglicher Anwendung durch das Bundesvergabeamt in Verfahren betreffend die Vergabe von Aufträgen im Infrastrukturbereich der ÖBB; keine sachliche Rechtfertigung des Ausschlusses jeglichen Rechtsschutzes im Unterschwellenbereich

Spruch

Die Wortfolge ", wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 400 000 ECU," in §9 Abs1 Z1 des Bundesvergabegesetzes 1997, BGBl. I Nr. 56, war verfassungswidrig.

Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Bundesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zZ B1061/98 ein Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) vom 29. April 1998, Z F-26/97-22, anhängig. Diesem Bescheid liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

a) Die im Anlaßbeschwerdeverfahren beschwerdeführende Gesellschaft Österreichische Bundesbahnen (ÖBB) hat im Laufe des Jahres 1997 insgesamt 18 Verfahren zur Vergabe von Aufträgen zur Beschaffung von verschiedenen elektro- und dieselbetriebenen Gabel- und Hubstaplern in Form von Verhandlungsverfahren nach der ÖNORM

A 2051 durchgeführt. Im Laufe des Vergabeverfahrens stellte ein übergangener Bieter beim BVA mehrere Nachprüfungsanträge, in denen er die Anwendung des Bundesvergabegesetzes (BVergG) 1997 reklamierte, da die Auftragswerte der einzelnen Vergabeverfahren zusammenzurechnen seien, und dadurch der für Lieferaufträge allgemein geltende Schwellenwert von 200.000 ECU, aber auch der für Lieferaufträge im sogenannten Sektorenbereich geltende Schwellenwert nach §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 in der Höhe von 400.000 ECU überschritten sei, was zur Folge gehabt hätte, daß die Vorschriften des BVergG 1997 zur Anwendung gelangen hätten müssen.

b) Mit Bescheid vom 29. April 1998 gab das BVA den Anträgen teilweise statt und stellte mit Spruchpunkt 1 fest, daß die beschwerdeführende Gesellschaft die Bestimmungen des BVergG 1997 dadurch verletzt habe, daß sie jegliche Form von öffentlicher Bekanntmachung unterlassen und infolgedessen den Zuschlag nicht an den im Einklang mit den Bestimmungen des Gesetzes ermittelten Bestbieter erteilt habe und durch Bieterverhandlungen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§16 Abs1 BVergG 1997) verletzt habe. Den im Nachprüfungsverfahren von der beschwerdeführenden Gesellschaft gestellten Antrag, daß jene das Nachprüfungsverfahren beantragende Gesellschaft auch bei Einhaltung der Bestimmungen des BVergG keine echte Chance auf Zuschlagserteilung gehabt hätte, wurde nur hinsichtlich zweier Verfahren (an denen die antragstellende Gesellschaft nicht teilgenommen hatte) stattgegeben, im übrigen wurde er aber mit Spruchpunkt 6 des Bescheides abgewiesen. (Andere Anträge wurden als unzulässig zurückgewiesen.)

2. a) Gegen die Spruchpunkte 1 und 6 des Bescheides des BVA wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der ÖBB an den Verfassungsgerichtshof, in der die Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes sowie des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Unterlassung der Einholung einer Vorabentscheidung durch das BVA behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

b) Bei Behandlung der Beschwerde entstanden beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge ", wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 400 000 ECU," in §9 Abs1 Z1 BVergG 1997, durch die die gesetzliche Regelung des Vergabeverfahrens und des vergabespezifischen Rechtsschutzes für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung auf Aufträge beschränkt wird, deren geschätztes Auftragsvolumen einen bestimmten Betrag übersteigt. Der Verfassungsgerichtshof hat daher beschlossen, diese Wortfolge auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Er nahm vorläufig an, daß die Beschwerde zulässig ist und er bei ihrer Beurteilung unter anderem die geprüfte Wortfolge anzuwenden hätte. Da er Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der Schwellenwertregelung hegte und davon ausging, daß die angenommene Verfassungswidrigkeit ihren Sitz in der vorhin genannten Wortfolge des §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 habe, beschloß er, diese Wortfolge in Prüfung zu nehmen.

c) Die Bundesregierung hat eine Äußerung erstattet, in der sie beantragte das Prüfungsverfahren mangels Präjudizialität der in Prüfung genommenen Wortfolge einzustellen, in eventu eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der europäischen Gemeinschaften gemäß Art234 Abs3 EGV einzuholen oder auszusprechen, daß "Ziffer 1 des §9 Absatz 1 des Bundesvergabegesetzes 1997 idF BGBl I Nr. 56/1997 nicht verfassungswidrig war".

Die im Anlaßverfahren als beschwerdeführende Gesellschaft aufgetretene ÖBB hat eine Stellungnahme abgegeben, in der sie beantragte festzustellen, daß die in Prüfung genommene Wortfolge des §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 "im Einklang mit dem verfassungsgesetzlich verankerten Gleichheitsgrundsatz" stehe.

II. Die in Prüfung gezogene Wortfolge steht im folgenden normativen Zusammenhang:

1. a) Das BVergG 1997 enthält gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Lieferaufträgen, Bau- (einschließlich sogenannten Baukonzessions-)Aufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch bestimmte öffentliche Auftraggeber sowie darüber hinaus auch für andere Auftraggeber im Bereich der sogenannten geschützten Sektoren oberhalb bestimmter Schwellenwerte. Für die Vergabe von Aufträgen unterhalb der Schwellenwerte bestimmt §13 BVergG 1997 u.a.:

"(1) Unterhalb der in den §§5 bis 8 festgelegten Schwellenwerte haben die in §11 Abs1 Z1 bis 4 genannten Auftraggeber die Bestimmungen der ÖNORM A 2050 'Vergabe von Aufträgen über Leistungen - Ausschreibung, Angebot und Zuschlag - Verfahrensnorm' vom 1. Jänner 1993, Anlage zur Allgemeinen Bundesvergabeverordnung - ABVV, BGBl Nr. 17/1994, bei der Vergabe von Aufträgen anzuwenden, soweit ihr Inhalt nicht gemeinschaftsrechtlichen oder bundesgesetzlichen Regelungen - abgesehen von den Bestimmungen des 3. Teiles dieses Bundesgesetzes - oder den auf Grund des 2. Teiles dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen widerspricht.

(2) Abs1 gilt nicht für Dienstleistungaufträge gemäß Anhang IV und für Aufträge, die ein Auftraggeber zum Zweck der Durchführung einer in §84 Abs2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor vergibt.

..."

Die in den bezogenen Ziffern des §11 Abs1 genannten öffentlichen Auftraggeber sind der Bund, bestimmte Einrichtungen des Bundes, bestimmte rechnungshofkontrollpflichtige Unternehmungen sowie die Sozialversicherungsträger und der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger. Im Sektorenbereich gilt das Gesetz gemäß §11 Abs2 unter bestimmten Voraussetzungen auch für andere als öffentliche Auftraggeber.

b) In §84 BVergG 1997 wird der sachliche Geltungsbereich für den Sektorenbereich geregelt. In dessen Abs2 sind folgende Tätigkeiten angeführt, für die die gesetzlichen Regelungen des 5. Hauptstückes des 3. Teiles des BVergG gelten:

"...

1. die Bereitstellung oder das Betreiben fester Netze zur Versorgung der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Erzeugung, Beförderung oder der Verteilung von

a)

Trinkwasser oder

b)

Strom oder

c)

Gas oder

d)

Wärme

oder die Versorgung dieser Netze mit Trinkwasser, Strom, Gas oder Wärme, soweit Abs3 nicht anderes vorsieht;

2. die Nutzung eines geographisch abgegrenzten Gebietes zum Zwecke der

a) Suche oder Förderung von Erdöl, Erdgas, Kohle oder anderen Festbrennstoffen, oder

b) Versorgung von Beförderungsunternehmen im Luft-, See- oder Binnenschiffsverkehr mit Flughäfen, Häfen oder anderen Verkehrsendeinrichtungen;

3. das Betreiben von Netzen zur Versorgung der Öffentlichkeit im Bereich des Verkehrs auf der Schiene, mit automatischen Systemen, mit der Straßenbahn, mit Bus, mit Oberleitungsbussen oder mit Kabel;

4. die Bereitstellung oder das Betreiben öffentlicher Telekommunikationsnetze oder das Angebot eines oder mehrerer Telekommunikationsdienste."

c) Hinsichtlich der Schwellenwerte bei Lieferaufträgen bestimmt §5 BVergG 1997 (in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I 80/1999; Hervorhebung im Original):

"§5. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Lieferaufträgen durch die in Anhang V genannten Auftraggeber dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 130 000 SZR beträgt. Im Bereich des Bundesministeriums für Landesverteidigung gilt dies nur für Lieferaufträge betreffend Waren, die in Anhang VI enthalten sind.

(2) Im übrigen gilt dieses Bundesgesetz für die Vergabe von Lieferaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200 000 ECU beträgt.

(3) Bei Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf ist als geschätzter Auftragswert anzusetzen:

1.

bei befristeten Verträgen der geschätzte Gesamtwert für die Laufzeit des Vertrages;

2.

bei unbefristeten Verträgen oder bei zweifelhafter Vertragsdauer das 48fache der monatlichen Zahlung.

(4) Bei regelmäßig wiederkehrenden Aufträgen oder bei Daueraufträgen ist als geschätzter Auftragswert entweder

1.

der tatsächliche Wert der entsprechenden Aufträge im vorangegangenen Finanz- bzw. Haushaltsjahr oder in den vorangegangenen zwölf Monaten, nach Möglichkeit unter Anpassung an voraussichtliche Änderungen bei Mengen oder Kosten während der auf die erste Lieferung folgenden zwölf Monate, oder

2.

der geschätzte Gesamtwert während der auf die erste Lieferung folgenden zwölf Monate bzw. während der Laufzeit des Vertrages, soweit diese länger als zwölf Monate ist,

anzusetzen. Die angewandte Berechnungsmethode darf nicht die Absicht verfolgen, die Anwendung dieses Bundesgesetzes zu umgehen.

(5) Kann die beabsichtigte Beschaffung gleichartiger Lieferungen zu Aufträgen führen, die gleichzeitig in Losen vergeben werden, so ist als geschätzter Auftragswert der geschätzte Gesamtwert aller dieser Lose anzusetzen.

(6) Sieht der beabsichtigte Lieferauftrag Optionsrechte vor, so ist der geschätzte Auftragswert auf Grund des größtmöglichen Umfangs von Kauf, Leasing, Miete, Pacht oder Ratenkauf unter Einbeziehung der Optionsrechte zu berechnen.

(7) Ein Beschaffungsauftrag für bestimmte Mengen von Lieferungen darf nicht in der Absicht aufgeteilt werden, ihn der Anwendung dieses Bundesgesetzes zu entziehen."

(Durch die Novelle BGBl. I 80/1999 wurde das Wort "ECU" durch "Euro" ersetzt; der Betrag von 200.000 ECU entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt einem Betrag von rd. 2,7 Mio S.)

Für die Auftragsvergabe im Bereich der geschützten Sektoren werden im §9 BVergG 1997 (in der hier offenbar anzuwendenden Fassung vor der Novelle BGBl. I 80/1999) höhere Schwellenwerte festgelegt. Dabei wird u.a. bestimmt (die in Prüfung genommene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§9. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen

1. im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 400 000 ECU, sowie ...

...

(7) Bei regelmäßig wiederkehrenden Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen oder bei Daueraufträgen ist als geschätzter Auftragswert entweder

1.

der tatsächliche Wert der entsprechenden Aufträge im vorangegangenen Finanz- bzw. Haushaltsjahr oder in den vorangegangenen zwölf Monaten, nach Möglichkeit unter Anpassung an voraussichtliche Änderungen bei Mengen oder Kosten während der auf die erste Lieferung oder Dienstleistungserbringung folgenden zwölf Monate, oder

2.

der geschätzte Gesamtwert während der auf die erste Lieferung oder Dienstleistungserbringung folgenden zwölf Monate bzw. während der Laufzeit des Vertrages, soweit diese länger als zwölf Monate ist,

anzusetzen.

...

(11) Für die Berechnung des geschätzten Auftragswertes gilt bei der Aufteilung einer Lieferung in mehrere Lose §5 Abs5, bei der Aufteilung eines Bauwerkes in mehrere Lose §6 Abs2.

...

(14) Die angewandte Berechnungsmethode darf nicht die Absicht verfolgen, die Anwendung dieses Bundesgesetzes zu umgehen. Ein Beschaffungsauftrag darf nicht in der Absicht aufgeteilt werden, ihn der Anwendung dieses Bundesgesetzes zu entziehen."

(Durch BGBl. I 80/1999 wurde das Wort "ECU" durch das Wort "Euro" ersetzt; der Betrag von 400.000 ECU entsprach zum maßgeblichen Zeitpunkt einem Betrag von rd. 5,4 Mio S.)

III. 1. Der Verfassungsgerichtshof ist im Prüfungsbeschluß vorläufig davon ausgegangen, daß die Beschwerde zulässig ist und daß er bei ihrer Behandlung die in Prüfung gezogene Wortfolge des §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 anzuwenden habe, sodaß diese Vorschrift präjudiziell im Sinne des Art140 Abs1 B-VG sein dürfte.

2. Dieser Annahme ist die Bundesregierung entgegengetreten und hat die Auffassung vertreten, daß das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren aufgrund nachstehender - wörtlich wiedergegebener - Erwägungen einzustellen wäre:

"Der Verfassungsgerichtshof geht in seinem Unterbrechungsbeschluss unter Bezugnahme auf die Argumentation der Bundes-Vergabekontrollkommission im Gutachten G5/97 davon aus, dass es sich bei den verfahrensgegenständlichen Beschaffungsvorgängen um so genannte 'Sektorenaufträge' gehandelt habe, 'da die ÖBB, die unbestrittener Maßen unter den persönlichen Geltungsbereich des BVergG 1997 fallen, die in Rede stehenden Aufträge offenkundig vergeben haben, um das Schienenverkehrsnetz zu betreiben'.

Die Bundesregierung kann die Einschätzung des Gerichtshofes, dass die Beschaffung von Gabel- und Hubstaplern durch die ÖBB dem Betrieb des Schienenverkehrsnetzes diene und daher als Sektorenauftrag zu qualifizieren sei, nicht nachvollziehen.

Wie sich aus dem Wortlaut des §84 Abs2 Z3 BVergG ergibt, der fast gleich lautend die Formulierung des Art2 Abs2 litc der Richtlinie 93/38/EWG zur Koordinierung der Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor ('Sektorenrichtlinie') übernimmt, fällt bei den Landverkehrsträgern nur das 'Betreiben des Netzes' also die Durchführung der Verkehrsleistung, nicht aber die 'Bereitstellung des Netzes' (der 'technischen Infrastruktur') zu den Tätigkeiten im Sektorenbereich.

Unbestrittener Maßen richtet sich die Zugehörigkeit eines Auftrages eines dem Vergaberecht unterliegenden Auftraggebers zum so genannten Sektorenbereich nach dessen Tätigkeitsbereich. Im hier relevanten Bereich des Verkehrs auf der Schiene und mit Bus werden nur Verkehrsleistungen als (relevante) Sektorentätigkeiten qualifiziert. Daraus wird geschlossen, dass der Absatzbereich der ÖBB nicht aber deren Infrastrukturbereich (und alle damit zusammenhängenden Beschaffungsvorgänge) dem Sektorenregime zuzuordnen sind (vgl. dazu Gutknecht, Privatisierung und Unternehmenspolitik, ÖZW 1997, 108, mwN auch der divergierenden Ansicht des deutschen Vergabeüberwachungsausschusses). Strittig ist in diesem Zusammenhang aber, inwieweit Beschaffungen für die Infrastruktur (zB Bau, Erhaltung, technische Verbesserungen usw.) der 'Bereitstellung' oder dem 'Betrieb' des Netzes dienen. Die Unterscheidung ist von erheblicher Relevanz, da - abhängig von der Zuordnung des Beschaffungsvorganges zu erst- oder zuletzt genanntem Bereich - unterschiedliche Vergaberegime zur Anwendung kommen können.

Nach Ansicht der Bundesregierung kann auf Grund der Unterscheidung zwischen 'Bereitstellung' und 'Betreiben' bei der Umschreibung der relevanten Tätigkeitsbereiche der Tätigkeitsbereich 'Betreiben' nicht so extensiv ausgelegt werden, dass er auch die Tätigkeiten der 'Bereitstellung' umfasst. Der Begriff der Bereitstellung beinhaltet wohl das Zurverfügungstellen von Einrichtungen für die Ausübung einer Sektorentätigkeit einschließlich der dafür notwendigen Tätigkeiten (z.B. Bau der Netze, Instandhaltung, Wartung). Das 'Betreiben' dürfte hingegen auf aktive Tätigkeiten im Hinblick auf die Entfaltung der Sektorentätigkeit (Wartung des rollenden Materials, Beschaffung von Lokomotiven) zielen. Gerade bei Beschaffungsvorgängen in diesem Spannungsbereich sind viele Abgrenzungsfragen ungeklärt. Erforderlich wäre jedenfalls die Klarstellung gewesen, für welchen (Tätigkeits)Bereich die Beschaffung der Gabel- und Hubstapler vorgesehen ist.

Aus oben Gesagtem folgt, dass zwischen den Teilbereichen 'Erbringung von Verkehrsleistungen' und 'Infrastruktur' streng zu differenzieren wäre, was im Anlassfall zur Konsequenz haben könnte, dass die in Prüfung gezogene Schwellenwertregelung des §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 schon aus diesem Grund nicht einschlägig zur Beurteilung des Ausgangsverfahren wäre, weil möglicherweise das Regime der 'klassischen' Vergaberichtlinien anzuwenden wäre. Diesfalls wäre das vorliegende Gesetzesprüfungsverfahren einzustellen, da die behauptete bzw. angenommene Verfassungswidrigkeit durch die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmung nicht beseitigt werden könnte (vgl. z.B. VfSlg 12762 und 13299).

Im Sinne der voranstehenden Ausführungen lässt sich, entgegen der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes, der verfahrensgegenständliche Beschaffungsvorgang nach Ansicht der Bundesregierung nicht eindeutig und 'offenkundig' dem 'Betrieb des Schienenverkehrsnetzes' zuordnen. Dazu ist weiters festzuhalten, dass zu der oben geschilderten Auffassung und zu vielen sich im gegenständlichen Verfahren stellenden Abgrenzungsfragen bisher auch keine Judikatur des EuGH vorliegt. Da es sich hiebei zweifellos um die Auslegung einer Frage des Gemeinschaftsrechts handelt, dessen richtige Anwendung nicht derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (vgl. EuGH Rs 238/81, Cilfit), hätte bereits das Bundesvergabeamt im Ausgangsverfahren seiner diesbezüglichen Vorlageverpflichtung gemäß Art234 Abs3 EG-Vertrag nachkommen müssen.

Nach Auffassung der Bundesregierung wäre daher das gegenständliche Prüfungsverfahren einzustellen und des Weiteren der Bescheid des Bundesvergabeamtes im Ausgangsverfahren wegen Verletzung von Art83 Abs2 B-VG aufzuheben (vgl. VfSlg 14.889/1997). Sollte sich der Gerichtshof dieser Auffassung nicht anschließen, könnte nach Ansicht der Bundesregierung die angesprochene Frage des Gemeinschaftsrechts und damit die Frage der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Bestimmung nur durch eine Vorlage der gemeinschaftsrechtlichen Frage durch den Verfassungsgerichtshof an den EuGH geklärt werden."

3. Die Beschwerdeführerin des Anlaßverfahrens ist der Zulässigkeit des Normenprüfungsverfahrens nicht entgegengetreten.

4. Die Bundesregierung ist mit ihren Einwänden nicht im Recht:

Zwar ist ihr in ihren allgemeinen Ausführungen zuzustimmen, daß nach herrschender Ansicht bloß die Erbringung von Verkehrsleistungen als Sektorentätigkeit anzusehen ist, während die Bereitstellung des Netzes den allgemeinen Vorschriften über die Vergabe von Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterliegt (vgl. auch das schon im Prüfungsbeschluß zitierte Gutachten der Bundes-Vergabekontrollkommission vom 9. Oktober 1997, G5/97, oder Gutknecht, Privatisierung und Unternehmenspolitik, Rechtliche Rahmenbedingungen dargestellt am Beispiel der Österreichischen Bundesbahnen und deren Tätigkeit im Infrastrukturbereich, ÖZW 1997, 108). Auch ist der Bundesregierung nicht entgegenzutreten, wenn sie der Auffassung anhängt, daß es im Einzelfall strittig sein kann, ob eine bestimmte Beschaffung dem Infrastrukturbereich oder dem Bereich des Erbringens von Verkehrsdienstleistungen zuzurechnen ist.

Für Zwecke dieses Verfahrens braucht diese Abgrenzungsfrage im einzelnen aber nicht gelöst zu werden: Denn das BVA hat - wenn es auch letztlich die Frage, ob es sich um einen Sektoren-Lieferauftrag oder um einen allgemeinen Lieferauftrag handelte, offengelassen hat und offenlassen konnte, da die von ihm festgestellten Rechtswidrigkeiten des Vergabeverfahrens auf die Verletzung von Verhaltensanordnungen zurückzuführen sind, die für beide Arten von Lieferaufträgen gelten (sodaß auch die Befassung des EuGH entbehrlich war) - die in Prüfung genommene Bestimmung angewendet und diese Anwendung hat sich als zumindest denkmöglich erwiesen: Es läßt sich nämlich aus den dem Verfassungsgerichtshof vorliegenden Verwaltungsakten zwar nicht für jede einzelne Vergabe, aber doch für eine größere Anzahl der Beschaffung der Gabel- und Hubstapler die Zuordnung zum Bereich der Erbringung von Verkehrsdienstleistungen zweifelsfrei nachvollziehen, etwa dort, wo es sich um die Beschaffung für Zwecke der Wartung des Fuhrparks (dem eine größere Anzahl von Beschaffungsvorgängen zuzuordnen ist) oder um Vergaben im Bereich des Geschäftsfelds des Güterverkehrs gehandelt hat.

Hat aber eine Behörde eine Vorschrift zumindest denkmöglich angewendet, so ist diese für den Verfassungsgerichtshof im Bescheidprüfungsverfahren präjudiziell, sodaß das Verfahren insoweit zulässig ist. Die von der Bundesregierung angeregte Einholung einer Vorabentscheidung durch den EuGH kommt angesichts dessen gar nicht in Betracht, zumal der Ausgang des Gesetzesprüfungsverfahrens keine gemeinschaftsrechtliche Relevanz hat.

Die vorläufige Annahme des Verfassungsgerichtshofes über die Präjudizialität der in Prüfung genommenen Wortfolge hat sich somit als zutreffend erwiesen. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen gegeben sind, ist das Verfahren zulässig.

IV. 1. In der Sache hatte der Verfassungsgerichtshof das Bedenken, daß die "Schwellenwertregelung", wie sie im BVergG 1997 für sogenannte "Sektorenaufträge" enthalten ist, zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Differenzierung zwischen der Rechtsposition von Bewerbern und Bietern im Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge führt. Im sogenannten "Sektorenbereich" seien die Auftraggeber - außenwirksam - zur Einhaltung bestimmter Vorschriften bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichtet und den Bewerbern und Bietern außenwirksame Rechtspositionen zur Durchsetzung der Einhaltung dieser Verpflichtungen eingeräumt worden. Die Schwellenwertregelung bewirke aber, daß Bewerbern und Bietern derartige Rechtspositionen nur dann eingeräumt werden, wenn sie sich um Aufträge über einem bestimmten Schwellenwert bemühen, nicht aber, wenn der Auftrag diese Größenordnung nicht erreicht. Dabei nahm der Verfassungsgerichtshof Bezug auf seinen Prüfungsbeschluß B4773/96 und B4774/96 vom 15. Juni 1999 und die dort näher ausgeführten Bedenken. Aus den dort dargelegten Erwägungen, die mutatis mutandis auf die hier vorliegende Konstellation zu übertragen sein dürften, beschloß der Verfassungsgerichtshof die im Spruch genannte Wortfolge in Prüfung zu ziehen.

2. Die Bundesregierung hat die Verfassungsmäßigkeit des in §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 normierten Schwellenwertes verteidigt und sich dabei jener Argumente bedient, die sie schon im Verfahren zu G110,111/99 - in weiten Strecken wortgleich - vorgetragen hatte.

3. Mit ähnlichen Argumenten hat die beschwerdeführende Gesellschaft des Anlaßverfahrens die Verfassungskonformität der Bestimmung behauptet und dabei insbesondere auf die Besonderheiten des "Sektorenbereichs" verwiesen:

"Vom Geltungsbereich des BVergG sind aber nicht nur die öffentlichen Auftraggeber iS vom §11 Abs1 BVergG erfaßt. Entsprechend den Vorgaben der Richtlinie der Europäischen Gemeinschaften, RL 93/38/EWG des Rates, ABl 1993 L 199/84 (Sektorenrichtlinie), gelten die Regelungen des BVergG auch für Auftraggeber, die eine bestimmte Tätigkeit auf dem Wasser-, Energie-, und Verkehrsversorgungs- sowie am Telekommunikationssektor (Sektorentätigkeit, §84 Abs2 BVergG) ausüben. Dabei fallen nicht nur staatliche Behörden und öffentliche Unternehmen unter den persönlichen Anwendungsbereich des BVergG, sondern auch private, die eine Sektorentätigkeit auf Grundlage besonderer oder ausschließlicher Rechte ausführen.

Entsprechend den Europäischen Vorgaben (...) gilt aber für den Sektorenbereich ein 'milderes' Vergaberecht. So haben diese Auftraggeber z.B. die Möglichkeit das Vergabeverfahren frei zu wählen, die Schwellenwerte sind höher angesetzt, es gelten Erleichterungen bei der Bekanntmachung oder es stehen ihnen explizit Vergabeformen, wie sie im privaten Sektor zulässig und üblich sind, wie etwa Rahmenvereinbarungen, zur Verfügung. Diese Erleichterungen haben darin ihren Grund, daß im Sektorenbereich zumindest eine abgeschwächte Form des Wettbewerbs, oft handelt es sich um Substitutionswettbewerb, besteht. Der Sektorenbereich ist außerdem von zunehmender Liberalisierung geprägt, wodurch die Effektivität des Wettbewerbs steigt und die betreffenden Unternehmen zu marktwirtschaftlichem Handeln gezwungen werden. Daher sollen diese Auftraggeber, die (wenn auch zum Teil nur in eingeschränkter Form) einer Konkurrenz ausgesetzt sind, ihr Beschaffungswesen so gestalten können, daß es nahe an jenem der Privaten liegt, die nicht dem BVergG unterstellt sind.

Diese Erwägungen, die auf europäischer Ebene die Grundlage für die Rechtfertigung eines weniger strengen Vergaberechts für den Sektorenbereich darstellen, haben auch in der nationalen österreichischen Rechtsordnung ihre Berechtigung.

(...)

Bei den 'Sektorenauftraggebern' handelt es sich nicht nur um die öffentlichen Auftraggeber iS des §11 Abs1 BVergG. Es fallen gerade öffentliche Unternehmen darunter, die 'gewerblich' tätig sind (d.h., die einem Wettbewerb ausgesetzt sind), aber auch Private.

(...)

Der Gesetzgeber war sich dessen bewußt, daß er eine Differenzierung im Sektorenbereich vornimmt, welche den Unterschwellenwertbereich völlig von den vergabespezifischen Regelungen ausklammert. Er sieht diese Unterscheidung aber als gerechtfertigt an, und zwar nicht nur wegen der Vorgaben durch die EG-Richtlinien, sondern vor allem wegen der besonderen Art der Auftraggeber, zu denen insbesondere gewerblich tätige öffentliche Unternehmen zählen, die einem (im Zuge der Liberalisierung immer weitergehenden) Wettbewerb ausgesetzt sind, als auch Private.

Gerade diese Auftraggeber sind gezwungen, ihre Beschaffung nach markt- und betriebswirtschaftlichen Vorgaben zu richten. Zum einen, weil sie der (zunehmende) Wettbewerb dazu zwingt. Zum anderen, weil einschlägige gesellschaftsrechtliche Bestimmungen existieren (z.B. im GmbHG und im AktG), die im Ergebnis dazu führen, daß die betreffenden Unternehmen ihre Beschaffung anhand von markt- und betriebswirtschaftlichen Kriterien orientieren. Dabei handelt es sich vor allem um Bestimmungen, welche die Unternehmensleitung zur Wahrung der Unternehmensinteressen und damit zum wirtschaftlichen und zweckmäßigen Umgang mit den finanziellen Ressourcen (...) verpflichten (...)

Es ist daher festzuhalten, daß alleine diese rechtlichen Vorgaben die Auftraggeber im Sektorenbereich dazu zwingen, ihre Beschaffung an Hand markt- und betriebswirtschaftlicher Vorgaben auszurichten.

Die Auftraggeber im Sektorenbereich werden aber nicht nur allein durch gesetzliche Vorgaben zu marktwirtschaftliche(m) Verhalten gezwungen. Der Sektorenbereich ist davon gekennzeichnet, daß in allen Bereichen irgendeine Form des Wettbewerbs besteht, und sei es auch nur in Form des Substitutionswettbewerbs, wie insbesondere im Fall der Beschwerdeführerin. Zusätzlich werden die Sektorenbereiche immer weiter dereguliert, mit fortschreitender Liberalisierung steigt die Effektivität des Wettbewerbs. Aufgrund dieser faktischen Veränderungen sind die Auftraggeber aus dem Sektorenbereich dazu gezwungen, sich den Marktgegebenheiten anzupassen, wirtschaftliche Entscheidungen zu treffen und danach zu trachten, auch künftig nach vollkommener Liberalisierung am Markt bestehen zu können.

(...)

Aus all diesen Gründen ist die Gefahr, daß sich Auftraggeber im Sektorenbereich nicht marktgemäß verhalten, bei weitem geringer als bei den öffentlichen Auftraggeber(n) im klassischen Bereich. Damit minimiert sich auch das Risiko, daß Bieter und Bewerber benachteiligt und ihre Interessen verletzt werden. Denn sie sind gesetzlich zum wirtschaftlichen Umgang mit ihren finanziellen Ressourcen verpflichtet, die öffentlichen Unternehmen unterliegen zusätzlich der Rechnungshofkontrolle und der (zunehmende) Wettbewerb zwingt sie überdies ihre Beschaffung nach markt- und betriebswirtschaftlichen Prinzipien zu gestalten."

In weiterer Folge wird argumentiert, daß sich ein aufwendiges Vergabeverfahren erst ab einem gewissen Auftragsvolumen rentiere, der Gesetzgeber deshalb absichtlich zwischen Aufträgen ober- und unterhalb bestimmter Schwellenwerte differenziert habe und dabei bewußt in Kauf genommen habe, daß damit Bewerber und Bieter, die sich an einem Vergabeverfahren beteiligen, erst ab Erreichen des Schwellenwertes in den Genuß vergabespezifischer Rechtsschutzmöglichkeiten gelangen würden. Die vom Gesetzgeber in §9 Abs1 Z1 BVergG 1997 vorgenommene Differenzierung in Aufträge ober- und unterhalb des Schwellenwertes von 400.000 ECU und die damit verbundene Beschränkung der vergabespezifischen Bieter- und Bewerberrechte habe ihre sachliche Rechtfertigung somit einerseits in der Besonderheit der Auftraggeber und andererseits in der Nichtwirtschaftlichkeit der Vergabeverfahren unterhalb eines bestimmten Auftragswertes.

Schließlich wird der Auffassung entgegengetreten, daß Bieter und Bewerber unterhalb des Schwellenwertes gänzlich ohne Rechtsschutz blieben: Zwar sei unterhalb des maßgeblichen Schwellenwertes im Sektorenbereich weder das BVergG anzuwenden noch sei die ÖNORM A 2051 verbindlich erklärt worden, dennoch gelte für diesen Bereich das EG-Primärrecht (insbesondere das Diskriminierungsverbot sowie die Grundfreiheiten) und das Bundesverfassungsrecht (Prinzipien der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit); auch der Zivilrechtsweg stünde den betreffenden Bietern und Bewerbern offen. Es wird in der Folge zwar zugestanden, daß der Rechtsschutz vor den Zivilgerichten nicht jenem nach dem BVergG gleichwertig sei, "da er vor allem kostspieliger und das Verfahren von längerer Dauer ist", jede Ausdehnung von Bieterrechten in den Vergabebereich unterhalb der Schwellenwerte jedoch eine (unsachliche und unverhältnismäßige) Beeinträchtigung der Privatautonomie der betroffenen Auftraggeber bedeuten würde.

4. Mit Erkenntnis G110,111/99 vom 30. November 2000 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß die Schwellenwertregelung, wie sie in §3 Abs1 Bundesvergabegesetz 1993 enthalten war, verfassungswidrig war. Dabei hat er insbesondere festgestellt, daß es sachlich nicht zu rechtfertigen ist, im Unterschwellenbereich den Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien zu gewährleisten und auf jedwede außenwirksame Regelung des Vergabeverfahrens - die im Oberschwellenbereich als erforderlich und notwendig angesehen wird - zu verzichten. Weiters verwies er darin auf jene Erkenntnisse (insb. VfSlg. 15.106/1998), in denen er den Ausschluß eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für bestimmte Vergaben als sachlich nicht gerechtfertigt erachtet hatte und die Auffassung vertreten hatte, daß es der derzeitigen Ausgestaltung des zivilrechtlichen Bieterschutzes in der Phase der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor Zuschlagserteilung an der notwendigen Effektivität mangle, sodaß die gänzliche Ausschaltung eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für Teilbereiche der Vergabekontrolle den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht entspreche. Weiters führte der Gerichtshof aus:

"Für die Effektivität des vergaberechtlichen Rechtsschutzes ist im Bereich der Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagserteilung für den Bieter zum einen entscheidend, daß das Verfahren nicht allzu aufwendig gestaltet ist, und zum anderen, daß er rasch und einfach zu den (für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte gemeinschaftsrechtlich verpflichtend vorzusehenden) Provisorialentscheidungen gelangen kann; für die betroffenen Auftraggeber und die zum Zuge gekommenen Bieter ist es hingegen von entscheidender Bedeutung, daß die Entscheidungen rasch erfolgen und Vergabeverfahren und Zuschlagserteilung nicht in einer den öffentlichen Interessen widersprechenden Weise ungebührlich verzögert werden. Nun fehlt es aber - wie auch in der Literatur betont wird (vgl. etwa Schlosser, Reformbedarf im Vergaberechtsschutz aus der Sicht eines Senatsvorsitzenden des Bundesvergabeamtes, JRP 1999, 242 f., und Aicher, Aspekte des Vergaberechtsschutzes vor den Zivilgerichten, JRP 1999, 253 ff.) - derzeit an geeigneten zivilverfahrensrechtlichen Vorschriften, die den besonderen Bedürfnissen einer raschen, vielfach keinen Aufschub duldenden, vergaberechtlichen Rechtskontrolle Rechnung tragen.

Das ist der Grund dafür, daß die vergaberechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes vergabespezifische Rechtsschutzinstrumente für die Kontrolle der Einhaltung der Regelungen des Vergabeverfahrens vorsehen. Diese nur für Vergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte zur Verfügung zu stellen und bei Vergaben von Aufträgen geringeren Wertes in bestimmten Konstellationen auf einen solchen zu verzichten und sich ansonsten mit einem weniger effektiven Rechtsschutz zu begnügen, nämlich den Rechtsschutz in diesem Bereich komplizierter und aufwendiger zu gestalten, ist sachlich nicht zu rechtfertigen:

Zwar bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine Regelung, die bei Verfahren unterhalb bestimmter Wertgrenzen Verfahrensvereinfachungen oder Verfahrensbeschleunigungen vorsieht, die die Entscheidungskompetenz Einzelrichtern überträgt, die denkbare Rechtszüge beschänkt o.ä. Nicht aber ist es sachlich gerechtfertigt, in solchen Fällen die Kontrolle aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen.

Mit anderen Worten: Die Konsequenzen des gerichtlichen Bieterschutzes für die Kontrolle des Vergabeverfahrens vor der Zuschlagsentscheidung stehen in keiner sachlichen Relation zu den unterschiedlichen tatsächlichen Gegebenheiten, an die sie anknüpfen."

Diese Erwägungen lassen sich mutatis mutandis auf die vorliegend zu prüfende Wortfolge übertragen. Daran vermögen auch die von der beteiligten Partei ins Treffen geführten Besonderheiten des "Sektorenbereichs" und die - freilich bloß für Teilbereiche bestehende - stärkere Marktnähe der in ihm tätigen Auftraggeber nichts zu ändern. Im übrigen hat der Gesetzgeber diesen Umständen bereits durch ein im Vergleich zum "klassischen" Vergabebereich in mehrerer Hinsicht modifiziertes Vergabeverfahrenssystem Rechnung getragen. Dabei ist ihm genausowenig entgegenzutreten, wie wenn er im Sektorenbereich bei Verfahren unterhalb bestimmter Wertgrenzen weniger aufwendige Vergabevorschriften aufstellte (etwa - analog der Vorschrift des §13 Abs1 BVergG 1997 - durch Verbindlicherklärung von Teilen der ÖNORM A 2051) oder bei den Vorschriften über den Rechtsschutz Verfahrensvereinfachungen oder Verfahrensbeschleunigungen vorsähe, die Entscheidungskompetenz Einzelrichtern übertrüge, die denkbaren Rechtszüge beschränkte o.ä. Nicht ist es aber - wie der Verfassungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis vom 30. November 2000 festgehalten hat - sachlich gerechtfertigt, in solchen Fällen auf jede außenwirksame Regelung zu verzichten und den Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien zu gewähren; weiters die Kontrolle zu erschweren, ja sogar aufwendiger zu gestalten, Provisorialentscheidungen zu erschweren und das Interesse des Auftraggebers an raschen Entscheidungen geringer zu veranschlagen als im Bereich oberhalb der Schwellenwerte.

Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes haben sich somit als gerechtfertigt erwiesen.

5. Es war daher auszusprechen, daß die in Prüfung genommene Wortfolge verfassungswidrig war.

V. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VerfGG iVm §2 Abs1 Z4 BGBlG.

VI. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

EU-Recht, Rechtsschutz, Vergabewesen, VfGH / Präjudizialität

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:G43.2000

Dokumentnummer

JFT_09989774_00G00043_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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