Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des Q in G, geboren 1978, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. Dezember 2000, Zl. 220.185/0-V/14/00, betreffend § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der (damaligen) Bundesrepublik Jugoslawien albanischer Volksgruppenzugehörigkeit aus dem Kosovo, reiste am 29. September 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 25. Oktober 2000 wies er ein am 21. September 2000 von der UNMIK im Kosovo ausgestelltes Papier darüber vor, dass über sein Ersuchen die Zerstörung seines Hauses in Leqin während des Krieges ("during the war") bestätigt werde. Er gab an, Leqin am 24. September 2000 verlassen zu haben und mit einem Auto über Bosnien nach Graz gelangt zu sein. Vom "8.9.1998" an habe er sich "vierzehn Monate lang" in Deutschland aufgehalten, wo er erfolglos um Asyl angesucht habe. Er habe Deutschland am "4. August 1999" verlassen und sich seither immer im Kosovo aufgehalten. In Österreich sei er noch nie gewesen.
Dem Beschwerdeführer wurde vorgehalten, er sei am 5. März 1999 an der slowenisch-österreichischen Grenze aufgegriffen und festgenommen worden. Er gab dazu an, das sei gewesen, als er "nach Deutschland wollte". Er habe in Deutschland "am 5. April 1999" Asyl beantragt und nach negativem Ausgang des Verfahrens neuerlich um Asyl angesucht. Nach der Abweisung des "Asylverfahrens" habe er Deutschland verlassen müssen. Er sei "am 4. August 2000" mit einem Auto in den Kosovo zurückgekehrt.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 30. November 2000 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG zurück, stellte die Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung des Asylantrages fest und wies den Beschwerdeführer nach Deutschland aus. Es stellte fest, der Beschwerdeführer habe "vor der illegalen Einreise in Österreich ein Asylverfahren in Deutschland betrieben" und sei "am 29.09.2000 illegal nach Österreich" eingereist. "Laut Auskunft der deutschen Behörden" sei er "erstmals am 05.04.1999 nach Deutschland" eingereist. Er habe dort am 14. April 1999 Asyl beantragt und nach der negativen Entscheidung darüber am 15. Mai 2000 einen "Asylfolgeantrag" gestellt, über den am 15. Juni 2000 ebenfalls negativ entschieden worden sei. "Zuletzt" sei er "im September 2000 bei einer deutschen Behörden (gemeint: Behörde) in Heidelberg in Erscheinung getreten". Seine "Angaben zur Reiseroute" seien "widersprüchlich und dienen daher nicht der Entscheidungsfindung", wohingegen seine Angaben zur Asylantragstellung in Deutschland im Hinblick auf die Ermittlungsergebnisse grundsätzlich als wahr erachtet würden. Die Zuständigkeit Deutschlands ergebe sich aus Art. 8 DÜ.
Die im erstinstanzlichen Bescheid nicht nähere bezeichnete "Auskunft der deutschen Behörden" ist in den vorgelegten Verwaltungsakten nicht enthalten. Aktenkundig ist nur die am 29. November 2000 per Telefax übermittelte Übernahmeerklärung vom 27. November 2000, die keine Mitteilungen über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland enthält.
In seiner Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes brachte der Beschwerdeführer vor, er sei "zwischen August 1998 und August 1999" in Deutschland gewesen und danach in den Kosovo
zurückgekehrt, "wobei er ... schließlich am 24.9.2000 neuerlich
... nach Österreich gelangte". Der "Beschuldigte" (gemeint: Berufungswerber) bestreite "vehement, im September 2000 bei einer Behörde in Heidelberg in Erscheinung getreten zu sein und ist diesbezüglich nicht einmal ein Beweismittel angeführt". Er fühle sich "in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt und ist nicht klar, woraus die Behörde erster Instanz ihre Schlüsse zieht". Tatsächlich sei "der Beschuldigte direkt aus dem Kosovo nach Österreich geflohen", sodass § 5 AsylG "nicht anwendbar" sei. Er beantrage die Anberaumung einer Berufungsverhandlung.
Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 5 Abs. 1 AsylG ab.
Die belangte Behörde traf folgende Feststellungen zum Sachverhalt:
"Der Asylwerber ist Staatsangehöriger der BR Jugoslawien, ist am 20.1.1978 in Zeqin (gemeint: Leqin) geboren und trägt den im Spruch angeführten Namen. Seinen Angaben nach reiste er am 29.9.2000 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf Asylgewährung. Der Asylwerber betrieb vor seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet ein Asylverfahren in Deutschland. Laut Auskunft der deutschen Behörden reiste der Asylwerber erstmals am 5.4.1999 nach Deutschland ein und beantragte am 14.4.1999 die Gewährung von Asyl, die negativ beschieden wurde. Am 15.5.2000 stellte er einen Asylfolgeantrag. Dieser wurde mit 15.6.2000 ebenfalls negativ entschieden. Im September 2000 trat der Asylwerber bei einer deutschen Behörde in Erscheinung. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge teilte mit Fax vom 29.11.2000, Zahl: 2617918-138, mit, dass dem Übernahmegesuch vom 22.11.2000 gem. Art. 8 Dubliner Übereinkommen entsprochen werde und der genannte Asylwerber von Deutschland übernommen wird."
Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus:
"Der Asylwerber hat keine Beweismittel vorgebracht. Die Feststellung (gemeint: Feststellungen) zur Einreise und zur Asylantragstellung (gemeint offenbar: in Österreich) ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Asylwerbers in Verbindung mit dem mit diesen Angaben übereinstimmenden aktenkundigen Datum des Asylbegehrens. Die Feststellung (gemeint: Feststellungen) zur Asylantragstellung (gemeint offenbar: in Deutschland) ergeben sich in Verbindung mit der deutschen Zustimmungserklärung vom 29.11.2000 (gemeint: vom 27. November 2000, beim Bundesasylamt eingelangt am 29. November 2000), welche sich offensichtlich auf den verwirklichten Sachverhalt der bereits erfolgten Ablehnung eines Asylantrages in Deutschland stützt. Die Anerkennung der Zuständigkeit und die Übernahmebereitschaft hinsichtlich des Asylwerbers stützen sich auf das Schreiben des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29.11.2000 (gemeint:
27. November 2000), Zl. 2617918-138."
In rechtlicher Hinsicht lautet die Begründung des
angefochtenen Bescheides im Wesentlichen wie folgt:
"Im vorliegenden Fall hat der Asylwerber vor seiner illegalen
Einreise nach Österreich in Deutschland einen Asylantrag gestellt, welcher negativ beschieden wurde. Da Deutschland seit der Ausreise des Asylwerbers aus der BR Jugoslawien der erste EU-Mitgliedstaat ist, bei dem der Asylantrag gestellt wurde, ist auch Deutschland gem. Art. 8 DÜ zur Prüfung des Asylantrages zuständig. Auch wenn der erste in einem EU-Mitgliedstaat gestellte Asylantrag bereits abgelehnt wurde, ergibt sich aus Artikel 10 Abs. 1 lit. e DÜ auch in diesem Fall eine Pflicht Deutschlands, den Asylwerber, der sich illegal in Österreich aufhält, wieder aufzunehmen.
Der unabhängige Bundesasylsenat vermag im Gegensatz zu den Berufungsausführungen keinen Anhaltspunkt dafür zu erkennen, dass die Pflicht Deutschlands, den Asylwerber gemäß der zitierten Bestimmung wieder aufzunehmen, gemäß Art. 10 Abs. 4 DÜ erloschen wäre, weil diese Bestimmung voraussetzt, dass der für die Prüfung des Asylantrages zuständige Staat nach der Ablehnung des Antrags die erforderlichen Maßnahmen getroffen und durchgeführt hat, damit der Ausländer in sein Heimatland zurückkehrt oder sich in ein anderes Land, in das er rechtmäßig einreisen darf, begibt.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge hat nach Prüfung des Übernahmegesuchs des österreichischen Bundesasylamtes ausdrücklich unter Berufung auf Artikel 10 Abs. 1 lit. e DÜ eine aufrechte Verpflichtung Deutschlands zur Durchführung des Asylverfahrens anerkannt und ist damit erkennbar nicht vom Erlöschen der Übernahmsverpflichtung im Sinne des Abs. 4 leg. cit. ausgegangen. Auch der Berufungswerber hat nicht behauptet, von Deutschland mittels geeigneter faktischer Maßnahmen aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verbracht worden zu sein, sondern führte vielmehr aus, er sei freiwillig ausgereist.
Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die gemäß Artikel 10 Abs. 1 lit. e DÜ bestehende Verpflichtung zur Wiederaufnahme eines abgelehnten Asylwerbers aus den in Abs. 4 leg. cit. genannten Gründen erloschen wäre. Der in Österreich gestellte Asylantrag des Asylwerbers erweist sich daher im Grunde des § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig ..."
Schließlich führte die belangte Behörde noch aus, eine Berufungsverhandlung habe "in Anbetracht des formalen Verfahrensgegenstandes (Vorliegen einer allgemeinen negativen Prozessvoraussetzung)" sowie deshalb unterbleiben können, weil "im Übrigen in Folge des ausreichenden Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Berufung geklärt ist und die Berufungsbehörde daher keine eigenen Ermittlungen angestellt hat".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Das Bundesasylamt hat seine Feststellungen über den Aufenthalt des Beschwerdeführers in Deutschland auf eine "Auskunft der deutschen Behörden" gestützt, die nicht aktenkundig ist und zu der dem Beschwerdeführer kein Parteiengehör gewährt wurde. Dies gilt im Besonderen für die - zum Vorbringen des Beschwerdeführers im Widerspruch stehende, wenngleich sehr undeutlich formulierte - Feststellung, der Beschwerdeführer sei im September 2000 "bei einer deutschen Behörden in Heidelberg in Erscheinung getreten".
Der Beschwerdeführer hat insbesondere diese Feststellung in der Berufung "vehement" bestritten, die Nichteinräumung des Parteiengehörs und das Fehlen der Anführung von Beweismitteln gerügt, sich ausdrücklich darauf berufen, dass er nicht von Deutschland, sondern vom Kosovo aus nach Österreich gekommen sei, und eine mündliche Berufungsverhandlung beantragt.
Das alles hat die belangte Behörde nicht davon abgehalten, die Feststellungen des Bundesasylamtes über den Deutschlandaufenthalt des Beschwerdeführers (unter Einschluss der Feststellung, er sei noch im September 2000 in Deutschland "in Erscheinung getreten") ohne Ergänzung des Ermittlungsverfahrens zu wiederholen. Dabei ist nicht erkennbar, dass die belangte Behörde die auch von ihr erwähnte - aber wie schon im erstinstanzlichen Bescheid nicht näher bezeichnete - "Auskunft der deutschen Behörden" noch im Akt vorgefunden habe. Dass der Beschwerdeführer in Deutschland überhaupt ein Asylverfahren (oder mehrere) durchlaufen habe, wird in der Beweiswürdigung - abgesehen von den eigenen Angaben des Beschwerdeführers - nämlich nur damit begründet, die "deutsche Zustimmungserklärung vom 29.11.2000" stütze sich "offensichtlich" auf den "verwirklichten Sachverhalt der bereits erfolgten Ablehnung eines Asylantrages in Deutschland". Die belangte Behörde hat also, der Aktenlage zufolge, offenbar Feststellungen getroffen, deren Grundlagen nicht nur dem Beschwerdeführer, sondern auch ihr selbst verborgen blieben.
Die Ansicht, der "Verfahrensgegenstand" sei "formal", sodass (gemeint offenbar: trotz des ausdrücklichen Antrages) eine Berufungsverhandlung auch deshalb entbehrlich gewesen sei, steht im Widerspruch zur Bestätigung der vom Bundesasylamt ausgesprochenen und kraft Gesetzes auch als Feststellung der Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Deutschland geltenden Ausweisung des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid (vgl. in dieser Hinsicht zunächst das § 4 AsylG betreffende hg. Erkenntnis vom 25. November 1999, Zl. 99/20/0162, und die daran anschließende Folgejudikatur; zu § 5 AsylG die Erkenntnisse vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439, vom 12. Dezember 2002, Zl. 2000/20/0080, vom 24. Juni 2004, Zl. 2001/20/0472, und vom 22. Juli 2004, Zl. 2001/20/0440).
Die belangte Behörde scheint allerdings zu meinen, die Zuständigkeit Deutschlands für die Behandlung des in Österreich gestellten Asylantrages ergebe sich aus dem unstrittigen Umstand, dass (zumindest) ein in Deutschland gestellter Asylantrag des Beschwerdeführers dort rechtskräftig abgewiesen worden sei, auch bei Zugrundelegung des in der Berufung erneuerten - von der belangten Behörde aber keiner Feststellung unterzogenen - Vorbringens, der Beschwerdeführer sei aus Deutschland in den Kosovo gereist und in der Folge von dort aus nach Österreich gekommen.
Dieser Rechtsansicht ist nicht zu folgen. War der Beschwerdeführer nach dem negativen Abschluss des Asylverfahrens in Deutschland in den Kosovo zurückgekehrt, so war gemäß Art. 10 Abs. 4 DÜ die von der belangten Behörde zugrunde gelegte, aus Art. 10 Abs. 1 lit. e DÜ resultierende Verpflichtung Deutschlands zur Wiederaufnahme des Beschwerdeführers erloschen und die Zuständigkeit für die Prüfung eines nach Wiedereinreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten des DÜ gestellten Asylantrages nach den allgemeinen Kriterien neu zu bestimmen (vgl. Funke-Kaiser, Gemeinschaftskommentar zum (deutschen) Asylverfahrensgesetz, Ergänzungslieferung August 2003, Rz 111 ff, 251 ff, 270 und 284 zu § 29; siehe allerdings die Hinweise bei Schmid/Bartels, Handbuch zum Dubliner Übereinkommen (2001) 126 und 289, auf einen bei Funke-Kaiser nicht berücksichtigten Fehler in der Kundmachung des Art. 10 Abs. 4 DÜ in Deutschland und Österreich; Art. 10 Abs. 1 lit. e DÜ wäre nach Schmid/Bartels, a.a.O. 120 und 220, auf Personen, die neuerlich Asyl beantragt haben, aber generell nicht anwendbar). Es ist für die Entscheidung daher wesentlich, ob der Beschwerdeführer, wie von ihm behauptet, in den Kosovo zurückgekehrt war. Die belangte Behörde hat dies nicht erkannt.
Der Ordnung halber ist noch festzuhalten, dass die Behauptung im angefochtenen Bescheid, die deutsche Asylbehörde habe "ausdrücklich unter Berufung auf Artikel 10 Abs. 1 lit. e DÜ" eine Verpflichtung zur Prüfung des in Österreich gestellten Asylantrages "anerkannt", aktenwidrig ist. Die Erklärung vom 27. November 2000 nimmt nur auf Art. 8 DÜ Bezug. Sie lässt im Übrigen nicht erkennen, dass von einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Kosovo ausgegangen wurde.
Der angefochtene Bescheid war aus den dargestellten Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der - vorrangig wahrzunehmenden - Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 21. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001010189.X00Im RIS seit
19.10.2004Zuletzt aktualisiert am
07.10.2008