TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/21 2002/01/0491

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Veröffentlicht am 21.09.2004
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §58 Abs2;
AVG §60;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Stieger, über die Beschwerde des H in B, geboren 1972, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 1/40, gegen Spruchpunkt II. des am 27. Juni 2000 verkündeten und am 2. Jänner 2001 schriftlich ausgefertigten Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 215.755/0-IV/10/00, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der bekämpfte Bescheid wird im Umfang der Anfechtung (Entscheidung nach § 7 AsylG 1997) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein albanischer Staatsangehöriger, reiste am 7. August 1997 mit dem Flugzeug aus Tirana kommend nach Österreich ein. Er war im Besitz eines am 11. Juli 1997 ausgestellten Dienstpasses und stellte am 11. August 1997 einen Asylantrag. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 12. und 13. August 1997 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, er sei seit 1996 Mitglied der demokratischen Partei Albaniens und habe seit März 1997 in der "Republikanischen Garde" (des Ex-Präsidenten Sali Berisha) Dienst versehen. Am 23. Mai 1997 sei er für diese Garde in der südalbanischen Stadt "Serik bzw. Cerric" (richtig: Cerrik) im Einsatz gewesen und dort in eine bewaffnete Auseinandersetzung (Feuergefecht) mit Angehörigen der kurz darauf an die Macht gelangten Sozialisten verwickelt gewesen; dabei sei er verletzt worden (Durchschuss des linken Unterschenkels). Er sei danach in das Militärspital Tirana gebracht worden. Wegen seiner Verletzung sei er in Albanien allgemein bekannt geworden, weil sein Name "durch alle Zeitungen gegangen war". Nachdem er das Militärspital verlassen und sich in private Krankenpflege begeben habe, sei Mitte Juni 1997 eine Bombe (Sprengkörper) auf sein Grundstück bzw. sein Haus geworfen worden; dadurch sei Sachschaden (am Gebäude) entstanden. Albanien habe er verlassen, weil sein Leben in Gefahr gewesen sei. Der Dienstpass sei ihm deshalb ausgestellt worden, weil er als Mitglied der "Republikanischen Garde" als gefährdet eingestuft worden sei.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 19. August 1997 gemäß § 3 Asylgesetz 1991 mit der Begründung ab, der Beschwerdeführer sei nicht Flüchtling, weil er in seinem Heimatland keiner asylrelevanten Verfolgung durch die Behörden Albaniens ausgesetzt gewesen sei.

Die schließlich zur Erledigung der gegen diesen Bescheid des Bundesasylamtes erhobenen Berufung zuständige belangte Behörde führte am 27. Juni 2000 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der der Beschwerdeführer einvernommen und ein Sachverständiger (für Albanien) beigezogen wurde.

In der genannten Berufungsverhandlung verkündete die belangte Behörde den Bescheid, dass nach dem Spruchpunkt I. dem Wiedereinsetzungsantrag des Beschwerdeführers (gegen die Versäumung der Berufungsverhandlung vom 23. Mai 2000) stattgegeben und nach dem Spruchpunkt II. seine Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 19. August 1997 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen werde.

Die belangte Behörde hat Spruchpunkt II. (Entscheidung nach § 7 Asylgesetz 1997) des genannten verkündeten Bescheides am 2. Jänner 2001 schriftlich ausgefertigt.

Über die dagegen erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde kommt nach Darstellung von "Erkenntnissen im Rahmen des Verfahrens" (Punkt III lit. a bis lit. i der Bescheidbegründung) zu dem Ergebnis, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "in seinem Kern" glaubwürdig, er (Beschwerdeführer) habe jedoch aus "der allgemeinen Situation und seinem persönlichen Schicksal" unrichtige Schlüsse gezogen. Eine allfällige strafrechtliche Prüfung seines Waffengebrauches (gemeint bei seiner Teilnahme an der Auseinandersetzung in Cerrik) sei nicht staatliche Verfolgung sondern Strafrechtspflege. Die Unabhängigkeit der Gerichte Albaniens, insbesondere die Möglichkeit "mehrfacher Berufungen" sei gegeben. Dem Überfall auf das Haus des Beschwerdeführers müsse die "Staatlichkeit" abgesprochen werden; dieser Vorfall habe in "allgemeinen Umbruchszeiten" stattgefunden und die "unprofessionelle" Durchführung sowie die "nichtmilitärischen Sprengmittel" würden gegen eine staatliche Veranlassung sprechen.

Was die von der belangten Behörde für möglich erachtete strafgerichtliche Verfolgung des Beschwerdeführers wegen seiner Teilnahme an der bewaffneten Auseinandersetzung in Cerrik anlangt, kann der belangten Behörde schon deshalb nicht gefolgt werden, weil der Einschätzung, die "Unabhängigkeit der Gerichte" Albaniens sei gegeben, eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht begründet, worauf sich ihre Beurteilung über die Unabhängigkeit der Strafgerichte Albaniens stützt. Der beigezogene Sachverständige hat - anders als die belangte Behörde dies im angefochtenen Bescheid darstellt - die Unparteilichkeit der Gerichte, insbesondere in Rechtssachen mit politischem Hintergrund, nicht als gegeben angesehen, sondern offen gelassen, hat er doch ausgeführt, er könne (mangels geeigneter sachverhaltsmäßiger Grundlagen) die Situation der Gerichtsbarkeit in dieser Hinsicht (gemeint: bei Rechtssachen mit politischem Hintergrund) nicht beurteilen. Im Verhandlungsprotokoll (vom 27. Juni 2000) findet sich, anschließend an diese Ausführungen des Sachverständigen, eine Feststellung, wonach der Verhandlungsleiter "nach Rückschau in UNHCR-Datensammlung" festhalte, dass "ernsthafte Bedenken an der unabhängigen Justiz in wesentlichen Angelegenheiten in Albanien nicht gegeben" seien. Worauf sich diese Beurteilung des Verhandlungsleiters stützt ist weder nachvollziehbar, noch hat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid diese dargelegt.

In der Beschwerde wird zutreffend gerügt, die belangte Behörde sei auf die spezifische Situation des Beschwerdeführers nicht eingegangen und sie habe darüber die Einholung eines Sachverständigengutachtens unterlassen.

Im vorliegenden Fall wäre es entscheidend auf die Gefahren angekommen, die sich aus der - gemäß seinen Behauptungen durch Medienberichte - allgemein bekannten Teilnahme des Beschwerdeführers als Mitglied der "Republikanischen Garde" an der bewaffneten Auseinandersetzung in Cerrik nach dem Machtwechsel in Albanien im Falle seiner Rückkehr für ihn ergeben. In diesem Zusammenhang wäre zudem auf die Behauptung des Beschwerdeführers (in seiner Aussage vor der belangten Behörde am 27. Juni 2000) einzugehen gewesen, dass der spätere Präsident Mejdani (im Verhandlungsprotokoll unrichtig als "Bedani" wiedergegeben) früher sozialistischer Abgeordneter in Cerrik gewesen sei und (öffentlich) versprochen habe, die am Einsatz in Cerrik beteiligt gewesenen Gardisten zu finden und zu verfolgen ("Er hat als Abgeordneter damals in Serik versprochen, dass diejenigen, die 'euch' getötet haben, die werden wir finden und verfolgen").

Vor diesem Hintergrund wäre zu beantworten, ob der Beschwerdeführer in Albanien aus asylrelevanten Motiven ein unfaires Strafverfahren zu gewärtigen habe (vgl. insoweit auch das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2004, Zl. 2002/01/0085), bzw. ob sein Leben in Albanien, weil für ehemalige Gardisten kein hinreichender staatlicher Schutz (etwa vor Anschlägen) besteht, gefährdet wäre.

Ohne Auseinandersetzung mit diesen Tat- und Rechtsfragen leidet der bekämpfte Bescheid an Begründungsmängeln, die zumindest insoweit, als vom Erfordernis der "Staatlichkeit" drohender Verfolgung ausgegangen wurde, auf einer Fehlbeurteilung der Rechtslage beruhen.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund im Umfang seiner Anfechtung (Spruchpunkt II. des am 27. Juni 2000 verkündeten Bescheides) gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und Z 6 VwGG abgesehen werden.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren betreffend die Gebühr gemäß § 24 Abs. 3 VwGG war abzuweisen, weil der Beschwerdeführer aufgrund der ihm bewilligten Verfahrenshilfe von der Entrichtung dieser Gebühr befreit war.

Wien, am 21. September 2004

Schlagworte

Begründungspflicht Beweiswürdigung und Beweismittel Allgemein

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002010491.X00

Im RIS seit

20.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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