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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1 idF 1996/201;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Köller und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des R in L, vertreten durch Mag. Christian Ebmer, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Schillerstraße 12, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 10. Juni 2003, Zl. LGSOÖ/Abt.4/1283/0465/2003-11, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem in Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe gemäß § 38 AlVG in Verbindung mit § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe für den Zeitraum vom 23. April 2003 bis 3. Juni 2003 verloren. Die belangte Behörde ging dabei im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
Dem zum damaligen Zeitpunkt im Bezug der Notstandshilfe stehenden Beschwerdeführer sei am 22. April 2003 der Auftrag erteilt worden, sich am darauf folgenden Tag um 10:00 Uhr bei der Firma P bei Frau J vorzustellen. An diesem Tag um 9:40 Uhr habe Frau J dem Sachbearbeiter des Arbeitsmarktservice eine E-Mail-Nachricht mit folgendem Wortlaut gesandt:
"Herr G hält den Termin um 10.00 Uhr nicht ein. Er hat keine Zeit! Kommt um 11.30. Laut Sekretariat kann ich ihn zurückrufen:
Ich werde ihn wieder an Sie verweisen. Sein Interesse drückt er damit sehr klar und deutlich aus."
Der Beschwerdeführer sei um ca. 11:30 Uhr in der Firma erschienen und habe sich bei Frau J gemeldet. Um 11:55 Uhr sei das nächste Mail mit folgendem Wortlauf an den Sachbearbeiter des Arbeitsmarktservice gesandt worden:
"Herr G ist um 11.30 Uhr zum Gespräch erschienen. Auf Grund des präpotenten Verhaltens von Herrn G habe ich das Gespräch nach 5 Minuten beendet. Auf die Terminverschiebung angesprochen meinte er, ich hätte ihn ja anrufen können. Weiters sei ich sicher vom AMS über ihn vorinformiert, besser gesagt vorgewarnt worden. Er ist nicht freiwillig zu diesem Termin erschienen und er habe kein Interesse an einer Anstellung bei P."
Im Folgenden wird im angefochtenen Bescheid umfassend der Inhalt einer am 25. April 2004 vor der erstinstanzlichen Behörde aufgenommenen Niederschrift - die im Wesentlichen aus einer vom Beschwerdeführer übergebenen Sachverhaltsdarstellung, datiert vom 23. April 2004, "um ca. 12:20 Uhr", besteht - wiedergegeben. Zusammengefasst gab der Beschwerdeführer dabei an, er habe am 23. April 2004 um 9:08 bei der Firma P angerufen und Frau J verlangt, die jedoch nicht erreichbar gewesen sei. Er habe gebeten, seinen Termin auf 11:30 zu ändern. Die Mitarbeiterin der Firma P habe zugesagt, dies Frau J auszurichten; der Beschwerdeführer habe um Rückruf ersucht, falls die Terminverschiebung nicht möglich sei. Als der Beschwerdeführer kurz vor 11:30 bei der Firma erschienen sei, habe ihn Frau J in das Büro gebeten; sie habe das Gespräch mit einem Vorwurf wegen des versäumten 10:00 Uhr-Termines begonnen und nach seinem Hinweis auf das mit dem Sekretariat geführte Telefonat gemeint, sie sei nicht dazu bereit und auch nicht dazu da, ihn anzurufen. Sie habe ohne nähere Prüfung des vom Beschwerdeführer vorgelegten Schreibens vom Arbeitsmarktservice gesagt, sie schicke ihn wieder zum Sachbearbeiter des Arbeitsmarktservice zurück und werde ihm einen entsprechenden Bericht geben. Frau J sei nicht bereit gewesen, mit dem Beschwerdeführer über die Arbeit bei der Firma P zu sprechen. Das ganze Gespräch habe etwa zwei bis drei Minuten gedauert.
Nach wörtlicher Wiedergabe der Berufung des Beschwerdeführers, in der dieser ausführlich darlegte, weshalb er seiner Ansicht nach die mögliche Arbeitsaufnahme nicht vereitelt habe, führte die Behörde begründend aus, dass der Beschwerdeführer verpflichtet sei, eine vom Arbeitsmarktservice verbindlich angebotene und zumutbare Beschäftigung aufzunehmen. Der Beschwerdeführer sei dem Auftrag nachgekommen, die Firma P aufzusuchen, um ein Einstellungsgespräch zu führen, in dem unter anderem hätte abgeklärt werden sollen, in welchem Arbeitsbereich der Beschwerdeführer einsetzbar wäre. Nach dieser Abklärung wäre es bei körperlicher Zumutbarkeit zu einer Einstellung gekommen.
Frau J habe der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice am 23. April 2003 mit insgesamt zwei E-Mails im Wesentlichen mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer im Gespräch mit ihr geäußert habe, nicht freiwillig zu diesem Termin erschienen zu sein und kein Interesse an einer Anstellung zu haben. Der Inhalt der beiden E-Mails sei dem Beschwerdeführer bekannt und er habe Kopien ausgefolgt bekommen. Er habe jedoch weder in seiner Sachverhaltsdarstellung (Beilage zur Niederschrift) noch in seiner Berufung zu dieser ihm bekannten Aussage von Frau J Stellung genommen. Es werde daher davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer "diese Aussage" (gemeint wohl die im zweiten E-Mail berichtete Aussage des Beschwerdeführers, er sei nicht freiwillig zu diesem Termin erschienen und habe kein Interesse an einer Anstellung bei P) gegenüber Frau J auch tatsächlich gemacht habe.
Der Beschwerdeführer habe dadurch bereits im Vorfeld eines weiterführenden Gespräches zu erkennen gegeben, dass er kein Interesse an einer Beschäftigung bei P habe. Diese Aussage habe er gemacht, obwohl er selbst zum damaligen Zeitpunkt gar nicht gewusst habe, um welche Arbeit es sich konkret handle und ob dabei auf seine körperlichen Einschränkungen Rücksicht genommen werde. Nach geltender Rechtsprechung habe der Beschwerdeführer durch diese Aussage einen klaren Vereitelungstatbestand gesetzt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Wenn sich der Arbeitslose weigert, eine ihm von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, so verliert er nach § 10 Abs. 1 AlVG in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung für die Dauer der Weigerung, jedenfalls aber für die Dauer der auf die Weigerung folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Gemäß § 38 AlVG sind, sofern im dritten Abschnitt (Notstandshilfe) des AlVG nichts anderes bestimmt ist, die Bestimmungen des Abschnittes 1 (Arbeitslosengeld) - und damit auch § 10 AlVG - auf die Notstandshilfe sinngemäß anzuwenden.
Das Nichtzustandekommen eines den Zustand der Arbeitslosigkeit beendenden (zumutbaren) Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen unter anderem dadurch verschuldet werden, dass der Arbeitslose den Erfolg seiner (nach außen zutage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potenziellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. April 2003, Zl. 98/08/0264). Stünde auf Grund eines mängelfrei geführten Verfahrens und einer schlüssigen Beweiswürdigung fest, dass der Beschwerdeführer sich in der von der belangten Behörde angenommenen Weise geäußert hat, so würde dies ausreichen, um als Vereitelung im Sinne der dargestellten Rechtsprechung qualifiziert zu werden, soferne das Verhalten des Beschwerdeführers für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Auf die Frage der Kausalität des dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Verhaltens - die angesichts der schon vor dem Bewerbungsgespräch dem Arbeitsmarktservice mitgeteilten Absicht von Frau J, den Beschwerdeführer wieder zum Arbeitsmarktservice "zurückzuschicken", ihn also nicht einstellen zu wollen, zumindest zweifelhaft ist - braucht jedoch nicht mehr eingegangen zu werden, da der angefochtene Bescheid bereits aus einem anderen Grund aufzuheben ist.
Die belangte Behörde hat ihren Feststellungen über das Verhalten des Beschwerdeführers beim Vorstellungsgespräch ausschließlich die Angaben von Frau J im zweiten E-Mail an die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zu Grunde gelegt, wonach der Beschwerdeführer gesagt habe, er habe kein Interesse an einer Anstellung bei P. Die äußerst detaillierten anders lautenden Angaben des Beschwerdeführers in seiner vom 23. April 2003 datierenden Sachverhaltsdarstellung sowie in seinem Berufungsvorbringen werden im angefochtenen Bescheid zwar wörtlich zitiert, in der Folge jedoch bei der Beweiswürdigung in keiner Weise berücksichtigt; vielmehr wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, der Beschwerdeführer habe weder in seiner Sachverhaltsdarstellung noch in seiner Berufung zu der ihm bekannten Aussage von Frau J Stellung genommen.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 45 Abs. 2 AVG) schließt nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Kontrolle in der Richtung nicht aus, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat auch zu prüfen, ob die Behörde im Rahmen ihrer Beweiswürdigung alle in Betracht kommenden Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 92/08/0133, mit Hinweisen auf Vorjudikatur).
Die Frage, wie sich der Beschwerdeführer beim Vorstellungsgespräch verhalten hat, ist für die Beurteilung, ob die Notstandshilfe zu versagen ist, ausschlaggebend. Die Beantwortung der Frage, ob der Beschwerdeführer das Zustandekommen der Beschäftigung vereitelt hat, erfordert somit präzise Feststellungen über den Verlauf des Vorstellungsgespräches (vgl. dazu z.B. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2002, Zl. 2002/08/0008). Diesem Erfordernis trägt der angefochtene Bescheid, der sich im Hinblick auf die entscheidungswesentliche Frage allein auf die E-Mail-Nachricht von Frau J stützt, ohne das detaillierte dem entgegenstehende Vorbringen des Beschwerdeführers überhaupt in die Beweiswürdigung einzubeziehen, nicht Rechnung.
Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei einer inhaltlichen Miteinbeziehung der Sachverhaltsdarstellung des Beschwerdeführers und schlüssigen Würdigung seiner detaillierten Ausführungen zu einer anderen Beweiswürdigung und damit zu anderen Feststellungen gekommen wäre, welche auch eine andere rechtliche Beurteilung zur Folge gehabt hätten, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 22. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080193.X00Im RIS seit
20.10.2004