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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §1 Abs1 lita;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Tiroler Gebietskrankenkasse in Innsbruck, vertreten durch Dr. Hans Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Andreas-Hofer-Straße 6, gegen den Bescheid des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen vom 5. Juni 2002, Zl. 129.433/3-7/01, betreffend Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung (mitbeteiligte Partei: E in R), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 21. Dezember 2000 meldete Frau D. als Dienstgeberin die Mitbeteiligte als "Pflegehilfe" mit Beschäftigung ab 1. Jänner 2001, einem monatlichen Gesamtentgelt von S 2.500,-- und einer durchschnittlichen Beschäftigung von fünf Tagen zu je einer Stunde pro Woche bei der Beschwerdeführerin an.
Mit Bescheid vom 26. März 2001 stellte die Beschwerdeführerin fest, dass die Mitbeteiligte ab 1. Jänner 2001 als Haushaltshilfe bei der Dienstgeberin D. nicht sozialversicherungspflichtig beschäftigt sei. An Rechtsgrundlagen wurden spruchgemäß § 409, § 410 Abs. 1 Z 2, § 412 Abs. 1, 2 und 6, § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 und § 5 Abs. 2 ASVG genannt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Mitbeteiligte habe angegeben, dass sie ihre Mutter, Frau D., schon seit Jahren betreue und die gesamte anfallende Hausarbeit verrichte. Es sei nicht möglich, die gleiche Tätigkeit zuerst ohne Anmeldung zur Sozialversicherung und dann im Rahmen eines Dienstverhältnisses auszuüben. Weiters habe die Mitbeteiligte angegeben, sich die Arbeitszeit völlig frei einteilen zu können. Dies widerspreche einer persönlichen Abhängigkeit im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG. Die Auszahlung des Entgeltes habe nicht nachgewiesen werden können. Es handle sich daher nicht um eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit gemäß § 4 Abs. 2 ASVG, sondern um eine solche eines mittätigen Familienmitgliedes.
Auf Grund des dagegen erhobenen Einspruches der Mitbeteiligten erließ der Landeshauptmann von Tirol den Bescheid vom 26. September 2001, mit dem in Abänderung des erstinstanzlichen Bescheides festgestellt wurde, dass die Mitbeteiligte bei der Dienstgeberin D. ab 1. Jänner 2001 im Sinne des § 4 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 ASVG und des § 1 Abs. 1 lit. a AlVG vollversichert beschäftigt und daher eine Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG nicht möglich sei. In der Bescheidbegründung wurde festgestellt, dass die Mitbeteiligte die Tochter der Dienstgeberin sei und mit ihrem Ehemann und dieser ein Zweifamilienhaus in R. bewohne. D. habe eine ca. 60 m2 große Wohnung im Erdgeschoss, die Mitbeteiligte wohne mit ihrem Ehemann im ersten Stock. D. sei 75 Jahre alt und seit acht Jahren hochgradig sehbehindert. Bis zur Anmeldung im Jänner 2001 habe der Vater der Mitbeteiligten seine Ehefrau betreut und die Hausarbeiten verrichtet. Die Mitbeteiligte habe bis dahin nur sporadisch ihren Eltern geholfen. Nachdem der Vater der Mitbeteiligten am 8. Jänner 2001 verstorben und der Ehemann der Mitbeteiligten, der bis dahin die Pflege der Schwiegermutter unterstützt habe, schwer erkrankt sei, habe die Mitbeteiligte die Hausarbeiten bei D. übernommen. Mit 1. Jänner 2001 sei sie zur gesetzlichen Sozialversicherung angemeldet worden. Dem Dienstverhältnis liege ein mündlicher Dienstvertrag bezüglich des Tätigkeitsbereiches, des Tätigkeitsumfanges und des Entgeltes zu Grunde.
Urlaubsvereinbarungen seien getroffen und als Entgelt monatlich S 2.500,-- vereinbart worden, welches die Mitbeteiligte bar erhalten habe. Der Mitbeteiligten sei ein Dienstzettel ausgehändigt worden. Seit der Anmeldung verrichte die Mitbeteiligte folgende Tätigkeiten: Zubereitung des Frühstücks und des Mittagessens (von Montag bis Freitag), Reinigung der Wohnung, der persönlichen Gebrauchsgegenstände und der Leib- und Bettwäsche, Begleitung zu den Arztbesuchen in R., Herbeischaffung der Nahrungsmittel und Medikamente. Die Mitbeteiligte habe angegeben, für die genannten Tätigkeiten mit 25 Stunden pro Woche das Auslangen zu finden. Als Arbeitszeit sei von Montag bis Freitag eine Stunde am Vormittag und am Freitag und Samstag zusätzlich eine Stunde am Nachmittag vereinbart worden. Am Freitag Nachmittag würden die Nahrungsmittel und Medikamente für die Dienstgeberin eingekauft. Am Samstag Nachmittag würden Wäschearbeiten erledigt. Stundenaufzeichnungen würden keine geführt. Betrachte man die verrichteten Tätigkeiten und ziehe man die Mindestpflegebedarfssätze nach der Tiroler Pflegebedarfsverordnung heran, so sei von einer monatlichen Arbeitszeit von mindestens 70 Stunden auszugehen. Allein die Zubereitung des Frühstücks und des Mittagessens mit den damit verbundenen Arbeiten, wie Decken und Abräumen des Tisches, Abspülen des Geschirrs und Reinigung der Küche, nehme mehr als eine Stunde Arbeitszeit täglich in Anspruch. Die Mitbeteiligte habe auch nicht plausibel darlegen können, weshalb sie am Wochenende für ihre Mutter nicht koche. Angeblich würden Bekannte und Freunde der Mutter diese zum Essen abholen. Dies sei eine Schutzbehauptung mit dem Ziel, ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis zu vermeiden. Es sei davon auszugehen, dass die Mitbeteiligte im Regelfall auch am Wochenende die Mahlzeiten zubereite. Auch sei entgegen den Aussagen der Mitbeteiligten nicht vorstellbar, dass eine ordnungsgemäße Medikamenteneinnahme allein durch Abtasten der Medikamentenhüllen gewährleistet sei bzw. dass unter diesen Umständen ein zweifellos bestehendes Risiko einer Falschmedikation in Kauf genommen werde. Anzunehmen sei, dass die Dienstgeberin auch bei der Medikamenteneinnahme von ihrer Tochter unterstützt werde. Die Mitbeteiligte wende daher zumindest 70 Stunden pro Monat für die Pflege ihrer Mutter auf.
Auf Grund der Berufung der Mitbeteiligten wurde der Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom 26. September 2001 mit dem angefochtenen Bescheid dahingehend abgeändert, dass festgestellt wurde, dass die Mitbeteiligte auf Grund ihrer Tätigkeit als Haushaltsgehilfin für D. ab dem 1. Jänner 2001 als geringfügig Beschäftigte der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliegt und daher ab 1. Jänner 2001 zur Selbstversicherung gemäß § 19a ASVG berechtigt ist. Die belangte Behörde übernahm die Tatsachenfeststellungen des Landeshauptmannes und führte dazu ergänzend aus, es sei entgegen der Auffassung des Landeshauptmannes von Tirol keineswegs verwunderlich, dass D. an den Wochenenden von ihrer Wandergruppe oder von Freunden und Bekannten zum Essen abgeholt werde. Abgesehen davon würde der zeitliche Aufwand für die Zubereitung des Mittagessens für Samstag und Sonntag vielleicht eine Stunde mehr betragen, was nicht entscheidend für die Beantwortung der Frage sein könne, ob ein vollversicherungspflichtiges Dienstverhältnis bestehe oder nicht. Tabletten würden sich oftmals in der Größe und Farbe unterscheiden. Auch stark sehbehinderte ältere Menschen seien durchaus in der Lage, diese mit ein wenig Hilfe auseinander zu halten. Die Mitbeteiligte möge zwar etwaige Vorbereitungshandlungen (wie z.B. das Legen der Medikamente in einen Korb) vornehmen, D. sei aber weder in ihrer geistigen Leistungsfähigkeit eingeschränkt noch lägen Störungen im Intellekt vor. Der Unterschied zwischen einem Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 2 ASVG und einer vornehmlich auf Familienbeziehungen gegründeten Tätigkeit zeige sich vor allem im Fremdvergleich. Anhand der allgemeinen Lebenserfahrung werde geprüft, ob zwischen nicht verwandten Personen ein Vertrag gleichen oder ähnlichen Inhalts abgeschlossen worden wäre. Weiters sei wesentlich, dass Entgeltlichkeit vorliege. Bei der Frage, ob eine familienfremde Person zu dem gleichen Einkommen bereit gewesen wäre, eine Person im gegenständlichen Umfang zu pflegen, sei aber nicht nur die reine Leistungsadäquanz, sondern auch nicht marktübliche Bedingungen (wie in anderen Bereichen auch, die von großem Engagement geprägt seien) in die Betrachtungsweise einzubeziehen. Andernfalls würde man bei privaten Personen strengere Kriterien ansetzen als bei vielen Vereinen, deren Mitglieder oft sogar gegen geringes Entgelt (wenn nicht sogar kostenlos) die Pflege und die Betreuung von alten Menschen übernähmen. D. sei in der Lage, sich allein an- und auszuziehen, zu waschen und sei auch sonst kein "Pflegefall", der rund um die Uhr betreut werden müsse. Auch Arztbesuche kämen oft wochenweise nicht vor. Die Mitbeteiligte begleite ihre Mutter nur zum Arzt, der fünf Minuten entfernt ordiniere. Hingegen fahre D. zu den Kontrolluntersucherungen nach Innsbruck mit der Rettung. Wenn die Mitbeteiligte wirklich einmal am Wochenende für ihre Mutter einkaufen sollte, dann dürfe nicht vergessen werden, dass dies aus der Verbundenheit der Tochter gegenüber der Mutter erledigt werde. Setze man nun die Leistungsadäqanz in Verbindung mit nicht marktüblichen Bedingungen, müsse man zu dem Ergebnis kommen, dass sich auch Nicht-Familienmitglieder mit Engagement durchaus dazu bereit erklären würden, bei einem monatlichen Entgelt von S 2.500,-- diese Tätigkeiten zu erbringen. Das Ableben des Ehemannes der D. und die starke Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Ehemannes der Mitbeteiligten hätten dazu geführt, dass all jene Tätigkeiten, die ursprünglich im Familienverband erledigt worden seien, nun ausschließlich von der Mitbeteiligten erbracht werden müssten, weswegen von ihr ein Arbeitsplatz "ausgefüllt" werde. Unbestritten sei die Mitbeteiligte an die Weisungen ihrer Mutter gebunden, die Nichteinhaltung wäre eine Vertragsverletzung. Die Merkmale der persönlichen Abhängigkeit überwögen daher ihrem Gewicht und ihrer Bedeutung nach.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Wie sich aus dem Spruch des erstinstanzlichen Bescheides, insbesondere auch im Hinblick auf die dort zitierten Rechtsvorschriften, ergibt, hat die Beschwerdeführerin festgestellt, dass kein die Vollversicherungspflicht der Mitbeteiligten begründendes Dienstverhältnis vorliegt. Der Landeshauptmann von Tirol hat hingegen die Vollversicherungspflicht bejaht.
Die belangte Behörde hat ausgesprochen, dass die Mitbeteiligte der Teilversicherungspflicht in der Unfallversicherung gemäß § 7 Z 3 lit. a ASVG unterliegt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Teilversicherungspflicht im Verhältnis zur Vollversicherungspflicht aber kein Minus, sondern ein Aliud. Die Teilversicherung ist nämlich nicht etwa nur eine eingeschränkte Vollversicherung, sondern stellt ein eigenes Rechtsinstitut dar. Die belangte Behörde hat daher durch ihre Entscheidung die Sache des Berufungsverfahrens überschritten (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2002, Zl. 99/08/0173, vom 3. Oktober 2002, Zl. 99/08/0007, vom 22. Jänner 2003, Zl. 2000/08/0069, und vom 13. August 2003, Zl. 99/08/0170).
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 22. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002080196.X00Im RIS seit
20.10.2004