TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/23 2001/21/0014

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Veröffentlicht am 23.09.2004
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §17 Abs1;
FlKonv Art31 Z1;
FrG 1997 §107 Abs1 Z3;
FrG 1997 §2 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des S, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 2. Oktober 2000, Zl. Senat-BN-00-982, betreffend Bestrafung wegen Übertretung des Fremdengesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 13. März 2000 wurde der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, für schuldig erkannt, er habe sich am 28. März 1999 im österreichischen Bundesgebiet (Traiskirchen) als passpflichtiger Fremder aufgehalten, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein. Er habe § 107 Abs. 1 Z. 3 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, übertreten und es werde über ihn nach § 107 Abs. 1 FrG eine Geldstrafe von S 300,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 18 Stunden) verhängt.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. Oktober 2000 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers gegen das genannte Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG ab. Begründend führte sie - soweit im Beschwerdeverfahren noch wesentlich - aus, sie sehe es als erwiesen an, dass sich der Beschwerdeführer bereits am 28. März 1999 im Bundesgebiet, nämlich in Traiskirchen, aufgehalten habe, weil dieses Datum auf dem (Bestandteil des Asylaktes bildenden) "Datenblatt", das "Schriftzüge des Berufungswerbers" trage, enthalten sei. Dass in der Niederschrift des Bundesasylamtes der 29. März 1999 als Datum der Antragstellung genannt sei, könne am späten Zeitpunkt der Antragstellung (20.30 Uhr) liegen, der sich außerhalb der Amtszeiten befunden habe.

Gemäß § 107 Abs. 1 Z. 3 FrG begehe eine Verwaltungsübertretung, wer sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhalte. In Ermangelung einer Ausnahmeregelung seien Staatsangehörige von Sierra Leone als passpflichtige Fremde anzusehen. Gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1997 - AsylG finde zwar § 107 FrG auf Fremde, denen Österreich Asyl gewähre oder die im Besitz einer befristeten Aufenthaltsberechtigung (§ 15 AsylG) seien, keine Anwendung. Dem Beschwerdeführer sei aber im Tatzeitpunkt nicht Asyl gewährt gewesen und er habe auch nicht über eine befristete Aufenthaltsberechtigung verfügt.

Es komme zwar auch einer aufrechten vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach § 19 AsylG tatbestandsausschließende Wirkung zu. Wegen der Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle sei dem Beschwerdeführer im Tatzeitpunkt aber auch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung nach § 19 Abs. 2 AsylG nicht zugekommen.

Letztlich stehe Art. 31 Z. 1 GFK einer Bestrafung des Beschwerdeführers nicht entgegen. Dieser Bestimmung zufolge dürften keine Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit von Flüchtlingen verhängt werden, die direkt aus einem Gebiet gekommen sind, wo ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinn des Art. 1 GFK bedroht gewesen ist. Die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes bzw. des Strafausschließungsgrundes des § 31 Z. 1 GFK scheide im konkreten Fall aus, weil im Tatzeitpunkt - wie auch im Zeitpunkt des Grenzübertritts - eine unmittelbare Gefährdung der Rechte des Beschwerdeführers nicht mehr erkannt werden könne. Er habe nicht behauptet, dass ihm auch in einem unmittelbar an das Bundesgebiet grenzenden Transitstaat Verfolgungshandlungen im Sinn der GFK gedroht hätten oder er Gefahr gelaufen wäre, von dort in den Herkunftsstaat (ohne Non-refoulement-Prüfung) rückverbracht zu werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 107 FrG in der hier anzuwendenden Stammfassung lautete:

"(1) Wer

1. nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder

2. einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder

3. sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein, im Bundesgebiet aufhält oder

4. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der

Z 1 und 2 mit Geldstrafe bis zu 10.000 S oder mit Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 10.000 S zu bestrafen. Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.

(2) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 1 liegt nicht vor, wenn die Ausreise nur in ein Land möglich wäre, in das eine Abschiebung unzulässig (§§ 57 und 75 Abs. 4) ist, oder wenn dem Fremden ein Abschiebungsaufschub erteilt worden ist.

(3) Eine Bestrafung gemäß Abs. 1 Z 3 schließt eine solche wegen der zugleich gemäß Abs. 1 Z 4 begangenen Verwaltungsübertretung aus.

(4) Eine Verwaltungsübertretung gemäß Abs. 1 Z 4 liegt nicht vor, solange dem Fremden die persönliche Freiheit entzogen ist."

Der Beschwerdeführer wendet sich nicht gegen die Ansicht der belangten Behörde, dass er als Staatsangehöriger von Sierra Leone passpflichtig und er im zur Last gelegten Tatzeitpunkt nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes gewesen sei. Er bestreitet jedoch, dass er sich bereits am 28. März 1999 in Traiskirchen aufgehalten habe und verweist diesbezüglich auf den Inhalt der am 30. März 1999 mit ihm aufgenommenen Niederschrift, in der der Vermerk aufscheint "Asylantrag gestellt am 29.03.1999". Mit diesem Vorbringen vermag der Beschwerdeführer im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keine Bedenken gegen die Schlüssigkeit der behördlichen Feststellung und der zu Grunde liegenden Beweiswürdigung zu erwecken. Die belangte Behörde konnte die erwähnte Feststellung über den Tatzeitpunkt nämlich auf das "Datenblatt für die Asylantragstellung" stützen, auf dem unter dem Vermerk "Hiemit stelle ich Asylantrag in Österreich" als "Aufnahmedatum/Zeit" der 28. März 1999, 20.30 Uhr, vermerkt ist. Auch in der "AIS-Auskunft" scheint der 28. März 1999 als Datum der Einbringung des Asylantrages auf. Das anderslautende Datum in der am 30. März 1999 mit dem Beschwerdeführer aufgenommenen Niederschrift ist nicht geeignet, eine Unschlüssigkeit der Feststellung, dass der Beschwerdeführer bereits am 28. März 1999 in Traiskirchen einen Asylantrag gestellt habe, darzutun.

Der Hinweis auf die Bestimmung des Art. 31 Z. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) verhilft der Beschwerde jedoch zum Erfolg.

Gemäß dem auch schon im angefochtenen Bescheid angesprochenen Art. 31 Z. 1 GFK sollen die vertragschließenden Staaten keine Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit über Flüchtlinge verhängen, die, direkt aus einem Gebiet kommend, wo ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinn des Artikels 1 bedroht war, ohne Erlaubnis einreisen oder sich ohne Erlaubnis auf ihrem Gebiet befinden, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und gute Gründe für ihre illegale Einreise oder Anwesenheit vorbringen.

Art. 31 Z. 1 GFK verbietet somit die Verhängung von Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit. Im Hinblick auf die besondere Zwangslage, in der sich Flüchtlinge befinden können, kann dies auch das Verbot einer Bestrafung wegen Aufenthaltes im Bundesgebiet ohne ein gültiges Reisedokument gemäß § 2 Abs. 1 i. V.m. § 107 Abs. 1 Z. 3 FrG miteinschließen. Dies wird dann der Fall sein, wenn das Fehlen eines Reisedokumentes aus den Umständen der Flucht, der direkten Einreise und dem Aufenthalt des Flüchtlings erklärt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2002, Zl. 99/21/0163). Derartige Umstände hat der Beschwerdeführer in der Berufung gegen das Straferkenntnis angesprochen, indem er auf eine asylrelevante Verfolgung in seinem Heimatstaat und auf die dadurch und durch sein jugendliches Alter bedingte Unmöglichkeit der Beschaffung eines Reisedokumentes hingewiesen hat.

Dazu hat die belangte Behörde keine Feststellungen getroffen, sondern die Anwendung des Art. 31 Z. 1 GFK bloß damit verneint, dass eine unmittelbare Gefährdung des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt und im Zeitpunkt des Grenzübertritts "nicht mehr erkannt zu werden vermag". Die belangte Behörde hat zwar zutreffend erkannt, dass eine direkte Einreise im Sinn des Art. 31 Z. 1 GFK auch dann vorliegt, wenn der Betroffene vor der Einreise nach Österreich noch nicht verfolgungs- und refoulementsicher gewesen ist. Der Gerichtshof hat aber im bereits zitierten Erkenntnis Zl. 99/21/0163 dargelegt, dass die Strafbehörde im gegebenen Zusammenhang Feststellungen zum Thema "direkte Einreise" treffen muss. Durch ihre Ansicht, allein wegen fehlender Behauptungen durch den Beschwerdeführer dessen direkte Einreise im genannten Sinn ohne Weiteres verneinen zu dürfen, hat sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

Dieser war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. September 2004

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001210014.X00

Im RIS seit

04.11.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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