TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/29 99/13/0111

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Veröffentlicht am 29.09.2004
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Index

32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §280;
BAO §284;
BAO §97 Abs1 lita;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Hargassner, Mag. Heinzl, Dr. Fuchs und Dr. Büsser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Seidl LL.M, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch die HOUF Wirtschaftstreuhand OEG, Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft in 1010 Wien, Rudolfsplatz 6, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Berufungssenat II) vom 12. Mai 1999, Zl. RV/272-15/07/94, RV/052-15/07/98, betreffend Einkommensteuer für die Jahre 1991, 1992 und 1995, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer erzielte in den Streitjahren 1991, 1992 und 1995 neben Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und (teilweise) Gewerbebetrieb Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezüglich einer im Jahr 1990 im Schenkungsweg erworbenen Liegenschaft.

Während der Beschwerdeführer in seinen Einkommensteuererklärungen der Ermittlung dieser Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung - einem Sachverständigengutachten folgend - auf der Basis eines Gebäudezeitwertes von S 5,570.000,-- und einer Restnutzungsdauer von 30 Jahren eine jährliche Gebäudeabschreibung (AfA) von S 185.480,-- zu Grunde legte, berücksichtigte das Finanzamt im Rahmen der Veranlagung des Beschwerdeführers zur Einkommensteuer 1991, 1992 und 1995 bei Ermittlung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung lediglich eine jährliche AfA von S 54.000,--. Sie folgte dabei einem von der Abgabenbehörde in Auftrag gegebenen Gutachten, in welchem der Sachverständige zu fiktiven Anschaffungskosten von S 2,7 Mio. und zu einer Restnutzungsdauer von 50 Jahren gekommen war.

Der Beschwerdeführer erhob gegen die genannten Einkommensteuerbescheide Berufung und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

Hinsichtlich dieser Verhandlung fertigte die belangte Behörde nach einem umfangreichen Ermittlungsverfahren eine an den Beschwerdeführer gerichtete Vorladung für den 21. April 1999 aus, in welcher auch darauf hingewiesen wurde, dass das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers erforderlich sei, ein Fernbleiben der Partei jedoch der Durchführung der Verhandlung nicht entgegenstehe. Bei Aufruf der Sache am 21. April 1999 erschien der Beschwerdeführer laut der über den Verlauf der mündlichen Verhandlung aufgenommenen Niederschrift nicht. In dieser Niederschrift wurde weiter festgehalten, dass das zur Berichterstatterin bestellte Senatsmitglied in der Folge telefonisch Kontakt mit der Kanzlei des steuerlichen Vertreters des Beschwerdeführers aufgenommen habe, wobei eine Angestellte erklärt habe, ihr Chef sei im Moment nicht da. Etwa 10 Minuten später habe der steuerliche Vertreter beim Vorsitzenden des Berufungssenates angerufen und erklärt, von einer Verhandlung nichts zu wissen. In einem gesonderten Aktenvermerk über dieses Gespräch wurde unter anderem festgehalten, dass sich der Beschwerdeführer "an der Wohnadresse" nicht mehr aufhalte, sondern nur dessen ehemalige Lebensgefährtin, welche aber die Post des Beschwerdeführers wegwerfe. Über Kontaktaufnahme mit dem für die Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung zuständigen Postamt - so in der Niederschrift über den Verlauf der mündlichen Verhandlung weiter - sei in Erfahrung gebracht worden, dass hinsichtlich einer allfälligen Ortsabwesenheit des Beschwerdeführers beim Postamt nichts bekannt sei und der Rückscheinbrief vor kurzem an die belangte Behörde zurückgesandt worden sei. Da die Zustellung durch Hinterlegung ordnungsgemäß erfolgt sei, sei beschlossen worden, "die Verhandlung nicht mündlich am .... 23. April 1999 .... durchzuführen". Der inzwischen hinzugekommene steuerliche Vertreter sei informiert worden, dass "durch die Hinterlegung der Ladung und das Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung der Anspruch auf Durchführung einer solchen erloschen" sei. Er habe dies widerspruchslos zur Kenntnis genommen.

Am 28. April 1999 langte bei der belangten Behörde ein die Berufungen hinsichtlich Einkommensteuer 1991, 1992 und 1995 betreffendes Schreiben des Beschwerdeführers vom 27. April 1999 ein, worin bezugnehmend auf die Vorgänge am 21. April 1999 zunächst darauf hingewiesen wurde, dass dem Beschwerdeführer eine Vorladung zu der Verhandlung nicht zugegangen sei. Da der Beschwerdeführer darüber informiert worden sei, dass eine neuerliche mündliche Verhandlung, in deren Verlauf er die Möglichkeit zur weiteren Darlegung seiner Rechtsansicht habe, nicht stattfinden werde, würden ergänzende Argumente zur Frage der Ermittlung der fiktiven Anschaffungskosten schriftlich festgehalten. In der Folge verwies der Beschwerdeführer auf die ihm im Jänner 1999 übermittelten Berechnungsgrundlagen und meinte, dass die meisten der darin angeführten Vergleichsliegenschaften innerhalb des Beobachtungszeitraumes 1989 bis 1991 mehrmals verkauft worden seien, wobei von der belangten Behörde ein Durchschnittswert gebildet worden sei. Da die Kaufpreise innerhalb kurzer Zeit erheblich angestiegen seien, sei darauf hinzuweisen, dass sich bei Ansatz der jeweils zeitnächsten Verkäufe ein erheblich höherer Vergleichswert errechne. Am 6. April 1999 sei es zu einem Gespräch zwischen dem Beschwerdeführer und dem nunmehrigen Leiter der Bewertungsstelle des Finanzamtes gekommen. Dieser habe gemeint, dass eine neuerliche Auswahl von Vergleichsgrundstücken sehr zeitaufwendig sei, weil keine EDV-Unterstützung dafür bestehe. Er habe jedoch Argumente angeführt, die aus seiner Sicht eine weitere Auswahl entbehrlich machten, da sie die Einschätzung des Beschwerdeführers unterstützten: Ein Ansatz von etwa S 8.000,-- pro m2 Nutzfläche scheine nach seiner Erfahrung angemessen. Eine Vergleichswertberechnung an Hand von Grundstücksflächen scheine ihm zur Ermittlung von Gebäudewerten nicht plausibel. Auch eine Verprobung mit dem Neubauwert käme etwa zum gleichen Ergebnis. Üblicherweise werde für ein Haus in ordentlichem Zustand und in diesem Alter ein Gebäudezeitwert von einem Drittel des Neubauwertes angenommen. Bei heutigen Errichtungskosten zwischen 20.000 und 30.000 S je m2 Nutzfläche ergebe dies einen Zeitwert von zumindest S 8 Mio. Dabei sei der Wert des unausgebauten Dachbodens noch unberücksichtigt, weil dieser in der angegebenen Nutzfläche natürlich noch nicht enthalten sei. Insgesamt halte der Leiter der Bewertungsstelle einen "Wert zwischen S 6 und 7 Mio" für angemessen. Der Beamte habe freundlicherweise angeboten, seine Meinung gegebenenfalls auch im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu wiederholen. Da eine solche nun nicht mehr stattfinden solle, werde der Antrag gestellt, Amtsrat W. als Auskunftsperson gemäß § 143 BAO zu hören. Darüber hinaus beeinflussten auch die Möglichkeit zur Parifizierung (welche im Übrigen mittlerweile durchgeführt worden sei) und der Abverkauf eines Hauses in Wohnungseigentum die Wertvorstellungen potenzieller Investoren. Hinsichtlich des Ertragswertes wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass die in Ansatz gebrachten Ergebnisse der Jahre 1991 bis 1995 untypisch beeinflusst gewesen seien. Beim Ertragswert sei jedenfalls auch der Dachboden als zusätzliche Wertkomponente zu berücksichtigen. Im Zuge des Ermittlungsverfahrens erster Instanz sowie des nunmehr anhängigen Berufungsverfahrens sei in zahlreichen Eingaben sowie persönlichen Vorsprachen dargelegt worden, aus welchen Gründen die von der Abgabenbehörde (teilweise gestützt auf das Gegengutachten) errechneten Schätzwerte nicht zutreffend seien bzw. sein könnten. Auf Kritikpunkte betreffend die Berechnungsgrundlagen an sich sei gleichermaßen hingewiesen worden wie auf konzeptionelle Mängel in der Verknüpfung dieser Berechnungsgrundlagen und der Ableitung der Vergleichswerte. Weiters seien alternative Berechnungsmethoden aufgezeigt und Proberechnungen dargelegt worden, die zu deutlich abweichenden Ergebnissen geführt hätten. Schließlich hätte auch festgestellt werden können, dass die Einschätzung des Immobilienmarktes durch den Beschwerdeführer und jene der Bewertungsstelle des zuständigen Finanzamtes kaum differierten. Es erschiene verfahrensrechtlich bedenklich, wenn trotz dieser Umstände an den von den Abgabenbehörden bisher errechneten Werten festgehalten würde und die zahlreichen Gegenargumente nicht zum Tragen kämen. Kernaussage der "bisher zitierten" Verwaltungsgerichtshoferkenntnisse sei nicht die Anerkennung bestimmter Schätzungsmethoden per se, sondern immer nur unter der Bedingung, dass damit die wahren Werte mit hoher Wahrscheinlichkeit ermittelbar seien. Lägen Gründe vor, die erwarten ließen, dass eine Schätzungsmethode nicht zu plausiblen Ergebnissen führe, dürfe diese im Einzelfall auch nicht angewandt werden.

Mit dem am 27. Mai 1999 zugestellten angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Berufungen insofern Folge, als sie aus näher angeführten Gründen eine jährliche Abschreibung von S 54.750,-- berücksichtigte. Da laut herrschender Lehre und Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die Schätzung der fiktiven Anschaffungskosten auf Basis des Ertragswertverfahrens unter Heranziehung von Vergleichsliegenschaften "durchgehend" anerkannt werde, die Schätzung der fiktiven Anschaffungskosten im Beschwerdefall auf den tatsächlichen Ertragswerten sowie Kaufpreisen von Vergleichsliegenschaften unter Berücksichtigung der Einwendungen des Beschwerdeführers beruhe, liege nach Ansicht der belangten Behörde die Notwendigkeit der Beiziehung eines weiteren Sachverständigen bzw. Schiedsgutachters nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:

Auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge, die der Abgabenbehörde zweiter Instanz im Laufe des Berufungsverfahrens zur Kenntnis gelangen, ist gemäß § 280 BAO Bedacht zu nehmen, auch wenn dadurch das Berufungsbegehren geändert oder ergänzt wird. "Im Laufe" im Sinne dieser Bestimmung ist dabei das Berufungsverfahren so lange, als es nicht abgeschlossen ist. Abgeschlossen ist das Berufungsverfahren erst dann, wenn eine wirksame Berufungsentscheidung ergangen ist. Eine solche liegt aber bei einer schriftlichen Erledigung zufolge § 97 Abs. 1 lit. a BAO - eine mündliche Verhandlung nach § 284 BAO mit einer Verkündung der Berufungsentscheidung hat im Beschwerdefall nach der Aktenlage nicht stattgefunden - erst mit ihrer Zustellung vor, und zwar auch dann, wenn es sich um den Bescheid eines Berufungssenates handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. Februar 2000, 97/13/0187).

Vor diesem Hintergrund rügt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zu Recht, wenn er darauf hinweist, dass auf die Eingabe vom 27. April 1999 und die darin enthaltenen Ausführungen "überhaupt nicht mehr Bezug genommen" worden sei.

Es mag vor dem Hintergrund der Sachverhaltsannahme, dass der Beschwerdeführer eine Änderung seiner Adresse gegenüber der Behörde trotz des anhängigen Verfahrens nicht bekannt gegeben hat, zutreffen, dass die Zustellung der Vorladung zur mündlichen Verhandlung rechtswirksam erfolgte und dem entsprechend die Durchführung der Verhandlung in Abwesenheit des Beschwerdeführers keine Verletzung von Verfahrensvorschriften darstellt. Dies ändert aber nichts daran, dass die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 280 BAO auf neue Tatsachen, Beweise und Anträge, die ihr im Laufe des Berufungsverfahrens zur Kenntnis gelangen, Bedacht zu nehmen hat. Dass die belangte Behörde dies getan hätte, ist dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen, zumal bei Entscheidung über die Berufungen am 23. April 1999 die Eingabe vom 27. April 1999 nicht bekannt gewesen sein konnte. Eine (abermalige) Befassung des Berufungssenates nach Einlangen des Schriftsatzes vom 27. April 1999, aber vor Zustellung des angefochtenen Bescheides am 27. Mai 1999, ist nicht aktenkundig. Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften liegt daher jedenfalls vor. Dieser Verfahrensmangel muss aber auch als wesentlich beurteilt werden, weil hinsichtlich des Inhaltes der Eingabe vom 27. April 1999 nicht gesagt werden kann, dass er von vornherein nicht geeignet gewesen wäre, einen anderen Bescheidspruch herbeizuführen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 29. September 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:1999130111.X00

Im RIS seit

23.12.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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