TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/30 2001/20/0375

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Veröffentlicht am 30.09.2004
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Index

E4D E19103010;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/02 Staatsbürgerschaft Staatenlosigkeit;

Norm

41997D0662 Übk Dubliner DV Anh3;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5;
Dubliner Übk 1997 Art18;
Dubliner Übk 1997 Art3 Abs2;
Dubliner Übk 1997 Art6;
Dubliner Übk 1997 Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des G in S, geboren1977, vertreten durch Rechtsanwaltsgemeinschaft Mory & Schellhorn OEG in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 1. Juni 2001, Zl. 222.223/0-XIV/08/01, betreffend § 5 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Türkei, wurde am 24. Oktober 2000 aus Deutschland nach Österreich "zurückgeschoben" und beantragte am selben Tag Asyl.

Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 23. März 2001 gemäß § 5 AsylG als unzulässig zurück, stellte fest, für die Prüfung des Asylantrages sei Deutschland zuständig, und wies den Beschwerdeführer nach Deutschland aus.

In der Begründung dieser Entscheidung stellte das Bundesasylamt fest, der Beschwerdeführer habe sich von der Türkei "über Rumänien und Bulgarien sowie weiters über eine unbekannte Reiseroute illegal nach Österreich" begeben und sei "dann am 04.06.2000 illegal in Deutschland eingereist", wo er am 14. Juli 2000 einen "Asylfolgeantrag" gestellt habe. Nach dessen Ablehnung und "Haftverbüßung in Deutschland" sei er am 24. Oktober 2000 nach Österreich überstellt worden. Die Zuständigkeit Deutschlands zur Prüfung des in Österreich gestellten Asylantrages ergebe sich aus Art. 8 DÜ.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer u.a. geltend, er sei über einen Drittstaat nach Österreich und von hier aus nach Deutschland eingereist, weshalb nicht Deutschland, sondern gemäß Art. 6 DÜ Österreich zur Behandlung des Asylantrages zuständig sei. Die Zuständigkeit nach Art. 8 DÜ sei "eine bloß subsidiäre".

Diese Berufung legte das Bundesasylamt der belangten Behörde mit dem Hinweis vor, der Beschwerdeführer könne seine Behauptung, über Österreich in das gemeinsame Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten des DÜ eingereist zu sein, "weder durch Indizien noch durch Beweismittel" untermauern.

Mit dem angefochtenen - ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung erlassenen - Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 5 AsylG ab. Sie stellte fest, der Beschwerdeführer (der sich schon früher zweimal in Deutschland aufgehalten und dort Asyl beantragt habe) habe "nach einem durchgehenden Aufenthalt in der Türkei ... sein Heimatland am 22.05.2000" verlassen und sei "über unbekannte Wege nach Deutschland" gelangt, wo er "am 04.06.2000 aufgegriffen" und inhaftiert worden sei. Nach Beendigung seiner Haft und Ablehnung eines "Asylfolgeantrages" sei er am 24. Oktober 2000 "nach Österreich zurückgeschoben" worden. Für die "illegale Einreise des Berufungswerbers über Österreich" gebe es "keinerlei Beweise noch können Indizien diese Behauptung des Berufungswerbers untermauern, die geeignet wären, einen Nachweis im Sinne Art. 6 DÜ darzustellen". Es stehe jedoch fest, dass er "in Deutschland Asylanträge gestellt" habe, sodass Art. 8 DÜ zur Anwendung gelange. Die vom Beschwerdeführer erhobene Behauptung einer drohenden Verletzung des Non-Refoulement-Gebotes durch Deutschland sei unkonkret geblieben. Hingewiesen werde auch auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach für eine derartige Prüfung auf Grund der Bestimmung des § 5 Abs. 1 AsylG kein Raum bleibe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die belangte Behörde scheint - trotz ihrer Feststellung über "unbekannte Wege", wobei Österreich anders als im erstinstanzlichen Bescheid nicht mehr vorkommt - nicht in Abrede stellen zu wollen, dass der Beschwerdeführer im Juni 2000 von Österreich aus nach Deutschland einreiste, worauf sich auch seine "Zurückschiebung" gegründet haben muss. Der Standpunkt der belangten Behörde, aus dem - gemäß Art. 3 Abs. 2 DÜ gegenüber Art. 8 DÜ vorrangig anzuwendenden - Art. 6 DÜ ergebe sich im vorliegenden Fall nicht die Zuständigkeit Österreichs, scheint sich vielmehr auf die Ansicht zu gründen, der Beschwerdeführer könnte sich schon vor dem Aufenthalt in Österreich in einem anderen Mitgliedstaat des DÜ aufgehalten haben, sodass er nicht über Österreich in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten eingereist wäre. Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keinerlei Auseinandersetzung mit der Frage, ob dies ausgehend von den vom Bundesasylamt nicht als unglaubwürdig erachteten und von der belangten Behörde keiner eigenen Würdigung unterzogenen Angaben des Beschwerdeführers über seinen Reiseweg - denen in diesem Zusammenhang die Bedeutung eines Indizes zukommt (vgl. Anhang III des Beschlusses Nr. 1/97 des Ausschusses nach Art. 18 DÜ) - angenommen werden kann. Auf den schon in den Feststellungen unerwähnt gelassenen Umstand, dass sich der von Rumänien kommende Beschwerdeführer in Österreich aufgehalten hatte, bevor er nach Deutschland gelangte, wird vielmehr überhaupt nicht eingegangen, sodass der angefochtene Bescheid in einer für die Entscheidung wesentlichen Frage nicht nachvollziehbar begründet ist.

Die belangte Behörde hat aber auch die Rechtslage verkannt, wenn sie dem Vorbringen des Beschwerdeführers über die ihm in Deutschland drohende sofortige Abschiebung in die Türkei - nach dem Berufungsvorbringen des Beschwerdeführers war er ungeachtet seiner Verfolgungsbehauptungen schon zweimal aus Deutschland in die Türkei abgeschoben worden - entgegen hielt, für eine Prüfung dieser Frage bleibe "kein Raum". Von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, auf die sich die belangte Behörde dabei stützte, ist der Verwaltungsgerichtshof - dem Verfassungsgerichtshof folgend - in dem hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 23. Jänner 2003, Zl. 2000/01/0498, ausdrücklich abgegangen.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. September 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200375.X00

Im RIS seit

04.11.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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