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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
AsylG 1997 §6 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 24. August 2001, Zl. 222.259/8-I/01/01, betreffend § 32 Abs. 2 AsylG (mitbeteiligte Partei: B, geboren 1982, G), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger der Türkei, reiste am 7. März 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragte mit Schriftsatz vom 12. März 2001 Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 19. April 2001 gab er im Wesentlichen an, er habe sich von einem Arbeitskollegen überreden lassen, sich der Hisbollah anzuschließen, und sei von der Hisbollah drei Monate lang "an Waffen ausgebildet" worden. Als es zu einem Feuergefecht mit Soldaten gekommen sei, sei er davongelaufen. Am nächsten Morgen habe die Polizei seinem Bruder bereits ein Phantombild des Mitbeteiligten gezeigt. Der Mitbeteiligte habe sich bis zur Ausreise etwa einen Monat lang bei seinem Bruder versteckt gehalten. Er habe nicht zur Hisbollah zurück wollen, weil er sonst wieder "zu einem Kampf mitgenommen" worden wäre, und nicht in sein Dorf zurückkehren können, weil ihn dort schon die Polizei gesucht habe. Wenn er in die Türkei zurückkehre, werde ihn die Hisbollah umbringen oder die Polizei einsperren.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Mitbeteiligten gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Mitbeteiligten in die Türkei fest. Es begründete seine Entscheidung mit Widersprüchen in den Angaben des Mitbeteiligten sowie mit seinem mangelnden Wissen über die Hisbollah und über die Waffen, an denen er angeblich ausgebildet worden sei.
Über die Berufung des Mitbeteiligten gegen diesen Bescheid führte die belangte Behörde am 25. Juni, 2. August und 16. August 2001 eine mündliche Berufungsverhandlung durch, in der - unter Teilnahme des Bundesasylamtes - der Mitbeteiligte nochmals ausführlich vernommen und umfangreiches Berichtsmaterial erörtert wurde.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt. Sie behob den erstinstanzlichen Bescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurück.
Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres, der die belangte Behörde in einer Gegenschrift entgegen tritt. Auch der Mitbeteiligte hat eine Stellungnahme erstattet, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde erwogen:
Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung - ausgehend von der im hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, zusammengefassten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - im Wesentlichen darauf gestützt, dass zwar das Vorbringen des Mitbeteiligten im Hinblick auf seine Mitgliedschaft bei der Hisbollah "unglaubwürdig" sei, einer Abweisung des Asylantrages (gemeint: als offensichtlich unbegründet) aber als "sonstiger Hinweis auf Verfolgungsgefahr" im Sinne des § 6 AsylG das Amtswissen der belangten Behörde über die Gefahr einer Verfolgung von Hisbollah-Anhängern durch den türkischen Staat entgegen stehe. Das Vorbringen des Asylwerbers könne vor dem Hintergrund der Berichtslage nicht "von vornherein als gänzlich absurd" betrachtet und eine Verfolgungsgefahr könne nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden.
Dem hält die Amtsbeschwerde entgegen, eine allfällige Verfolgungsgefahr für Mitglieder der Hisbollah könne kein "sonstiger Hinweis" auf eine dem Mitbeteiligten drohende Verfolgung sein, wenn davon auszugehen sei, dass dieser in keiner "wie immer gearteten Verbindung zur Hisbollah" stand.
Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift aus, sie sei nicht von einem Naheverhältnis des Mitbeteiligten zur Hisbollah ausgegangen. Seinen Ausführungen sei vielmehr kein Glauben geschenkt worden, wobei aber anzumerken sei, dass das Vorbringen "im Hinblick auf die Gegebenheiten in der Türkei nicht als völlig absurd zu bezeichnen" sei.
Das Verständnis dieser dem angefochtenen Bescheid zugrunde liegenden Auffassung wird dadurch erschwert, dass die belangte Behörde in die Begründung ihrer Entscheidung zwar Feststellungen über eine Verfolgungsgefahr für Anhänger der Hisbollah, aber keine ins Einzelne gehende Würdigung der (ausführlich wiedergegebenen) Angaben des Mitbeteiligten aufgenommen hat. Meinte die belangte Behörde, vor dem Hintergrund der Berichtslage sei nicht mit der erforderlichen "sich aufdrängenden" Eindeutigkeit klar, dass das Vorbringen des Mitbeteiligten im Sinne des § 6 Z 3 AsylG (i.d.F. vor der AsylG-Novelle 2003) offensichtlich tatsachenwidrig sei (vgl. in diesem Zusammenhang etwa das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214), worauf die Ausführungen über ein nicht "absurdes" Vorbringen möglicherweise abzielen, so wäre dies allerdings auch dann, wenn dieser Beurteilung nicht vom Mitbeteiligten, sondern von der belangten Behörde in das Verfahren eingeführte Berichte zugrunde lagen, keine Annahme eines "sonstigen Hinweises" auf eine Verfolgungsgefahr. Die belangte Behörde hat in der Begründung ihrer Entscheidung selbst auf Ausführungen in dem von ihr zitierten hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, verwiesen, wonach die den Fällen des § 6 AsylG gemeinsame Voraussetzung des Fehlens eines "sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" bei Vorliegen eines im Sinne des § 6 Z 3 AsylG offensichtlich tatsachenwidrigen Vorbringens in der Regel nicht auf (andere) Teile des Vorbringens zu beziehen sein könne, weil das Vorbringen einer Gesamtwürdigung am Maßstab des § 6 Z 3 AsylG zu unterziehen sei. Im dazu in dem erwähnten Erkenntnis zitierten Vorerkenntnis vom 8. Juni 2000, Zl. 99/20/0446, wurde eine Argumentation, wonach der Mangel an Überzeugung davon, dass das verfolgungsbezogene Vorbringen des Asylwerbers "offensichtlich den Tatsachen nicht entspricht", unter dem Gesichtspunkt des "sonstigen Hinweises auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat" beachtlich sei, als nicht nachvollziehbar beurteilt. Dies gilt - was in dem Erkenntnis allerdings nicht ausdrücklich hervorgehoben wurde - auch insoweit, als sich die Beurteilung des Vorbringens als nicht "offensichtlich" tatsachenwidrig auf die übrigen Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens gründet. Ist das verfolgungsbezogene Vorbringen nicht "offensichtlich" tatsachenwidrig, so sind die Voraussetzungen des § 6 Z 3 AsylG nicht erfüllt, ohne dass sich die Frage nach einem "sonstigen Hinweis" stellt.
Dass andererseits ein Amtswissen über Maßnahmen des türkischen Staates gegen Anhänger der Hisbollah auch völlig losgelöst vom Vorbringen des Mitbeteiligten und ohne die Annahme eines Naheverhältnisses zwischen ihm und der Hisbollah auf eine ihm drohende Gefährdung hinweise, wäre - wie die Beschwerde mit Recht geltend macht - in der vorliegenden Form nicht nachvollziehbar, sodass im Ergebnis unklar bleibt, von welchem einer Abweisung der Berufung entgegen stehenden Bedrohungsbild die belangte Behörde ausgegangen ist.
Der angefochtene Bescheid war im Hinblick auf diesen Begründungsmangel gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Wien, am 30. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200588.X00Im RIS seit
28.10.2004