TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/30 2001/20/0121

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Veröffentlicht am 30.09.2004
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in W, geboren 1959, vertreten durch Mag. Georg Morent, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen Spruchpunkt I des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Oktober 2000, Zl. 206.308/0- VIII/22/98, betreffend § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Spruchpunkt wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der im Iran geborene und dort aufgewachsene Beschwerdeführer, der sich seit Dezember 1990 in Österreich aufhielt, beantragte am 31. August 1998 Asyl und wurde dazu am 12. Oktober 1998 vor dem Bundesasylamt einvernommen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 29. Oktober 1998 gemäß § 7 AsylG ab (Spruchteil I) und stellte gemäß § 8 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran fest (Spruchteil II).

Mit Spruchpunkt I des angefochtenen - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung am 26. August 1999 und am 20. Juni 2000 und Einholung von Sachverständigengutachten erlassenen - Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers hinsichtlich Spruchteil I des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 7 AsylG ab. Mit Spruchpunkt II gab sie der Berufung hinsichtlich Spruchteil II des erstinstanzlichen Bescheides Folge und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran für unzulässig. Mit Spruchpunkt III erteilte sie ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

Gegen Spruchpunkt I dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Vorweg ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer sowohl im fremdenrechtlichen Verfahren (vgl. zu diesem auch das hg. Erkenntnis vom 10. April 2003, Zl. 99/18/0220) als auch im Bescheid des Bundesasylamtes ausdrücklich als iranischer Staatsangehöriger behandelt wurde, sich selbst aber als staatenlos ansieht. Die belangte Behörde bezeichnet diese Selbsteinschätzung im angefochtenen Bescheid (Seite 29 und 34) als "glaubwürdig", hat aber keine Feststellungen darüber getroffen, wodurch der Beschwerdeführer die iranische Staatsangehörigkeit verloren haben soll. Sie geht dessen ungeachtet davon aus, dass der Iran der Herkunftsstaat i.S.d. § 1 Z 4 AsylG des Beschwerdeführers sei.

Diese Beurteilung trifft - soweit sich dies nach der Aktenlage beurteilen lässt - auch bei Annahme nunmehriger Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers jedenfalls dann zu, wenn der Beschwerdeführer, der sich zunächst nach Pakistan begab und dort vom UNHCR als Flüchtling anerkannt wurde, den Iran als Flüchtling verlassen (und die Flüchtlingseigenschaft, ungeachtet der Frage ihrer jeweiligen formellen Anerkennung, auch in der Folge nicht verloren) haben sollte (vgl. zu diesem Thema Grahl-Madsen, The Status of Refugees in International Law I (1966) 157-158 und 160-162). Dass er die iranische Staatsangehörigkeit verloren habe, ist aber - wie erwähnt - aus den Feststellungen der belangten Behörde nicht nachvollziehbar.

Spruchpunkt II ihrer Entscheidung hat die belangte Behörde u. a. auf folgende Erwägungen gestützt:

"Aufgrund der - wohl bereits lang zurückliegenden - Schwierigkeiten des Berufungswerbers im Iran (Auseinandersetzung mit Hisbollahs, Desertion), des zwischenzeitigen Religionswechsels und der Ankündigung, seine neue Religion im Iran auch verkünden zu wollen, somit missionarisch tätig werden zu wollen, der vehementen Ablehnung des Islam als Religion und damit auch als Staatsfundament ist zu erwarten, dass der Berufungswerber für den Fall seiner Rückkehr im Iran sehr bald in gravierende Schwierigkeiten mit den iranischen Behörden gelangen würde, wenn es nicht schon aufgrund des äusserst langen Auslandsaufenthaltes zu einer Verhaftung und zu eingehenden Befragungen kommen würde. Dazu kommt noch die sehr eigenständige (und jedenfalls antiislamisch geprägte) Persönlichkeitsstruktur, die ihn leicht mit Behörden (auch in einem demokratischen Rechtsstaat) in Konflikt geraten lässt ... Zum Unterschied von Österreich ist jedoch aufgrund der notorischen Menschenrechtssituation, an der Tagesordnung stehender Misshandlungen von Untersuchungsgefangenen und willkürlichen Verhaftungen mit sehr schlechten Haftbedingungen, mit erheblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer unmenschlichen Behandlung des Berufungswerbers gegeben, sollte dieser in den Iran abgeschoben werden."

Darüber hinaus hat die belangte Behörde ihrer Entscheidung folgende Beantwortung ihrer auf die vorgelegten Gedichte des Beschwerdeführers bezogenen schriftlichen Fragen an den Sachverständigen zugrunde gelegt:

"(Frage) 2. Weisen die beiliegenden Gedichte (in Farsi) irgendeinen religiösen oder politischen Inhalt auf?

(Antwort) 2. Die Frage ist zu bejahen. In verschlüsselter Form, wie in der klassischen Dichtung üblich, jedoch für jeden Perser offensichtlich, wird auf Khomeini und das islamische Regime Bezug genommen. Khomeini wird als Zauberer (gadugar) bezeichnet, der den Menschen Sand in die Augen streuen und sie von der 'wahren Religion' abbringen will.

(Frage) 2.1. Sind darin irgendwelche Hinweise auf Khoramdin oder Mazdak Bamdadan enthalten?

(Antwort) 2.1. Mazdak tritt auf, um die Menschen wieder der rechten Religion zuzuführen.

(Frage) 2.2. Richten sich diese Gedichte gegen die islamische Regierung?

(Antwort) 2.2. Ja (s. Beantwortung von Pkt. 2.). (Frage) 2.3. Sollten diese Gedichte den iranischen Behörden

bekannt werden, wäre das ein Grund für Verfolgung, allenfalls warum und in welchem Umfang?

(Antwort) 2.3. Auf eine Beleidigung Khomeinis, des Führers der islamischen Revolution steht die Todesstrafe. Da die Gedichte diesen als Zauberer bezeichnen, der die Menschen verführen will, wäre mit der Exekution zu rechnen.

(Frage) 2.4. Ist durch die Publikation in der Zeitung ... anzunehmen, dass diese Gedichte den iranischen Behörden bekannt sind?

(Antwort) 2.4. Die Veröffentlichung der Gedichte in der genannten Zeitschrift macht eine Kenntnisnahme durch die iranischen Behörden sehr wahrscheinlich, da man natürlich von Seiten des Regimes daran interessiert ist, zu kontrollieren, wer in Druckschriften regimefeindliche Gedanken vertritt."

Auf der Grundlage dieser - von ihr in der Bescheidbegründung wiedergegebenen und insgesamt als "schlüssig und fundiert" bezeichneten - Ausführungen des Sachverständigen hat die belangte Behörde in Verbindung mit Angaben des Beschwerdeführers über seine Aktivitäten in Österreich festgestellt:

"In Österreich hatte er Kontakte zu den Feddayin und den Volksmudjaheddin und ist auch als Dichter (in persischer Sprache) aktiv, wobei ein Gedicht auch in einer persischen Exilzeitschrift veröffentlicht wurde. 1993 protestierte er vor der im Austria Center in Wien abgehaltenen UNO-Menschenrechtskonferenz gegen das iranische Regime und die UNO, wobei er auch Protestschreiben, in denen er seine politischen Ansichten darlegte, an die UNO gesandt hatte."

In seinen - von der belangten Behörde insoweit nicht als unglaubwürdig eingestuften - Angaben in der Berufungsverhandlung hatte der Beschwerdeführer in Zusammenhang mit den Gedichten ausgeführt, er habe im Dezember 1999 in Wien einen Gedichteabend organisiert und sei sicher, dass solche Aktivitäten den iranischen Behörden bekannt würden. In der Exilzeitschrift sei im Sommer 1998 ein Gedicht des Beschwerdeführers "mit Namen und Datum" veröffentlicht worden. Die Zeitschrift erscheine in England und werde unter Iranern auf der ganzen Welt verbreitet.

In der rechtlichen Beurteilung ging die belangte Behörde allerdings davon aus, die "einmalige Veröffentlichung eines Gedichtes, das bei tiefsinniger Interpretation als regimekritisch eingestuft werden könnte, in einer Oppositionszeitschrift" führe "nach Meinung der Berufungsbehörde noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu einem ungerechtfertigten Eingriff der iranischen Behördenorgane von erheblicher Intensität im Falle der Rückkehr des Berufungswerbers".

Diese Beurteilung ist im Kontext mit den "schlüssigen und fundierten" Ausführungen des Sachverständigen nicht nachvollziehbar, weil sie nicht vom angenommenen Sachverhalt auszugehen scheint ("für jeden Perser offensichtlich", "wäre mit der Exekution zu rechnen", "sehr wahrscheinlich"). Sie könnte - ohne dass dies im angefochtenen Bescheid allerdings dargelegt wird - ihren Grund darin haben, dass die Kopie aus der Exilzeitschrift erst nach Einlangen des Gutachtens über die handschriftlich vorgelegten Gedichte zu den Akten genommen wurde und die belangte Behörde nun - anders als bei ihrer Fragestellung an den Sachverständigen (in Frage 2.4.) - nicht mehr davon ausging, in der Exilzeitschrift sei zumindest eines der handschriftlich vorgelegten Gedichte (oder ein gleichartiges) veröffentlicht worden. Über den Inhalt des in der Zeitschrift veröffentlichten Gedichtes, das auch bei der Erörterung in der fortgesetzten Berufungsverhandlung offenbar unübersetzt blieb, enthält der Bescheid allerdings keine Feststellungen.

Letztlich kommt es darauf - ausgehend vom Iran als dem Herkunftsstaat des Beschwerdeführers - nicht an, weil die zugrunde gelegte Begutachtung der handschriftlich vorgelegten Gedichte in Verbindung mit den Feststellungen über die Tätigkeiten des Beschwerdeführers in Österreich jedenfalls verdeutlicht, dass die Gefahren, auf deren Annahme die belangte Behörde Spruchpunkt II des Bescheides gründete, sich nicht darauf reduzieren lassen, dass der Beschwerdeführer als problematische Persönlichkeit im Iran - wie in Österreich - mit Behörden in Konflikt geraten sei und deshalb aus den von der belangten Behörde dargestellten Gründen im Iran mit unmenschlicher Behandlung zu rechnen haben würde. Die zu erwartenden Konfliktsituationen, von denen die belangte Behörde ausgegangen ist, stehen vielmehr - wie zumindest die ersten Sätze der zitierten Begründung für Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides auch ausdrücklich einzuräumen scheinen - in einem Zusammenhang mit Fragen seiner politischen und religiösen Überzeugung.

Bei dieser Sachlage ist die Beschwerde mit dem Argument, der von der belangten Behörde angenommene Sachverhalt hätte zur Asylgewährung führen müssen, im Recht (vgl. auch das Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0432, betreffend einen im angefochtenen Bescheid erwähnten, teilweise ähnlichen Fall).

Der angefochtene Spruchpunkt des Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 30. September 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2001200121.X00

Im RIS seit

28.10.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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