Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1991 §2 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des BS in W, geboren 1969, vertreten durch Dr. Martin Prunbauer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Biberstraße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. November 2000, Zl. 211.194/0-IX/27/99, betreffend amtswegige Wiederaufnahme eines Asylverfahrens und Abweisung eines Asylantrages gemäß § 7 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, beantragte nach Einreise in das Bundesgebiet am 7. April 1996 (Aufgriff durch die Gendarmerie nach Überschreitung der österreich-ungarischen Staatsgrenze, von Ungarn kommend) mit Schriftsatz vom 11. April 1996 Asyl und wurde dazu vor dem Bundesasylamt am 18. April 1996 und ergänzend am 10. Mai 1996 befragt. Er begründete seine Flucht aus dem Iran mit Verfolgung wegen monarchistischer Aktivitäten.
Mit Bescheid vom 22. Mai 1996 gewährte das Bundesasylamt dem Beschwerdeführer gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 Asyl.
Am 30. August 1996 teilte die Bundespolizeidirektion Wien dem Bundesasylamt mit, von dem am 18. April 1996 beim Bundesasylamt erkennungsdienstlich behandelten Beschwerdeführer gebe es identische Fingerabdrücke von einem Einreiseversuch am Grenzübergang Nickelsdorf am 9. März 1996.
Am 27. September 1996 wurde der Beschwerdeführer dazu vor dem Bundesasylamt vernommen, wobei ihm u.a. vorgehalten wurde, seine Behauptung, wegen einer gegen Ende März 1996 erfolgten Verhaftung geflohen zu sein, könne nicht stimmen. Der Beschwerdeführer gab nun an, die Verhaftung sei im Februar gewesen und er habe den ersten Einreiseversuch im Asylverfahren verschwiegen, weil er im Anschluss an die Zurückweisung nach Ungarn im März 1996 dort unter sehr schlechten Haftbedingungen in Schubhaft gewesen sei und Angst gehabt habe, wieder nach Ungarn zurückgeschoben zu werden.
Das Bundesasylamt nahm mit Bescheid vom 23. Dezember 1996 das Asylverfahren gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. § 69 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen wieder auf (Spruchpunkt 1) und wies den Asylantrag gemäß § 3 des Asylgesetzes 1991 ab (Spruchpunkt 2). Es begründete die Wiederaufnahme damit, dass der Beschwerdeführer die Asylgewährung erschlichen habe. Er habe als Fluchtgrund wahrheitswidrig eine Verhaftung im Iran gegen Ende März 1996 behauptet und verschwiegen, dass er zu diesem Zeitpunkt in Ungarn in Schubhaft gewesen sei. Die Abweisung des Asylantrages begründete das Bundesasylamt damit, dass den Ausführungen des Beschwerdeführers jetzt "insgesamt die Glaubwürdigkeit versagt werden" müsse. Auf Fragen der Verfolgungssicherheit nach dem Asylgesetz 1991 wegen des Ungarnaufenthaltes des Beschwerdeführers wurde weder zur Begründung der Wiederaufnahme noch zur Begründung der Abweisung des Asylantrages Bezug genommen.
Mit dem angefochtenen - nach Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung erlassenen - Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG in Bezug auf den ersten und gemäß § 7 AsylG in Bezug auf den zweiten Spruchpunkt des Bescheides vom 23. Dezember 1996 ab. Sie traf - abgesehen von Feststellungen zu einem vom Beschwerdeführer im Berufungsverfahren geltend gemachten Nachfluchtgrund - folgende Feststellungen zum Sachverhalt:
"1.1. Der Berufungswerber hat bei seiner niederschriftlichen Einvernahme beim Bundesasylamt am 18.4.1996 wissentlich verschwiegen, dass er bereits am 9.3.1996 versucht hatte, nach Österreich einzureisen, dabei aber aufgegriffen wurde und nach Ungarn zurückgeschoben (gemeint: zurückgewiesen) wurde, wo er sich bis zu seiner neuerlichen Einreise nach Österreich aufgehalten hat; dies mit dem Vorsatz zu verhindern, dass er wieder nach Ungarn zurückgeschoben wird.
Dies folgt aus den diesbezüglich glaubwürdigen Angaben des Berufungswerbers.
1.2. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Berufungswerber aus den von ihm angegebenen Gründen den Iran verlassen hat.
Zur Beweiswürdigung ist festzuhalten, dass ..."
In rechtlicher Hinsicht begründete die belangte Behörde die Wiederaufnahme - im Anschluss an eine Wiedergabe von Vorschriften und Judikatur - wie folgt:
"2.1.2. Zum festgestellten Sachverhalt ergibt sich, dass der Berufungswerber den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22.5.1996, Zl. 95 02.226-BAW, in dem ihm gemäß § 3 AsylG 1991 in Österreich Asyl gewährt wurde, erschlichen hat. Die Angaben des Berufungswerbers waren von wesentlicher Bedeutung, da auch das Asylgesetz 1991 das Konzept des sicheren Drittstaates kannte, für dessen Anwendung die Frage, aus welchem Staat ein Asylwerber nach Österreich eingereist ist, relevant ist. Irreführungsabsicht ist anzunehmen, da der Berufungswerber die Umstände seiner Einreise nach Österreich bewusst verschwiegen hat, damit er nicht nach Ungarn zurückgeschickt wird. Dass das Bundesasylamt auf die Angaben des Berufungswerbers angewiesen war, ergibt sich schon aus der Natur des Asylverfahrens.
Soweit der Berufungswerber in diesem Zusammenhang vorbringt, das Verschweigen der genannten Umstände sei aufgrund entschuldigenden Notstandes gerechtfertigt, ist ihm entgegenzuhalten, dass der Hinweis auf dieses im Bereich des (Justiz- wie Verwaltungs)Strafrechtes vorgesehene Institut dort ins Leere gehen müssen (gemeint: muss), wo die Frage zu beurteilen ist, ob ein abgeschlossenes Verfahren zwecks nochmaliger Prüfung eines Asylantrages wiederaufgenommen werden soll."
Zur Abweisung des Asylantrages führte die belangte Behörde aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zur behaupteten Verfolgung vor seiner Ausreise aus dem Iran nicht glaubwürdig sei und sich aus seinen Aktivitäten in Österreich keine asylrelevante Verfolgungsgefahr ableiten lasse.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die belangte Behörde geht - wie schon das Bundesasylamt - davon aus, dass der Beschwerdeführer den Bescheid vom 22. Mai 1996, mit dem ihm Asyl gewährt worden war, im Sinne des § 69 Abs. 1 Z 1 AVG (hier: in Verbindung mit § 69 Abs. 3 AVG) "erschlichen" habe. Anders als das Bundesasylamt gründet die belangte Behörde diese Beurteilung aber - ausschließlich - auf die Ansicht, der Beschwerdeführer habe die Asylgewährung insofern durch das Verschweigen einer entscheidungswesentlichen Tatsache herbeigeführt, als er für die Anwendung des schon damals geltenden "Konzepts des sicheren Drittstaates" (gemeint: des Ausschlusstatbestandes der Verfolgungssicherheit in einem anderen Staat gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 des Asylgesetzes 1991) maßgebliche Umstände nicht offen gelegt habe. Für die Anwendung des erwähnten Konzeptes sei (gemeint: nach der damaligen Rechtslage) "die Frage, aus welchem Staat ein Asylwerber nach Österreich eingereist ist, relevant" (gewesen).
Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar, weil der Beschwerdeführer auch am 7. April 1996 nach Überschreitung "der österreichisch-ungarischen Staatsgrenze, von Ungarn kommend" aufgegriffen worden war (so der aktenkundige Gendarmeriebericht vom selben Tag, AS 8 ff des erstinstanzlichen Aktes), ohne dass dies in einer Annahme von Verfolgungssicherheit in Ungarn Niederschlag gefunden hätte. Inwiefern die Kenntnis eines früheren Einreiseversuchs aus demselben Drittstaat, allenfalls (wovon im angefochtenen Bescheid aber schon nicht mehr die Rede ist) bei Einbeziehung der Dauer und Modalitäten des dortigen Aufenthalts, unter dem Gesichtspunkt der Verfolgungssicherheit von wesentlicher Bedeutung gewesen wäre, geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor.
Der Begründung dafür, dass die verschwiegene Tatsache für die Entscheidung wesentlich gewesen wäre und ihr Verschweigen somit in einem Kausalzusammenhang zur erschlichenen Entscheidung steht, hätte es aber - wie die belangte Behörde im Prinzip auch richtig erkannt hat - für die Anwendung des herangezogenen Wiederaufnahmegrundes bedurft (vgl. dazu etwa Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 90 zu § 69 AVG).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 30. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200157.X00Im RIS seit
04.11.2004