Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §23;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des M in G, geboren 1962, vertreten durch Dr. Heinrich Kammerlander, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 18, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. September 2000, Zl. 218.761/0-IX/27/00, betreffend § 6 Z 3 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger des Iran, reiste am 12. Juli 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 27. Juli 2000 und am 24. August 2000 gab er an, er sei in Shiraz Universitätsangestellter gewesen und habe im Juni oder Juli 1999 an einer Studentendemonstration teilgenommen. Deshalb sei er von der Polizei vorgeladen und befragt worden. Nach Erhalt einer weiteren Vorladung Anfang Oktober 1999 habe er seine Wohnung verlassen und sich bis zur Ausreise im Juli 2000 zunächst in Shiraz und in weiterer Folge an anderen, näher genannten Orten jeweils bei Verwandten aufgehalten. Er befürchte im Fall der Rückkehr eingesperrt zu werden, weil er der Ladung nicht Folge geleistet habe und illegal ausgereist sei.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 28. August 2000 gemäß § 6 Z 3 AsylG als offensichtlich unbegründet ab (Spruchteil I) und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Iran für zulässig (Spruchteil II).
In seiner Berufung gegen diesen Bescheid wandte sich der Beschwerdeführer gegen einzelne Elemente der Beweiswürdigung des Bundesasylamtes, wobei er sein Vorbringen in Bezug auf einen ersten, vom ihm zunächst bestrittenen Einreiseversuch nach Österreich sowie dahin gehend ergänzte, dass er sich in den Monaten vor seiner Ausreise in "Verstecken" aufgehalten habe.
Mit dem angefochtenen, ohne mündliche Berufungsverhandlung erlassenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 6 und 8 AsylG ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. Das Bundesasylamt nahm an, das Vorbringen des Beschwerdeführers über dessen behauptete Bedrohung im Iran entspreche im Sinne des § 6 Z 3 AsylG "offensichtlich" nicht den Tatsachen. Im angefochtenen Bescheid wird dazu ausgeführt, dem Bundesasylamt könne "nicht entgegengetreten werden". Zur Begründung für diese Ansicht verweist die belangte Behörde einerseits auf die "schlüssige Beweiswürdigung des Bundesasylamtes". Andererseits ergänzt sie diese durch Ausführungen darüber, dass sich der Beschwerdeführer "in einem zentralen Punkt seines Vorbringens widersprochen" habe. "Aufgrund des aufgezeigten Widerspruches, der einen zentralen Punkt seines Vorbringens zu seinen Fluchtgründen betrifft, sowie der vom Bundesasylamt angeführten Argumente" sei davon auszugehen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers "in seiner Gesamtheit iSd § 6 Z 3 AsylG offensichtlich unbegründet" sei.
2. Von einer mündlichen Berufungsverhandlung konnte nach Ansicht der belangten Behörde "abgesehen werden, da der Entscheidung der gleiche Sachverhalt zugrundegelegt wurde, von dem bereits das Bundesasylamt im angefochtenen Bescheid ausgegangen ist und vom Unabhängigen Bundesasylsenat darüber hinaus keine Ermittlungen gepflogen wurden".
Mit dieser nicht am Gesetzeswortlaut orientierten Formulierung setzt sich die belangte Behörde darüber hinweg, dass einerseits eine nicht bloß wiederholende Berufung vorlag, auf deren Inhalt die belangte Behörde in ihren Erwägungen zu Spruchteil I des erstinstanzlichen Bescheides allerdings nicht eingegangen ist, und die belangte Behörde andererseits eine Ergänzung der erstinstanzlichen Beweiswürdigung vorgenommen hat, von der im angefochtenen Bescheid nicht klar zum Ausdruck kommt, dass es auf sie für die Würdigung des Vorbringens als offensichtlich tatsachenwidrig nicht ankommen soll. Zu diesem - in der Beschwerde nicht angeschnittenen - Thema kann gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf die zuletzt etwa in den hg. Erkenntnissen vom 26. Mai 2004, Zl. 2001/20/0736 und Zl. 2001/20/0738, für die hier noch maßgebliche Rechtslage vor der Verwaltungsverfahrens-Novelle 2001 enthaltenen Ausführungen und Nachweise verwiesen werden.
3. Das - in der Beschwerde vor allem bekämpfte - Zusatzargument der belangten Behörde zur Beweiswürdigung ist allerdings auch nicht schlüssig. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, er habe beim Bundesasylamt zu Beginn der zweiten Niederschrift angegeben, den Ausreiseentschluss nach den Aufenthalten in Teheran und Tebriz (erst) in Orumieh gefasst zu haben, während er im weiteren Verlauf der Einvernahme angegeben habe, er habe das Land verlassen müssen, "weil" sein Personalausweis beschlagnahmt worden sei und er daher gewusst habe, was ihn erwarte. Unter Zuhilfenahme der Überlegung, dass die Abnahme des Personalausweises nicht erst in Orumieh erfolgt sein konnte, sieht die belangte Behörde darin einen Widerspruch in Bezug auf den "zentralen Punkt", wann sich der Beschwerdeführer zur Ausreise aus dem Iran entschlossen habe.
Diese Deutung der erwähnten Angaben als "Widerspruch" in einem "zentralen Punkt" ist schon deshalb nicht haltbar, weil die Schwierigkeiten des Beschwerdeführers mit der Polizei nach seiner insofern unmissverständlichen Darstellung der einzige Grund dafür waren, dass er zunächst in Shiraz bei Verwandten Zuflucht suchte und in weiterer Folge nach Aufenthalten bei anderen Verwandten in Teheran und Tebriz nach Orumieh gelangte, wo er einen Schlepper fand. Zur Frage, warum er nicht früher ausgereist sei, gab er an, er habe nicht über das nötige Geld und die erforderlichen Kenntnisse verfügt und auf Freunde warten müssen, die den Iran ebenfalls verlassen wollten. Die Interpretation der vorangegangenen Äußerung ("in Orumieh war ich mehrere Monate ... und ich fasste den Entschluss das Land zu verlassen") in dem Sinn, dass der Beschwerdeführer bis zu seinem Aufenthalt in Orumieh eine Rückkehr in seine Wohnung in Shiraz oder ein ständiges Leben im Untergrund geplant hatte, kann auch mit Rücksicht darauf, dass er danach nicht gefragt worden war, nicht schlüssig sein. Davon abgesehen stützt sich die belangte Behörde hier auf eine Feinheit in der Übersetzung (im Vergleich zur Formulierung in der ersten Niederschrift, der Beschwerdeführer sei nach Täbriz noch in Orumieh gewesen "und verließ ich dann das Land").
4. Die nach Ansicht der belangten Behörde "schlüssige Beweiswürdigung" des Bundesasylamtes beginnt mit Argumenten zur "Logik", gemeint also zur objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten. Nach Ansicht des Bundesasylamtes ist es "unlogisch", dass die Polizei den Beschwerdeführer, wenn sie ihn für "politisch gefährlich" hielt, nach der ersten Befragung "ohne weitere Maßnahmen" gegen seine Person entlassen haben soll, und "unerklärlich", dass durch die behauptete Demonstrationsteilnahme allein "ohne weitere Anschuldigung eine derartige behauptete Verfolgungsgefahr entstehen sollte".
Diesen Argumenten fehlt - abgesehen davon, dass die Polizei dem Beschwerdeführer ja den Ausweis abgenommen und somit eine "weitere Maßnahme" gesetzt haben soll - als Grundlage ein erkennbares und im angefochtenen Bescheid nachvollziehbar dargestelltes Wissen um das Vorgehen der Polizei im Anschluss an die landesweiten Studentendemonstrationen im Juli 1999. Schon bei Erlassung des erstinstanzlichen (und umso mehr bei Erlassung des angefochtenen) Bescheides war allgemein bekannt, dass diese Demonstrationen zu einer großen Zahl von Festnahmen mit anschließenden Freilassungen, aber auch Bestrafungen bis hin zur Verhängung von Todesurteilen geführt hatten. Die Ausführungen des Bundesasylamtes und der belangten Behörde enthalten kein Wort zu diesen Vorgängen.
"Unlogisch" erscheint es dem Bundesasylamt auch, dass der Beschwerdeführer jeweils bei Verwandten Zuflucht gesucht habe, handle es sich doch bei den "Wohnadressen von Verwandten" um die "ersten Anlaufpunkte im Zuge von Fahndungen". Es würde auch jemand, "der tatsächlich eine Verfolgung seiner Person befürchtet ... sicherlich nicht neun Monate zuwarten, sondern würde ohne zu zögern jede Möglichkeit ergreifen die Heimat zu verlassen".
Diese nach Ansicht der belangten Behörde schlüssigen und auch im Hinblick auf das Berufungsvorbringen nicht ergänzungsbedürftigen Überlegungen werden dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gerecht, weil dieser nie behauptet hat, etwa als führender Organisator von Demonstrationen landesweit gesucht worden zu sein. Davon abgesehen zeigt das Bundesasylamt nicht auf, dass er Handlungsalternativen gehabt, also im Iran auch anderswo als jeweils bei Verwandten vorübergehende Aufnahme gefunden hätte. Es bleibt auch unklar, inwiefern er "gezögert" haben soll, eine sich ihm - entgegen seinen Behauptungen - schon früher bietende "Möglichkeit", das Land zu verlassen, zu "ergreifen".
Im erstinstanzlichen Bescheid folgen - vom Verweis der belangten Behörde auf dessen Seiten 3 und 4 offenbar auch erfasst -
Eventualüberlegungen dazu, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers, auch wenn man es zu Grunde legen würde, "nicht zur Asylgewährung führen" könnte. Begründet wird dies mit den "unproblematischen" Aufenthalten des Beschwerdeführers bei Verwandten, sodass eine "inländische Fluchtalternative" bestanden habe. Diese Ausführungen tragen zur Begründung der Abweisung des Antrages als "offensichtlich" unbegründet schon ihrem Wortlaut nach nichts bei, weil nur auf die Alternative der Asylgewährung abgestellt wird (vgl. überdies die Nachweise in dem hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2001, Zl. 2000/20/0496, wonach sich Überlegungen zur "inländischen Fluchtalternative" auch nicht dazu eignen könnten, die "offensichtliche" Unbegründetheit darzutun).
In Betracht zu ziehen bleibt daher allein der vom Bundesasylamt schließlich noch ins Treffen geführte Umstand, dass der Beschwerdeführer zunächst behauptete und daran festhielt, noch nie in Österreich gewesen zu sein, wogegen ihm das Bundesasylamt nachweisen konnte, dass er schon 1994 einmal versucht hatte, mit einem gefälschten Sichtvermerk einzureisen. Am Ende der zweiten Einvernahme gab der Beschwerdeführer dies zu und erklärte, er sei damals mit dem Flugzeug eingereist und wieder zurückgeschickt worden und habe Angst gehabt, dass es sich auf sein Asylverfahren auswirke, wenn er das angebe. Was 1994 sein Ausreisegrund gewesen sei, wurde er nicht gefragt. In der Berufung trug er dazu nach, er habe schon 1994 im Iran "massive Probleme" gehabt und den damaligen Einreiseversuch "bedauerlicherweise" verschwiegen, weil er "Angst hatte schlechtere Chancen bei meinem Asylantrag zu haben, oder neuerlich ohne eine Anhörung meiner Person sofort aus Österreich ausgewiesen zu werden".
Die belangte Behörde ist auf dieses Thema nicht mehr eingegangen, was aber angesichts des Berufungsvorbringens - ganz abgesehen von Fragen der Verhandlungspflicht - auch bei Abweisung des Asylantrages gemäß § 7 AsylG geboten gewesen wäre. Umso mehr gilt das im vorliegenden Fall einer Abweisung als offensichtlich unbegründet gemäß § 6 Z 3 AsylG, bei der die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides davon abhängt, dass die Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens zu den Fluchtgründen "unmittelbar einsichtig" ist (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0214).
Das Abstreiten eines früheren Einreiseversuchs - der selbst bei unterstellter Kenntnis asylfremder Gründe dafür noch nicht im Widerspruch zu der behaupteten späteren Flucht aus Konventionsgründen stünde - hat nicht das Gewicht etwa einer Täuschung über die Identität und kommt im Gegensatz zu dieser auch in § 6 Abs. 1 Z 2 AsylG in der hier noch nicht anzuwendenden Fassung der Asylgesetz-Novelle 2003 nicht vor (zu einem Fall mit Täuschung über die Identität, allerdings in einem vorausgegangenen ersten Asylverfahren, erging jedoch das zuvor zitierte Erkenntnis). Eine solche Falschangabe zu einem für die Entscheidung nicht unmittelbar relevanten Thema kann für sich allein nicht ausreichen, um daraus nach Art einer Beweisregel über die Beurteilung der persönlichen Glaubwürdigkeit des Asylwerbers die Tatsachenwidrigkeit aller Angaben über die aktuellen Fluchtgründe abzuleiten. Vom Erfordernis einer Kombination mit weiteren - allerdings unschlüssigen - Argumenten scheinen im vorliegenden Fall auch das Bundesasylamt und die belangte Behörde ausgegangen zu sein. Zieht man noch das zwar nicht sehr konkrete, aber zur Gänze übergangene Berufungsvorbringen in Betracht, so ergibt sich klar, dass die geforderte Evidenz der Tatsachenwidrigkeit des Vorbringens nicht gegeben ist.
Da die belangte Behörde dies verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das auf den zusätzlichen Ersatz von Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren findet in diesen Vorschriften keine Deckung.
Wien, am 30. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200006.X00Im RIS seit
04.11.2004