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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §1 Z4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde der S in G, geboren 1965, vertreten durch Dr. Bernhard Grillitsch, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Schiffgasse 6/1, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. März 2001, Zl. 212.173/1- VIII/23/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, nach den Feststellungen der belangten Behörde eine Staatsangehörige von Aserbaidschan, reiste zusammen mit ihrem armenischen Ehemann (hg. Zl. 2001/20/0362) und den gemeinsamen Kindern (hg. Zlen. 2001/20/0430 und 2001/20/0431) am 14. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Juni 1999 Asyl.
Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 17. August 1999 gab sie (der Niederschrift zufolge) an, in "Baku, Armenien" geboren und armenische Staatsangehörige aserbaidschanischer Volksgruppenzugehörigkeit zu sein. Sie habe von 1972 bis 1982 Schulen in Marmaraschen (einem Ort in Armenien) und anschließend bis 1988 die Universität in Erevan besucht und 1987 in Erevan geheiratet. Ihr "Heimatland" Armenien habe sie (zu einem in der Niederschrift der Beschwerdeführerin nicht festgehaltenen Zeitpunkt) wegen der Probleme auf Grund ihrer "aserbaidschanischen Volksgruppenzugehörigkeit" verlassen. Seit 1995 habe sie zusammen mit ihrem Ehemann und den Kindern in der Ukraine gelebt. Die Beschwerdeführerin sei eine "aus Aserbaidschan stammende Muslime. Das alleine genügt um in Armenien nicht leben zu können". Im Falle ihrer Rückkehr nach Armenien befürchte sie keine Sanktionen von staatlicher Seite, aber sie fürchte sich vor den Armeniern. Die Polizisten in Armenien seien auch Armenier.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag der Beschwerdeführerin (nach Aufhebung eines ersten, auf § 6 Z 1 AsylG gestützten Bescheides durch die belangte Behörde) mit Bescheid vom 20. Oktober 1999 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Armenien für zulässig. Es stellte fest, der "alleinige Grund" der Beschwerdeführerin "für das Verlassen Ihres Herkunftsstaates im Jahre 1990" seien "der damals schwelende Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan, und die daraus resultierenden allgemeinen Benachteiligungen und Anfeindungen gegen armenische Staatsangehörige aserbaidschanischer Abstammung" gewesen. Nach Verlassen ihres "Heimatlandes" habe sich die Beschwerdeführerin "seit 1990 nicht mehr in Armenien aufgehalten". Sie habe bis 1995 "illegal" in Russland und danach "illegal" in der Ukraine gelebt.
Zu den im Zeitpunkt der Bescheiderlassung aktuellen Verhältnissen in Armenien stellte das Bundesasylamt u.a. fest, der "geistliche Leiter der Armenischen Kirche in Österreich" habe mitgeteilt, in Armenien gebe es keine ethnischen Minderheiten, die diskriminiert würden.
In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid kritisierte die Beschwerdeführerin, die sich weiterhin als armenische Staatsangehörige aserbaidschanischer Abstammung bezeichnete, die Feststellungen des Bundesasylamtes über die Verhältnisse in Armenien. Sie wies darauf hin, dass - entgegen den Feststellungen des Bundesasylamtes, die sich auf eine Volkszählung von 1989 gründeten - fast alle Aserbaidschaner Armenien verlassen hätten, die Angaben des "geistlichen Leiters der Armenischen Kirche in
Österreich ... eventuell nicht frei von Unbefangenheit" seien und
sich aus Berichten über die Menschenrechtslage in Armenien ein anderes Bild ergebe.
Die belangte Behörde führte hierüber und über die Berufungen des Ehemannes der Beschwerdeführerin sowie der gemeinsamen Kinder am 19. Oktober 2000 eine Berufungsverhandlung durch, in der die Beschwerdeführerin ("BW 2") und ihr Ehemann ergänzend einvernommen und verschiedene (von der belangten Behörde zur hg. Zl. 2001/20/0362 vorgelegte) Berichte verlesen wurden. In Bezug auf die Beschwerdeführerin ergab sich dabei im Wesentlichen Folgendes:
"Nach Rechtsbelehrung geben die BWs an: Die BW 2 ist nicht armenische Staatsangehörige.
Die BW 2 gibt fortgesetzt vernommen an: Meine Eltern sind aserbaidschanische Staatsbürger und besitzen einen aserbaidschanischen Reisepass. Ich sah sie zuletzt 1990. Damals hatten sie schon aserbaidschanische Reisepässe. Meine Kinder sind Armenier.
Einsicht wird genommen in die AS 15:
Dolmetscherin gibt dazu an: Es ist die Geburtsurkunde der BW 2. Darin sind die Eltern der BW 2 mit der Nationalität aserbaidschanisch bezeichnet.
VL stellt fest: Die BW 2 ist nicht armenische
Staatsangehörige, sondern Aserbaidschanerin.
BW 2 gibt fortgesetzt vernommen an:
Frage: Gibt es Gründe, warum Sie nicht nach Aserbaidschan
zurückkehren können?
Antw.: In Aserbaidschan wird auch nicht akzeptiert, dass ich mit einem Armenier verheiratet bin. Es sind auch viele Armenier ausgewandert. Ich würde sagen, dass die Aserbaidschaner noch schlimmer sind in meiner Situation, weil sie noch viel nationalistischer denken. Außerdem könnte dort meine Familie nicht leben. In der alten Sowjetunion war ich Vorsitzende des Lehrerkomitees. Ich war seit 10 Jahren weder in Armenien noch in Aserbaidschan. Meine Eltern leben in Aserbaidschan.
BW 2 gibt nach Rechtsbelehrung an: Ich stimme einer Überprüfung meiner Staatsangehörigkeit bei einer aserbaidschanischen Vertretung nicht zu.
Beide BW geben nach Rechtsbelehrung an: Die übrigen Angaben in den erstinstanzlichen Niederschriften sind richtig. Die Niederschrift der BW 2 ist sehr kurz geraten."
Mit dem ersten Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG ab. Mit dem zweiten Spruchpunkt stellte sie gemäß § 8 AsylG fest, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin "nach Aserbaidschan" sei zulässig.
In der Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde zur Person der Beschwerdeführerin fest, sie sei "aserbaidschanische Staatsangehörige" und mit einem armenischen Staatsangehörigen verheiratet. Die gemeinsamen Kinder seien armenische Staatsangehörige. Die Beschwerdeführerin habe 1990 gemeinsam mit ihrer Familie "den früheren Wohnsitz in Armenien" verlassen, "nachdem für sie die dortigen Anfeindungen gegen aserbaidschanische Staatsangehörige unerträglich geworden waren. Bis 1995 lebte sie mit ihrer Familie in Russland, danach in der Ukraine. Im Juni 1999 reiste sie auf unbekanntem Weg nach Österreich."
In der "rechtlichen Beurteilung" führte die belangte Behörde zur Abweisung des Asylantrages aus:
"Auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen ist eine vorgebrachte Bedrohungssituation immer auf den vom Asylwerber selbst genannten Herkunftsstaat zu beziehen. Im Verfahren hat sich schlüssig ergeben, dass dies Aserbaidschan ist. Hinsichtlich dieses Herkunftslandes bringt die Berufungswerberin auch nach ausführlicher Rechtsbelehrung in der mündlichen Berufungsverhandlung lediglich vor, dass sie nicht dort hin zurückkehren könne. Konkrete gegen sie gerichtete Verfolgungshandlungen oder Bedrohungssituationen konnte sie weder für die Vergangenheit noch für die Zukunft vorbringen. Da die Asylbehörden nicht gehalten sind jede erdenkliche Bedrohungssituation, auch wenn diese nicht vorgebracht wurde, zu ermitteln, muss davon ausgegangen werden, dass das zu Aserbaidschan erstattete Vorbringen nicht den oben genannten gesetzlichen Anforderung (gemeint: Anforderungen) an einer (gemeint: eine) Asylgewährung genügen kann. Vor diesem Hintergrund erübrigten sich auch Feststellung (gemeint: Feststellungen) zur Situation der Berufungswerberin in ihrem Herkunftsland."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde wird vor allem kritisiert, dass die belangte Behörde es abgelehnt habe, Feststellungen zur Lage in Aserbaidschan zu treffen und sich vor dem Hintergrund des armenisch-aserbaidschanischen Konfliktes mit der Frage zu befassen, ob die mit einem Armenier verheiratete Beschwerdeführerin, die zusammen mit ihrem Ehemann und den gemeinsamen Kindern bis 1990 in Armenien gelebt habe, in Aserbaidschan ohne Furcht vor Verfolgung leben könne.
Diese Kritik ist berechtigt, weil die Beschwerdeführerin sich in Bezug auf die Frage, ob sie in Aserbaidschan Aufenthalt nehmen könnte, darauf berufen hatte, dass dies auf Grund ihrer Ehe mit einem Armenier nicht der Fall sei, zumal die Aserbaidschaner in dieser Hinsicht "noch schlimmer" seien. Der Hinweis der belangten
Behörde, sie sei "nicht gehalten ... jede erdenkliche
Bedrohungssituation, auch wenn diese nicht vorgebracht wurde, zu ermitteln", wird diesem Vorbringen nicht gerecht. Ausgehend davon, dass der Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin nicht Armenien, sondern Aserbaidschan sei, hätte die belangte Behörde das Ermittlungsverfahren ergänzen und sich unter dem geltend gemachten Gesichtspunkt der Intoleranz gegenüber aserisch-armenischen Mischehen mit den Verhältnissen in Aserbaidschan auseinander setzen müssen.
Angesichts des Umstandes, dass sich Armenien und Aserbaidschan erst im September bzw. Oktober 1991 für unabhängig erklärten, geht aus dem angefochtenen Bescheid aber auch nicht nachvollziehbar hervor, wodurch die in Baku (Aserbaidschan) geborene Beschwerdeführerin, die aber zumindest seit 1972 in Armenien und seit 1990 in Russland gelebt hatte, die aserbaidschanische Staatsangehörigkeit erworben haben soll. Der Hinweis auf eine aserbaidschanische "Nationalität" ihrer Eltern in der Geburtsurkunde von 1965 vermag dies ohne weitere Feststellungen nicht zu begründen, zumal nach einer von der belangten Behörde in der Verhandlung verlesenen - im angefochtenen Bescheid aber nicht erörterten - Auskunft des deutschen Auswärtigen Amtes vom 20. April 2000 (Beilage ./H) in Aserbaidschan oder von aserbaidschanischen Staatsangehörigen geborene Personen zwar Anspruch auf Verleihung der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit haben, diese jedoch beantragen müssen (vgl. zu diesem Unterschied etwa das Eritrea betreffende hg. Erkenntnis vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/01/0089).
Der belangten Behörde ist nicht beizupflichten, wenn sie in diesem Zusammenhang meint, "auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen" sei "eine vorgebrachte Bedrohungssituation immer auf den vom Asylwerber selbst genannten Herkunftsstaat zu beziehen". Herkunftsstaat eines Asylwerbers ist nach § 1 Z 4 AsylG der Staat, dessen Staatsangehörigkeit der Asylwerber besitzt oder in dem er, falls er staatenlos ist, seinen früheren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Auf welchen Staat diese Voraussetzungen im Einzelfall zutreffen, ist von den Asylbehörden zu ermitteln und festzustellen. Bei Asylwerbern, die ihren wahren Herkunftsstaat verheimlichen, kann dessen Feststellung - in Ermangelung eines Hinweises auf eine asylrelevante Gefährdung in einem anderen als dem wahrheitswidrig vorgetäuschten Herkunftsstaat - für die Entscheidung über die Asylgewährung entbehrlich sein (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 23. Juli 1999, Zlen. 98/20/0464, 99/20/0220, und die daran anschließende Folgejudikatur). Die Feststellung gemäß § 8 AsylG hat sich in solchen Fällen auf den (bloß) behaupteten Herkunftsstaat zu beziehen, sodass einem gesonderten auf diesen Staat bezogenen Antrag § 75 Abs. 1 FrG entgegen steht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, Zlen. 98/20/0512, 99/20/0250). Ist - wie im vorliegenden Fall - ein in Bezug auf zwei mögliche Herkunftsstaaten (von denen einer auch als Staat des früheren gewöhnlichen Aufenthaltes in Betracht kommt) relevantes Vorbringen zu beurteilen, so bedarf es aber nachvollziehbar begründeter Feststellungen über die Voraussetzungen des § 1 Z 4 AsylG.
Da die belangte Behörde in der zuletzt genannten Hinsicht auch die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. September 2004
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200410.X00Im RIS seit
28.10.2004Zuletzt aktualisiert am
23.01.2015