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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §7;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2001/20/0431 E 30. September 2004Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des mj. M in G, geboren 1987, vertreten durch Dr. Gerhard Hackenberger, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kaiserfeldgasse 27/IV, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. März 2001, Zl. 221.664/0-VIII/23/99, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Armenien, reiste zusammen mit seinem Vater (hg. Zl. 2001/20/0362), seiner Mutter (hg. Zl. 2001/20/0410) und seinem 1995 geborenen Bruder (hg. Zl. 2001/20/0431) am 14. Juni 1999 in das Bundesgebiet ein und beantragte am 15. Juni 1999 zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern Asyl.
Die Eltern des Beschwerdeführers gaben bei ihren Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 17. August 1999 an, Armenien wegen der aserbaidschanischen Abstammung der Mutter des Beschwerdeführers im Jahr 1990 zusammen mit dem Beschwerdeführer verlassen und danach "illegal" in Russland sowie in der Ukraine gelebt zu haben.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag des Beschwerdeführers (nach Aufhebung eines ersten, auf § 6 Z 1 AsylG gestützten Bescheides durch die belangte Behörde) zusammen mit denjenigen seiner Mutter und seines Bruders mit Bescheid vom 20. Oktober 1999 gemäß § 7 AsylG ab und erklärte gemäß § 8 AsylG die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung (u.a.) des Beschwerdeführers nach Armenien für zulässig.
Über die Berufung des Beschwerdeführers (sowie seiner Mutter und seines Bruders) gegen diesen Bescheid und die Berufung des Vaters des Beschwerdeführers gegen den diesen betreffenden Bescheid des Bundesasylamtes führte die belangte Behörde am 19. Oktober 2000 eine Berufungsverhandlung durch, in der die Eltern des Beschwerdeführers ergänzend einvernommen und verschiedene (von der belangten Behörde zur hg. Zl. 2001/20/0362 vorgelegte) Berichte verlesen wurden.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.
In der Begründung dieser Entscheidung stellte die belangte Behörde zur Person des Beschwerdeführers im Wesentlichen fest, seine Familie habe Armenien im Jahr 1990 auf Grund des Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan sowie der daraus resultierenden Schikanen und Anfeindungen wegen der aserbaidschanischen Abstammung seiner Mutter (nach den Feststellungen der belangten Behörde eine aserbaidschanische Staatsangehörige; vgl. dazu das Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0410) verlassen und sich danach ohne rechtsgültigen Aufenthaltstitel in Russland und in der Ukraine aufgehalten. Im August 1998 sei der Vater des Beschwerdeführers kurz in sein Herkunftsland zurückgekehrt, um sich dort Reisepass und Führerschein ausstellen zu lassen.
Daran anschließend traf die belangte Behörde längere
Feststellungen über die Verhältnisse in Armenien, wobei sie zu den
"Verdrängungsmaßnahmen gegen die in Armenien lebenden
Aserbaidschaner" feststellte, Letztere hätten "teilweise unter dem
Schutz der Regierung" das Land verlassen. UNHCR habe "Kontakt zu
den vereinzelt in Armenien verbliebenen Aserbaidschanern mit
armenischen Ehepartnern, die jedoch mittlerweile nach Bedrohungen
durch Nachbarn Armenien zumeist verlassen" hätten. Gegen
"Abkömmlinge aus armenisch-aserbaidschanischen Mischehen" seien
"bei Bekanntwerden der Abstammung ... Animositäten möglich. Seit
dem Waffenstillstand 1994 hat sich die Situation jedoch auch
insoweit entspannt. Heute ist es durchaus möglich, bei der
Beantragung eines Reisepasses die Volkszugehörigkeit 'Aseri'
eintragen zu lassen. ... Fälle von Repressionen Dritter, für die
der Staat verantwortlich ist, weil er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt, sind dem (deutschen) Auswärtigen Amt nicht bekannt und werden auch von nationalen und internationalen Menschenrechtsorganisationen, soweit ersichtlich, nicht vorgetragen".
In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde zur Abweisung des Asylantrages des Beschwerdeführers fallbezogen aus:
"Dem festgestellten Sachverhalt folgend kommt es in Armenien zu Animositäten gegenüber der aserbaidschanisch stämmigen Bevölkerungsgruppe sowie Personen, die gemischt aserbaidschanischarmenischer Abstammung sind oder jenen, die mit solchen Personen verheiratet sind. Diese Benachteiligungen werden von der Staatsmacht im Herkunftsstaat weder geduldet noch gefördert. Soweit es zu Beeinträchtigungen kommt, erreichen diese nicht die asylrechtlich notwendige Intensität, die ein Leben im Herkunftsland aus Sicht der Konvention unzumutbar machen würde. Konkrete gegen den Berufungswerber gerichtete Verfolgungshandlungen oder Bedrohungssituationen wurden nicht vorgebracht. Eine asylrelevante Bedrohungssituation ist nicht gegeben."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In einem mit dem hg. Erkenntnis vom 29. März 2001, Zl. 2000/20/0458, bestätigten Bescheid vom 28. September 2000 hat die belangte Behörde zur Lage der Aserbaidschaner (Aseri) und armenisch-aserischen Ehepaare sowie Kinder aus gemischten Ehen u. a. folgende (im Erkenntnis zusammengefasst und im Folgenden unter Weglassung der zahlreichen Quellennachweise wiedergegebene) Feststellungen getroffen:
"Vor 1988 waren die Aserbaidschaner (Aseri) die größte ethnische Minderheit in Armenien. Die aserbaidschanische Minderheit betrug dem Zensus von 1979 zufolge 5,3 % der armenischen Bevölkerung. Nach dem Ausbruch des Konfliktes mit Aserbaidschan um Berg-Karabach wurden Angehörige der aserischen Minderheit in Armenien Opfer schwerster Menschenrechtsverletzungen sowie Gewaltakten der lokalen Bevölkerung sowie der Polizei. Die Übergriffe gegen die Aseri wurden von den armenischen Behörden geduldet und auch unterstützt. Als Folge der Pogrome gegen die Armenier in Aserbaidschan ... wurden die Aseri aus Armenien entweder von den Behörden ausgewiesen oder die Aseri verließen 'von sich aus' Armenien. Die aserbaidschanische Minderheit fürchtete Vergeltungsanschläge. Behörden oder 'wohlmeinende' Nachbarn bzw. Arbeitskollegen legten den Aserbaidschanern die 'freiwillige' Ausreise nahe. Die überwältigende Mehrheit der Aserbaidschaner, etwa 185.000, verließ damals das Land. Heute leben nur mehr wenige hundert, ca. 400, ethnische Aseri in Armenien. Es handelt sich dabei um Personen in Mischehen (armenisch-aserbaidschanisch) bzw. Kinder aus Mischehen bzw. Personen, die wegen ihres Alters oder ihres Gesundheitszustandes keine Möglichkeit zur Flucht hatten. Die in Armenien verbliebenen Aseri versuchen sich hinsichtlich ihrer Abstammung bedeckt zu halten, in vielen Fällen haben sie ihre Namen geändert. UNHCR hatte Kontakt zu den vereinzelt in Armenien verbliebenen Aserbaidschanern mit armenischen Ehepartnern, die jedoch mittlerweile nach Bedrohungen durch Nachbarn Armenien zumeist verlassen haben. Derzeit kommt es laut offiziellen Aussagen der armenischen Regierung zu keinen Diskriminierungen von ethnischen Aseri. So betonte etwa Präsident Kotscharian in seiner Antrittsrede im März 1998 die Rechte der nationalen Minderheiten. In der Praxis ist es jedoch so, dass sich seit Armeniens Unabhängigkeit im Jahre 1991 sowohl die wirtschaftliche als auch die soziale Lage kleiner nationaler Gruppen sehr verschlechtert hat. Ethnische Aseris werden sowohl von der Bevölkerung als auch von den lokalen Behörden diskriminiert. Die Diskriminierung erfolgt nicht offiziell. Es ist allgemein bekannt, dass Aseri örtlich Schwierigkeiten beim Zugang zu sozialer und medizinischer Unterstützung sowie zum Arbeitsmarkt haben. Es gibt auch nach wie vor Schikanen und Gewaltakte gegen die ethnischen Aseri durch die örtliche Bevölkerung, gegen welche die armenischen Behörden - wenn auch nicht offiziell - keinen effektiven Schutz bieten. Davon sind insbesondere armenisch-aserische Ehepaare sowie Kinder aus gemischten Ehen betroffen. Die Zentralregierung begünstigt diese Übergriffe nicht, wohl aber die lokalen Autoritäten, welche nun mehr Freiheit gegenüber der Zentralregierung haben, denn die Macht der lokalen Verwaltungen in Armenien wurde gestärkt. Die Anzahl der Übergriffe gegen die Aseri ist gering, und zwar deshalb, weil die Aseri, die den Übergriffen ausgesetzt waren, im Allgemeinen Armenien verlassen haben und infolge dessen auch die Anzahl der noch in Armenien lebenden Aseri sehr gering ist ... Die Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan sind auf Grund der Ereignisse in den Jahren 1988/89, oft auch wegen persönlicher Erfahrungen einzelner Armenier, nach wie vor von hoher Emotionalität geprägt."
Die im vorliegenden Fall von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen zu diesem Thema zeichnen sich durch größere Kürze aus, ergeben aber - abgesehen von den Ausführungen über die Rolle der "Staatsmacht" - kein grundsätzlich anderes Bild. Auch im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde festgestellt, die wenigen in Armenien verbliebenen Aserbaidschaner mit armenischen Ehepartnern, zu denen UNHCR Kontakt gehabt habe, hätten "mittlerweile nach Bedrohungen durch Nachbarn Armenien zumeist verlassen".
Statt von "Gewaltakten" spricht die belangte Behörde allerdings - der Terminologie des deutschen Auswärtigen Amtes folgend - von "Animositäten". Aus einem Bericht dieses Amtes hat die belangte Behörde auch den Satz übernommen, die Situation habe sich (schon) seit dem Waffenstillstand von 1994 "auch insoweit entspannt". Inwieweit dies darauf zurückzuführen ist, dass die aserische Minderheit Armenien praktisch zur Gänze verlassen hat, ist dieser auch sonst nicht näher erläuterten Wendung nicht zu entnehmen. Die aus demselben Bericht stammende Beifügung, es sei "durchaus möglich", sich die Volkszugehörigkeit "Aseri" in einen Reisepass eintragen zu lassen, trägt zur Einschätzung des zu beurteilenden Bedrohungsbildes nichts bei, zumal sie nichts darüber aussagt, dass es - entgegen den zuvor zitierten Feststellungen in dem etwas früheren Bescheid der belangten Behörde - für die in Armenien verbliebenen Aseri nicht mehr ratsam wäre, sich "hinsichtlich ihrer Abstammung bedeckt zu halten" und allenfalls sogar den Namen zu ändern.
Woraus die belangte Behörde - über das Wort "Entspannung" in dem Bericht des deutschen Außenamtes hinaus - die Überzeugung gewonnen hat, noch drohende Beeinträchtigungen erreichten "nicht die asylrechtlich notwendige Intensität", geht aus dem angefochtenen Bescheid jedenfalls nicht hervor. Die von der belangten Behörde selbst getroffene Feststellung, auch die "vereinzelt" noch in Armenien gebliebenen Aserbaidschaner mit armenischen Ehepartnern, zu denen UNHCR Kontakt gehabt habe, hätten "jedoch mittlerweile nach Bedrohungen durch Nachbarn Armenien zumeist verlassen", wird nicht durch andere konkrete und nachvollziehbar begründete Feststellungen der belangten Behörde in dem Sinn relativiert, dass dies nur aus übergroßer Ängstlichkeit geschehen sei oder dass das Ausbleiben eines Stroms von Rückkehrern trotz der "Entspannung" der Lage auf asylrechtlich irrelevante Motive der Betroffenen zurückzuführen sei.
Zur Frage staatlichen Schutzes vor "Repressionen Dritter" heißt es in einem der von der belangten Behörde verlesenen Berichte (Beilage ./D), von den lokalen Autoritäten werde bei Gewaltakten gegen ethnische Aseri kein effektiver Schutz gewährt, wovon vor allem aserisch-armenische Paare betroffen seien ("In such cases, local authorities do not provide effective protection. In particular, there are reports that Azeri-Armenian couples have been victims of violence and were not able to obtain protection"). Eine Auseinandersetzung mit diesem Berichtsteil hat die belangte Behörde nicht als erforderlich erachtet.
Die belangte Behörde stützt sich stattdessen auf die Mitteilung des deutschen Auswärtigen Amtes, Fälle von Repressionen Dritter, "für die der Staat verantwortlich ist, weil er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt", seien "dem Auswärtigen Amt nicht bekannt". In der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde scheint sie dem von ihr angenommenen Umstand, dass die "Benachteiligungen" von der "Staatsmacht im Herkunftsstaat weder geduldet noch gefördert" würden, rechtliche Bedeutung beizumessen.
Damit hat die belangte Behörde - abgesehen von dem Spannungsverhältnis zu den Feststellungen in ihrem früheren Bescheid, betreffend die "Begünstigung" von Übergriffen durch die lokalen Autoritäten, von der Frage, ob die mangelnde "Kenntnis" des Auswärtigen Amtes mit der geringen Zahl noch im Land verbliebener Aseri zu erklären ist, sowie davon, dass die erwähnte Mitteilung sich nicht spezifisch auf Übergriffe gegenüber Aseri bezieht - auch die Rechtslage verkannt. Die (für diesen Berichtsteil offenbar standardisierte) Formulierung des deutschen Auswärtigen Amtes über Repressionen Dritter, "für die der Staat verantwortlich ist, weil er sie anregt, unterstützt, billigt oder tatenlos hinnimmt", beruht explizit auf der sogenannten "accountability view" und somit auf einer der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes widersprechenden Betrachtungsweise (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509; zur analogen Problematik in Bezug auf Feststellungen gemäß § 8 AsylG auch die Nachweise in dem Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2001/20/0573). Dies gilt auch für die Ansicht der belangten Behörde, aus dem Fehlen einer "Duldung" oder "Förderung" von Privaten ausgehender, im vorliegenden Fall ethnisch motivierter Maßnahmen ließe sich ein Argument gegen die mögliche Berechtigung des Asylantrages gewinnen. Maßgeblich ist in dieser Hinsicht vielmehr, wie in dem zitierten Erkenntnis vom 26. Februar 2002 unter Hinweis auf Vorjudikatur und Literatur dargestellt wurde, selbst im Fall außer Streit stehenden staatlichen Schutzwillens, ob die staatlichen Maßnahmen im Ergebnis dazu führen, dass der Eintritt eines asylrechtlich relevante Intensität erreichenden Nachteils aus der von dritter Seite ausgehenden Verfolgung nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.
Da die belangte Behörde in diesem Punkt auch die Rechtslage verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 30. September 2004
Schlagworte
Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Freie Beweiswürdigung freie BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2001200430.X00Im RIS seit
05.11.2004