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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Trefil, über die Beschwerde des S in W, geboren 1973, vertreten durch Dr. Walter Rosenkranz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 12/17, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 2. Jänner 2002, Zl. 225.469/0-IV/29/01, betreffend § 6 Z. 1 und § 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres) zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, gelangte am 2. Mai 2001 in das Bundesgebiet und beantragte am 3. Mai 2001 Asyl. Vor dem Bundesasylamt wurde er zunächst am 3. Mai 2001 vernommen, wobei er gemäß der im Akt erliegenden Niederschrift - auszugsweise - Nachstehendes angab:
"F: Waren Sie jemals in Haft?
A: Nein.
F: Waren Sie politisch tätig?
A: Ja. Von 1997 bis zu meiner Ausreise war ich ein einfaches
Mitglied der Federations Party.
F: Schildern Sie in kurzen Worten die Gründe, warum Sie Indien verlassen haben.
A: Mein Freund namens Kamaljit Singh war führendes Mitglied unserer Organisation, weshalb ich Probleme mit der Kongresspartei bekam.
Auff.: Konkretisieren Sie ihre Probleme!
A: Im August 2000 wurde ich von Mitgliedern der Kongress-Party mit dem Umbringen bedroht, weil wir für unsere Organisation
Mitglieder warben.
F: Wie wurden Sie konkret bedroht?
A: Im Zuge eines Streitgesprächs zwischen mehreren Mitgliedern beider Parteien wurde ich verbal mit dem Umbringen bedroht.
F: Wurden sonstige Verfolgungshandlungen gegen Sie gesetzt?
A: Nein.
F: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden?
A: Gut."
Bei einer weiteren Einvernahme am 31. Oktober 2001 gab der Beschwerdeführer - auszugsweise - Folgendes an:
"F: Warum haben Sie Ihr Heimatland verlassen und bringen in Österreich einen Asylantrag ein?
A: Ich bin seit Anfang 2000 ein einfaches, nicht eingetragenes Mitglied der Congress-Partei. Im gleichen Dorf wohnten auch die Akali-Dal-Mitglieder, welche auf mich böse waren, weil ich Mitglied der Congress-Partei war. Sie drohten mir, mich umzubringen, wenn ich nicht zur Akali-Dal übertrete bzw. die Congress-Partei nicht verlasse.
Das sind meine Hauptprobleme, warum ich Indien verlassen habe.
F: Gibt es auch Nebenprobleme, warum Sie Indien verlassen haben?
A: Die Landwirtschaft ist nicht so gut gegangen und meine
Eltern sind sehr arm. Das war auch ein Grund, warum ich mein Heimatland verlassen habe.
F: Wie konnten Sie dann Ihre Reise aus Indien finanzieren?
A: Einen Teil haben mir Verwandte gegeben und für den anderen
Teil haben meine Eltern einen Kredit (150.000 ind. Rupien) aufgenommen. Insgesamt kostete die Reise 350.000 ind. Rupien.
F: Sind das Ihre gesamten Fluchtgründe?
A: Ja.
F: Hatten Sie Probleme mit der Polizei oder den ind. Behörden?
A: Nein.
F: Haben Sie die Mitglieder der Akali-Dal zur Anzeige gebracht?
A: Nein. Die Mitglieder der Akali-Dal sind in der Mehrheit in
meiner Umgebung. Ich habe eine Anzeige erstattet. Sie wurden auch mehrmals verhaftet.
F: Sind Sie ganz sicher, dass Ihr Vorbringen der Wahrheit entspricht?
A: Ja, ich bin mir hundertprozentig sicher und habe die Wahrheit gesagt.
F: Ist es richtig, dass Sie am 03.05.2001 schon einmal
befragt wurden?
A: Ja, das ist richtig.
F: Wissen Sie noch, was Sie damals vorgebracht haben?
A: Ja, ungefähr weiß ich das noch.
F: Ganz sicher?
A: Ja.
Anm.: Dem AW wird nun seine Aussage vom 03.05.2001 zur Kenntnis gebracht und gleichzeitig darauf hingewiesen, dass diese einen anderen Inhalt hat, als die heutige Aussage. (AS 17).
F: Was sagen Sie dazu?
A: Ich habe es vergessen, es ist zu lange her. Es tut mir
Leid. Ich entschuldige mich.
F: Wollen Sie nun die Wahrheit sagen?
A: Ich möchte hier arbeiten und leben, deswegen habe ich den Asylantrag eingebracht. Ich muss pro Monat vier Prozent Zinsen für den Privatkredit meiner Eltern bezahlen.
Anmerkung: Dem Asylwerber wird der Vorhalt des Bundesasylamtes zum Bundesstaat Punjab in der Sprache Punjabi vorgelegt und ihm während der niederschriftlichen Einvernahme die Möglichkeit gegeben, diesen in Ruhe durchzulesen und bei Verständnisschwierigkeiten durch den Dolmetscher den einvernehmenden Beamten zu fragen.
F: Haben Sie dazu etwas vorzubringen?
A: Der Inhalt ist richtig.
F: Waren Sie jemals politisch tätig?
A: Nein, ich war auch kein Mitglied einer polit. Partei.
F: Hatten Sie jemals Probleme mit den Behörden?
A: Nein.
F: Waren Sie aus Gründen der Religion, der Rasse, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt?
A: Nein.
F: Was hätten Sie zu befürchten, wenn Sie in Ihr Heimatland
zurückkehren würden?
A: Im Falle einer Rückkehr habe ich keinerlei Befürchtungen. Meine Eltern sind sehr arm, wir müssen diesen teuren Kredit zurückzahlen. Wenn ich nach Hause komme, sitzen die Geldverleiher bei meinen Eltern und fordern das Geld. Wenn ich nicht bezahle, könnten wir Schwierigkeiten bekommen.
V.: Auf Grund Ihres bisherigen Vorbringens kommt die erkennende Behörde zum Entschluss, dass Sie einen offensichtlich unbegründeten Asylantrag eingebracht haben, weshalb eine Entscheidung gem. § 6 AsylG 1997 idgF zu treffen ist.
Das bedeutet, dass Ihnen zur Zeit keine vorl. AB gem. § 19 AsylG 1997 zusteht und Ihnen diesbezüglich auch keine Bescheinigung (Kärtchen) ausgefolgt wird. Es wird Ihnen nunmehr im Rahmen des Parteiengehörs die Möglichkeit gegeben, sofort mündlich oder binnen zwei Wochen schriftlich Stellung zu nehmen.
A: Ich werde eine schriftliche Stellungnahme einbringen. Morgen werde ich zur Botschaft gehen und um einen Reisepass ansuchen.
F: Wollen Sie noch etwas angeben?
A: Nein.
F: Wie haben Sie den Dolmetscher verstanden?
A: Sehr gut."
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 3. Dezember 2001 gemäß § 6 Z. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet ab und sprach gemäß § 8 AsylG aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer habe nach mehrmaligem Nachfragen zum Ausdruck gebracht, Indien verlassen zu haben, weil seine Familie arm sei und er einen Kredit an Geldverleiher zurückzuzahlen habe. Er habe den Asylantrag eingebracht, weil er in Österreich arbeiten und leben wolle. Aus diesen wirtschaftlichen Gründen könne keine asylrelevante Verfolgung abgeleitet werden.
Der Berufungswerber erhob Berufung, in der er u.a. Folgendes ausführte:
"Tatsache ist jedoch, dass mir in Indien asylrelevante Verfolgung droht. Ich habe bereits bei meiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt angegeben, dass ich seit 1997 Mitglied der Alkali-Dal Student Federation Party war. Im August 2000 begannen meine Probleme mit der Kongress Partei. Sie drohte mir, mich umzubringen, wenn ich weiterhin bei der Alkali-Dal Student Federation Party bliebe. Ich sollte zur Kongress Partei übertreten. Es ist nicht richtig, dass ich bei der zweiten Einvernahme angegeben habe, ich wäre Mitglied bei der Kongress Partei gewesen. Ich habe immer angegeben, Mitglied der Alkali-Dal Student Federation Party zu sein. Wegen der Bedrohungen bin ich auch zweimal zur Polizei gegangen. Ein Mitglied der Kongress-Partei wurde zwar verhaftet, aber schon am nächsten Tag wieder freigelassen. Die Polizei hat danach nichts mehr unternommen, um mich zu schützen oder gegen die Kongress-Partei zu ermitteln."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung "gemäß § 6 Z. 1 AsylG" ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig sei.
Nach Wiedergabe des - oben dargestellten - wesentlichen Inhalts der Aussage des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt und der Bestimmung des § 6 AsylG beurteilte die belangte Behörde den Asylantrag des Beschwerdeführers als offensichtlich unbegründet: Das Bundesasylamt habe das Vorbringen des Beschwerdeführers, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Dem schließe sich die belangte Behörde an. Da der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt ausdrücklich angegeben habe, den Asylantrag gestellt zu haben, weil er hier arbeiten und leben möchte, er pro Monat 4 % Zinsen für einen Kredit bezahlen müsse, er nie Mitglied einer politischen Partei gewesen sei und niemals Probleme mit den Behörden seines Heimatlandes gehabt habe und nie aus Gründen der Religion, der Rasse, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt worden sei, seien "die anders lautenden Berufungsausführungen, wonach er wegen politischer Probleme aus Indien geflohen sei, als gesteigertes Vorbringen zu werten, um doch noch eine positive Entscheidung herbeizuführen".
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 6 AsylG in der hier noch maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 101/2003, sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Z. 1 dieser Bestimmung dann der Fall, wenn sich ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein unter § 6 Z. 1 AsylG zu subsumierender Fall vorliegt, ist demnach von den Angaben des Asylwerbers auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichern Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen. Auf die - von der belangten Behörde auch angesprochene - Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben im Asylverfahren kommt es in diesem Zusammenhang nicht an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0152).
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z. 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z. 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen des Asylwerbers offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihm drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffes nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071, und vom 17. Dezember 2003, Zl. 2000/20/0526).
Ob das erstinstanzliche Vorbringen des Beschwerdeführers völlig eindeutig als unzureichend eingestuft und damit vom Vorliegen des Tatbestandes des § 6 Z. 1 AsylG ausgegangen werden durfte (wenn man die zuletzt protokollierten Äußerungen des Beschwerdeführers als Zurückziehung der Verfolgungsbehauptungen wertet), braucht im Hinblick auf die oben wiedergegebenen Ausführungen in der Berufung nicht abschließend geklärt zu werden. Die belangte Behörde hat die "anders lautenden Berufungsausführungen" als "gesteigertes Vorbringen" zur Herbeiführung einer positiven Entscheidung gewertet. Aspekte der Glaubwürdigkeit des Vorbringens tragen zur Begründung einer auf § 6 Z. 1 AsylG gestützten Beurteilung aber nichts bei (vgl. etwa das oben erwähnte hg. Erkenntnis vom 17. September 2003, Zl. 2000/20/0152). Den Versuch, das Berufungsvorbringen einer Subsumtion unter § 6 Z. 3 AsylG zu unterziehen, hat die belangte Behörde nicht unternommen. Eine derartige Würdigung des Berufungsvorbringens hätte auch eine mündliche Berufungsverhandlung vorausgesetzt.
Da die belangte Behörde die Voraussetzungen des § 6 Z. 1 AsylG verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 30. September 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2002200086.X00Im RIS seit
27.10.2004