TE Vwgh Erkenntnis 2004/9/30 2004/16/0151

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Veröffentlicht am 30.09.2004
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §20;
BAO §236 Abs1;
BAO §236 Abs2;
B-VG Art130 Abs2;
VwGG §24 Abs3;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Höfinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Siegl, über die Beschwerde des Dr. F in G, vertreten durch die Keimel Baldauf Schnalzer Rechtsanwälte KEG in 8280 Fürstenfeld, Augustinerplatz 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 1. Juli 2004, Zl. RV/0850-W/04, betreffend Nachsicht von Gebühren gemäß § 236 BAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ist folgender Sachverhalt zu entnehmen:

Der beschwerdeführende (jetzt emeritierte) Rechtsanwalt hatte als "frei gewählter Anwalt" für Flüchtlinge aus dem Kosovo (eine Mutter mit drei Kindern) gegen vier Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof eingebracht. Gleichzeitig war unter Vorlage des Vermögensbekenntnisses Verfahrenshilfe beantragt worden.

Der Verwaltungsgerichtshof wies den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung ab.

Mit Bescheiden vom 11. Dezember 2001 zog das Finanzamt für Gebühren und Verkehrsteuern in Wien den Beschwerdeführer zur Entrichtung der Eingabengebühren nach § 24 Abs. 3 VwGG in der Höhe von S 10.000,-- sowie der Gebührenerhöhung von S 5.000,-- im Wege der Haftung heran.

Mit der Eingabe vom 10. Juni 2002 stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Nachsicht der ihm vorgeschriebenen Gebühren samt Gebührenerhöhung nach § 236 BAO.

Das Finanzamt wies den Antrag mit Bescheid vom 8. März 2003 ab.

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gegen diesen Bescheid als unbegründet ab. In der Begründung führte die belangte Behörde aus, im Falle eines Ansuchens um Nachsicht nach § 236 Abs. 1 BAO habe die Abgabenbehörde zunächst zu prüfen, ob ein Sachverhalt vorliege, der dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspreche. Verneine sie diese Frage, so sei für eine Ermessensentscheidung kein Raum mehr und der Antrag sei abzuweisen. Bejahe die Abgabenbehörde hingegen das Vorliegen einer Unbilligkeit im Sinne des Gesetzes, so habe sie im Bereich des Ermessens nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden.

Der Spruch des Bescheides erster Instanz habe eine Nachsicht gemäß § 236 BAO zum Gegenstand. Es sei daher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Nachsicht vorlägen. Bei einem Gesamtschuldverhältnis komme eine Nachsicht von Abgaben nur dann in Betracht, wenn die Nachsichtsvoraussetzungen bei allen Gesamtschuldnern erfüllt seien. Im Beschwerdefall liege ein solches Gesamtschuldverhältnis vor. Der Beschwerdeführer habe zwar geltend gemacht, dass die Einhebung der Gebührenschuldigkeiten ihm gegenüber sowohl sachlich als auch persönlich unbillig sei. Dass eine sachliche Unbilligkeit auch bei den anderen Gesamtschuldnern vorliege, habe der Beschwerdeführer aber nicht dargetan. Weiters seien Fragen der Rechtmäßigkeit einer Abgabenforderung ausschließlich im Festsetzungsverfahren zu lösen. In einem Nachsichtsverfahren sei für solche Fragen kein Raum. Daher seien sämtliche Einwendungen, die sich auf die Richtigkeit der Gebührenbescheide bezögen, für das Nachsichtsverfahren unbeachtlich. Das Nachsichtsverfahren diene ferner nicht dazu, das Abgabenfestsetzungsverfahren neu aufzurollen. Der Geschehensablauf sei durch den Beschwerdeführer beeinflussbar gewesen. Hätte er die Verwaltungsgerichtshofbeschwerde nicht gleichzeitig mit dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe eingebracht, sondern die Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abgewartet, hätte er wohl im Hinblick auf die durch den Verwaltungsgerichtshof ausgesprochene Aussichtslosigkeit keine Beschwerde eingebracht. Da die Einbringung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof vor der Entscheidung über die Bewilligung nicht zwingend notwendig gewesen sei, könne somit im Beschwerdefall nicht davon gesprochen werden, dass ein vom Beschwerdeführer nicht beeinflussbarer Geschehensablauf die Gebührenpflicht ausgelöst habe. Eine sachlich bedingte Unbilligkeit liege daher nicht vor.

Bezüglich der persönlichen Unbilligkeit habe der Beschwerdeführer vorgebracht, er beziehe eine Pension in Höhe von EUR 1.471,10 und es wäre ein großer Nachteil, wenn er von diesem Betrag EUR 1.090,09 an den Fiskus bezahlen müsse. In seinem Stundungsansuchen vom 22. April 2003 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, die Einbringlichkeit der Abgaben sei durch die Pension in keiner Weise gefährdet, zumal er auch über Realvermögen verfüge. Bereits daraus ergebe sich, dass die Einhebung der Gebühren nach der Lage des Falles nicht unzumutbar sei. Im Beschwerdefall seien die Gebührenforderungen durch Überrechnung eines Guthabens des Beschwerdeführers beim zuständigen Finanzamt getilgt worden. Zur Entrichtung der Abgabenschuldigkeiten müsse nicht auf die Pension gegriffen werden, somit sei seine Lebensführung in keiner Weise beeinträchtigt. Eine persönliche Unbilligkeit liege nicht vor.

Der angefochtene Bescheid könne auch nicht in eine Entlassung aus der Gesamtschuld gemäß § 237 BAO umgedeutet werden. Selbst wenn dies zulässig wäre, komme eine solche nicht in Betracht, weil die Abgabenschuld durch Verrechnung bereits entrichtet worden sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich Beschwerde, mit der sowohl Rechtswidrigkeit des Inhaltes als auch Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wird. Der Beschwerdeführer erachtet sich in seinem Recht auf Nachsicht der in Rede stehenden Gebühren wegen erwiesener Unbilligkeit beschwert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die belangte Behörde hat die Auffassung vertreten, es liege weder eine sachliche noch eine persönliche Unbilligkeit vor.

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Unbilligkeit im Sinne des § 236 Abs. 1 und 2 BAO kann eine sachliche oder persönliche sein. Eine sachliche Unbilligkeit liegt vor, wenn im Einzelfall bei der Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt. In der allgemeinen Auswirkung einer generellen Norm ist eine solche Unbilligkeit nicht gelegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Dezember 2003, Zl. 2003/15/0099).

Sachliche Unbilligkeit einer Abgabeneinhebung ist dann anzunehmen, wenn das ungewöhnliche Entstehen einer Abgabenschuld zu einem unproportionalen Vermögenseingriff beim Steuerpflichtigen führt. Der in der anormalen Belastungswirkung und, verglichen mit ähnlichen Fällen, im atypischen Vermögenseingriff gelegene offenbare Widerspruch der Rechtsanwendung zu den vom Gesetzgeber beabsichtigten Ergebnissen muss seine Wurzel in einem außergewöhnlichen Geschehensablauf haben, der auf eine vom Steuerpflichtigen nicht beeinflussbare Weise eine für ihn nach dem gewöhnlichen Lauf nicht zu erwartende Abgabenschuld ausgelöst hat, die zudem auch ihrer Höhe nach unproportional zum auslösenden Sachverhalt ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. März 1996, Zl. 93/15/0233).

Persönliche Unbilligkeiten sind anzunehmen, wenn die Einhebung der Abgabe, also die Einziehung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, insbesondere das Vermögen und das Einkommen des Abgabenschuldners in besonderer Weise unverhältnismäßig beeinträchtigen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 1995, Zl. 94/16/0125).

Die Feststellung, ob das gesetzliche Merkmal der Unbilligkeit der Einhebung gegeben ist, liegt im Bereich der gesetzlichen Gebundenheit. Erst nach der Feststellung, dass der Sachverhalt dem unbestimmten Gesetzesbegriff "Einhebung nach der Lage des Falles unbillig" entspricht, betritt die Behörde den Bereich des Ermessens und hat nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit zu entscheiden. Liegt nach begründeter Auffassung der Behörde eine Unbilligkeit nicht vor, so fehlt die gesetzlich vorgesehene Bedingung für die Nachsicht und das darauf gerichtete Ansuchen ist abzuweisen (Stoll, BAO-Kommentar, 2426).

Bei Gesamtschuldverhältnissen müssen die Voraussetzungen für die Nachsicht bei allen Gesamtschuldnern vorliegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 1997, Zl. 95/16/0005).

Lägen daher Nachsichtsgründe bei den übrigen Gesamtschuldnern vor, dann ist die Nachsicht dennoch nicht zu gewähren, wenn beim Beschwerdeführer keine Nachsichtsgründe gegeben sind. Wenn mit der in der Beschwerde behaupteten Armut der Gebührenschuldner und der Aussichtslosigkeit der Einhebung der Gebühren die Unbilligkeit der Einhebung bei diesen Gesamtschuldnern nachgewiesen werden sollte, dann reicht dies allein für eine Nachsicht der Gebühren nach § 236 BAO nicht aus. Es müssten auch beim Beschwerdeführer Nachsichtsgründe vorliegen.

Die Gebührenschuld nach § 24 Abs. 3 VwGG entsteht mit Überreichung der Beschwerde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. April 1999, Zl. 98/16/0130).

Die Vorschreibung dieser Gebühr bzw. die Geltendmachung der Haftung dafür sind Auswirkungen der allgemeinen Rechtslage und stellen ein beabsichtigtes Ergebnis des Gesetzgebers dar. Die behaupteten Beweggründe für die Beschwerdeerhebung ("Barmherzigkeit", "selbstloses Handeln") lagen in der Sphäre und der Dispositionsmöglichkeit des Beschwerdeführers und sind keine Umstände, die eine sachliche Unbilligkeit der Einhebung begründen können. Es kam weder zu einem "ungewöhnlichen Entstehen" der Gebührenschuld noch liegt ein außergewöhnlicher Geschehensablauf vor. Dem rechtskundigen Beschwerdeführer musste vielmehr bekannt sein, dass er nach der bestehenden Rechtslage als einschreitender Anwalt dann zur Entrichtung der Gebühr nach § 24 Abs. 3 VwGG herangezogen wird, wenn im Fall der Beschwerdeerhebung und gleichzeitigen Stellung eines Verfahrenshilfeantrages dieser abgewiesen wird und die Partei des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mittellos ist.

Bei der Beurteilung, ob persönliche Unbilligkeit vorliegt, hat die belangte Behörde festgestellt, dass die Gebührenforderungen durch Verrechnung eines Guthabens beim Finanzamt entrichtet wurden und der Beschwerdeführer über ein nicht näher beziffertes Realvermögen verfügt. Dass ein solches Realvermögen vorliegt, hat der Beschwerdeführer nicht bestritten.

Die Unbilligkeit muss eine Unbilligkeit der Einhebung und nicht eine Unbilligkeit der Festsetzung sein (vgl. hg. Erkenntnis vom 4. März 1999, Zl. 96/16/0221).

Eine Unbilligkeit kann daher weder aus der im Gesetz normierten Haftung und Gesamtschuldnerschaft des Beschwerdeführers mit den Parteien des damaligen verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, für die der Beschwerdeführer eingeschritten ist, abgeleitet werden.

Die Nachsicht dient auch nicht dazu, im Festsetzungsverfahren unterlassene Einwendungen nachzuholen (vgl. hg. Erkenntnis vom 19. März 1998, Zl. 96/15/0067).

Daher können solche im Nachsichtsverfahren erhobene Einwendungen, wie die Infragestellung der Gebührenentstehung oder der Berechtigung zur Haftungsinanspruchnahme, zu keiner Unbilligkeit der Einhebung führen. Die belangte Behörde konnte auf Grund dieser Sachlage mit Recht feststellen, dass eine Unbilligkeit der Entrichtung nach § 236 BAO nicht gegeben ist. Eine Ermessensentscheidung war daher nicht mehr zu treffen, sodass die für eine solche Ermessensentscheidung in der Beschwerde vorgebrachten Argumente ins Leere gehen.

Die Abschreibung von Abgabenschuldigkeiten durch Nachsicht setzt einen hierauf gerichteten Antrag voraus. Wegen der Antragsgebundenheit dieses Verwaltungsaktes darf eine Nachsicht nicht über den Antrag hinausgehen (Ritz, BAO-Kommentar2, Rz 1 zu § 236).

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid in einem obiter dictum darauf hingewiesen, dass auch im Falle eines Antrages nach § 237 BAO die Voraussetzungen für eine Entlassung aus der Gesamtschuld nicht vorgelegen wären. Im Hinblick darauf, dass eine solche nicht beantragt und nicht Gegenstand des Spruches des angefochtenen Bescheides war, erübrigt sich ein näheres Eingehen auf das § 237 BAO betreffende Beschwerdevorbringen.

Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war sie gemäß § 35 Abs. 1 VwGG in nicht öffentlicher Sitzung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat als unbegründet abzuweisen.

Wien, am 30. September 2004

Schlagworte

ErmessenIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2004160151.X00

Im RIS seit

02.11.2004

Zuletzt aktualisiert am

29.11.2018
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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