Index
19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2004/21/0244Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerden 1. des U, und 2. der SU, beide vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen die Bescheide der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg (ad 1.) vom 10. August 2004, Zl. Fr-4250a-173/04, und (ad 2.) vom 11. August 2004, Zl. Fr-4250a-167/04, jeweils betreffend ein befristetes Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der Erstbeschwerdeführer ist der Sohn der Zweitbeschwerdeführerin, beide sind Staatsangehörige der Türkei. Mit den beiden im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheiden wurden gegen die Beschwerdeführer gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 6 sowie den §§ 37 und 39 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein jeweils auf vier Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
In dem zu 2. zitierten Bescheid stellte die belangte Behörde begründend fest, die Zweitbeschwerdeführerin sei seit etwa 1990 mit einem seit mehreren Jahren in Österreich lebenden türkischen Arbeitnehmer verheiratet. Bis zum Juli 2001 habe sie mit ihren Kindern getrennt von ihrem Ehemann in der Türkei gelebt. Noch vor ihrer Einreise nach Österreich habe die Zweitbeschwerdeführerin am 22. März 2001 einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt (dieser sei mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. November 2002 rechtskräftig abgewiesen worden). Am 9. Juli 2001 habe die Zweitbeschwerdeführerin bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara einen Antrag auf Erteilung eines Visums gestellt und dabei als Zweck "Tourist" angegeben. Gleichzeitig habe sie sich verpflichtet, das Hoheitsgebiet der Schengener Staaten mit Ablauf des ihr gegebenenfalls erteilten Visums zu verlassen. Daraufhin sei der Zweitbeschwerdeführerin ein sog. Visum "C" (Reisevisum) mit einer Gültigkeit vom 22. Juli 2001 bis 20. Oktober 2001 ausgestellt worden. Am 22. Juli 2001 sei die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit ihren beiden kleinen Kindern (aber noch ohne den Erstbeschwerdeführer) nach Österreich eingereist. Anstatt ihrer Ausreiseverpflichtung mit Ablauf der Gültigkeit des Reisevisums nachzukommen, habe die Zweitbeschwerdeführerin mit Schreiben vom 19. Oktober 2001 mitgeteilt, dass sie im Inland verbleibe. Der Aufenthalt der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet sei somit seit dem 21. Oktober 2001 unrechtmäßig, auch ihre beiden mit ihr in das Bundesgebiet eingereisten Kinder verfügten über keine Aufenthaltsberechtigung.
In der Begründung des eingangs unter 1. zitierten Bescheid stellte die belangte Behörde fest, dem Erstbeschwerdeführer sei auf Grund seines Antrages vom 11. Juli 2002 um Erteilung eines Visums, bei dem auch er als Zweck "Tourist" angegeben habe, ein Reisevisum mit einer Gültigkeit vom 20. Juli 2002 bis 17. August 2002 ausgestellt worden. Der Erstbeschwerdeführer sei Anfang August 2002 in das Bundesgebiet eingereist und gleichfalls nach Ablauf seines Visums der erklärten Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Am 18. März 2003 habe auch er einen Antrag u. a. auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt, der abgewiesen worden sei.
Dem Berufungsvorbringen beider Beschwerdeführer, sie hätten bei der österreichischen Vertretungsbehörde keine falschen Angaben über den beabsichtigten Zweck und die Dauer ihres Aufenthaltes gemacht, um sich die Einreise in das Bundesgebiet zu erschleichen, sondern sie hätten den Entschluss, bei ihrem Ehemann bzw. Vater in Österreich zu verbleiben, erst kurzfristig nach ihrer Einreise nach Österreich gefasst, folgte die belangte Behörde nicht. Zum Einen stehe den Angaben der Beschwerdeführer gegenüber, dass sie ihrer Ausreiseverpflichtung trotz der bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara unterschriebenen Rückkehrerklärungen nicht nachgekommen seien. Zum Anderen widerspreche es der Lebenserfahrung, dass man einen so wichtigen Entschluss, seinen Wohnsitz von der Türkei nach Österreich zu wechseln und hier bei seinem Ehepartner bzw. Vater zu leben, erst innerhalb der kurzen Aufenthaltszeit im Bundesgebiet - bei der Zweitbeschwerdeführerin somit innerhalb von drei Monaten, beim Erstbeschwerdeführer sogar innerhalb von nur einem Monat - fasse. Bei der Zweitbeschwerdeführerin, so die belangte Behörde in der Beweiswürdigung weiter, komme hinzu, dass diese einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung schon vor ihrer Einreise in das Bundesgebiet gestellt habe, was umso mehr auf die bei der Antragstellung bezüglich des Reisevisums bereits vorhandene Niederlassungsabsicht hindeute. Dem Vorbringen des Erstbeschwerdeführers sei zu entgegnen, dass dieser schon vor seiner Einreise über die Situation (seiner Familie) in Österreich durch die hier bereits seit einem Jahr aufhältig gewesene Zweitbeschwerdeführerin informiert gewesen sei. Ausgehend von diesen Überlegungen erachtete die belangte Behörde in beiden Beschwerdefällen den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG als erfüllt und gleichzeitig die Annahme gerechtfertigt, der weitere Aufenthalt der Beschwerdeführer gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit. Diese Annahme werde durch den jahrelangen unrechtmäßigen Aufenthalt beider Beschwerdeführer verstärkt. Soweit sich diese auf die Integration ihres in Österreich berufstätigen Ehemannes bzw. Vaters und auf die Anwendung des Assoziationsratsbeschlusses Nr. 1/80 (ARB) beriefen, werde ihnen entgegen gehalten, dass ihnen die in Art. 7 ARB vorausgesetzte Genehmigung, zum türkischen Arbeitnehmer zu ziehen, fehle. Dementsprechend sei für die Beschwerdeführer auch aus dem Hinweis auf die Richtlinie 64/221/EWG nichts zu gewinnen. Zu den Voraussetzungen des § 37 FrG führte die belangte Behörde aus, dass mit den Aufenthaltsverboten angesichts des Umstandes, dass der Ehemann bzw. Vater der Beschwerdeführer in Österreich "integriert sein dürfte", ein Eingriff in das Privat- und Familienleben verbunden sei. Da den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Befolgung durch die Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein sehr hoher Stellenwert zukomme und sich die Beschwerdeführer bereits jahrelang unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhielten, sei die Erlassung der beiden Aufenthaltverbote zum Schutz der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Interessen im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG dringend geboten. Diesem erheblichen öffentlichen Interesse stünden zugunsten der Beschwerdeführer die - jeweils aber nur kurzzeitig rechtmäßige - Aufenthaltsdauer in Österreich und ihre familiären Bindungen zum im Bundesgebiet lebenden Ehegatten bzw. Vater gegenüber. Der Umstand, dass die Beschwerdeführer schon in der Vergangenheit jahrelang von ihrem Ehemann bzw. Vater getrennt gelebt hätten, relativiere deren familiäre Interessen. Insbesondere sei kein unüberwindlicher Hinderungsgrund ersichtlich, weshalb sie zur Herstellung der Familieneinheit nicht gemeinsam mit ihrem Ehemann bzw. Vater in ihre Heimat zurückgehen könnten. Aus der Sicht der öffentlichen Interessen sei auch zu berücksichtigen, dass es unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung von Fremden nicht tragbar sei, wenn auf der einen Seite der Aufenthalt in Österreich durch beharrliche Verweigerung der Ausreise erzwungen werden könnte, und auf der anderen Seite Fremde, die in rechtmäßiger Weise zu ihren in Österreich lebenden Verwandten ziehen wollten, oft jahrelange Wartezeiten im Ausland in Kauf nehmen müssten. Insgesamt wiege daher in beiden Beschwerdefällen das öffentliche Interesse an der Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahmen schwerer als der jeweilige Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer.
Gegen diese Bescheide richten sich die beiden vorliegenden - wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen - Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Voraussetzung für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 36 Abs. 1 FrG ist die auf bestimmte Tatsachen gegründete Prognose, dass der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder andere in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte öffentliche Interessen erheblich gefährde. In § 36 Abs. 2 sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2001, Zl. 99/21/0011, mwN). Als bestimmte Tatsache im Sinne des § 36 Abs. 2 Z 6 FrG gilt, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise- oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 31 Abs. 1 und 3 FrG zu verschaffen.
Die Beschwerdeführer bekämpfen in den Beschwerden die behördliche Feststellung, sie hätten gegenüber der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara falsche Angaben gemacht, um sich die Einreise und den weiteren Aufenthalt in Österreich zu erschleichen. Vielmehr hätten sie erst nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet erkennen können, dass ihr Ehemann bzw. Vater nur schwer mit der Trennung von seiner Familie umgehen könne. Dieser habe, weil für ihn die Trennung von seiner Familie nicht verkraftbar gewesen sei, Depressionen bekommen. Daher hätten die Beschwerdeführer ihre ursprünglichen Pläne geändert, weil es ihnen nicht möglich gewesen sei, ihren Ehemann bzw. Vater allein in Österreich zurück zu lassen.
Der Verwaltungsgerichtshof kann im Rahmen der ihm zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) nicht finden, dass die beweiswürdigenden Erwägungen der belangten Behörde zu der bekämpften Feststellung unschlüssig wären, zumal die Beschwerde auch keine Umstände darlegt, die es als nahe liegend erscheinen ließen, dass die Beschwerdeführer ursprünglich nur für die Dauer der ihnen erteilten Touristensichtvermerke nach Österreich hätten kommen wollen. So treten die Beschwerdeführer insbesondere dem Argument der belangten Behörde nicht substanziiert entgegen, wonach es der Erfahrung entspreche, dass Lebenspartner, die - wie im Fall der Zweitbeschwerdeführerin - schon seit Jahren verheiratet seien, einen so weit reichenden Entschluss, sich in einem anderen Staat nieder zu lassen, gemeinsam langfristig planen (siehe zu einer vergleichbaren Argumentation auch die hg. Erkenntnisse vom 8. November 2001, Zl. 2000/21/0229, und vom 23. September 2004, Zl. 2004/21/0220). In schlüssiger Weise hielt die belangte Behörde den genannten Argumenten der Beschwerdeführer vor allem entgegen, die Zweitbeschwerdeführerin habe ihre bei der Antragstellung bezüglich des Reisevisums bereits vorhanden gewesene Niederlassungsabsicht dokumentiert, indem sie zuvor einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gestellt hat und der Erstbeschwerdeführer habe angesichts des bereits einjährigen Aufenthaltes seiner Mutter nicht erst, wie er behauptet hat, nach seiner Einreise von den angeblichen Depressionen seines Vaters erfahren. Daher bestehen beim Verwaltungsgerichtshof gegen die Auffassung der belangten Behörde, in den vorliegenden Beschwerdefällen sei jeweils der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 6 FrG erfüllt, ebenso wenig Bedenken wie gegen die Annahme, dass sowohl durch die Täuschungshandlungen als auch durch den seit Jahren unrechtmäßigen Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet werde.
Im Übrigen gleicht der vorliegende Beschwerdefall in sachverhaltsmäßiger und rechtlicher Hinsicht (vor allem bezüglich der in der Beschwerde behaupteten Rechte der Beschwerdeführer aus dem ARB und dem Gemeinschaftsrecht) im Wesentlichen jenem Beschwerdefall, der dem hg. Erkenntnis vom 30. März 2004, Zl. 2004/21/0001, zugrunde lag. Aus den im letztzitierten Erkenntnis genannten Gründen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, war auch dem diesbezüglichen Beschwerdevorbringen der Erfolg versagt. Daran vermag vor dem Hintergrund des § 37 FrG auch der Umstand, dass im Fall der Zweitbeschwerdeführerin (insoweit anders als in jenem dem letztzitierten Erkenntnis zugrunde liegenden Beschwerdefall) der Aufenthalt im Bundesgebiet schon länger angedauert hat, nichts zu ändern, weil dieser überwiegend unrechtmäßige Aufenthalt ihre Interessen nicht maßgeblich zu verstärken vermag. Da sich schließlich keine Anhaltspunkte für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes der beiden anderen Kinder der Zweitbeschwerdeführerin im Bundesgebiet finden, ist durch das gegen sie erlassene Aufenthaltsverbot eine Trennung der Zweitbeschwerdeführerin von ihren Kindern (bzw. des Erstbeschwerdeführers von seinen Geschwistern) nicht zu befürchten. Der Verwaltungsgerichtshof hegt daher auch im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 37 FrG keine Bedenken gegen die bekämpften aufenthaltsbeendenden Maßnahmen.
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerden erkennen lässt, dass die behauptete Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide nicht vorliegt, waren die Beschwerden jeweils gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Die von den Beschwerdeführern beantragte mündliche Verhandlung konnte daher entfallen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 10. August 2000, Zl. 2000/07/0083), die Entscheidung über ein Aufenthaltsverbot fällt nicht unter Art. 6 Abs. 1 EMRK (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Juli 2003, Zl. 98/21/0167).
Wien, am 19. Oktober 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004210243.X00Im RIS seit
19.11.2004