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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §56 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der D in I, vertreten durch Dr. Stephan Crepaz, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Salurner Straße 16, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 3. März 2004, Zl. LGSTi/V/1212/5232 11 01 64-702/2004, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Innsbruck, mit dem der Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe vom 10. Dezember 2003 bis 20. Jänner 2004 ausgesprochen worden war, abgewiesen. Die belangte Behörde führte begründend unter anderem an, dass der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 28. Jänner 2004 "das Ergebnis des (bisherigen) Ermittlungsverfahrens" mitgeteilt worden sei und ihr im Hinblick auf ihre Berufungsausführungen die Gelegenheit geboten worden sei, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Der Beschwerdeführerin sei die Möglichkeit eingeräumt worden, "innerhalb von 30 Tagen (!) sich zum bisherigen Ermittlungsergebnis zu äußern". Mit Schreiben vom 17. Februar 2004 habe die Beschwerdeführerin mitgeteilt, dass sie nicht bereit sei, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen; weiters habe sie mitgeteilt, dass die vom Arbeitsmarktservice Innsbruck angebotene Beschäftigung von ihr nicht a priori abgelehnt worden sei, sondern erst dann, als die Ausstellung eines Dienstzettels verweigert worden sei.
Nach Darlegung des Ergebnisses einer weiteren Ermittlungshandlung der belangten Behörde vom 18. Februar 2004 zitiert die belangte Behörde wörtlich eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 27. Februar 2004, die per Post am letzten Tag der eingeräumten Frist aufgegeben worden sei; darin habe die Beschwerdeführerin ausgeführt, dass ihre Verweigerung der ärztlichen Untersuchung berechtigt sei, da ihr nicht hinreichend deutlich offen gelegt worden sei, weshalb sie sich einer psychiatrischen Untersuchung unterziehen solle. Eine konkrete objektive Begründung für diese ärztliche Untersuchung habe gefehlt.
In der rechtlichen Begründung führt die belangte Behörde wörtlich aus:
"Ihre Berufung wurde vom Berufungsausschuss als Kollegialbehörde einstimmig abgewiesen bzw. die erstinstanzliche Entscheidung als zu Recht ergangen erachtet. Ihren Berufungseinwendungen wird nachstehend entgegengehalten:"
In den folgenden Ausführungen setzt sich die belangte Behörde zunächst mit den Berufungseinwendungen der Beschwerdeführerin, sie hätte keinen Dienstzettel erhalten und eine Nachtarbeit wäre nicht zumutbar, auseinander. Sodann wird auf den Seiten 6 und 7 des angefochtenen Bescheides ausführlich auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Schreiben vom 27. Februar 2004 eingegangen. Dabei wird dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass ihr nicht hinreichend deutlich offen gelegt worden wäre, weshalb sie sich einer psychiatrischen Untersuchung hätte unterziehen sollen, entgegengehalten, dass in Bezug auf die gegenständliche Festsetzung einer Sperrfrist nie davon die Rede gewesen sei, dass sich die Beschwerdeführerin einer "psychiatrischen Untersuchung" hätte unterziehen sollen, sondern sie sei eindeutig darauf hingewiesen worden, dass eine amtsärztliche Untersuchung dahingehend vorgenommen werden solle, ob die ihr angebotene Beschäftigung als Taxichauffeurin bis 3 Uhr früh gesundheitlich zumutbar gewesen sei. Zudem habe die Beschwerdeführerin in ihrer Berufung ausdrücklich ein medizinisches Gutachten verlangt. Eine konkrete objektive Begründung für die ärztliche Untersuchung sei der Beschwerdeführerin daher ausreichend gegeben worden. Die Beschwerdeführerin sei rechtzeitig vom Termin beim Amtsarzt verständigt worden und hätte einen Monat lang die Möglichkeit gehabt, sich einen anderen Untersuchungstermin zu wünschen. Mit ihrer Stellungnahme vom 17. Februar 2002 habe sie jedoch keine Bereitschaft gezeigt, sich überhaupt untersuchen zu lassen. Die diesbezüglichen Ausführungen der Beschwerdeführerin seien daher nicht nachvollziehbar und unverständlich.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Antrag, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 56 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977, in der im vorliegenden Fall maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 179/1999, lautet:
"§ 56. (1) Gegen Bescheide der regionalen Geschäftsstelle ist die Berufung an die Landesgeschäftsstelle zulässig. Gegen die Entscheidung der Landesgeschäftsstelle ist keine weitere Berufung zulässig.
(2) ...
(3) Die Landesgeschäftsstelle trifft die Entscheidung in einem Ausschuss des Landesdirektoriums.
(4) Das Landesdirektorium bei jeder Landesgeschäftsstelle hat einen Ausschuss zur Behandlung von Berufungen gemäß Abs. 1 einzurichten (Ausschuss für Leistungsangelegenheiten).
(5) Der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten besteht aus folgenden drei Mitgliedern:
1.
dem Vorsitzenden,
2.
einem Arbeitnehmervertreter und
3.
einem Arbeitgebervertreter.
(6) Den Vorsitz des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten hat der Landesgeschäftsführer oder ein von ihm damit beauftragter Bediensteter der Landesgeschäftsstelle zu führen.
(7) ...
(8) Stimmberechtigt sind die Mitglieder (Stellvertreter) des Ausschusses. Der Ausschuss ist beschlussfähig, wenn alle drei Mitglieder anwesend sind. Der Ausschuss fasst seine Beschlüsse mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen."
§ 24 Abs. 3 Arbeitsmarktservicegesetz (AMSG), BGBl. Nr. 313/1994, lautet:
"Soweit der Landesgeschäftsstelle behördliche Funktion zukommt, obliegt diese dem Landesgeschäftsführer, in Angelegenheiten gemäß den §§ 48 Abs. 1 und 56 des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977, BGBl. Nr. 609, dem Ausschuss für Leistungsangelegenheiten des Landesdirektoriums."
Aus den vorgelegten Verwaltungsakten ergibt sich, dass der Ausschuss für Leistungsangelegenheiten bei der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol in einer Sitzung vom 27. Februar 2004 über die Berufung der Beschwerdeführerin "einstimmig negativ" entschieden habe. Zu diesem Zeitpunkt konnte dem Ausschuss die von der Beschwerdeführerin innerhalb der ihr eingeräumten Stellungnahmefrist am 27. Februar 2004 zur Post gegebene und laut Eingangsstempel am 2. März 2004 in der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol eingelangte Stellungnahme noch nicht vorgelegen sein. Eine nach dem Einlangen dieser Stellungnahme erfolgte neuerliche Beratung und Beschlussfassung des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten über die gegenständliche Berufung ist im Verwaltungsakt nicht dokumentiert.
Es ist daher davon auszugehen, dass der gemäß § 56 Abs. 3 AlVG zur Entscheidung über die Berufung zuständige Ausschuss für Leistungsangelegenheiten an jenem Tag, an dem der angefochtene Bescheid - nach dem auf der Erledigung angegebenen Datum - genehmigt wurde, nicht zur Beratung und Beschlussfassung über die Berufung der Beschwerdeführerin getagt hat.
Da der angefochtene Bescheid zudem in einem wesentlichen Teil seiner Begründung auf das Vorbringen der Beschwerdeführerin in ihrer am 2. März 2004 bei der Landesgeschäftsstelle eingelangten Stellungnahme eingeht, das dem Ausschuss für Leistungsangelegenheiten in seiner Sitzung am 27. Februar 2004 nicht bekannt sein konnte, kann er auch nicht als - fehlerhaft datierte - Ausfertigung eines bei der Sitzung des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten am 27. Februar 2004 beschlossenen Bescheides angesehen werden.
Auch wenn der angefochtene Bescheid - anders als in jenem Fall, der dem hg. Erkenntnis vom 16. Februar 1999, Zl. 97/08/0621, zu Grunde lag - einen Hinweis auf eine Beschlussfassung im Kollegialorgan enthält, verweist doch die Fertigungsklausel ("Für den Landesgeschäftsführer") auf eine Genehmigung durch den Landesgeschäftsführer. In Zusammenhalt mit dem Umstand, dass - wie oben näher ausgeführt - auf Grund der Datierung und Begründung des angefochtenen Bescheides die Beschlussfassung durch den Ausschuss nicht erfolgt sein konnte, ergibt sich daher, dass der angefochtene Bescheid dem Landesgeschäftsführer als monokratischem Organ zuzurechnen ist. Dieser war jedoch gemäß § 24 Abs. 3 AMSG und § 56 Abs. 3 AlVG zur Entscheidung über die Berufung nicht zuständig.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen der von Amts wegen aufzugreifenden Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 20. Oktober 2004
Schlagworte
Zurechnung von OrganhandlungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004080114.X00Im RIS seit
17.01.2005