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83 Natur- und UmweltschutzNorm
B-VG Art140 Abs1 / AllgLeitsatz
Aufhebung der Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AbfallwirtschaftsG 1990, BGBl 1990/325 idF BGBl I 1998/151, unter Verweis auf E v 16.03.00, G312/97 ua. Ausdehnung der Anlaßfallwirkung auf weitere beim UVS Salzburg anhängige Verfahren im Hinblick auf die weiteren beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Gesetzesprüfungsverfahren; keine weitere Behandlung dieser Anträge.Spruch
1. Die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita Abfallwirtschaftsgesetz 1990, BGBl. 1990/325 in der Fassung BGBl. I 1998/151, wird als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Die aufgehobene Wortfolge ist auch in dem beim Unabhängigen Verwaltungssenat Salzburg zur Zl. UVS-5/10.965/2-2000 anhängigen Verfahren und auch in den beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich zu den Zlen. Senat-HO-00-009, Senat-WB-00-001, Senat-TU-00-020, Senat PL-99-242, Senat-MD-00-021 und Senat-BN-00-028 anhängigen Verfahren nicht mehr anzuwenden.
3. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.
4. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Beim UVS Salzburg sind Verwaltungsstrafverfahren wegen Verdachts von Übertretungen nach §39 Abs1 lita Z2 iVm. §17 Abs1 zweiter Satz des Abfallwirtschaftsgesetzes, BGBl. 1990/325 (im folgenden: AWG 1990) idF BGBl. I 1998/151 anhängig. In erster Instanz waren aufgrund dieser Bestimmungen über die Beschuldigten Geldstrafen in der Höhe von S 25.000,- (G130/00, G131/00, G134/00 - G137/00) bzw. S 50.000,- (G132/00 und 133/00) verhängt worden, weil sie gefährlichen Abfall, nämlich (jeweils) einen nicht zum Verkehr zugelassenen näher bestimmten PKW (G130/00, G133/00, G135/00 - G137/00) bzw. (jeweils) einen Kühlschrank (G131/00, G132/00, G134/00) außerhalb genehmigter Abfallbehandlungsanlagen abgelagert haben.
Aus Anlaß der bei ihm anhängigen Berufungsverfahren stellt der UVS Salzburg die auf Art140 Abs1 B-VG gestützten - zu G130-137/00 protokollierten - Anträge auf Aufhebung der Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151.
2. §39 AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 lautet auszugsweise (die angefochtene Wortfolge ist unterstrichen):
"Strafbestimmungen
§39. (1) Sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet oder nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist zu bestrafen
a) mit Geldstrafe von 50 000 bis 500 000 S, wer
1. die Tätigkeit eines Abfall(Altöl)sammlers oder Abfall(Altöl)behandlers ausübt, ohne im Besitz der gemäß §15 Abs1 erforderlichen Erlaubnis zu sein, oder sie entgegen §15 Abs5 oder 6 oder nach einer Entziehung gemäß §15 Abs8 ausübt;
2. gefährliche Abfälle oder Altöle entgegen §17 Abs1 lagert,
behandelt oder ablagert oder gefährliche Abfälle oder Altöle entgegen
§11 Abs2 oder §17 Abs1a vermischt oder vermengt ... ."
§17 AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 lautet auszugsweise:
"Verwertungs- und Behandlungsgrundsätze
§17. (1) Gefährliche Abfälle und Altöle sind unbeschadet
weitergehender Verpflichtungen jedenfalls so zu lagern und zu behandeln (verwerten, ablagern oder sonst zu behandeln), daß Beeinträchtigungen im Sinne des §1 Abs3 vermieden werden. Das Ablagern oder das thermische Behandeln (Verbrennen) von gefährlichen Abfällen oder Altölen außerhalb von dafür genehmigten Anlagen ist unzulässig.
(1a) - (5) ..."
§12 AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 lautet auszugsweise:
"Problemstoffe
§12. (1) - (3) ...
(4) Private Haushalte, vergleichbare Einrichtungen und gemäß §125 BAO nicht buchführungspflichtige land- und forstwirtschaftliche Betriebe unterliegen hinsichtlich der bei ihnen anfallenden Problemstoffe, Altöle und sonstigen Abfälle nicht den §§13, 14 und 17 bis 20 dieses Bundesgesetzes. Für nicht gemäß §125 BAO buchführungspflichtige land- und forstwirtschaftliche Betriebe gelten hinsichtlich gefährlicher Abfälle dann nicht die §§13, 14 und 17 bis 20 dieses Bundesgesetzes, wenn diese gefährlichen Abfälle einem rücknahmebefugten Unternehmen im Sinne des §15 Abs2 Z2 übergeben werden.
(5) ..."
3.1. Der UVS Salzburg führt in den zu G130 - 137/00 beim Verfassungsgerichtshof protokollierten Anträgen aus, daß er die angefochtene Wortfolge "von 50 000" des §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 in den bei ihm anhängigen Verwaltungsstrafverfahren wegen des Verdachts einer Verwaltungsübertretung nach dieser Bestimmung (Z2) in Verbindung mit §17 Abs1 zweiter Satz AWG 1990 idF BGBl. I 151/1998 anzuwenden habe. Diese sei daher präjudiziell.
Der UVS Salzburg ist der Auffassung, die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 verstoße aus denselben Gründen gegen den Gleichheitsgrundsatz, die den Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung der Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. 1996/434 veranlaßten.
3.2. Der zu G23/01 protokollierte Antrag des UVS Salzburg sowie die zu G94-97/01 und G105, 106/01 protokollierten Anträge des UVS im Land Niederösterreich sind inhaltsgleich zu den zu G130-137/00 gestellten Anträgen. Diese Anträge konnten jedoch wegen des fortgeschrittenen Prozeßgeschehens nicht mehr in das vorliegende Verfahren einbezogen werden (vgl. aber die Ausdehnung der Anlaßfallwirkung im Spruch unter Punkt 2.).
4. Die Bundesregierung hat im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 16. März 2000, G312/97 ua., von der Erstattung einer meritorischen Äußerung Abstand genommen.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge gemäß den §§187 und 404 ZPO iVm. §35 Abs1 VerfGG 1953 zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, daß der UVS Salzburg bei Erledigung der bei ihm anhängigen Berufungen, die Anlaß zur Stellung der vorliegenden Anträge boten, jeweils die in diesen Anträgen angefochtene Bestimmung anzuwenden hätte.
1.2. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, sind die Anträge zulässig.
2. In der Sache:
Die Gesetzesprüfungsanträge sind im Ergebnis berechtigt.
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 16. März 2000, G312/97 ua., die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. 1996/434 als verfassungswidrig aufgehoben. Dazu haben ihn folgende Erwägungen veranlaßt:
"Der Strafrahmen des §39 Abs1 lita AWG 1990 wurde durch die Stammfassung des AWG 1990 geschaffen und blieb seither unverändert. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum AWG 1990 (1274 BlgNR, XVII. GP, S 42) beschränken sich hinsichtlich §39 auf die Aussage, es handle sich dabei um 'die erforderlichen Strafbestimmungen ...'. Zweck dieser Strafbestimmungen ist die Sicherung der Einhaltung der Vorschriften des AWG 1990 und damit der Verwirklichung von dessen Zielen.
Der Verfassungsgerichtshof hat bereits im Erkenntnis VfSlg. 7967/1976 ausgesprochen, daß es nicht unsachlich ist, wenn sich die Strafhöhe vor allem am Strafzweck orientiert. Demnach ist eine besondere Berücksichtigung des Strafzwecks bei Normierung der Strafhöhe gemäß §19 Abs1 VStG grundsätzlich zulässig.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß die Umwelt ein sensibles Gut und das Ziel des Umweltschutzes ein berechtigtes Anliegen ist, dessen Wahrung zu den Staatsaufgaben zählt (vgl. VfSlg. 11294/1987 unter Hinweis auf das BVG über den umfassenden Umweltschutz, BGBl. 1984/491). Selbst wenn aber aus Gründen der General- und Spezialprävention vom Gesetzgeber strenge Strafen intendiert sind, muß auch in diesen Fällen die Strafe in einem angemessenen Verhältnis zum Grad des Verschuldens und zur Höhe des durch das Vergehen bewirkten Schadens stehen (vgl. VfSlg. 9901/1983 und 11587/1987).
Wenn die Bundesregierung meint, Umweltverstöße durch Unternehmer könnten wirksam nur durch ein 'besonderes, nicht mehr wirtschaftlich einkalkulierbares Strafausmaß hintangehalten werden', so mag dies zutreffen. Die Sicherung der Einhaltung der Vorschriften des AWG 1990 und damit der Verwirklichung von dessen Zielen kann tatsächlich nur dann erreicht werden, wenn die für den Fall des rechtswidrigen Verhaltens vorgesehene Strafe derart empfindlich ist, daß ein in der Regel normgemäßes Verhalten durchgesetzt werden kann (vgl. VfSlg. 7967/1976). Ein aus präventiven Erwägungen für erforderlich befundenes Strafausmaß kann aber auch ohne die angefochtene Mindestgeldstrafe erreicht werden. Die Ausschöpfung des in §39 Abs1 lita AWG 1990 durch die Normierung einer Höchststrafe von S 500.000,- vorgesehenen Strafrahmens ermöglicht nämlich jedenfalls die Verwirklichung der durch die Verwaltungsstrafandrohung angestrebten general- und spezialpräventiven Ziele und ist - unabhängig von einer Mindestgeldstrafe - für sich bereits ausreichende Grundlage des durch diese Strafbestimmung zum Ausdruck gelangenden Unrechtsgehaltes.
Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, daß es ungeachtet des aufgezeigten Umstandes, daß die Ausschöpfung der normierten Höchststrafe für die Verwirklichung der durch die Verwaltungsstrafdrohung angestrebten Ziele prinzipiell ausreicht, im Anwendungsbereich des AWG 1990 besondere Situationen für erwerbsmäßige Abfallsammler und Abfallbehandler geben kann, in welchen etwa im Hinblick auf das dem Regelungsbereich zugrunde liegende Gefährdungspotential und das mögliche Einkalkulieren des Strafausmaßes bei Begehung einer tatbestandsmäßigen Handlung die angefochtene Mindestgeldstrafe für einen eingeschränkten Personenkreis gerechtfertigt sein könnte. In diesem Sinne versucht die Bundesregierung, die Erforderlichkeit der Höhe der angefochtenen Mindestgeldstrafe mit dem Hinweis zu begründen, daß sich die Strafbestimmungen der Ziffern 1 und 2 des §39 Abs1 lita AWG 1990 ausschließlich auf Unternehmer bzw. gewerblich tätige Personen beziehen würden und Umweltverstößen durch diesen Personenkreis nur durch Sanktionen einer gewissen Schärfe wirksam begegnet werden könne, die Verstöße wirtschaftlich unrentabel erscheinen ließen.
Nun könnte die Bestimmung in der Tat gerechtfertigt sein, wenn ihr Anwendungsbereich auf gewerbsmäßig tätige Abfallsammler und Abfallbehandler beschränkt wäre. Die Formulierung der Strafbestimmungen der Ziffern 1 und 2 des §39 Abs1 lita AWG 1990 läßt diese Einschränkung jedoch nicht zu. Insbesondere die Ziffer 2 des §39 Abs1 lita AWG 1990 ermöglicht - im Zusammenhang mit dem insbesondere durch die Bestimmungen der §§17 Abs1 und 12 Abs4 AWG 1990 legistisch unklar umschriebenen persönlichen Anwendungsbereich der verpönten Verhaltensweisen - eine den Adressatenkreis der Strafbestimmungen in der beschriebenen Weise einschränkende Deutung auf gewerbsmäßig im Bereich der Abfallwirtschaft tätige Unternehmer nicht mit ausreichender Klarheit. Die vom Gesetzgeber gewählte, zuvor aufgezeigte normative Konstruktion dieser Straftatbestände läßt in Verbindung mit den in ihnen enthaltenen Verweisungen eine eindeutige Interpretation in diesem Sinn nicht zu.
Bereits in VfSlg. 13492/1993 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß eine Gesetzesvorschrift (jedenfalls auch) gegen das Gleichheitsgebot verstößt, wenn sie wegen ihrer weitgehenden inhaltlichen Unbestimmtheit gar nicht auf ihre Gleichheitskonformität beurteilt werden kann. Die oben aufgezeigte Unklarheit und Unbestimmtheit der Verwaltungsstraftatbestände des §39 Abs1 lita Z1 und 2 AWG 1990 lassen jedoch sowohl im Hinblick auf die verpönten Verhaltensweisen als auch auf ihren persönlichen Anwendungsbereich eine ausreichende Klarheit vermissen und ermöglichen es insbesondere nicht, die Verbote als ausschließlich an gewerbsmäßig tätige Abfallsammler oder Abfallbehandler gerichtet zu verstehen. Die angefochtene Mindestgeldstrafe ist daher jedenfalls überschießend und insofern sachlich nicht zu rechtfertigen, sodaß sie mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitsgebot unvereinbar ist.
Die durch die Wortfolge 'von 50 000' in §39 Abs1 lita AWG 1990 festgesetzte Mindestgeldstrafe widerspricht somit dem Gleichheitsgrundsatz und ist als verfassungswidrig aufzuheben."
Der Verfassungsgerichtshof ist auf Grund des zitierten Erkenntnisses vom 16. März 2000 der Auffassung, daß auch die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht.
Die Wortfolge "von 50 000" in §39 Abs1 lita AWG 1990 idF BGBl. I 1998/151 ist daher als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Im Hinblick auf die weiteren bei ihm anhängigen - zu G23/01, G94-97/01 und G105, 106/01 protokollierten - Gesetzesprüfungsverfahren (vgl. oben Punkt I.3.2.) hat der Verfassungsgerichtshof beschlossen, von der ihm gemäß Art140 Abs7 zweiter Satz B-VG eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen und die Anlaßfallwirkung auch auf das beim UVS Salzburg zur Zl. UVS-5/10.965/2-2000 anhängige Verfahren und auf die beim Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich zu den Zlen. Senat-HO-00-009, Senat-WB-00-001, Senat-TU-00-020, Senat PL-99-242, Senat-MD-00-021 und Senat-BN-00-028 anhängigen Verfahren auszudehnen. Eine weitere Behandlung dieser Anträge erübrigt sich folglich (vgl. VfSlg. 14701/1996 mwH auf die Rspr.).
4. Die Aussprüche über das Nichtwiederinkrafttreten gesetzlicher Bestimmungen sowie über die Kundmachung der Aufhebung stützen sich auf Art140 Abs5 und 6 B-VG.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Abfallwirtschaft, VfGH / Aufhebung WirkungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2001:G130.2000Dokumentnummer
JFT_09989773_00G00130_00