TE Vwgh Erkenntnis 2004/10/20 2002/08/0266

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Veröffentlicht am 20.10.2004
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB);
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

ABGB §137 Abs1;
ABGB §144;
AlVG 1977 §38;
AlVG 1977 §7 Abs3 Z1;
AlVG 1977 §9;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller und Dr. Sulyok als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der B in F, vertreten durch Mag. E, Referent der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Oberösterreich, dieser vertreten durch Mag. German Storch und Mag. Rainer Storch, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Bürgerstraße 62, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 8. Oktober 2002, Zl. LGSOÖ/Abt. 4/1282/0697/2002, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Schreiben vom 9. August 2002 übermittelte die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice der Beschwerdeführerin folgendes Stellenangebot:

"4 Verpacker/innen für die Verpackung von Gläsern und die Vorbereitung der Kartonagen, Alter egal, Anlehre, Teilzeitbeschäftigung im Ausmaß von 30 Stunden pro Woche, flexible Arbeitszeit (je nach Auftragslage) zwischen 6:00 und 20:00 Uhr, fallweise auch am Samstag, Entlohnung nach Kollektivvertrag,

Dienstgeber: LT L. GmbH, Transporte, .... Bewerbung nach

telefonischer Terminvereinbarung mit Frau S. Tel.: ... ."

Am 19. August 2002 wurde mit der Beschwerdeführerin vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Niederschrift aufgenommen, in der als Begründung für die Nichtannahme bzw. das Nichtzustandekommen einer zugewiesenen Beschäftigung zu lesen ist:

"... Die Rahmenarbeitszeit ist von 6:00 bis 20:00 Uhr auf Abruf. Überstundenbereitschaft wird vorausgesetzt. Ich kann in der Früh erst ab 7:30 Uhr und um 13 Uhr kommt dann meine Tochter von der Schule. Die Arbeitsstelle ist nicht mit dem öffentlichen Verkehrsmittel erreichbar, ich müsste von der Bahnstation noch 2 km gehen. Einen privaten PKW habe ich zur Verfügung. ... Tochter geht am Vormittag in die Schule, daher wäre eine Arbeitsstelle mit Teilzeit am Vormittag am günstigsten."

Mit Bescheid vom 28. August 2002 wurde ausgesprochen, die Beschwerdeführerin habe ihren Anspruch auf Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 19. August 2002 bis 29. September 2002 verloren.

In ihrer Berufung gegen diesen Bescheid führte die Beschwerdeführerin - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - aus:

Es sei von ihr eine Leistungserbringung von zumindest 30 Wochenstunden verlangt worden. Sie habe zwei Kinder im Alter von 14 und 10 Jahren. Die Entfernung zwischen ihrem Wohnort und der Arbeitsstätte hätte rund 8 km betragen. Die Voraussetzungen der angebotenen Beschäftigung seien mit den Pflichten der Beschwerdeführerin zur Kindererziehung nicht vereinbar gewesen.

Mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid wurde der Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben. In der Begründung wurde das Verwaltungsgeschehen dargestellt und hiebei aus dem Inhalt eines Telefonates der belangten Behörde mit dem präsumtiven Dienstgeber - soweit für das Beschwerdeverfahren von Bedeutung - festgehalten, "es handle sich um eine meist geregelte Tätigkeit, aber doch auch flexibel nach Auftragslage, keine Leistung von Überstunden, eventuell ab und zu Mehrleistungsstunden".

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde aus, die Versorgung von Familienangehörigen sei lediglich bei einer Beschäftigung außerhalb des Wohn- oder Aufenthaltsortes zu berücksichtigen. Die zugewiesene Arbeitsstätte sei zwar außerhalb des Wohnortes der Beschwerdeführerin gelegen, die Wegstrecke zum präsumtiven Dienstgeber sei jedoch nicht länger als die zu einem fiktiven Dienstgeber am Wohnort, sondern sogar um halben Kilometer kürzer. Es ergebe sich daher kein erhöhter Zeitaufwand für das Erreichen des Dienstgebers außerhalb des Wohnortes der Beschwerdeführerin, weshalb auch die Betreuungspflichten für ihre Kinder die Zumutbarkeit der angebotenen Beschäftigung nicht beeinträchtigten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.

Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Rahmenarbeitszeit bei der zugewiesenen Beschäftigung wäre "von 6 bis 20 Uhr auf Abruf" gewesen, wobei Überstundenbereitschaft vorausgesetzt worden wäre. Eine Arbeitszeit "auf Abruf" sei nicht nur "gesetzes- und sittenwidrig", sondern auch in Hinblick auf ihre Kinderbetreuungspflichten unzumutbar. Die Beschwerdeführerin habe zwei Töchter im Alter von zehn und vierzehn Jahren, die beide nach der Schule zwischen 13 und 14 Uhr nach Hause kämen. Die Beschwerdeführerin habe dafür zu sorgen, dass ihre Kinder morgens in die Schule kämen, mit Mittagessen versorgt seien und nachmittags ihre Hausaufgaben erledigen würden. Ihr Mann könne diese Tätigkeit auf Grund seiner Arbeitszeit von 7 Uhr bis 16.30 Uhr nicht erbringen. Da der Beschwerdeführerin keine konkrete Arbeitszeit genannt worden sei, sei die ihr zugewiesene Beschäftigung nicht mit ihren Betreuungspflichten vereinbar gewesen.

Die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde verstoße weiters gegen die die Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit.

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahren vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Der Beschwerdefall gleicht in den für die Entscheidung wesentlichen Einzelheiten in Ansehung der behaupteten Gemeinschaftswidrigkeit jenem, der dem hg. Erkenntnis vom 23. April 2003, Zl. 2002/08/0275, zu Grunde lag. In diesem Erkenntnis verneinte der Verwaltungsgerichtshof das Vorliegen einer indirekten Diskriminierung im Sinne des Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 79/7/EWG; er beurteilte aber die Vermittlung einer Arbeitslosen zu Beschäftigungen, die auch mit der Verpflichtung zur Erbringung von Arbeitsleistungen während der Abend- und Nachtstunden (sowie an Sonn- und Feiertagen) verbunden sind, im Hinblick auf die die Arbeitslose treffenden, die Verfügbarkeit insoweit einschränkenden, sie aber nicht ausschließenden gesetzlichen Obsorgepflichten für ein minderjähriges Kind als von vornherein unzulässig. Auf die nähere Begründung dieses Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.

Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin eine ihr angebotene Beschäftigung im Hinblick auf ihre Obsorgepflichten für ihre zwei Kinder im Alter von 10 und 14 Jahren nicht angenommen, weil die hier genannte tägliche Rahmenarbeitszeit von 6 Uhr bis 20 Uhr aus ihrer Sicht mit den sie treffenden Obsorgepflichten nicht vereinbar gewesen sei.

Die belangte Behörde ist auf die Rahmenarbeitszeit (flexible Arbeitszeit je nach Auftragslage zwischen 6 Uhr und 20 Uhr, fallweise auch am Samstag) nicht eingegangen, sondern hat sich lediglich auf die (geringe) Entfernung des präsumtiven Dienstortes vom Wohnort der Beschwerdeführerin gestützt. Ebenso hat sie eine nähere Auseinandersetzung mit der - eingeschränkten, aber nicht gänzlich weggefallenen - Verfügbarkeit der Beschwerdeführerin im Sinne des zitierten Erkenntnisses vom 23. April 2003 unterlassen. Auch im vorliegenden Fall erweist sich daher der mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe als rechtswidrig. Im Übrigen wird sich die belangte Behörde mit der von der Beschwerdeführerin aufgeworfenen Frage der Sittenwidrigkeit von Arbeit auf Abruf auseinander zu setzen und dazu die näheren Umstände der Arbeitserbringung der in Aussicht genommenen Tätigkeit zu ermitteln haben. Sollte es sich tatsächlich um eine Variante gehandelt haben, bei der sich die Arbeitnehmer während bestimmter Zeiten ohne Anspruch auf Entgeltleistung, aber auch ohne Anspruch darauf, zur Arbeitsleistung herangezogen zu werden, bereithalten müssen, um bei Bedarf abgerufen werden zu können, so wäre dies als sittenwidrig zu beurteilen und daher die Tätigkeit zur Vermittlung nicht geeignet (vgl. dazu OGH vom 6. Juli 1998, 8 ObA 15/98h, und vom 12. Februar 1992, 9 ObA 247/91, sowie das hg. Erkenntnis vom 30. April 1991, 90/08/0134).

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 20. Oktober 2004

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2004:2002080266.X00

Im RIS seit

25.11.2004
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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