Index
E1E;Norm
11997E039 EG Art39;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des J in G, vertreten durch Dr. Martina Schweiger-Apfelthaler, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Graf Starhemberg-Gasse 39/12, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 18. November 2003, Zl. LGS NÖ/JUR/12181/2003, betreffend Nachsicht des Ruhens des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde dem Antrag des Beschwerdeführers, das Ruhen des ihm gemäß § 23 Abs. 1 AlVG vorschussweise gewährten Arbeitslosengeldes gemäß § 16 Abs. 3 AlVG für den Zeitraum vom
14. bis 24. August 2003 nachzusehen, keine Folge gegeben. Nach dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt hat der Beschwerdeführer am 14. April 2000 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension gestellt und gegen den abweisenden Bescheid Klage beim Landesgericht Wiener Neustadt eingebracht. Am 29. Jänner 2003 habe der Beschwerdeführer den Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld als Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung gestellt und es sei ihm ein Pensionsvorschuss in Höhe von EUR 23,87 täglich zuerkannt und angewiesen worden. Vom 30. Jänner bis 12. Februar 2003, vom 16. Februar bis 4. Juli 2003, vom 14. Juli bis 14. August 2003, vom 25. August bis 17. September 2003 und seit 23. September 2003 habe der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld als Pensionsvorschuss bezogen. Mit Schreiben vom 7. August 2003 habe der Beschwerdeführer der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Mödling bekannt gegeben, dass er von seinem Bruder und seiner Familie zu einem gemeinsamen Urlaub auf Sylt eingeladen worden sei. Gleichzeitig würde sich ihm auch die Möglichkeit bieten, seine 82-jährige Mutter zu besuchen. Unter Hinweis auf eine Stellungnahme seiner Hausärztin, wonach es aus gesundheitlicher Sicht, "aber unter den gegebenen Umständen auch aus finanzieller Sicht" empfehlenswert wäre, der Einladung seines Bruders zu folgen, ersuchte der Beschwerdeführer, von der Einstellung der Leistung abzusehen, da er seit seinem Unfall keinen Erholungsurlaub mehr gehabt habe, und es ihm auch finanziell nicht möglich sei, einen Urlaub in Österreich zu verbringen.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass - auch wenn Pensionswerber nicht zur Suche eines Arbeitsplatzes verpflichtet seien und daher von der Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft abgesehen werde - für die Gewährung von Pensionsvorschuss die übrigen Voraussetzungen für Arbeitslosengeld gegeben sein müssten. Die Bestimmung des § 16 Abs. 1 lit. g AlVG (Ruhen des Arbeitslosengeldes bei Auslandsaufenthalt) sei auch bei Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung anwendbar; bei Vorliegen von entsprechenden Nachsichtsgründen könne gemäß § 16 Abs. 3 AlVG das Ruhen der Leistung für höchstens drei Monate während eines Leistungsanspruches nachgesehen werden. Der Auslandsaufenthalt beruhe nicht auf zwingenden familiären Gründen. Die Empfehlung des Urlaubs seitens der Hausärztin des Beschwerdeführers aus gesundheitlicher und auch finanzieller Sicht stelle keinen zwingenden familiären Grund im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG dar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. g AlVG ruht der Anspruch auf Arbeitslosengeld während des Aufenthaltes im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind. § 16 Abs. 3 sieht vor, dass auf Antrag des Arbeitslosen das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches nachzusehen ist. Berücksichtigungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dass § 16 Abs. 1 lit. g AlVG auf Bezieher eines Pensionsvorschusses nicht anwendbar sei. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 17. Dezember 1999, Zl. 99/02/0273, ausgesprochen hat, dass § 16 Abs. 1 lit. g AlVG auch auf Pensionsvorschussbezieher anwendbar ist. Dies hindert jedoch nicht, bei der Beurteilung des Vorliegens berücksichtigungswürdiger Umstände im Sinne des § 16 Abs. 3 AlVG auch darauf Bedacht zu nehmen, ob die Anwesenheit des Arbeitslosen, der gemäß § 23 AlVG vorschussweise Arbeitslosengeld bezieht, im Inland aus Gründen, die mit dem Leistungsanspruch in Zusammenhang stehen, erforderlich ist. So wird der Bewilligung eines Auslandsaufenthaltes für Bezieher eines Pensionsvorschusses bei Vorliegen familiärer Gründe in der Regel dann und so lange nichts entgegenstehen, als mit einer Entscheidung über den Pensionsantrag noch nicht gerechnet werden kann und auch sonst keine Umstände vorliegen, die auf den Leistungsbezug Auswirkungen haben können.
Im vorliegenden Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen deutschen Staatsangehörigen handelt, der vor seiner Arbeitslosigkeit in Österreich beschäftigt war und hier auch wohnhaft ist. Auch wenn im konkreten Fall die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 (EWG) nicht Anwendung finden, da der Beschwerdeführer die gegenständliche Reise nicht zur Arbeitssuche unternehmen wollte, sind die Bestimmungen des AlVG doch unter Berücksichtigung der Ziele der Art. 39 bis 42 EG auszulegen. Während dem Bezieher eines Pensionsvorschusses, dessen Familie in Österreich wohnt, der Besuch seiner Familie ohne Einschränkungen des Leistungsbezuges möglich ist, unterliegt im Falle des Beschwerdeführers jeder Besuch bei der - in seinem Herkunftsstaat verbliebenen - Familie einer Überprüfung dahingehend, ob dafür zwingende Gründe vorliegen. Legt man die Voraussetzungen für die Genehmigung eines Auslandsaufenthaltes nach § 16 Abs. 3 AlVG bei Beziehern eines Pensionsvorschusses - deren Anwesenheit im Inland nicht aus Gründen der Verfügbarkeit für die Arbeitsvermittlung erforderlich ist - daher in gleicher Weise aus wie bei Arbeitslosen, für deren Leistungsbezug die Arbeitsbereitschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 AlVG, anders als für Bezieher eines Pensionsvorschusses, Voraussetzung ist, so wäre dies geeignet, Personen aus anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft davon abzuhalten, in Österreich Beschäftigung zu suchen und ihren Wohnsitz zu begründen, da sie - bei der gebotenen abstrakten Betrachtung - bei der Wahrnehmung ihrer familiären Beziehungen weiter gehenden Einschränkungen unterworfen wären als jene Personen, deren Familie in Österreich ihren Aufenthalt hat (vgl. zur gebotenen Auslegung unter Berücksichtigung der Art. 39 bis 42 EG das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 5. Oktober 1994, van Munster, Slg 1994, I-4697).
Bei der Auslegung des § 16 Abs. 3 AlVG ist daher im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass dem Beschwerdeführer als Bezieher eines Pensionsvorschusses jedenfalls angemessene soziale Kontakte mit seiner - in seinem Herkunftsmitgliedstaat verbliebenen - Familie in wichtigen Fällen zu ermöglichen sind, ohne dass während des für die Wahrnehmung dieser familiären Kontakte (einschließlich der dazu notwendigen Reisebewegungen) erforderlichen, je nach Anlass angemessenen Zeitraumes Ruhen seines Leistungsanspruchs eintritt; dabei sind bereits erteilte Nachsichten entsprechend zu berücksichtigen.
Indem die belangte Behörde bei der nach § 16 Abs. 3 AlVG vorzunehmenden Gesamtabwägung im Rahmen der Prüfung der "zwingenden familiären Gründe" die im Beschwerdefall gegebenen besonderen Umstände - wonach der Beschwerdeführer für die Dauer des Bezugs eines Pensionsvorschusses nicht im Sinne des § 7 AlVG im Inland verfügbar sein musste und zudem jedenfalls ein wesentlicher Teil seiner Familie in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union lebt, dessen Staatsangehöriger der Beschwerdeführer ist - nicht berücksichtigt hat, ist der angefochtene Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Das Mehrbegehren war abzuweisen, da im zugesprochenen Schriftsatzaufwand von EUR 991,20 die Umsatzsteuer bereits enthalten ist.
Wien, am 20. Oktober 2004
Gerichtsentscheidung
EuGH 61991J0165 Van Munster VORABEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080270.X00Im RIS seit
17.01.2005Zuletzt aktualisiert am
11.11.2011