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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §12 Abs3 litf;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde des R in W, vertreten durch Dr. Georg Schönherr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Stubenring 16, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 1. Oktober 2003, Zl. LGSW/Abt. 10-AlV/1218/56/2003-1749, betreffend Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer stellte am 3. Juli 2003 einen Antrag auf Gewährung von Arbeitslosengeld, wobei er festhielt, dass er als Tag der Geltendmachung den 25. Juli 2003 betrachte. Im bundeseinheitlichen Antragsformular gab er zur Frage 9 an, dass er sich in Ausbildung an der Universität Wien befinde. In der mit ihm am 29. Juli 2003 aufgenommenen Niederschrift vor der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz gab der Beschwerdeführer an, dass das letzte Dienstverhältnis am 2. Dezember 2002 geendet habe. Die Frage, ob er dieses Dienstverhältnis selbst zur Fortsetzung der Ausbildung aufgelöst habe, wurde durch Ankreuzen mit "Nein" beantwortet. Das Ausmaß der Ausbildung betrage acht Stunden pro Woche.
Mit Bescheid vom 30. Juli 2003 gab die regionale Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz dem Antrag auf Zuerkennung von Arbeitslosengeld mangels Arbeitslosigkeit keine Folge, da der Beschwerdeführer nicht während eines Zeitraumes von 12 Monaten vor Geltendmachung mindestens 39 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er, bevor er am 2. Dezember 2002 arbeitslos wurde, mehr als 39 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Dass er erst am 25. Juli 2003 um Arbeitslosengeld angesucht habe, liege daran, dass er ab dem 3. Dezember 2002 "krankgeschrieben" gewesen sei und von der Wiener Gebietskrankenkasse bis zum 5. Juni 2003 Krankengeld bezogen habe. Er habe sich am Tag nach Erhalt der Benachrichtigung der Wiener Gebietskrankenkasse über das Ende des Krankengeldbezuges beim Arbeitsmarktservice gemeldet. An diesem Tag habe er jedoch einen 22-tägigen Rehabilitationsaufenthalt angetreten, sodass sein nächster Termin beim Arbeitsmarktservice erst nach Ende des Rehabilitationsaufenthaltes gewesen sei.
Mit dem nunmehr in Beschwerde gezogenen Bescheid hat die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers abgewiesen. Sie stellte fest, dass der Beschwerdeführer vom 3. Jänner 2000 bis zum 2. Dezember 2002 in einem arbeitslosenversicherungspflichtigen Dienstverhältnis bei der Firma A gestanden war und vom 16. Dezember 2002 bis zum 5. Juni 2003 Krankengeld bezogen hatte. Vom 3. Juli bis zum 24. Juli 2003 habe er sich in einer Rehabilitationsmaßnahme der Pensionsversicherungsanstalt befunden. Der Beschwerdeführer sei seit Oktober 1987 als ordentlicher Hörer an der Universität Wien immatrikuliert und inskribiert.
In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass eine Person, die als ordentlicher Hörer an einer Universität immatrikuliert und inskribiert sei, grundsätzlich nicht als arbeitslos gelte. Ausgenommen von diesem Grundsatz seien nur so genannte Werkstudenten, das seien Personen, die innerhalb der letzten zwölf Monate vor Geltendmachung ihres Anspruches zumindest 39 Wochen, davon 26 Wochen durchgehend, gleichzeitig studiert hätten und einer oder mehreren
arbeitslosenversicherungspflichtigen Tätigkeiten nachgegangen seien (so genannte Parallelität). Der Beschwerdeführer könne diese 39 Wochen gleichzeitiger arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung neben seinem Studium nicht nachweisen, da er sich nach Beendigung seines Dienstverhältnis mit 2. Dezember 2002 ein halbes Jahr lang im Krankenstand befunden habe und somit keiner arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen sei. Er gelte daher nicht als arbeitslos und habe daher auch keinen Anspruch auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 12 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) in der hier zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 71/2003 ist arbeitslos, wer nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keine neue Beschäftigung gefunden hat. Als arbeitslos gilt gemäß § 12 Abs. 3 lit. f leg. cit. nicht, wer in einer Schule oder in einem geregelte Lehrgang - so als ordentlicher Hörer einer Hochschule, als Schüler einer Fachschule oder einer mittleren Lehranstalt - ausgebildet wird. Abweichend von dieser Bestimmung gilt jedoch nach § 12 Abs. 4 AlVG als arbeitslos, wer
"1. während eines Zeitraumes von zwölf Monaten vor der Geltendmachung mindestens 39 Wochen, davon 26 Wochen durchgehend, oder mindestens die Hälfte der Ausbildungszeit, wenn diese kürzer als zwölf Monate ist, arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war,
2. zugleich dem Studium oder der praktischen Ausbildung nachgegangen ist und
3. die letzte Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit nicht selbst zwecks Fortsetzung des Studiums oder der praktischen Ausbildung freiwillig gelöst hat."
Der Beschwerdeführer räumt ein, dass das letzte Dienstverhältnis, das er vor Geltendmachung des Arbeitslosengeldes ausgeübt habe, bereits am 2. Dezember 2002 geendet habe, sodass sich zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruches auf Gewährung von Arbeitslosengeld am 25. Juli 2003 lediglich ein Zeitraum von knapp 19 Wochen an arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung ergebe. Bei richtiger Gesetzesauslegung sei jedoch in die Zeit der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nach § 12 Abs. 4 Z 1 AlVG auch die Zeit des Krankengeldbezuges - im Falle des Beschwerdeführers waren dies 26 Wochen - einzubeziehen. Das Erfordernis der Einbeziehung der Zeit des Krankengeldbezuges ergebe sich aus einer systematischen Zusammenschau zwischen § 12 Abs. 4 Z 1 AlVG und dem die Voraussetzungen der Anwartschaft auf Arbeitslosengeld regelnden § 14 AlVG. Gemäß § 14 Abs. 1 AlVG sei bei der erstmaligen Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes die Anwartschaft dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Nach § 14 Abs. 4 lit. c AlVG seien auf die Anwartschaft im Inland zurückgelegte oder auf Grund inländischer Rechtsvorschriften erworbene Zeiten des Bezuges von Krankengeld aus einer Krankenversicherung auf Grund eines arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses anzurechnen. Diese Bestimmungen bezögen sich auf sämtliche Arbeitslosen, somit auch auf Werkstudenten, die lediglich unter Erfüllung der Voraussetzungen der Ausnahmebestimmungen des § 12 Abs. 4 AlVG als arbeitslos gelten. Eine andere Auslegung des § 12 Abs. 4 Z 1 AlVG wäre überdies gleichheitswidrig, da in diesem Fall sämtlichen Arbeitslosen außer Werkstudenten eine Erkrankung im Falle einer darauf folgenden Arbeitslosigkeit nicht zum Nachteil gereichen würde, während den Werkstudenten ein solcher Nachteil sehr wohl drohte.
Im vorliegenden Beschwerdefall ist allein entscheidend, ob die Zeit des Krankengeldbezuges als Zeit der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Sinne des § 12 Abs. 4 AlVG anzusehen ist. Während der Zeit des Bezuges von Krankengeld war der Beschwerdeführer unstrittig nicht arbeitslosenversichert im Sinne des § 1 Abs. 1 AlVG.
Wie der Beschwerdeführer zutreffend ausführt, gilt die Regelung der Anwartschaft im § 14 AlVG grundsätzlich für jeden Fall der Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes. Unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 4 AlVG haben auch Werkstudenten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der grundsätzliche Ausschluss der im § 12 Abs. 3 lit. f AlVG genannten Personengruppe vom Bezug von Arbeitslosengeld ist darin begründet, dass der Gesetzgeber von der Vermutung der Unvereinbarkeit der Ausbildung mit einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung und damit auch von der Vermutung des Fehlens der Verfügbarkeit für eine Vermittlung durch das Arbeitsamt bzw. des Fehlens der Möglichkeit eines Bemühens um eine neue zumutbare Beschäftigung ausgeht. Dadurch soll verhindert werden, dass das Arbeitslosengeld - systemwidrig - zur Finanzierung einer solchen Ausbildung herangezogen wird, statt dazu zu dienen, nach Maßgabe der Bestimmungen des AlVG den Entgeltausfall nach Verlust der arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung bis zur Wiedererlangung einer neuen Beschäftigung abzugelten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Juni 2004, Zl. 2001/08/0049). Im Falle des Werkstudenten, der lange Zeit hindurch parallel studiert und arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt ist, treffen diese Annahmen nicht zu, sodass der Gesetzgeber dafür die "Rückausnahme" im § 12 Abs. 4 AlVG geschaffen hat. In diesen Fällen geht der Gesetzgeber daher davon aus, dass der Werkstudent, sofern er bislang neben seinem Studium auch einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung nachhaltig nachgegangen ist, weiterhin verfügbar im Sinne des § 7 AlVG ist. Zeiten des Krankengeldbezuges - in denen bei der gebotenen abstrahierenden Betrachtung nicht nur nicht gearbeitet, sondern auch nicht studiert werden kann - unterbrechen die Parallelität von Studium und Beschäftigung nicht (vgl - zur Rechtslage nach § 12 Abs. 4 AlVG idF BGBl. Nr. 314/1994 - das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0153).
Die von der belangten Behörde vorgenommene Auslegung, wonach Zeiten des Krankengeldbezuges, anders als bei der Berechnung der Anwartschaft gemäß § 14 AlVG, in der Weise in die nach § 12 Abs. 4 AlVG zu berücksichtigenden Zeiträume arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung einbezogen werden, dass sie die im Zeitpunkt der Beendigung des anwartschaftsbegründenden Beschäftigungsverhältnisses vorliegende "Parallelität" von Beschäftigung und Studium obsolet machen, führt zu einer im Lichte des Gleichheitssatzes nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung von Werkstudenten untereinander.
Dies wird auch noch dadurch untermauert, dass es dem Beschwerdeführer auch mit Erfolg möglich gewesen wäre, unmittelbar nach Beendigung seiner Beschäftigung die Zuerkennung von Arbeitslosengeld zu beantragen, freilich mit der Konsequenz, dass der Anspruch bis zur Beendigung des Krankengeldanspruches bzw. des Rehabilitationsaufenthaltes geruht hätte. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer seinen Antrag erst nach Beendigung des Ruhenszeitraumes gestellt hat, vermag daher das Auslegungsergebnis der belangten Behörde nicht zu rechtfertigen.
§ 46 Abs. 1 AlVG sieht sogar vor, dass eine verspätete Antragsabgabe aus Krankheitsgründen - ungeachtet des späteren Anfalls der Leistung wegen des Ruhensgrundes - auf den Tag der Ausgabe des Formulars zurückbezogen werden kann. Daraus kann daher im Wege eines Induktionsschlusses der auch hier anzuwendende Grundsatz gewonnen werden, dass der Zeitraum des Krankengeldbezuges als Ruhenszeitraum bei Beurteilung der Parallelität von Studium und Beschäftigung zur Gänze außer Betracht zu lassen ist.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 20. Oktober 2004
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003080265.X00Im RIS seit
25.11.2004