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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner sowie die Hofräte Dr. Gall, Dr. Pallitsch, Dr. Schick und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der I in W, vertreten durch Dr. Karl Franz Leutgeb, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Weißgerberlände 40, gegen den Bescheid der Berufungskommission beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen vom 26. November 2002, Zl. GZ: 44.140/22-7/02, betreffend nachträgliche Zustimmung zur Kündigung (mitbeteiligte Partei: Stadtgemeinde Baden, vertreten durch Gruböck & Gruböck Rechtsanwälte OEG in 2500 Baden, Beethovengasse 4-6), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Das Kostenmehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die im Jahre 1943 geborene Beschwerdeführerin gehört seit dem Jahre 1985 dem Kreis der begünstigten Behinderten an (Bescheid des Landesinvalidenamtes für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 7. Juli 1985). Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 28. September 1989 wurde der Grad ihrer Behinderung mit 80% festgesetzt. Ab 16. April 1962 stand die Beschwerdeführerin zunächst in einem privatrechtlichen und ab 1. Oktober 1963 als Stationsgehilfin in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zur Stadt Wien. Mit Wirksamkeit vom 1. November 1990 wurde sie von der Gemeinde Wien wegen dauernder Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.
Auf Grund des Dienstvertrages vom 21. März 1990 war die Beschwerdeführerin mit Wirkung ab 15. Jänner 1990 bei der mitbeteiligten Stadtgemeinde als Stationsgehilfin mit 40 Wochenstunden beschäftigt.
Am 28. Juni 1993 beantragte die mitbeteiligte Stadtgemeinde die nachträgliche Zustimmung zu der bereits am 30. Oktober 1990 der Beschwerdeführerin gegenüber wegen mangelnder Arbeitsleistung und ungebührlichen Umganges mit Patienten ausgesprochenen Kündigung.
Mit Bescheid vom 19. Februar 2002 erteilte der im Bundessozialamt für Wien, Niederösterreich und Burgenland errichtete Behindertenausschuss für Niederösterreich gemäß § 8 Abs. 2 Behinderteneinstellungsgesetz 1989 (BEinstG) die erforderliche nachträgliche Zustimmung zur Kündigung der Beschwerdeführerin.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin keine Folge gegeben.
Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 23. September 2003, B 413/03-15, abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur weiteren Behandlung abgetreten. Vor dem Verwaltungsgerichtshof bekämpft die Beschwerdeführerin den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Sie behauptet, dass dem Verfahren vor der Behörde erster Instanz als Dienstgebervertreter ein Bediensteter der Stadtgemeinde Wien beigezogen worden sei, weshalb die nachträgliche Zustimmung zur Kündigung entgegen § 7 Abs. 1 AVG nicht von einem unbefangenen Organ erlassen worden sei. Die belangte Behörde hätte daher ohne weitere Prüfung der Sache den erstinstanzlichen Bescheid wegen Befangenheit eines Mitgliedes gemäß § 68 Abs. 4 AVG für nichtig erklären müssen, weil das erkennende Kollegialorgan nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen sei. Das Verfahren vor der Behörde erster Instanz sei mangelhaft gewesen, weil bei der mündlichen Verhandlung nicht sämtliche stimmberechtigten Mitglieder dieses Kollegialorganes anwesend gewesen seien. Es liege daher ein Verstoß gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit vor. Verfahrensvorschriften seien auch deshalb verletzt worden, weil die von der Beschwerdeführerin beantragten Zeugen nicht einvernommen worden seien.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor.
Die mitbeteiligte Partei erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 8 und § 12 BEinstG in der im Beschwerdefall maßgeblichen Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 60/2001 lauten (auszugsweise):
"§ 8. (1) Das Dienstverhältnis eines begünstigten Behinderten darf vom Dienstgeber, sofern keine längere Kündigungsfrist einzuhalten ist, nur unter Einhaltung einer Frist von vier Wochen gekündigt werden. Ein auf Probe vereinbartes Dienstverhältnis kann während des ersten Monates von beiden Teilen jederzeit gelöst werden.
(2) Die Kündigung eines begünstigten Behinderten (§ 2) darf von einem Dienstgeber erst dann ausgesprochen werden, wenn der Behindertenausschuss (§ 12) nach Anhörung des Betriebsrates oder der Personalvertretung im Sinne des Bundes-Personalvertretungsgesetzes bzw. der entsprechenden landesgesetzlichen Vorschriften sowie nach Anhörung des zur Durchführung des Landes-Behindertengesetzes jeweils zuständigen Amtes der Landesregierung zugestimmt hat; dem Dienstnehmer kommt in diesem Verfahren Parteistellung zu. Eine Kündigung ohne vorherige Zustimmung des Behindertenausschusses ist rechtsunwirksam, wenn dieser nicht in besonderen Ausnahmefällen nachträglich die Zustimmung erteilt.
(3) Der Behindertenausschuss hat bei seiner Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten die besondere Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers zu berücksichtigen und unter Beachtung des § 6 zu prüfen, ob dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes zugemutet werden kann.
(4) Die Fortsetzung des Dienstverhältnisses wird dem Dienstgeber insbesondere dann nicht zugemutet werden können, wenn
a) der Tätigkeitsbereich des begünstigten Behinderten entfällt und der Dienstgeber nachweist, dass der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann;
b) der begünstigte Behinderte unfähig wird, die im Dienstvertrag vereinbarte Arbeit zu leisten, sofern in absehbarer Zeit eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht zu erwarten ist und der Dienstgeber nachweist, dass der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiterbeschäftigt werden kann;
c) der begünstigte Behinderte die ihm auf Grund des Dienstverhältnisses obliegenden Pflichten beharrlich verletzt und der Weiterbeschäftigung Gründe der Arbeitsdisziplin entgegenstehen.
...
§ 12. ...
(2) Der Behindertenausschuss besteht aus:
a) dem Leiter des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder einem von ihm bestimmten Beamten aus dem Stande des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen als Vorsitzenden;
b) einem Vertreter der örtlich zuständigen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice;
c)
je einem Vertreter der Dienstnehmer und Dienstgeber;
d)
drei Vertretern der organisierten Behinderten.
...
(4) Die im Abs. 2 lit. c und d genannten Mitglieder des Behindertenausschusses sowie die gleiche Zahl von Ersatzmitgliedern sind vom Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales auf Grund von Vorschlägen der hiezu berufenen Interessenvertretungen auf die Dauer von vier Jahren zu bestellen."
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt - wie die belangte Behörde zutreffend ausführte - die Entscheidung darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung eines Behinderten erteilt werden soll, im freien Ermessen der Behörde. Bei dieser Ermessensentscheidung ist es Aufgabe der Behörde, das berechtigte Interesse des Dienstgebers an der Beendigung des Dienstverhältnisses und die besondere soziale Schutzbedürftigkeit des Dienstnehmers im Einzelfall gegeneinander abzuwägen und unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände zu prüfen, ob dem Dienstgeber die Fortsetzung des Dienstverhältnisses oder dem Dienstnehmer der Verlust seines Arbeitsplatzes eher zugemutet werden kann (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 11. Juli 2000, Zl. 2000/11/0096, mwN.). Durch die Novellierung mit dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 17/1999 sollte sich nach der Absicht des Gesetzgebers daran nichts ändern (vgl. den AB 1543 BlgNR 20. GP). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Ermessensentscheidung entsprechend Art. 130 Abs. 2 B-VG ausschließlich daraufhin zu prüfen, ob die belangte Behörde von dem ihr eingeräumten Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat oder ob dies - in Form einer Ermessensüberschreitung oder eines Ermessensmissbrauches - nicht der Fall gewesen ist. Eine solche Prüfung setzt freilich voraus, dass alle für diese Entscheidung wesentlichen tatsächlichen Umstände unter Einhaltung der maßgebenden Verfahrensvorschriften ermittelt und in der Bescheidbegründung festgestellt wurden. Es unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle, ob alle für die Ermessensübung maßgebenden Umstände in die Abwägung einbezogen wurden, sowie ferner, ob die Behörde Umstände in die Erwägungen einbezogen hat, die bei richtiger rechtlicher Beurteilung dabei nicht berücksichtigt werden dürften (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. September 2003, Zl. 2001/11/0332, mwN).
Über die bei jeder Entscheidung über einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung eines begünstigten Behinderten im Rahmen der Ermessensentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung hinaus ist bei der Entscheidung über einen Antrag auf nachträgliche Zustimmung zur Kündigung noch zu prüfen, ob ein besonderer Ausnahmefall im Sinne des § 8 Abs. 2 zweiter Satz BEinstG vorliegt, in dem dem Dienstgeber die vorherige Einholung der Zustimmung nicht zugemutet werden kann. Die besonderen Ausnahmegründe haben in diesem Fall ergänzend zu den für die grundlegende Interessenabwägung maßgebenden Gründen zu treten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Jänner 2000, Zl. 99/11/0144, mwN). Ob die nachträgliche Zustimmung zu einer bereits ausgesprochenen Kündigung zu erteilen ist, kann daher erst geprüft werden, wenn fest steht, dass einer künftigen Kündigung die Zustimmung zu erteilen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2004, Zl. 2002/11/0056). Ein besonderer Ausnahmefall, der eine nachträgliche Zustimmung zur Kündigung im Sinne des § 8 Abs. 2 BEinstG rechtfertigt, liegt im Falle von außergewöhnlichen Umständen vor, die hart an der Grenze des Kündigungsschutzes überhaupt liegen und überdies dadurch gekennzeichnet sind, dass dem Dienstgeber die vorherige Einholung einer behördlichen Zustimmung nicht zugemutet werden kann, was etwa dann anzunehmen ist, wenn der Dienstgeber beim Ausspruch der Kündigung nicht wissen konnte, dass der betreffende Dienstnehmer zu den bevorzugten Personen zählt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/11/0250).
Die Beschwerdeführerin macht Verstöße gegen Verfahrensvorschriften geltend, ohne deren Relevanz aufzuzeigen. Hinzuweisen ist darauf, dass die Zusammensetzung des Behindertenausschusses im § 12 BEinstG geregelt ist. Dass der im Beschwerdefall vom Vorsitzenden des Behindertenausschusses beigezogene Vertreter der Dienstgeber nicht ein im Sinne des § 12 Abs. 4 BEinstG bestelltes Mitglied des Behindertenausschusses gewesen wäre, wird auch von der Beschwerdeführerin nicht angezweifelt. Die Mitwirkung eines befangenen Organs in einer Kollegialbehörde zieht nicht die Unzuständigkeit dieser Behörde nach sich, sondern stellt einen Verfahrensmangel dar, der jedoch nur dann relevant ist, wenn im zu beurteilenden Fall nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Kollegialbehörde in Abwesenheit des befangenen Organs zu einem anderen, dem Gesetz entsprechenden Beschluss hätte gelangen können. Die Mitwirkung eines befangenen Organs bei der Entscheidung der ersten Instanz wird durch eine unbefangene Berufungsentscheidung gegenstandslos (vgl. die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2 (1998), zu § 7 AVG, Punkt 4. Mitwirkung eines befangenen Organs, Seiten 166 ff. wiedergegebene hg. Rechtsprechung). Eine Verletzung von Verfahrensvorschriften kann zur Aufhebung eines angefochtenen Bescheides nur dann führen, wenn die belangte Behörde im Falle der Vermeidung der unterlaufenen Mängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, weshalb eine vor dem Verwaltungsgerichtshof erhobene Mängelrüge einer Darstellung der Relevanz des unterlaufenen Verfahrensmangels bedarf, soweit diese nicht offensichtlich ist. Verfahrensmängel, die in erster Instanz unterlaufen sind, können eine Aufhebung des angefochtenen zweitinstanzlichen Bescheides nur dann zur Folge haben, wenn ihre Auswirkungen auf den angefochtenen Bescheid zum Nachteil des Beschwerdeführers durchschlagen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 26. Februar 1992, Zl. 92/01/0095, und vom 25. Februar 2004, Zl. 99/13/0149). In der Beschwerde werden jedoch der belangten Behörde unterlaufene Verfahrensfehler nicht aufgezeigt.
Aus den dargelegten Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Die Abweisung des Kostenmehrbegehrens betrifft den von der mitbeteiligten Partei beanspruchten Schriftsatzaufwand für die Gegenäußerung an den Verfassungsgerichtshof. Der mitbeteiligten Partei steht nur der Schriftsatzaufwand gemäß § 48 Abs. 3 Z. 2 VwGG zu. Dieser war im Beschwerdefall nach der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001 zu bemessen, weil die mitbeteiligte Partei ausdrücklich diesen Betrag beansprucht hat, obwohl bereits die Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003 in Kraft getreten war.
Wien, am 21. Oktober 2004
Schlagworte
Begründung von Ermessensentscheidungen Beschwerdepunkt Beschwerdebegehren Entscheidungsrahmen und Überprüfungsrahmen des VwGH Ermessensentscheidungen Ermessen Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung ErmessenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2003110251.X00Im RIS seit
24.11.2004