Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des J, geboren 1981, vertreten durch Dr. Friedrich Schwarzinger, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Johannisgasse 3/III, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. Juni 2004, Zl. St 181/03, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Ausstellung eines Reisepasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 20. Dezember 2001 wurde dem Beschwerdeführer der am 15. März 1995 ausgestellte und bis 15. März 2005 gültige Reisepass mit der Nr. Y0331200 gemäß §§ 15 Abs. 1, 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f Passgesetz 1992, BGBl. Nr. 838 (PassG), entzogen.
Der Beschwerdeführer sei am 21. September 2001 wegen des Verbrechens gemäß § 28 Abs. 2 vierter Fall, Abs. 3 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) und wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall leg. cit. zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 22 Monaten sowie zu einer unbedingten Geldstrafe von 120 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer zwischen November 1999 und Dezember 2000 Suchtgift in einer großen Menge (§ 28 Abs. 6 SMG), nämlich etwa 4.850 Stück Ecstasy-Tabletten, 700 Gramm Cannabisharz und eine nicht mehr feststellbare Menge Kokain an andere Personen verkauft habe, wobei er in der Absicht gehandelt habe, sich durch die wiederkehrende Begehung der Tat eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Weiters habe der Beschwerdeführer von Beginn des Jahres 1999 bis Dezember 2000 nicht mehr genau feststellbare Mengen an Ecstasy-Tabletten, Haschisch, Marihuana, 1 Gramm Perphentin, 1 Gramm Ice und mindestens 20 Gramm Kokain erworben und bis zum Eigenkonsum besessen.
Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer bereits mit Urteil vom 22. Oktober 1998 wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden. Er habe bereits im Alter von 16 Jahren Suchtgift konsumiert und in geringen Mengen weitergegeben.
Angesichts des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bereits im Alter von 16 Jahren Suchtgifte konsumiert habe und sich seine Kriminalität soweit gesteigert habe, dass er nunmehr sogar gewerbsmäßig eine große Suchtgiftmenge verkauft habe, sei die Annahme gerechtfertigt, der Beschwerdeführer werde den Reisepass dazu benützen, um Suchtgift in einer großen Menge nach Österreich einzuführen. Da die Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten besonders groß sei, sei der seit Begehung der Straftaten verstrichene Zeitraum zu kurz, um darauf schließen zu können, dass die Annahme gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG nicht mehr gegeben sei.
2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 22. Juni 2004 hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 3. April 2003 auf Ausstellung eines Reisepasses gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.
Im vorliegenden Verfahren betreffend die Ausstellung eines Reisepasses sei dieselbe Sache zu erledigen wie im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren betreffend die Entziehung des Reisepasses, sei doch in beiden Fällen die Frage zu klären, ob dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf "Nichtentziehung und/oder Ausstellung" eines Reisepasses zustehe.
Seit der Entziehung des Reisepasses mit dem am 2. Jänner 2002 zugestellten Bescheid der belangten Behörde vom 20. Dezember 2001 habe sich jedoch weder die Rechtslage noch der Sachverhalt geändert. Der Beschwerdeführer bestreite sein Fehlverhalten nicht und betone selbst, dass die letzte Straftat erst zweieinhalb Jahre zurückliege. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei ab einem Zeitraum des Wohlverhaltens in der Dauer von drei Jahren nicht von vornherein ausgeschlossen, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung möglich sei. Beim Beschwerdeführer sei hinsichtlich des "zeitlichen Wohlverhaltens" keine wesentliche Änderung eingetreten. Vor diesem Hintergrund könne die Entscheidung der Behörde erster Instanz nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3. Gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 22. Juni 2004 richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 leg. cit. die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken. Entschiedene Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber dem früheren Bescheid weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Dies muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden, was bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss. Die Verpflichtung der Behörde zu einer neuen Sachentscheidung wird nur durch eine solche Änderung des Sachverhalts bewirkt, die für sich allein oder iVm anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die seinerzeit den Grund für die Abweisung des Parteibegehrens gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. (Vgl. zum Ganzen die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I2, E 80, 90, 92 und 194 zu § 68 AVG zitierte hg. Judikatur.)
Da für die Berufungsbehörde Sache iSd § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich ist, ob die erstinstanzliche Behörde mit Recht den neuerlichen Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., E 105 zu § 68 AVG zitierte hg. Rechtsprechung), muss die wesentliche Änderung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz vorliegen.
2. Die belangte Behörde hat die mit Bescheid vom 20. Dezember 2001 (zugestellt am 2. Jänner 2002) erfolgte Passentziehung gemäß § 15 Abs. 1 PassG auf den nachträglichen Eintritt des Passversagungsgrundes gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f leg. cit. gestützt. Nach dieser Bestimmung ist u.a. die Ausstellung eines Reisepasses zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass dazu benützen will, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen.
So lange dieser Passversagungsgrund gegeben ist, steht er auch der Ausstellung eines Reisepasses für den Beschwerdeführer entgegen. Der gegenständliche Antrag des Beschwerdeführers zielt daher darauf ab, die bereits rechtskräftig entschiedene Frage, dass der Passversagungsgrund gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG gegeben ist, anders zu beurteilen.
Da sich die maßgebliche Rechtslage nicht geändert hat, käme eine inhaltliche Entscheidung über diesen Antrag nach dem oben
1. Gesagten nur dann in Betracht, wenn sich zwischen der Entziehung des Reisepasses mit dem am 2. Jänner 2002 erlassenen Bescheid der belangten Behörde und dem nach der Aktenlage am 23. Juni 2003 erlassenen Bescheid der Behörde erster Instanz über den gegenständlichen Antrag der Sachverhalt in einer Weise geändert hätte, dass eine andere Beurteilung der Frage, ob der genannte Passversagungsgrund gegeben ist, im Bereich des Möglichen läge.
3.1. Der Beschwerdeführer führt dazu ins Treffen, dass er sich nunmehr seit Begehung der strafbaren Handlungen bereits zweieinhalb Jahre wohlverhalten habe. Die Beurteilung neuer Tatsachen im Sinn von § 68 Abs. 1 AVG könne nicht losgelöst von jenen Umständen erfolgen, die zur ursprünglichen Entscheidung geführt hätten. Je schwerer die der ursprünglichen Entscheidung zu Grunde liegenden Tatsachen wögen, desto stärker müsse eine Änderung ausfallen, um eine meritorische Entscheidung treffen zu können. Je geringfügiger die vom Passwerber begangene strafbare Handlung sei, umso kürzer müsse der Zeitraum des Wohlverhaltens sein, der zu einer neuerlichen Sachentscheidung führen könne.
Es sei zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer keine strafbaren Handlungen mit Auslandsbezug begangen habe. Überdies habe er bei der Verurteilung vom 21. September 2001 keine Vorstrafe aufgewiesen. Sein strafbares Verhalten habe er bereits vor dem Tätigwerden der Behörde beendet. Aus diesen Gründen sei vom Gericht nur eine bedingte Freiheitsstrafe verhängt und von der zuständigen Behörde die Lenkerberechtigung nur für 15 Monate entzogen worden. Im Hinblick darauf sei eine Verweigerung der Sachentscheidung nach einem Wohlverhalten in der Dauer von zweieinhalb Jahren nicht gerechtfertigt.
3.2. Wie der Beschwerdeführer zu Recht geltend macht, ist es für die Frage, ob eine Sachverhaltsänderung eine neuerliche Sachentscheidung über das Vorliegen des Passversagungsgrundes gemäß § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG rechtfertigt, nicht unmaßgeblich, welche Umstände zur Verwirklichung dieses Versagungsgrundes geführt haben. Bestehen im Zeitpunkt der Entziehung des Reisepasses (bzw. der Abweisung eines Antrages auf Ausstellung eines Reisepasses) sehr gravierende Gründe für das Gerechtfertigtsein der in § 14 Abs. 1 Z. 3 lit. f PassG umschriebenen Annahme, so bedarf es einer stärkeren Änderung des Sachverhalts als bei Bestehen von Gründen, die die genannte Annahme (gerade) noch rechtfertigen.
3.3. Der Beschwerdeführer macht an Sachverhaltsänderung im vorliegenden Verwaltungsverfahren nur den Umstand geltend, sich im Zeitraum von nicht ganz eineinhalb Jahren zwischen der Entziehung des Reisepasses und der Entscheidung der Behörde erster Instanz (weiterhin) wohlverhalten zu haben.
Der Beschwerdeführer hat zwischen November 1999 und Dezember 2000 verschiedene Suchtgifte in einer gemäß § 28 Abs. 6 SMG u.a. unter Bedachtnahme auf die Eignung, in großem Ausmaß eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen herbeizuführen, festzusetzenden "großen Menge" in der Absicht verkauft, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger Straftaten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen. Sein Vorbringen, bei der Verurteilung vom 21. September 2001 unbescholten gewesen zu sein, widerspricht der Aktenlage, wurde doch nach der bei den Akten erliegenden Urteilsausfertigung eine einschlägige Vorstrafe des Beschwerdeführers als erschwerend gewertet.
Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers stellte im Hinblick auf den Rückfall, die große Menge des weitergegebenen Suchtgifts, den langen Deliktszeitraum und die gewerbsmäßige Vorgangsweise am 2. Jänner 2002, also nur etwa 13 Monate nach Begehung der letzten Straftat - ungeachtet des Umstands, dass der Beschwerdeführer bisher kein Suchtgiftdelikt mit Auslandsbezug begangen hat -, einen sehr gravierenden Grund für die an diesem Tag erfolgte Passentziehung dar. Von daher ist das bloße Verstreichen eines weiteren Zeitraums des Wohlverhaltens von etwa eineinhalb Jahren bis zur Entscheidung der Behörde erster Instanz über den gegenständlichen Antrag von vornherein nicht geeignet, eine andere Beurteilung der Frage, ob der genannte Passversagungsgrund vorliegt, herbeizuführen.
Soweit der Beschwerdeführer die bedingte Nachsicht der vom Gericht - neben einer unbedingten Geldstrafe - verhängten Freiheitsstrafe sowie die Dauer der behördlich angeordneten Entziehung der Lenkerberechtigung ins Treffen führt, ist ihm zu entgegnen, dass die Passbehörde die Frage, ob eine wesentliche Sachverhaltsänderung im Sinn von § 68 Abs. 1 AVG vorliegt, allein nach den Kriterien des PassG zu beurteilen hat, ohne an die gerichtlichen Erwägungen für die bedingte Strafnachsicht oder die behördlichen Erwägungen für die Dauer der Entziehung der Lenkerberechtigung gebunden zu sein.
Die Ansicht der belangten Behörde, es sei seit der Entziehung des Reisepasses keine eine neuerliche Sachentscheidung rechtfertigende Sachverhaltsänderung eingetreten, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden.
4. Aus den dargestellten Gründen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
5. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 3. November 2004
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Materielle Wahrheit Zurückweisung wegen entschiedener SacheEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2004:2004180215.X00Im RIS seit
07.12.2004